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Change Experience: Warum wir Veränderung neu denken müssen – Ein Gespräch mit Stefani Rohrbeck über menschzentrierten Wandel!

Veränderung begleitet mich seit vielen Jahren: Als Gestalter, Unternehmer und Berater, der Organisationen auf ihrem Weg in neue Strukturen und Prozesse, hin zu neuen Erfahrungen und Kompetenzen und neuen Geschäftsmodellen und Märkten begleitet. Nicht jedes Projekt war erfolgreich, nicht jedes hatte eine positive „Change Experience“.

Stets gut vorbereitet, und strukturiert geplante Veränderungsprozesse gerieten ab und an ins Stocken, insbesondere dann, wenn die Gefühle und Anforderungen der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu wenig berücksichtigt wurden.

Wie fühlt sich Veränderung an?

Dieser Frage sollten wir mehr Beachtung schenken. Stefani Rohrbeck tut das und hat mir im Interview neue Perspektiven auf das Thema Change-Management geboten. Wir kommen beide aus der Welt der Marken, digitalen Produkte und Nutzererlebnisse, und teilen die Erfahrung, dass Transformation erst dann gelingt, wenn sie menschlich stimmig wird.

Portraitfoto von Stefani Rohrbeck - Workshopsetting

Stefani Rohrbeck

Stefani verbindet in ihrem Ansatz Markenführung, Experience Design und klassische Change-Methoden zu etwas, das sie „Change Experience“ nennt. Und genau dieser Begriff hat bei mir einen Nerv getroffen.

Stefani bringt ihre Marken- und UX-Erfahrung mit fundiertem Wissen aus Psychologie, Coaching und Change-Management zusammen. Sie berät Unternehmen, wie Veränderung zu gestalten ist wird bzw. gestaltet werden sollte – und sie spricht und denkt darüber nach, wie Veränderung sich anfühlen sollte.

Change Experience: Wenn Veränderungen sich stimmig anfühlen!

Für Stefani sind Emotionen kein Nebenschauplatz, sondern die nötigen Treiber, die Wandel tragen oder eben blockieren. Und das gilt insbesondere dann, wenn in Unternehmen mehrere Transformationen gleichzeitig laufen: Digitalisierung, KI, New Work, Nachhaltigkeit.

Für Entscheiderinnen und Entscheider, die Veränderungsprojekte begleitet haben – manchmal erfolgreich, stets herausfordernd – bietet ihr Ansatz eine neue Sichtweise:

  • Weg vom Durchsteuern, hin zum Gestalten.
  • Weg vom Abarbeiten, hin zum Erleben, zu Resonanz und Selbstwirksamkeit.
  • Weg von „Wir müssen das schaffen!“, hin zu „Wir wollen das gestalten!“.

Change Experience: Warum wir Veränderung neu denken müssen!

Mein Interview mit Stefani ist nicht nur ein Gespräch über Methoden. Es ist eine Einladung, Veränderung anders zu denken: menschzentrierter, klarer, emotional intelligenter und damit wirkungsvoller.

Ich wünsche viel Freude beim Lesen.

Liebe Stefani, du sprichst von „Change Experience“ als bewusstem Erleben von Veränderung. Was unterscheidet diesen Ansatz für dich vom klassischen Change Management?

Stefani: Für mich bedeutet Change Experience, Veränderung nicht nur zu managen, sondern sie fühlbar und sinnhaft erlebbar zu machen. Klassisches Change-Management konzentriert sich häufig auf Strukturen, Pläne, Prozesse und Kommunikation im Sinne eines „Durchsteuerns“. Das ist wichtig, greift aus meiner Erfahrung aber zu kurz.

Change Experience setzt stattdessen beim Erleben der Menschen an.

„Veränderung gelingt nur dann nachhaltig, wenn Menschen verstehen, warum sie stattfinden soll, und wenn sie sich emotional abgeholt fühlen.“

Es geht also nicht um das Abarbeiten einer Roadmap, sondern um das bewusste Gestalten von Momenten, die Orientierung geben, Vertrauen schaffen und Engagement ermöglichen.

Warum Change-Management ohne Experience Design und Markenidentität unvollständig bleibt!

In deinem Modell verbindest du Experience Design, Marke und Change-Management-Methoden. Wie helfen dir diese drei Perspektiven dabei Veränderung menschengerecht zu gestalten?

Stefani: Die drei Bereiche ergänzen sich gegenseitig.

  • Marke schafft Sinn und Identität. Sie beantwortet die Frage, wofür ein Unternehmen steht, und bietet einen emotionalen Fixpunkt in Zeiten des Wandels.
  • Experience Design fokussiert auf den Menschen und sein Erleben. Es hilft, Veränderung so zu gestalten, dass sie intuitiv, verständlich und sinnvoll wahrgenommen wird.
  • Change-Methoden liefern die notwendige Struktur. Sie machen Veränderung planbar, sicher und transparent. Wenn diese drei Ebenen verbunden sind, entsteht eine ganzheitliche, stimmige Perspektive.

Fakten bringen uns ins Nachdenken, Gefühle bringen uns ins Handeln!

Emotionen, Sinn und Orientierung spielen in deinem Ansatz eine große Rolle. Wie arbeitest du mit diesen Dimensionen, wenn du Veränderungsprozesse begleitest?

Stefani: Ich gehe davon aus, dass Menschen Veränderung nicht rational, sondern vor allem emotional bewerten. Deshalb arbeite ich sehr bewusst damit. Ich mache Emotionen im ersten Schritt erstmal sichtbar. Das geht über Workshops, Gespräche oder Formate, die Raum für Austausch, Unsicherheiten und auch Freude bieten. Gefühle sind kein Störfaktor, sondern ein Wegweiser und das dürfen die Menschen direkt merken.

Ich helfe Organisationen auch dabei, das Warum hinter der Veränderung klar auszudrücken. Wenn Menschen Sinn erkennen, entsteht innere Motivation.

Ich entwickle Bilder, Metaphern und Change-Stories, die die Komplexität aus Veränderungsvorhaben nehmen und Halt geben. Orientierung schafft Sicherheit und ermöglicht, dass Menschen in Bewegung kommen und den Change dann auch aktiv mitgestalten.

Wandel berührt Werte, Verhalten und Kultur. Welche Rolle spielen Emotionen und psychologische Sicherheit in deinen Change-Projekten und wie adressierst du diese?

Stefani: Psychologische Sicherheit ist für mich die Grundlage jeder erfolgreichen Veränderung. Wenn Menschen Angst haben, Fehler zu machen oder sich zu äußern, entsteht erstmal Widerstand. Und zwar nicht aus Bockigkeit, sondern als Selbstschutz. Deshalb arbeite ich bewusst mit Formaten, die Vertrauen schaffen. Das fängt an mit wertschätzenden Gesprächen und setzt sich fort im gemeinsamen Erarbeiten von Werten oder Prinzipien.

Ich thematisiere offen, welche Gefühle die jeweilige Veränderung auslöst. Ganz bewusst auch die unangenehmen wie z.B. Wut, Angst oder Trauer.

Gleichzeitig entwickle ich mit Teams Geschichten oder Rituale, die Mut machen und Verbindung stiften. Denn nur in einer Umgebung, in der Emotionen willkommen sind, können Menschen ihr Verhalten wirklich ändern und Kulturwandel kann entstehen.

Change braucht Struktur!

Wenn du ein Unternehmen durch ein Veränderungsprojekt führst: Wie gehst du konkret vor, um eine positive Change Experience zu schaffen?

Stefani: Ich gehe dabei ziemlich strukturiert vor. Das merkt man aber erstmal gar nicht so sehr, glaube ich. Empathisch und offen auf die Menschen in den Unternehmen zuzugehen, ist die Grundvoraussetzung, mit der alles anfängt.

Ich tauche quasi erstmal in die Organisation ein, höre zu und beginne dann, das Gehörte zu analysieren. Dabei geht es um das gelebte Markenbild mit seinen spezifischen Werten, um das Miteinander ganz allgemein und auch um Schmerzpunkte, die die Leute gerade ganz besonders beschäftigen.

Im nächsten Schritt entwickeln wir dann gemeinsam eine klare, glaubwürdige Geschichte, die die Veränderung verständlich und nachfühlbar darstellt. Es kann z.B. helfen, die Veränderung wie eine Reise zu gestalten mit allen Touchpoints und zugehöriger, zum jeweiligen Kanal passender Kommunikation. Wichtig dabei ist, die Menschen, die von der Veränderung betroffen sind, zu beteiligen. Veränderung funktioniert nicht top-down. Ich baue also Formate, in denen Mitarbeitende Ideen einbringen, Entscheidungen verstehen und Teil der Lösung werden.

Meine Arbeit ist damit noch nicht zu Ende. Ich bleibe an der Seite des Unternehmens, beobachte, justiere nach und stärke ganz besonders auch die Führungskräfte bei ihrer Aufgabe, die Teams zu motivieren und einzubinden. So entsteht dann Change Experience, die nicht als Belastung wahrgenommen wird, sondern als Chance, gemeinsam etwas Besseres zu gestalten.

Von Roadmaps zu Resonanz: Wie Change Experience Veränderungsprozesse menschlicher macht!

Wo beobachtest du in Organisationen die größten Stolpersteine im Change – und wie hilfst du, diese zu überwinden?

Stefani: Problematisch wird es, wenn Veränderung zwar geplant, aber nicht menschenzentriert umgesetzt wird.

Viele Organisationen gehen immer noch davon aus, dass Menschen Veränderung rational nachvollziehen, und glauben, dann läuft alles glatt durch. Sie unterschätzen völlig, wie stark Emotionen, kulturelle Muster und unbewusste Widerstände wirken. Das endet dann eher in einem „Durchwurschteln“, als dass es sich sicher und geleitet anfühlt.

Besonders typisch sind diese drei Blockaden:

  1. Veränderungsprogramme werden häufig mit unzähligen Projekten, Meetings und Formaten überfrachtet – und zwar zusätzlich zum bestehenden Arbeitsalltag. Menschen verlieren dann sehr schnell den Überblick und reagieren mit Überforderung.
  2. Es gibt hohe Erwartungen, aber wenig sicheren Rahmen, um Fragen zu stellen, Bedenken zu äußern oder sich auszutauschen. Das führt ganz schnell zur Orientierungslosigkeit und Unsicherheit.
  3. Viele Initiativen scheitern daran, dass Menschen nur umsetzen sollen, aber nicht aktiv beteiligt werden. Dadurch bleiben sie dann leicht in einer Art Opferrolle. Sie halten das irgendwie durch, identifizieren sich aber nicht mehr mit dem Unternehmen oder dem Vorhaben.

Erfolgreiche Veränderung braucht also Zeit, emotionale Kompetenz und Beteiligungsformate. Weil das in unserem durchgetakteten Alltag nicht einfach einzubauen ist, komme ich von außen in die Unternehmen, um sowohl den gesamten Change-Prozess zu begleiten als auch punktuell mit entsprechenden Maßnahmen zu unterstützen. Veränderung an sich ist unkontrollierbar, weil Menschen individuell und auch abhängig von der Unternehmenskultur völlig verschieden reagieren. Darauf darf man sich erstmal einlassen.

Change bedeutet „Mitmachen“!

Welche Grundsätze empfiehlst du Unternehmen, die Veränderung nicht nur durchführen, sondern für die Menschen wirklich erlebbar und stimmig gestalten wollen?

Stefani: Menschenzentrierung als Haltung, nicht bloß als Methode verstanden, ist für mich die Basis nicht nur für Veränderung, sondern für jegliches gelingendes Miteinander.

„Change beginnt damit, Menschen wirklich auch als Menschen wahrzunehmen mit all ihren Bedürfnissen, Ängsten und ihrer jeweiligen Motivation.“

Erst wenn sich jemand gesehen fühlt, wird er oder sie in Bewegung kommen und die Veränderung unterstützen.

Ein weiterer Grundsatz ist der Fokus auf gute Change Experience, denn sie reduziert Komplexität. Durch klare Stories, sinnvolle Prioritäten, verständlich klare Kommunikation und einfache Guidelines wird Orientierung geschaffen und  Vertrauen kann wachsen. Für Veränderung gibt es keinen Masterplan, der einmal aufgesetzt und dann abgearbeitet wird. Sie entsteht im Tun. Kleine Experimente, Prototypen, Beta-Phasen und Feedback-Loops machen Wandel greifbar und nehmen die Angst vor Fehlern. Experimentieren bedeutet erwiesenermaßen, dass Menschen schneller lernen.

Ich empfehle auch immer, die Marke zu nutzen, wenn sie gut positioniert und ausgearbeitet ist. Marke verstehe ich als Unternehmensidentität und als Versprechen. Sie gibt Orientierung und Sicherheit in jeglichem Wandel. Wenn Veränderung auf die Markenwerte einzahlt, wirkt sie stimmig und glaubwürdig.

Change-Experience: Nichts ist konstanter als der Wandel!

Es gibt nur wenige, die ebenfalls von Change Experience sprechen. Mir kommt für den deutschen Beratermarkt nur in den Sinn: Dr. Katharina Luh von EY. Kennst du sie? Wie unterscheiden sich eure Vorgehensweisen?

Stefani: Change Experience als Ansatz ist nicht völlig neu und der Begriff wird hier und da auch von anderen verwendet. Allerdings definiert das jede:r für sich selbst, was sich dahinter verbirgt.

Ich habe gelesen, dass größere Beratungshäuser damit v.a. daten- und technologiegestützte Analysen und Darstellungsformen sowie personalisierte Lernmethoden verstehen. Grundlage sind dafür teils sehr umfangreiche Studien.

Soweit ich informiert bin, hat sich bisher niemand explizit so sehr auf die menschlichen Aspekte im Change fokussiert, wie ich es tue. Mir geht es in meinem Ansatz um ein Stimmigkeitsgefühl zwischen Denken, Fühlen und Handeln bei den vom Change betroffenen Menschen. Erfolgreicher Change bedeutet für mich immer die Kombination aus menschlichem und wirtschaftlichem Erfolg.

Und auch Marke als die ultimative Werte- und Sinnstifterin spielt speziell in meinem Ansatz eine große Rolle. Dort steckt einfach schon so viel wertvolle und gut nutzbare Vorarbeit drin, dass viele Fragen rund um die Veränderung direkt beantwortet werden können.

„Marke ist für mich Leitbild und Management-Tool in einem.“

Die bewährten Change-Management-Grundsätze und -Methoden nutze ich in meinem Ansatz übrigens genauso wie alle anderen auch.  Zum Beispiel die Definition von KPI und damit die Messbarkeit von Erfolg sowie ein strukturierter Kommunikationsplan gehören also auch bei mir unbedingt mit in die Change-Begleitung.

Ich fasse meinen Ansatz hier abschließend nochmal kurz als Formel zusammen:
Experience Design + Marke + Change-Management = Change Experience (ChX).

Vielen Dank, Stefani, für dieses offene, inspirierende und bereichernde Gespräch.

Dein Ansatz der Change Experience öffnet neue Perspektiven, die ich unbedingt weiter vertiefen möchte, mit Hilfe deiner Vorträge, Artikel und hoffentlich bald auch in einer gemeinsamen Zusammenarbeit. Ich freue mich auf unser erstes gemeinsames Projekt und darauf, Veränderung neu zu denken und erlebbar zu machen.

Über Stefani Rohrbeck

Portraitfoto von Stefani Rohrbeck - Dozentensetting

Stefani Rohrbeck / Change Agentin

Stefani vereint gleich mehrere Disziplinen: Sie ist

  • Kauffrau,
  • Designerin und
  • Change Agentin.

Ihre Mission ist es, Unternehmen als klar positionierte Marke zukunftsfähig aufzustellen. Sie kombiniert strategisches Wissen mit Kreativ-Know-How und sorgt dank ihrer umfangreichen Führungserfahrung für positive Brand & Change Experience.

Mehr über Stefani und ihrem Ansatz gibt’s unter stefanirohrbeck.de und change-experience.de.

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Vom Projekt- zum Produktgeschäft – und warum du Digitalagenturen meiden solltest, die für jeden arbeiten!

Im Jahr 2007 schrieb ich einen folgenschweren Satz in mein Notizbuch:

Weg vom Projekt, hin zum Produkt.

Seit 1996 war ich im Projektgeschäft aktiv:

  • Anfrage, Ausgangspunkt: Briefing mit klaren Fragestellungen, Leistungsanforderungen, Zielen und zeitlichen Eckdaten.
  • Gefordert: Leistungs- und Lieferbeschreibung gemäß Leistungsanforderung, gut begründetes Konzept zur Vorgehensweise und Preisangaben.

Nach einem Auftrag, stets ein Moment großer Freude, galt es für mich und mein Team die im Briefing genannten Projektziele zu erreichen, in höchster Qualität gemäß Leistungsanforderung zu liefern. Fast immer gelang uns das. Fast jeder „Are-You-Happy Call“ am Projektende war angenehm.

Nachhaltiger Unternehmenserfolg als Digitalagentur – so auf Dauer nicht möglich!
Zum Glück erkannte ich das 2007, und vergas es seitdem nur selten.

Menschzentrierte Gestaltung ist kein Projekt – es ist ein unternehmerisches Versprechen!

Ein Human Centered Design Mindset und das damit verbundene Können sind notwendig aber keinesfalls hinreichend, wenn Digitalagenturen das Versprechen einlösen wollen Produkte, Teams und Unternehmen zum Erfolg zu führen.

Es ist nicht ausreichend, wenn unternehmerischer Haltung und unternehmerische Kompetenzen fehlen!

Viele Agenturen versprechen ihren Kunden:

  • Wir gestalten mit und für Menschen!“
  • Wir stellen Menschen in den Mittelpunkt!“.

Sie beobachten im Auftrag ihrer Kunden was deren Mitbewerber tun. Sie nutzen die Produkte und Services ihrer Auftraggeber, arbeiten Schwächen und Optimierungsthesen heraus.

Nachhaltiger Erfolg kann so nicht gesichert werden – weder für die Agentur noch für den Auftraggeber der Agentur.

Von der Pflicht zur Kür – und von der Kür zur Wirkung!

Es reicht nicht aus gut zu sein beim Analysieren von Anforderungen und Bedürfnissen, beim Erkennen unerfüllter Bedarfe, gut zu sein beim Testen von Produkten und Services, beim Aufzeigen von Optimierungsthesen, beim Gestalten von prototypischen Lösungen, die mit Nutzern getestet und danach angepasst werden.

Das ist die Pflichtleistung einer Digitalagentur.
Das schafft Werte, aber keine Differenzierung – und damit keinen nachhaltigen (Agentur-)Erfolg.

Die Kür …

  • (Markt-)Chancen und (Wettbewerbs-)Potentiale sehen, bevor die Auftraggeber das tun.
  • Erfolgspotentiale aufzeigen und gut begründen.
  • Geschäftsführende auf Kundenseite davon überzeugen aufgedeckte Chancen und Potentiale anzugehen.

Die Kür zuerst, dann die Pflicht!

Je öfter dies gelingt, je öfter Agenturen ihren Auftraggebern aufgezeigte Erfolgspotentiale erschließen, desto mehr Budget wird das Management auftun, desto mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung wird es auf Kundenseite (auch) im Top-Management geben.

„Mit einem menschzentrierten Gestaltungsansatz haben wir das Zeug Unternehmen zum Erfolg zu führen. Ein Versprechen, das man jeden Tag neu einlösen kann, wenn man sich für Produkte, Teams und Unternehmen, und nicht nur für Projekte verantwortlich fühlt!“

Digitalagenturen müssen ein unternehmerisch einlösbares Erfolgsversprechen bieten!

Ich fasse zusammen: Viele Digitalagenturen bekennen sich zu „Customer Centricity“ und „Human Centered Design“ – doch oft verbleiben sie in der Rolle der verlängerten Werkbank und hasten von einem Projekt zum nächsten.

Wirkliche Veränderung entsteht erst dann, wenn Gestalterinnen und Gestalter, Entwicklerinnen und Entwickler, wenn Managerinnen und Manager auf Agenturseite beginnen unternehmerisch zu denken, zu sprechen und zu handeln.

Wenn sie Verantwortung übernehmen für die Produkte, den Geschäftserfolg und Unternehmenswert ihrer Kunden.

Vom Projektmanager, zum Produktmanager, zum Mitunternehmer!

Auf Agenturseite braucht es dafür starke Persönlichkeiten mit umfangreichen Erfahrungen, strategischem Weitblick und der Fähigkeit Brücken zu bauen zwischen den Zielen der Geschäftsführung, Marketing, Technologie, Entwicklung und Design.

Es braucht Menschen …

  • die die Sprache des Managements sprechen und den Wert menschzentrierter Gestaltung übersetzen können in messbare Erfolgskennzahlen.
  • die Prioritäten aufzeigen, valide Entscheidungsgrundlagen bereitstellen und stets selbst eine Empfehlung abgeben.
  • die aufzeigen, wie Forschung Risiken reduziert, wie systematische Gestaltungsprozesse die Produktivität steigern, wie menschzentrierte Innovation Wettbewerbsvorteile schafft.

Es braucht Menschen …

  • die Unternehmen dabei helfen, wirklich menschzentriert zu arbeiten
    – nicht als Projekt, sondern als Haltung.
  • die das Geschäft ihrer Kunden verstehen und weiterentwickeln können
    – und das braucht Fokus statt Verzettelung!

„Schuster bleib bei deinen Leisten!“

Wenn eine Agentur für jeden arbeitet – für Unternehmen fast jeder Branche, für Konzerne, den (deutschen) Mittelstand, für jede Aufgabenstellung … -, wenn eine Agentur nur „Bauchladen“ ist und bietet, immer „hier“ schreit und stets alles anbietet, was angefragt wird, dann ist all das zuvor beschriebene nicht möglich.

„Agenturen, die keinen Fokus haben, die für alles und jeden anbieten, diese Agenturen wollen Projektgeschäft!“

Agenturen, die fokussiert sind und Anfragen auch einmal begründet ablehnen, machen deutlich, dass sie Kunden suchen mit denen sie partnerschaftlich an deren Produkt- und Unternehmenserfolg arbeiten können.
Agenturen, die diese Einstellung und diesen Anspruch haben fokussieren sich, denn nur so können sie für ihre Kunden unternehmerisch handeln, wahre Expertise bieten, deren Produkte zum Erfolg führen und die Zukunft ihrer Kunden erfolgreich (mit-)gestalten.

Menschzentrierte Gestaltung ist kein Projekt – sie ist ein unternehmerisches Versprechen …

… an Kunden, Mitarbeitende und an sich selbst.

Menschzentrierte Gestaltung erfordert Haltung, Verantwortung und Führung.

Wo auf Agenturseite Persönlichkeiten fehlen, die das (Handwerk-)Zeug und den Willen zum Unternehmertum haben, da entsteht eine Lücke – zwischen Anspruch und Umsetzung, zwischen Strategie und Realität.
Wo auf Agenturseite der Anspruch ist für jeden zu arbeiten, da fehlt die Fähigkeit und der Wille für Kunden wirklich und nachhaltig Unternehmenswerte zu schaffen.

Drum prüfe, bevor du dich an eine Agentur bindest, wer dort wie für wen arbeitet!

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Von der UX Task Force zur Partnerschaft mit dem Management: Kundenbedürfnisse als Entscheidungsgrundlage!

Wie gelingt es, UX als strategischen Erfolgsfaktor in einem Unternehmen zu verankern? In diesem Interview spreche ich genau darüber mit Inga Scharfenberg, der es gelang über eine UX Task Force viel Sichtbarkeit im Top-Management ihres Arbeitgebers zu erlangen. Sie gibt Ihnen tiefe Einblicke in ihre Arbeit als „Anwältin von Kunden und Kundinnen“.

Inga berichtet, wie sie mit einem kombinierten Methodenansatz, Co-Creation und gezielter Aufklärungsarbeit Werbung für UX Design und User Research macht und dem Top-Management immer wieder hilft die richtigen Dinge richtig gut zu gestalten.

Inga Scharfenberg bietet ein Zitat im Foto: „In digital ausgerichteten Unternehmen sollte eine UX Abteilung Pflicht sein. Wenn an den Nutzenden vorbei optimiert wird, bringt es nichts.“ Inga ist bei freenet tätig.Ich durfte Inga kennenlernen, als sie bei der freenet AG damit begann eine UX Task Force aufzubauen – und das mit Herzblut, viel Leidenschaft und klarem Verstand tat. Es war beeindruckend zu sehen, mit welcher Energie, Sorgfalt und Erfolgen Inga „forschungsbasiertes“ UX Design im Unternehmen sichtbar machte und verankerte.

Inga ist eine Macherin – analytisch und empathisch zugleich, mit einem klaren Fokus auf Kundenzentrierung.

Sie vertritt die Perspektive der Nutzenden nicht nur konsequent, sondern auch strategisch klug: In ihrer Rolle als Mitarbeiterin Market Research & Customer Advocacy sorgt sie dafür, dass die Stimmen von Kunden und Kundinnen gehört werden – und zwar dort, wo Entscheidungen getroffen werden.

Im Gespräch gibt Inga Ihnen und mir tiefe Einblicke in ihren Weg, ihre (Erfolgs-)Methoden und ihr Selbstverständnis – und sie zeigt Ihnen damit auf, wie UX zur echten Entscheidungsgrundlage wird, und wie UX Designerinnen und Designer strategische Partner des Top-Managements werden.

Anwältin und Fürsprecherin für Kunden

Ich mag deine Rollen- und Job-Bezeichnung: Anwältin und Fürsprecherin eurer Kunden.
So habe ich eresult auch viele Jahre positioniert. Mit welchen Fällen beschäftigst du dich aktuell?

Inga: Wir verstehen die Rolle vor allem so, dass wir nicht darauf warten, bis Fachbereiche mit einer Fragestellung auf uns zukommen, sondern wir auch mit einem von uns identifizierten Kundenproblem auf die Fachbereiche zugehen und darauf hinweisen.
Wir vertreten die Kundenstimme im Unternehmen, und tragen sie aktiv rein – mit unterschiedlichen Co-Creation-Ansätzen, Fokusgruppen, Speed-Dating-Formaten etc. – immer dort, wo die Fachbereiche in den direkten Austausch mit Nutzenden, Kunden und Kundinnen gehen.

Aktuell beschäftigen wir uns zum Beispiel mit unserem Check Out und damit, wie wir den Ablauf so reibungslos wie möglich gestalten können. Natürlich haben wir auch immer die Unternehmensziele im Blick, denn ohne diese geht es nicht. Wir sorgen dafür, dass die Kunden und Kundinnen durch uns mit am Tisch sitzen und gehört werden.

Ein Schlüssel zum Erfolg: Kombinierter Methodeneinsatz!

Wie gehst du vor, um die Anforderungen eurer Kunden- und Nutzergruppen zuverlässig und valide zu kennen?  

Inga: Wir arbeiten holistisch. Wir betrachten eine Journey nie nur aus einer Perspektive, EINEM unmoderierten Nutzertest oder EINEM Online-Survey. Wir schauen uns verschiedene Daten an: Dazu gehören natürlich klassische UX-Interviews, je nach Fragestellung und Komplexität entweder unmoderiert oder moderiert. Daneben werden meist Experten-Reviews durchgeführt, für die ich eine fachbereichsübergreifende UX Task Force ins Leben gerufen habe. Wir betrachten also die Journey, die Page, den Prozess etc. aus unterschiedlichen Perspektiven und wenden dabei Frameworks, Heuristiken und konsumpsychologische Patterns an.

Natürlich gesellen sich dazu dann noch die Analytics-Daten, die wir auswerten und Onsite-Surveys, in denen wir unsere User direkt am Point of Action fragen können: Wieso brichst du hier ab? Wie gefällt dir die Seite? Welche Informationen fehlen dir? Wir kombinieren also im besten Fall „Qual & Quant“, sowie Beobachtbares und Gesagtes der Nutzenden.

Wie gelingt es dir deinen Kollegen und Kolleginnen immer wieder die Kunden- und Nutzer-Brille aufzusetzen, also sicherzustellen, dass sie Kunden- und Nutzeranforderungen kennen und beachten?

Inga: Indem wir die Kunden und Kundinnen sprechen lassen. Und zwar nicht nur durch uns und unsere Daten in Power Point oder Factsheets, sondern so richtig: Mit Video-Files, mit Voice-Files oder mit direktem Austausch live und in Farbe vor Ort in unseren Räumlichkeiten. Es hilft enorm, wenn die Fachbereiche wirklich sehen und hören, was die Nutzenden sagen und denken.

Von der UX Task Force zur strategischen Partnerschaft mit dem Top-Management!

Nicht jedes Unternehmen investiert in einen forschungsbasierten Gestaltungsprozess. Das ist bei euch dank deines Engagements zum Glück anders. Respekt und Anerkennung dafür. Mit welchen Maßnahmen gelang es dir den positiven Wert von User Research zu verdeutlichen, deine Stelle zu rechtfertigen und dir ein Budget für Studien und Tests zu sichern? 

Inga: Zunächst haben wir seit der Gründung unserer UX Task Force im Unternehmen viel Werbung für uns und UX gemacht.

Wir klären auf:

  • UX – was heißt das eigentlich?
  • Wie geht das und wie machen wir das?

Immer kombiniert mit dem Mehrwert für die Kollegen und Kolleginnen.

Kommt auf uns zu, wir unterstützen euch dabei, kundenzentriert zu denken, zu texten, zu optimieren, zu gestalten.“

Dieses Angebot ist niederschwellig, es braucht keine Tickets oder aufwändige Briefings.

Ein starkes Tool für messbare Erfolge sind unsere A/B Tests, die eine bestehende Kommunikation/Journey/Page gegen eine kundenzentrierte Version davon testen und im besten Fall einen positiven Impact auf vorher festgelegte KPIs zeigen. Wir haben ein Conversion Rate Optimierungs-Team, deren Teammitglieder auf unseren Webseiten klassische A/B-Tests durchführen, wir testen E-Mails gegeneinander und zeigen den Impact dort. Es ist also eine Mischung aus beidem: Harte Kennzahlen und viel Aufklärung, Angebot und niederschwellige Unterstützung.

Denkst du diese Maßnahmen wirken auch in anderen Unternehmen, steigern auch in anderen Unternehmen den Reifegrad in Sachen menschzentrierte Gestaltung? 

Inga: Ich denke ja. Vor allem in stark digital ausgerichteten Unternehmen sollte eine UX Abteilung eigentlich Pflicht sein. Wenn an den Nutzenden vorbei optimiert wird, bringt es nichts. Natürlich hilft es auch, wenn man intrinsisch motivierte Mitarbeitende hat, die das Thema wirklich vorantreiben, aufklären, Prozesse aufsetzen und  für das Thema brennen.

Qualitative und quantitative Methoden im Verbund

Welche Verfahren der qualitativen und quantitativen Forschung gehören in einen gut sortierten User Research Methoden-Baukasten?

Inga: Im qualitativen Bereich: Fokusgruppen, Tiefeninterviews und Co-Creation helfen vor allem in der frühen Phase von Produktentwicklungen: Welche Probleme und Bedürfnisse haben die Nutzenden eigentlich und wie können wir diese lösen? Und sie helfen, wenn man wirklich das Warum verstehen will.
Wenn es an den Flow und die Gestaltung geht, kommen dazu UX Interviews, moderiert und unmoderiert. Da kann und sollte dann alles getestet werden: Kurze Design-Test, ausführliche Prototypen-Tests, Tree Tests für Navigation, Card Sortings, Usability-Tests, … .

Wir nutzen immer auch unsere eigene Expertise der UX Task Force für UX Audits, die wir mit Heuristiken und konsumentenpsychologischen Ansätzen systematisiert durchführen (das ist zwar streng genommen nicht wirklich User Research, aber dennoch ein wichtiges Tool für uns…).

Im quantitativen Bereich: Customer Satisfaction Score-Analysen, um dauerhaft zu prüfen ob unsere Kunden und Kundinnen zufrieden sind. Wenn hier KPIs einbrechen, sollte man hellhörig werden und schauen, woran es liegt. Die Befragungen dazu können gut in der Bestellbestätigung oder auch auf der Website platziert werden.

Außerdem liebe ich Onsite-Surveys, wie z.B. Abbrecher-Befragungen. Hier treffen wir die Menschen genau am point of action und können mit einem guten Survey das Verhalten verstehen. Alle Ansätze sollten im besten Fall gemeinsam und additiv eingesetzt werden, um ein umfassendes Bild zu bekommen.

Behavioral Patterns und Heuristiken als Problemlöser im UX Design

Wie gehst du vor, um Optimierungspotentiale zu erkennen, Lösungen zu erarbeiten und zu testen, ob jene wirksamer sind als der Status Quo? 

Inga: Wir schauen uns bestimmte Journeys oder Bereiche ganzheitlich an – je nach Case finden wir die passenden Methoden aus dem oben genannten Set. Da finden sich dann meist diverse Optimierungspotenziale, die wir je nach Risikolevel mit einem A/B Test testen oder direkt umsetzen. Ob es danach besser ist, zeigt sich entweder in der KPI, die wir für den A/B Test festgelegt haben oder, wenn wir Journeys mit einer Befragung begleiten, in den Befragungsdaten vor und nach der Anpassung.

Die Lösungen erarbeiten wir mit Hilfe von behavioral patterns, wir texten auch in unserer Abteilung – letztes Jahr durfte ich eine Weiterbildung im Bereich UX Copywriting machen – so können wir konkrete Lösungsvorschläge für die Fachabteilung liefern.

Wir identifizieren oft auch „zufällig“ Themen, beim Durchgehen von Journeys, die dann nach Rücksprache mit der Fachabteilung genauer untersucht werden. Ein regelmäßiger Besuch unserer Website steht bei uns natürlich auch auf der Agenda.

KI für UX Research: Fokus auf Qualität und Geschwindigkeit!

Lass uns zum Ende über Möglichkeiten und Potentiale von generativer KI sprechen: Wo investierst du, wo investiert ihr Zeit und Geld, um Erfahrungen mit KI im User Research zu sammeln? 

Inga: KI unterstützt uns im Research-Bereich hauptsächlich in der Auswertung. Zusammenfassen von Transkripten, Auswertung von offenen Nennungen – solche Dinge. Generative KI kann aber natürlich auch bei der Erstellung von Testkonzepten, bei der Formulierung von Fragebögen oder bei Erstellung von Textvorschlägen für Copy Tests hilfreich sein. Hier aber eher als Ideengeber oder Sparringspartner – die letztendliche Fassung kommt immer noch direkt von uns.

Ich habe dich als Macherin kennen und schätzen gelernt. Du bist neugierig, offen für Neues und stets „unternehmenslustig“. Wenn du die finanzielle Freiheit bekommst („Geld spielt keine Rolle!“) ein Unternehmen im UX Markt aufzubauen, würdest du diese Gelegenheit nutzen? Und falls ja: Welche Produkte und/oder Services wird dein Unternehmen bieten? 

Inga: Aktuell habe ich großen Spaß daran, das Thema bei uns auf- und weiter auszubauen. Wenn ich mal selbstständig wäre in der Branche, dann denke ich mit genau diesem Scope: Bestehenden Unternehmen dabei helfen, UX groß zu schreiben und Abteilungen und Teams enablen. Die einzelnen Disziplinien UX Writing, Design und Research sind auch sehr sehr spannend, aber den Mind-Set Change in Unternehmen mitzugestalten, würde mir denke ich am meisten Freude machen.

Vielen Dank liebe Inga für diese tiefen und spannenden Einblicke in deine Arbeit, Denkweise und deine Haltung.
Du leistest einen wertvollen Beitrag für unsere Profession und trägst dazu bei, dass wir UX Professionals (w/m/d) von operativ Handelnden zu strategischen Partnern werden und so auch wahrgenommen werden. Das ist klasse und sehr lohnend.

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Strategisch, wirksam, verantwortungsvoll: UX im KI Zeitalter

Ich freue mich sehr, dass ich mit Christian Bopp über „KI für UX“ und „UX für KI“ sprechen konnte.
Christian und ich hatten bisher nur wenige Gelegenheiten zum Austausch und Gespräch – und das, obwohl wir schon viele Jahre in ähnlichen Feldern und Rollen tätig waren und sind.

Wann immer wir uns trafen und sprachen, nahm ich sehr viel mit. Ich schätze Christian als Mensch:
Er zeichnet sich durch seine ruhige, reflektierte Art aus, gepaart mit echter, wissenschaftlicher Neugier und dem Wunsch, Komplexität verständlich und wirksam zu machen.

Christian verbindet analytische Schärfe mit strategischem Weitblick – eine Kompetenz, die nur wenige Menschen in sich vereinen.

Christian Bopp im Portrait

Christian Bopp

Christian war Gründer und langjähriger Geschäftsführer von Facit Digital und berät heute über seine Firma UXima Unternehmen – von Start‑Ups bis zu international tätigen Konzernen – in nutzerzentrierten Forschungsprojekten.

Ein besonderer Fokus seiner Arbeit liegt auf der Integration von KI und KI-Tools in menschzentrierten Gestaltungs- und Innovationsprojekten.

Darüber sprechen wir in unseren Interview:
Seien Sie gespannt auf tiefe Einblicke, neue Sichtweisen und handfeste Empfehlungen, wie wir uns als User Researcher (w/m/d) und UX Professional (w/m/d) verändern müssen, um dank KI noch wertvoller und wirksamer zu werden, um wahrgenommen zu werden als strategische Partner für Unternehmer, Unternehmerinnen und Kunden.

Los geht’s …

„KI für UX“ oder „UX für KI“: Wo sammelst du gerade besonders viele Erfahrungen, wo bist du besonders aktiv?

Christian: Tatsächlich spielen beide Richtungen aktuell eine große Rolle für mich, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. „KI für UX“ ist momentan mein Hauptfokus: Ich nutze KI-Tools zum Beispiel bei der Analyse qualitativer Daten, zur Ideenentwicklung oder um Prozesse im Research effizienter zu gestalten. Da passiert gerade unglaublich viel.

Gleichzeitig wird aber auch „UX für KI“ immer wichtiger, denn letztlich entscheidet die Nutzererfahrung darüber, ob ein KI-Tool überhaupt zum Einsatz kommt. Eine gute KI ohne gute UX wird kaum genutzt werden. Gerade wenn Systeme wie LLMs stark im Hintergrund agieren, ist es wichtig, Vertrauen zu schaffen, Kontrollmöglichkeiten anzubieten und transparent zu machen, wie Ergebnisse zustande kommen.

Nutzbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit von KI-Tools

Lass uns tiefer einsteigen in das Thema UX für KI. KI-Tools gibt es immer mehr. Wie zufrieden bist du im Allgemeinen mit deren Nutzbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit – haben die Gestalterinnen und Gestalter die Grundsätze einer dialogorientierten Gestaltung beachtet und weitestgehend eingehalten?

Christian: Technisch sind viele dieser Tools echt beeindruckend. Der Einstieg gelingt meist schnell, und das Interface wirkt oft aufgeräumt und modern. Aber sobald man über das Oberflächliche hinausgeht, zeigt sich: UX-seitig ist da noch Luft nach oben. Viele der etablierten Gestaltungsprinzipien, wie Sichtbarkeit des Systemstatus, Feedback, Nutzerkontrolle oder Anpassbarkeit, werden oft nicht konsequent umgesetzt oder geraten im Eifer des technologischen Fortschritts in den Hintergrund.

Gerade bei KI-Tools ist das fatal. Denn Nutzer interagieren hier oft mit komplexen, schwer durchschaubaren Systemen, deren Entscheidungen erklärungsbedürftig sind. Wenn dann auch noch die Bedienung sperrig ist oder keine Transparenz darüber herrscht, was im Hintergrund passiert, sinkt das Vertrauen. Gute UX bedeutet hier nicht nur einfache Bedienung, sondern vor allem: Orientierung, Verständlichkeit und die Möglichkeit, mit der KI auf Augenhöhe zu interagieren.

Besonders spannend finde ich die dialogbasierten Systeme wie ChatGPT. Hier passiert alles über Sprache – das Interface ist fast unsichtbar. Nutzer interagieren rein textbasiert, ohne klassische Buttons oder Menüs. Das bringt neue Herausforderungen mit sich, denn der „Weg zur Funktion“ ist nicht mehr klickbasiert, sondern sprachlich. Deshalb ist es besonders wichtig, Nutzer dabei zu unterstützen, gute Prompts zu formulieren – also Anfragen, mit denen sie wirklich sinnvolle und präzise Antworten bekommen. Hier sehe ich eine neue UX-Aufgabe: Wir müssen Menschen befähigen, in dieser sprachbasierten Welt sicher zu agieren und zu verstehen, wie sie mit Sprache zu besseren Ergebnissen kommen.

„Sprache wird zum Interface und das verändert die Spielregeln.“

Welches Tool hat dich persönlich am meisten beeindruckt?

Christian: Das ist gar nicht so leicht zu sagen – es gibt viele spannende Ansätze. Was mich besonders überzeugt, sind Tools, die nicht nur technisch gut funktionieren, sondern gleichzeitig mitdenken, wie Menschen arbeiten. Wenn z. B. eine KI nicht nur Inhalte analysiert, sondern mir bei der Ableitung hilft – also wirklich in den Denkprozess einsteigt – dann wird’s für mich richtig nützlich.

User Research und UX Testing bei KI-Anwendungen

Wurdest du schon einmal angefragt für einen UX Review oder Nutzertest eines KI-Tools?

Christian: Noch nicht, aber das würde mich sehr reizen. Gerade bei KI-Tools ist gute UX kein Nice-to-have, sondern ein echter Erfolgsfaktor. Der Markt ist voll, und nur wenige Produkte werden sich durchsetzen. Wer da punkten will, braucht nicht nur starke Features, sondern muss auch die Bedürfnisse seiner Nutzer wirklich verstehen. Ich glaube, UX Research kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie testet man eigentlich UX bei KI-Agenten – also Systemen, die stellvertretend für Menschen handeln?

Christian: KI-Agenten, die im Auftrag des Menschen handeln, stellen UX-Forschung vor neue Herausforderungen, weil sie nicht mehr nur Werkzeuge sind, sondern zunehmend Entscheidungen treffen, Prozesse übernehmen oder eigenständig interagieren. Deshalb ist es besonders wichtig, Vertrauen und Kontrollierbarkeit zu betrachten.

Ein bewährter Einstieg sind qualitative Anforderungsanalysen:

  • Was erwarten die Nutzer?
  • Wo sind sie bereit, Verantwortung abzugeben und wo nicht?

Das hilft, Rollenbilder für den Agenten zu entwickeln. UX-Tests sollten sich dann nicht nur auf das Interface konzentrieren, sondern auch auf die Wirkung des Systemverhaltens – etwa:

  • Wie nachvollziehbar ist die Entscheidung der KI?
  • Wirkt sie kompetent, unterstützend oder eher unheimlich?

Ein guter methodischer Zugang ist die Kombination aus Verhaltensbeobachtung (z. B. via Screen Recording), Denkprotokollen und anschließenden Interviews: Nutzer beobachten, wie der Agent Aufgaben übernimmt und reflektieren anschließend ihre Eindrücke.

  • Wo entsteht Vertrauen?
  • Wo gab es Zweifel oder Kontrollverlust?

„Mixed-Methods-Ansätze sind sehr wertvoll, um die komplexe Mensch-KI-Interaktion besser zu verstehen und iterativ zu verbessern.“

Wie KI UX- und User Research verändert!

Kommen wir zum Thema KI für UX, und starten mit dem Thema Effizienz. Gefühlt jeder UX Professional arbeitet daran mit Hilfe von KI-Tools beim Einsatz vertrauter UX-Methoden und Erhebungsverfahren Kosten zu sparen, ohne die Qualität zu reduzieren. 

Wo siehst du die größten Hebel für (noch) mehr Effizienz im User Research?

Christian: Ganz klar in der Moderation und Analyse. KI kann hier wahnsinnig viel Zeit sparen – vor allem, wenn viele qualitative Interviews zu codieren, zu clustern oder zu interpretieren sind. Gerade bei größeren, internationalen Studien mit mehreren Sprachen, hohen Fallzahlen oder umfangreichem Material (z. B. aus Tagebuchstudien oder ethnografischen Beobachtungen) entfaltet KI ihr Potenzial besonders stark. Ich würde sagen:

Je nach Projekt lassen sich 50 bis 80 % des zeitlichen Aufwands einsparen, insbesondere in der Phase zwischen Datensammlung und Berichterstattung.

Diese gewonnene Zeit ist aber kein Selbstzweck. Sie lässt sich nutzen, um dort mehr Tiefe zu schaffen, wo es wirklich drauf ankommt: in der Interpretation, bei der Ableitung von Handlungsempfehlungen, in der Diskussion mit Stakeholdern. Man kann zusätzliche Perspektiven einbeziehen, Hypothesen nachschärfen oder Ergebnisse stärker mit Businesszielen verknüpfen.

Denn klar ist auch:

„Die entscheidenden Erkenntnisse entstehen immer noch im Kopf – durch menschliche Erfahrung, kontextuelles Verständnis und die Fähigkeit, Bedeutung herzustellen.“

Genau hier bleibt unsere Rolle als UX Researcher unverzichtbar.

Ich frage mich: Sind wir gut beraten unsere Methoden und Erhebungsverfahren dank KI immer günstiger anzubieten? Sollten wir nicht daran arbeiten mit Hilfe von KI und KI-Tools unsere Dienstleistungen teurer anzubieten, „Mehrwerte“ zu liefern? Wie stehst du dazu?

Christian: Das ist eine spannende und sehr aktuelle Frage. Aus meiner Sicht sollten wir den Fokus klar auf Wertschöpfung statt auf Preisreduktion legen. Klar, KI-gestützte Tools machen vieles schneller und günstiger. Aber das allein sollte nicht unser Antrieb sein.

Wir sehen, dass viele Unternehmen bereits beginnen, viele Research-Aufgaben selbst durchzuführen – unterstützt durch KI-Tools mit niedrigen Zugangshürden. Das heißt, unser klassisches Angebotsfeld als Research-Dienstleister oder UX-Berater verändert sich. Standarderhebungen oder einfache Interviews könnten künftig direkt im Produktteam durchgeführt werden – ganz ohne uns.

Gerade deshalb wird es für uns umso wichtiger, uns als strategische Partner zu positionieren. Wir müssen zeigen, dass wir die Tools verstehen – nicht nur in der Anwendung, sondern auch in ihrer Wirkung. Wir wissen, welche Methoden in welchem Kontext Sinn machen. Und wir können Unternehmen dabei unterstützen, die Fülle an verfügbaren Informationen einzuordnen und in Handlung zu übersetzen.

Das bedeutet: Wer Mehrwert liefern will, sollte nicht nur an Geschwindigkeit arbeiten, sondern an Integrationsfähigkeit, kritischer Reflexion und methodischer Tiefe. Dann wird aus KI-Unterstützung echte Business-Relevanz.
Und die darf – ja muss – auch ihren Preis haben.

KI-Persona als Werkzeug: Wie sie UX-Professionals unterstützen können!

Beim Thema KI für UX kommen mir synthetische Nutzende, auch als KI-Persona bezeichnet, in den Sinn. Wo siehst du sinnvolle Einsatzmöglichkeiten?

Christian: Spannendes Feld! Ich sehe sie nicht als Ersatz für echte Nutzern, aber als hilfreiches Werkzeug. Im qualitativen Bereich können sie super sein für Pretests, Hypothesenbildung oder um ein Gefühl für Nutzersichtweisen zu bekommen. Im quantitativen Bereich sind sie eher Ergänzung – für die Datenerhebung selbst braucht es nach wie vor reale Menschen.

Ein wichtiger Punkt: KI-Personas sind oft „Mainstream“ – also eher durchschnittlich unterwegs. Für echte Innovationen oder extreme Perspektiven reichen sie nicht aus. Aber als Einstieg oder Sparringspartner funktionieren sie sehr gut.

Wie gehe ich am besten vor, um erste Erfahrungen mit KI-Persona zu sammeln? Welche Ansätze gibt es, wo liegen deren Einsatzmöglichkeiten und Grenzen?

Christian: Der einfachste Weg ist selbst ausprobieren! Ein Large Language Model wie ChatGPT reicht für den Einstieg vollkommen aus. Eine grobe Persona lässt sich erzeugen, indem bestimmte Eigenschaften, Rollen oder Einstellungen vorgegeben werden – zum Beispiel: „Stell dir vor, du bist eine 35-jährige IT-Projektmanagerin aus Berlin, die großen Wert auf Datenschutz legt…“. Daraus entstehen oft schon überraschend glaubwürdige Nutzerbilder, mit denen man weiterarbeiten kann.

Wer es etwas systematischer angehen will, kann spezialisierte Tools wie syntheticusers oder Vurvey nutzen. Diese Plattformen bieten strukturierte Prozesse, um realitätsnahe synthetische Personas zu generieren. Die Qualität steigt deutlich, wenn vorhandenes Wissen über Kundensegmente, Märkte oder bestehende Personas anreichert werden.

Grenzen zeigen sich dort, wo es um emotionale Tiefe oder innovative Perspektiven geht – hier bleibt der Mensch unersetzlich.

Welche weiteren Ansätze und Tools sollten UX Professionals unbedingt in den Blick nehmen, womit sollten wir uns beschäftigen, praktische Erfahrungen sammeln und Kompetenzen aufbauen?

Christian: KI kann grundsätzlich in jeder Phase des UX-Research-Prozesses eingesetzt werden – von der Planung über die Durchführung bis hin zur Auswertung und Ergebnisdarstellung. Entscheidend ist, dass wir als UX Professionals verstehen, welche Tools wofür geeignet sind, wo ihre Stärken liegen und wo ihre Grenzen beginnen.

Es geht nicht nur darum, Tools zu kennen, sondern sie auch selbst auszuprobieren, in bestehende Arbeitsprozesse zu integrieren und ihre Ergebnisse kritisch zu reflektieren. Praktische Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen – gerade, weil sich der Markt extrem dynamisch entwickelt.

Gleichzeitig brauchen wir ein Bewusstsein für die ethische Dimension:

  • Was bedeutet es, wenn KI Inhalte synthetisiert, Nutzer simuliert oder Meinungen klassifiziert?
  • Wie transparent sind diese Prozesse, und wie können wir Verzerrungen erkennen und korrigieren?

Kompetenz heißt hier auch Verantwortung übernehmen – methodisch, inhaltlich und gesellschaftlich. Wer sich auf diesen Wandel aktiv einlässt, wird nicht nur effizienter arbeiten, sondern seine Rolle im Unternehmen oder im Projektteam strategisch ausbauen können.

Von Online-Umfragen zu KI-gestütztem User Research:
Ein Blick zurück und nach vorn!

Lass uns zum Schluss 30 Jahre zurück und zugleich nach vorne blicken. 1994, 1995 wurden die ersten Umfragen über das World Wide Web und über E-Mail-Listen durchgeführt. Über deren Datenqualität wurde viele Jahre diskutiert – sachlich, emotional, mal auf Basis von Forschung, oft auf Basis von Interessen, die es galt zu vertreten und zu verteidigen.  30 Jahre später dominieren Online-Umfragen in vielen Forschungsfeldern. Zurückgedrängt wurden Telefonumfragen und Face-to-Face Befragungen. Was können wir aus dieser Geschichte mit Blick auf KI für UX ableiten?

Christian: Ein schöner Vergleich! Als Online-Umfragen Mitte der 90er-Jahre aufkamen – ich erinnere mich gut an die ersten E-Mail-Befragungen war das ein echter Durchbruch. Studien ließen sich plötzlich schnell, kostengünstig und in großem Stil durchführen. Das war ein Boost für die Branche, aber auch für viele, die sich vorher keinen Zugang zu Marktforschung leisten konnten.

Mit dieser Demokratisierung kamen aber auch neue Herausforderungen. Es wurde viel und teilweise unreflektiert befragt – die Zahl der Umfragen explodierte nachfolgend regelrecht. Dann beobachtete man Phänomene wie Befragungsmüdigkeit, sinkende Rücklaufquoten, aber auch Qualitätsprobleme.

Das eigentliche Problem entstand damit, dass viele der neuen Anwender nicht über das nötige forschungspraktische und methodische Hintergrundwissen verfügten. Oft fehlte die Kenntnis, wie valide Fragen gestellt werden, welche Bedeutung die Definition von Zielgruppen und ein sauberes Sampling haben oder wie sich Ergebnisse korrekt interpretieren lassen. Es fehlte manchmal an einer reflektierten Herangehensweise – sowohl bei der Konzeption als auch bei der Interpretation von Studien. Das führte dazu, dass viele Ergebnisse nicht belastbar oder gar irreführend waren.

Ich sehe bei KI-gestützter Forschung ganz ähnliche Entwicklungen. Die Einstiegshürden sinken, viele neue Akteure nutzen Tools, ohne methodische oder ethische Grundlagen. Das kann dazu führen, dass scheinbare „Insights“ entstehen, die verzerrt oder überinterpretiert werden. Unsere Profession ist hier gefordert: Wir sollten aktiv daran mitwirken, Qualitätsstandards zu setzen, Orientierung zu bieten – und die Tools nicht nur technisch, sondern auch verantwortungsvoll nutzbar zu machen.

Vergangenheit verstehen, Zukunft gestalten!

KI im User Research und UX Testing:
Welche Fehler sollten wir meiden, heute, und wo werden wir in 10 oder gar 20 Jahren stehen?

Christian: Ein häufiger Fehler ist, dass KI-Ergebnisse zu schnell als objektiv oder „richtig“ angenommen werden, ohne sie methodisch oder inhaltlich zu hinterfragen. Natürlich kann KI dabei helfen, Muster zu erkennen, Daten zu strukturieren oder sogar Zusammenfassungen zu erstellen. Aber: Ohne kontextuelles Verständnis und ohne kritische Reflexion laufen wir Gefahr, voreilige Schlüsse zu ziehen. Besonders kritisch wird es, wenn die Anwender der Tools kein fundiertes Research-Verständnis mitbringen. Dann entstehen schnell Ergebnisse, die überzeugend aussehen, aber inhaltlich unzulänglich oder verzerrt sind. Genau hier liegt unsere Verantwortung als Research-Professionals:

„Wir müssen KI-Ergebnisse einordnen, mit Hintergrundwissen anreichern und für valide Ableitungen sorgen.“

Denn schneller ist nicht gleich besser – und nur was auch in der Tiefe verstanden wird, kann echten Mehrwert liefern.

Was die Zukunft bringt? Schwer zu sagen, aber ich denke, KI wird zum natürlichen Teil unseres Workflows. Wir werden zu „Prompt-Architekten“, die ihre Denkweise in Maschinen übersetzen. Gleichzeitig dürften wir schon bald erleben, wie KI-Agenten weitgehend autonom Usability-Tests durchführen, synthetische Nutzertypen generieren oder Designentscheidungen simulativ vorantreiben. Das eröffnet neue Spielräume, birgt aber auch Risiken – zum Beispiel die Gefahr, sich zu sehr auf Modelle zu verlassen, die reale Diversität nicht abbilden.

Damit verschwimmen die Grenzen zwischen Forschung und Entwicklung – und genau deshalb wird die ethische Dimension noch wichtiger:

  • Was dürfen wir automatisieren?
  • Wo müssen wir den Menschen einbeziehen?
  • Und wie gestalten wir das verantwortungsvoll?

Vielen Dank, lieber Christian, für das Teilen deiner Erfahrungen, deine Gedanken, die aufgeworfenen Fragen, die wertvolle Orientierung, die du uns geboten hast, und das Aufzeigen von Chancen und Potentialen von KI im UX und User Research. Ich bin sicher, dass unsere Profession dank KI noch wirksamer wird und es uns gelingen wird als strategische Partner wahrgenommen zu werden: In den Unternehmen und als externe Dienstleister.
Darauf freue ich mich sehr, darauf dürfen wir beide uns freuen.

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Partystimmung, echte Probleme, schnelle Tests, wenig Aufwand, große Wirkung: Welchen Impact hat ein Usability Testessen?

Jedes Usability Testessen ist Werbung für uns: Für Menschen, die in der Marktforschung arbeiten, die tätig sind als User Researcherinnen und User Researcher.
Jedes Usability Testessen ist Werbung für unsere Branche.
Jedes Usability Testessen steigert die Wertschätzung für professionelle Tests mit „richtigen“ Menschen, steigert den wahrgenommenen Wert von Forschung und die Wertschätzung für Menschen, die in der Forschung arbeiten und jene, die an Studien teilnehmen.

Ganz schön viel – ja, das finde ich auch. Und, jetzt wird‘s verrückt:
All das gibt‘s bei einem Usability Testessen kostenlos!

Spätestens jetzt werden Sie vielleicht skeptisch? Oder sind anderer Meinung?
Oder einfach nur neugierig, wollen mehr Informationen?

Lassen Sie uns die letzte Frage zuerst angehen:

Was ist ein Usability Testessen?

Bei einem Usability Testessen lassen Gestalter und Gestalterinnen ihre Produkte von anderen, „echten“ Menschen testen. Sie selbst führen in 12 Minuten-Sessions qualitative, moderierte Tests ihrer Produkte durch – das können Websites, Apps, Prototypen, Werbemittel oder Geräte sein. Sie beobachten, fragen nach, lauschen ausgesprochenen Gedanken, Empfindungen und Wertungen der Tester und Testerinnen während jene ihre Produkte nutzen.

Ein ehrenamtlich tätiges Organisationsteam bucht einen passenden Veranstaltungsraum, bewirbt das Usability Testessen – um genügend Teststationen, Tester und Testerinnen zu bekommen –, versorgt die Teilnehmenden und Teilgebenden mit Pizza und Getränken, führt durch den Abend und wirbt Sponsoren, die die Kosten für Räumlichkeiten und Verpflegung übernehmen.

Jedes Testessen startet mit einem gemeinsamen Abendessen, mit „Klönschnack“ und Kennenlernen bei Pizza, Bier und Limo.

Usability-Testessen: Mehr Show und Partystimmung als Substanz?

Sie sind im Bilde, haben eine Vorstellung davon, was ein Usability-Testessen ist? Wunderbar.
Sie sind nun aber mal so richtig entsetzt:
Wie kann man so testen?

Ich kann Ihre Bedenken teilen …

  • „rosarote Brille“ bei den Testerinnen und Testern (Stichwort: Partystimmung)
  • nur einige, im schlimmsten Fall keine der Tester und Testerinnen repräsentieren Menschen aus den Zielgruppen der Testgegenstände
  • fehlende Objektivität bei den Gestalterinnen und Gestaltern, die die Tests für ihre eigenen Produkte selbst moderieren
  • fehlende oder geringe Erfahrung mit der Durchführung von Interviews, dem Ableiten von Erkenntnissen aus Beobachtungen und Denkprotokollen

Auf den Punkt: „Mehr Show und Partystimmung als Substanz!“

Welchen Impact hat ein Usability Testessen wirklich?

Nun, ja, dieses Bedenken gibt es, sie haben durchaus ihre Berechtigung, die aufgeführten Kritikpunkte stellen Herausforderungen und (Einsatz-)Grenzen von Produkttests bei einem Usability Testessen dar, Und dennoch:
Jedes Usability Testessen hat positive Effekte, ist wertvoll, so dass Teilgebende und Teilnehmende gerne und oft dabei sind.

Ich war das letzte Mal im Juli 2025 als Tester beim Usability-Testessen in Hamburg. Davor im Oktober 2018 in Erfurt und im Mai 2019 beim Usability-Testessen in Kiel. Ich mag Usability Testessen, ich mag dieses etablierte Veranstaltungsformat, weil es für uns, für Marketer, Marktforscher und -forscherinnen, UX Professional, Felddienstleister und die Marktforschungsbranche als Ganzes erfolgreich wirbt.

Jedes Usability-Testessen …

  • … führt Unternehmen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter niederschwellig heran an Forschung, an (Produkt-)Tests mit „richtigen“ Menschen, und bietet den testenden Gestaltern und Gestalterinnen wertvolle Hinweise und Impulse für Produktverbesserungen.
  • … trägt dazu bei, dass Gestalter und Gestalterinnen erkennen, wie wichtig es ist Tests mit richtigen und die Zielgruppen repräsentierenden Menschen durchzuführen.
  • … steigert die Wertschätzung für Dienstleister: für Dienstleister, die in der Lage sind, die richtigen Menschen für Studien und Tests zu rekrutieren, für Dienstleister, die in der Lage sind, die richtigen Fragestellungen, mit den richtigen Verfahren richtig zu beantworten.
  • … steigert Respekt und Wertschätzung für Menschen, die an Studien und Tests teilnehmen.
  • … vernetzt Gleichgesinnte, bietet Räume und Gelegenheiten, um im Gespräch neue Perspektiven und Sichtweisen auf die vielfältigen Herausforderungen als UX Professional einzunehmen.

Finden Sie nicht auch: Das ist eine Menge!
Finden Sie nicht auch, diese positiven Wirkungen, dieser Impact eines Usability Testessen auf unsere Branche sind wertvoll!

Ich hoffe ich konnte diesen Eindruck bei Ihnen erwecken – und Sie motivieren bei einem Usability Testessen teilgebend oder teilnehmend dabei zu sein.
Ich würde mich darüber sehr freuen.

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UX Design als Beziehungsarbeit

Viele UX Designer und Designerinnen, Produkt-Manager:innen, Entwicklerinnen und Entwickler arbeiten mit Erfolg daran Erlebnisse beim Nutzen von digitalen Produkten und Services positiv zu gestalten. Sie tun das mit einem klaren Fokus auf die  Nutzer und Nutzerinnen, deren situative, soziale Umfelder und die Geschäftsziele jener, welche die Produkte und Services anbieten.

Einige von uns tun das mit viel Leidenschaft, mit besonders viel Leidenschaft, quasi mit „Herz, Verstand und Feingefühl!“.
Mein Interviewpartner, Thomas Latus, gehört zu jenen Menschen. Ich freue mich daher sehr, dass wir die Gelegenheit fanden über das Thema „UX Design als Beziehungsarbeit“ zu sprechen und Sie, liebe Leserinnen und Leser, an den Erfahrungen von Thomas nun teilhaben zu lassen.

Wer ist Thomas Latus?

Im Jahr 2020 hat Thomas die Modulr.Design GmbH gegründet. Dort vereint, führt und entwickelt er ein Netzwerk aus fest angestellten und freiberuflichen User Experience Experten und Expertinnen. Thomas betreibt zudem den Work- und Innovationspace RAINHAUS, eine Workshop- und Event-Location im Herzen von Hamburg. Dort bieten Thomas und sein Team regelmäßig Veranstaltungen an, teilen Wissen, Erfahrungen und Werben für menschzentrierte Gestaltung.

Vor seiner Tätigkeit als Unternehmer war Thomas als Designer und Produktmanager bei verschiedenen Start-Ups tätig. Die Grundlage für seine Arbeit als Planer, Architekt und Gestalter positiver Erlebnisse und Beziehungen legte Thomas im Rahmen seiner Ausbildung an der Hochschule für Gestaltung HTK („Hamburger Technische Kunstschule“) in Hamburg, wo er inzwischen als Dozent tätig ist.

Neugier als Triebfeder für Lernerfahrungen und persönliche Weiterentwicklung!

Thomas und mich eint unser Fokus auf menschzentrierte Gestaltung und menschzentrierte Innovationen, unsere Wertschätzung für das Gespräch mit Nutzer:innen über ihre Anforderungen und Bedürfnisse, die Mission andere Menschen für UX Design zu begeistern und für UX Design immer wieder zu werben – gerade dort, wo dieses Werben besonders wirksam ist: Im deutschen Mittelstand, bei jenen Unternehmer:innen, die sowohl Wachstums- als auch Innovationsmotor unserer (Volks-)Wirtschaft waren, sind und hoffentlich bleiben. Jene Unternehmer:innen finden wir beide im Bundesverband mittelständische Wirtschaft e.V. – DER MITTELSTAND.

Was treibt Thomas an, was zeichnet ihn aus?
Für mich sind das vor allem zwei Dinge …

Zum einen Neugier.
Ganz viel Neugier darauf, wie er die Dinge noch besser machen kann, wie er die richtigen Dinge richtig gut gestalten kann, Neugier darauf, welche Nutzerbedürfnisse bisher übersehen oder vernachlässigt wurden.

Und zum anderen:
Thomas will stets eine „gute Beziehung“ zwischen Menschen und Produkten gestalten, will Nähe und Bindung herstellen. Er möchte erreichen, dass Menschen eine emotionale Beziehung mit digitalen Produkten, Services und Marken eingehen und sie wie einen treuen Partner erleben und wahrnehmen.

Was das genau bedeutet, wie Thomas das umsetzt, darüber haben wir gesprochen.

Nachhaltige Beziehungen und Kundennähe durch emotionales Design!

Thomas, du sagst: „Software sollte sich wie eine Beziehung anfühlen.“ Was meinst du damit genau – und warum ist das mehr als nur ein hübsches Versprechen?

Thomas: Beziehungen sind nie neutral – sie basieren auf Nähe, Vertrauen und Rollenverteilung. Ob Geschäftspartner, Freund oder Lehrerfigur: Wir spüren sehr genau, wie wir zueinanderstehen. Genau diesen Anspruch übertragen wir auf Software und digitale Erlebnisse. Denn Nutzer:innen suchen keine Tools – sie suchen Resonanz.
Eine App, die sich wie ein Coach anfühlt, muss anders gestaltet sein als eine, die wie ein stiller Assistent agiert.

Wie hilft euch dieses Beziehungs- und Bindungsverständnis konkret im Gestaltungsprozess?

Thomas: Wir definieren vorab, welche Rolle ein Produkt im Leben der Nutzer und Nutzerinnen einnehmen soll – und was es dafür braucht: Nähe oder Distanz, Führung oder Gleichwertigkeit …. So entscheiden wir z. B., ob eine Anwendung eher wie ein guter Freund oder wie ein strukturierter Projektpartner auftreten sollte.

Das hilft uns Tonalität, Visualität und Interaktion konsistent und zielorientiert zu gestalten.

Von der Pflicht zur Kür: Zufriedene Nutzende zu engagierten und loyalen Kunden machen!

Ihr habt eine Bindungslandkarte entwickelt, basierend auf eigenen Studien und eurer Projekterfahrung.
Welche Beziehungsformen kommen in der Praxis besonders häufig vor?

Die Karte zeigt typische Beziehungen (z.B. Ehe, Freunde, Bekannte) und ordnet jene ein nach den Dimensionen emotionale Nähe und Macht.

Bindungskarte als Grundlage für die Gestaltung von Beziehungen (Quelle/Urheber: Thomas Latus, 2025)

Thomas: Viele Nutzer:innen erleben Marken nicht wie „enge Freunde“ – sondern eher wie Bekannte, Geschäftspartner oder manchmal auch wie Lehrer:innen. Die emotionale Tiefe ist dabei oft geringer, aber das bedeutet nicht, dass keine Bindung entsteht.

Wichtig ist, dass die Beziehung klar und stimmig ist. Menschen spüren sofort, wenn ein Produkt Nähe vorspielt, aber eigentlich Kontrolle ausübt. Authentizität schlägt hier jede Inszenierung.

Das klingt nachvollziehbar und spannend. Kannst du mir und meinen Lesern dazu etwas mehr Klarheit bieten, vielleicht an einem Beispiel etwas näher erläutern?

Thomas: Nehmen wir eine Banking-App.

Wenn sie wie ein Geschäftspartner agieren soll, erwarten Nutzer:innen Klarheit, Verlässlichkeit und Kontrolle – also z. B. gute Übersicht, präzise Sprache und nachvollziehbare Entscheidungen. Soll sie sich aber eher wie ein persönlicher Finanz-Coach anfühlen, braucht es einen anderen Ton: Erklärungen, Empfehlungen, vielleicht auch mal Zuspruch. Die Beziehung definiert, wie viel Nähe, Führung oder Selbstbestimmung ein Produkt ausstrahlt – und das verändert alles: Sprache, Interface, sogar den Kundensupport.

Oder zum Beispiel im B2B-SaaS-Kontext:

Stell dir eine Projektmanagement-Plattform vor. Wenn sie als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden soll, erwarten Nutzer:innen Klarheit, Verlässlichkeit und effiziente Kollaboration. Dann steht Funktionalität im Vordergrund – und ein Design, das Kompetenz ausstrahlt. Soll die Plattform dagegen wie ein Coach oder Mentor wirken, etwa bei der Einführung neuer Methoden oder Prozesse, braucht es Erklärungen, begleitende Micro-Interaktionen und empathische Sprache.

Das Beziehungsmodell entscheidet, ob ein Feature autoritativ wirkt – oder unterstützend.
Und ob sich Nutzer:innen geführt fühlen oder frei agierend bestärkt.

Zurück in die Zukunft: Beziehungspflege, Bindung und Persönlichkeit gewinnen an Bedeutung!

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in dieser Gleichung?
Verändert sie das Verhältnis zwischen Menschen und Software?

Thomas: Ja, enorm. KI-Systeme übernehmen heute Aufgaben, die früher Menschen vorbehalten waren – und damit kippt oft das Machtverhältnis. Wenn z. B. ein Algorithmus Entscheidungen trifft, fühlt sich das schnell nach Kontrolle statt Unterstützung an.
Umso wichtiger ist es, Klarheit über Rollen, Erwartungen und Beziehungsebene zu schaffen – sonst wird aus Bonding schnell Bondage.

Wenn du einen Wunsch für die Zukunft frei hast:
Wie sollten digitale Produkte in Zukunft gestaltet werden?

Thomas: Ich wünsche mir, dass digitale Produkte wieder mehr menschliche Haltung zeigen. Dass sie nicht nur optimieren, sondern Beziehungen pflegen. Dass sie nicht nur lernen, sondern auch zuhören. Und dass sie sich trauen, mal nicht neutral zu sein – sondern Position zu beziehen. Denn Bindung entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch Persönlichkeit.

Vielen Dank, lieber Thomas, für deine Zeit, die Einblicke in deine Arbeit, deine Haltung in Sachen UX Design und deine Gedanken zur Gestaltung digitaler Produkte.
Ich bin mir sicher, dass wir mit unserem Gespräch inspirieren konnten, Impulse bieten konnten, um noch mehr zufriedene Nutzer und Nutzerinnen digitaler Produkte zu loyalen, engagierten Kunden zu entwickeln. 

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Nachhaltigkeit, Wald und User Experience: Wie passt das zusammen?

Nein, ernsthaft: Braucht es noch ein Waldprojekt? Noch eine Pflanz-Aktion?“ Das war mein erster Gedanke, als ich vom „Zukunftswald“ des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft e.V. – DER MITTELSTAND (kurz: BVMW) im Kontext von Nachhaltigkeit und Mittelstand hörte.

Worum geht es bei diesem Projekt?

Der BVMW unterstützt mit Vortragsveranstaltungen zum Themengebiet „Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen“ mittelständische Unternehmen den Transformationsprozess zu mehr Nachhaltigkeit erfolgreich zu meistern. Mit dem Projekt „Zukunftswald“ bietet der BVMW Baumpatenschaften und Spendenmöglichkeiten für Bäume, sodass auf einfache Weise ein Beitrag für unser Klima geleistet werden kann: Bäume binden Kohlenstoff, produzieren Sauerstoff, regulieren den Wasserhaushalt, schützen Böden und Lebensräume für Tiere.

Ich war interessiert und nahm teil an Veranstaltungen.

Was mich schließlich bewog das Projekt „BVMW Zukunftswald“ zu unterstützen und aktiv voranzutreiben war dieser Moment:

  • Netzwerktreffen zum Thema „Nachhaltigkeitsmanagement“ – 2023
  • zwei Dutzend teilnehmende Unternehmer:innen und Top-Manager:innen aus Unternehmen unterschiedlicher Größe und aus unterschiedlichen Branchen
  • erste Frage: „Bitte schätzen Sie ein wie reif Ihr Unternehmen in Sachen regeneratives Handeln, in Sachen Nachhaltigkeit ist?
    7 von maximal 10 Punkte im Mittel – wow. Aber hey, logisch: Das liegt am Thema der Veranstaltung, dachte ich mir.
  • Spannend die Antwort auf die 2. Frage: „Wie werten Sie Ihr persönliches Verhalten – privat. Handeln Sie nachhaltig? Zum Beispiel bei der Wahl von Lebensmitteln, Urlaubsorten, Verkehrsmitteln?“ Dieses Mal nur 3 von 10 Punkten.

Die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit braucht Vorbilder!

Wie kann es gelingen ein Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit zu entwickeln, zu transformieren, wenn die/der Unternehmer:in selbst nicht entsprechend handelt? Ich weiß aus meiner Beratertätigkeit beim Entwickeln und Weiterentwickeln eines menschzentrierten Gestaltungsansatzes für Teams und Unternehmen: Das kann nicht gelingen.

Wenn sich Unternehmen nachhaltig verändern sollen – ob in Richtung einer digitalen und/oder nachhaltigen Transformation – dann muss das Top-Management, dann müssen die Inhaber und Geschäftsführenden das zu 100% wollen, unterstützen und jeden Tag glaubhaft vorleben. Nur auf diese Weise kann es gelingen viele, ja bestenfalls alle im Unternehmen und am Unternehmen teilhabende Menschen mitzunehmen.

Ich fragte mich: Was kann ich tun, damit mehr Unternehmer und Unternehmerinnen zu Vorbildern in Sachen nachhaltigem Denken und Handeln werden? Eine große Herausforderung, wo anfangen? Am besten bei mir selbst.

Was motivierte und motiviert mich die Umwelt und unsere Natur zu schützen?

Vom Umweltbewusstsein zum nachhaltigen Handeln: Was kann uns der Wald lehren?

Seit Kindheitstagen an fühle ich mich wohl in Wäldern. Ich kann mich beim Spaziergang in Wäldern entspannend, zur Ruhe kommen, Kraft tanken, Ideen und Lösungen für Herausforderungen entwickeln. Jene Erlebnisse haben meine Haltung zur Natur geprägt, immer wieder aufgefrischt, meine Wertschätzung gegenüber der Natur gesteigert und mich motiviert die Natur zu schützen. Und das möchte ich weitergeben, das möchte ich bei vielen anderen Menschen im Projekt „BVMW Zukunftswald“ fördern:

„Ich möchte Unternehmerinnen und Unternehmern Kontakte mit der Natur ermöglichen, möchte positive Erlebnisse in der Natur schaffen und Gelegenheiten bieten Wälder als schützenswerte Orte des Wohlbefindens zu erleben.“

Und hierfür bietet das Projekt „BVMW Zukunftswald“ eine hervorragende Plattform.

Zurück zur Natur: Naturkontakte und Walderlebnisse fördern nachhaltiges Handeln!

In Verbindung mit Vortragsveranstaltungen zum Themengebiet „Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen“ bietet das Projekt „BVMW Zukunftswald“ vielfältige Gelegenheiten für Naturkontakte und positive Walderlebnisse:

  • Waldspaziergänge
  • Exkursionen mit „Waldbauern“
  • Picknick im Wald – verbunden mit Vorträgen über eine nachhaltige, klimaresistente Waldbewirtschaftung
  • gemeinschaftliche Pflanztage.

Jene Aktionen schaffen positiven Walderlebnisse, bieten Gelegenheiten den Naturraum Wald mit allen Sinnen zu genießen und tragen dazu bei, dass Nachhaltigkeitsmanagement und nachhaltige Transformationsprozesse nicht nur aus Pflichten heraus angegangen werden. Sie werden (auch) „guten Willen“ hervorrufen, den guten Willen als Unternehmer:in und Privatperson die Natur zu schätzen und unsere Umwelt zu schonen. Und das ist es, was Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Transformationsprozessen brauchen: Nicht nur Willens- und Glaubensbekenntnisse, sie brauchen insbesondere ein vorbildliches Verhalten im Top-Management und bei den Unternehmensinhaberinnen und Inhabern.

Zurück zum Titel und der Frage:
Was haben Wälder, was haben Walderlebnissen und das Thema Nachhaltigkeit mit UX / Usability zu tun?

Ich habe das erst späterer erkannt, war schon mittendrin im Projekt „BVMW Zukunftswald“. Anne Elisabeth Krüger bot mir im Gespräch und Austausch, im Teilen von Erfahrungen und Gedanken über Naturkontakte und Walderlebnisse mein persönliches „Aha-Erlebnis“.

Sensibilisieren durch Erleben!

Seit dem Jahr 1996 beschäftige ich mich mit Usability und Nutzertests. Ich erlebe seitdem immer wieder, wie Unternehmen und deren Mitarbeitenden den Wert einer menschzentrierten Gestaltung schätzen lernen, wenn sie Menschen dabei beobachten, wie jene mit ihren Produkten und Services umgehen. Wie sie erleben was Menschen an ihren Produkten und Services gut finden, was sie zufriedenstellt, was sie stört, was sie hindert ihre Ziele einfach und zufriedenstellend zu erreichen.

Diese für andere gebotenen Gelegenheiten zum Beobachten von Nutzenden haben mir stets geholfen Unternehmen und deren Mitarbeitenden davon zu überzeugen, wie wertvoll ein systematischer, menschzentrierter, auf Nutzerforschung basierender Gestaltungsprozess ist. Sensibilisieren durch Beobachten und „live dabei sein“ ist ein wirksamer Hebel, um Haltungen und Einstellungen zum Wert eines menschzentrierten Gestaltungsprozesses positiv zu verändern.

Und hier liegt für mich die Verbindung der Themen nachhaltiges Handeln, Walderlebnisse und UX. Vielen Dank, liebe Anne für diese Einsicht, vielen Dank an alle – Kunden, Kolleg:innen und Partner – die mir mit Nutzertests den entscheidenden Hebel beim Werben für menschzentrierte Gestaltung, beim Werben für User Research und UX Testing boten und bieten.

Die Kraft eines Baumes steckt nicht in den Zweigen, sie steckt in den Wurzeln!

Nutzertest sind die Wurzeln, sind die zentralen Erfolgsfaktoren beim menschzentrierten Gestalten. Gemeinsam mit dem Gebot: „Teste früh und oft testen!“ sind Nutzertests zentral, um nützliche und nutzbare, digitale Produkte und Services zu gestalten. Diese Erfolgsregel hatte stets Bestand, hat nach wie vor ihre Gültigkeit und wird sie auch in der Zukunft behalten.

Es gibt jedoch Situationen, in denen kann man das schon einmal vergessen. Wir alle sind getrieben von neuen Themen, Tools, Methoden, lassen uns schnell begeistert für neue Technologien und Möglichkeiten unserer Profession. Gut so, wenn man nicht ausblendet, dass ohne Nutzbarkeit weder Nützlichkeit noch Begeisterung erlebt werden kann.

Wir UX Professional machen unseren Job dann gut, wenn Nutzende unsere Produkte und Services …

  • weder kompliziert noch komplex bewerten.
  • ohne Hilfe(n) nutzen können.
  • ohne Probleme ihr(e) Ziel(e) erreichen.
  • durchgängig klar und verständlich bewerten.
  • nach einer ersten Nutzung zufrieden sind.
  • mehrfach nutzen (wollen).

Jede Veränderung am Produkt, jeder zusätzliche Service, jede neue Funktion sollte erst live gehen, wenn deren Bedienbarkeit mit Nutzern getestet und auf dieser Datenbasiert optimiert wurde.

Ich müsste eigentlich die Usability prüfen und optimieren, aber diese neue Anforderung aus der Fachabteilung ist wichtiger. Ich muss erst einmal die neue Funktion umsetzen!

Diese Haltung, diese Verhaltensweise sollte die Ausnahme, niemals die Regel sein.

RUN ALWAYS A USABILITY-TEST“ – dann bleibst du als UX Professional „fest verwurzelt“ in deinem Unternehmen. Das ist genauso wie in der Natur: Die Kraft eines Baumes steckt nicht in den Zweigen, sie steckt in den Wurzeln (in Anlehnung an Gertrud von Le Fort) – eine weitere Verbindung zwischen UX/Usability, Nachhaltigkeit und dem Wald.

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Wir haben ein Recht mit Menschen zusammenzuarbeiten für die wir Produkte gestalten!

Schon mal gehört? Ist angelegt an das Statement von Raul Krauthausen zum Thema Inklusion:

Auch nicht-behinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben!“.

Gelebte Inklusion, ohne jegliche Barrieren, auch jene im Kopf, ist eine Bereicherung für alle. Das gilt natürlich auch beim Gestalten digitaler Produkte & Services.

In dem Zuge möchte ich ein weiteres Zitat anführen:

„Barrierefreiheit ist für 10 % der Menschen unerlässlich, für 30 % notwendig und für 100 % nützlich (Anne-Marie Nebe).“

Nun werdet ihr, liebe Leser:innen, vielleicht denken:

  • Alter Hut!
  • Haben wir verstanden!
  • Digitale Barrierefreiheit ist Pflicht, es gibt formale Vorgaben, die halten wir ein.
  • Und zu unseren Nutzertests laden wir nun auch Menschen ein, die blind oder stark sehbehindert sind.

Reicht das aus?
Nein!

Mal abgesehen davon, dass die meisten Teststudios in zentralen Lagen unserer Großstädte im ersten Jahr der Wirksamkeit des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes alles andere als barrierefrei zugänglich sind (z.B. fehlende Ansage der Stockwerknummern in Fahrstühlen, keine taktil beschriftete Tasten in den Fahrstühlen), reicht es nicht aus Menschen mit Behinderungen in ein Teststudio einzuladen, sie dort zu beobachten und zu befragen.

Das ist klasse, keine Frage. Das ist super wertvoll, auch keine Frage.
Das darf im Sinne eines „Design for All“ aber nur ein Beginn sein!

Hast du schon einmal eine EMPATHY-Workation gemacht?

Wie wäre es, wenn du deine kommende Workation erweiterst. Nicht in Richtung Bildungsurlaub. Eher in Richtung (dazu-)lernen und Empathie steigern.

Empathie = Schlüsselfähigkeit für UX Designer:in!

Viele wissen über den Wert von Empathie. Insbesondere wenn wir den Anspruch haben für alle Menschen zu gestalten. Wir wissen: Empathie hat man oder halt nicht. Oder doch nicht? Natürlich kann man Empathie, Einfühlungsvermögen entwickeln. Und grad als UX Designer:in sollte man das tun. Eine „Empathy-Workation“ ist dabei äußerst hilfreich.

„DESIGN FOR ALL“ braucht Empathie für alle!

Es ist bereichernd, wenn es gelingt Empathie für Menschen mit Behinderungen zu haben. Oft fehlt uns jedoch der intensive Kontakt und tiefe Austausch mit Menschen mit Behinderungen, fehlen uns Gelegenheiten mit ihnen zu sprechen, sich intensiv auszutauschen, andere Perspektiven und Sichtweisen einzunehmen.

Wie kann eine Empathy-Workation dabei helfen?

Nehmen wir mal an, du willst verstehen und lernen, wie Menschen mit Behinderung leben, lernen und arbeiten, wie sie digitale Services nutzen, was ihnen dabei wichtig ist und welche Hürden es gibt. Du willst verstehen und lernen, wie du digitale Produkte und Services barrierefrei gestalten kannst, möchtest Ideen und Impulse erhalten.

Was liegt da näher als an Orten zu arbeiten, an denen du Menschen mit Behinderungen jeden Tag treffen kannst. Wo du mit ihnen zusammen arbeiten kannst, wo du mit ihnen Plätze zum Arbeiten, Kreativ-sein und zum Lernen teilen kannst.

Jene Orte gibt es: Sie bezeichnen sich als inklusive Coworking-Spaces.
Wie beispielsweise das TUECHTIG – Raum für Inklusion in Berlin oder das weserwork im wundervollen Bremen.

Zusammenkommen ist ein guter Beginn, zusammenarbeiten ist ein Fortschritt, zusammenleben ist ein Erfolg!

Wie wäre es, wenn du im TUECHTIG oder weserwork immer mal wieder arbeitest, jene Cowoking-Spaces als 3. Arbeitsort neben deinem zu Hause und Büro nutzt?

  • Dort kannst du mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, lernen, leben.
  • Dort kommst du leicht ins Gespräch mit Menschen mit Behinderungen und lernst dazu, entwickelst Empathie und Freude am Gestalten mit und für Menschen mit Behinderungen.
  • Dort fällt es dir leicht zusammen mit Menschen mit Behinderungen abseits der Arbeit und Arbeitszeit Zeit zu verbringen, gemeinsam Spaß zu haben und sich (leider auch) gemeinsam über Barrieren im Alltag zu ärgern.

Klingt gut? Tue es, probiere es aus, mach’s möglich!

Von „Wir laden ab nun blinde Menschen zu unseren Nutzertests ein!“ hin zu einer Empathy-Workation ist es nur ein kleiner Schritt. Den zu gehen, das sollte einfach gelingen, wenn du bereits Nutzertest mit Menschen mit Behinderungen durchführen kannst.

Noch ist das aber, auch im Jahr 2025, die Ausnahme, nicht die Regel!

Was kannst du, liebe-/r UX Designer:in tun, die/der du dein Recht mit Menschen mit Behinderungen zusammenzuarbeiten nicht durchsetzen kannst? Nicht durchsetzen kannst, weil dein Unternehmen nur tut was Pflicht ist, nicht mehr.

Wie wäre es, wenn du dich vereinst mit anderen, anderen denen es ähnlich geht, und ihr euch die Kosten für die Nutzertests teilt? Wenn ihr „gemeinsam“ forscht?

Der A11y-Omnibus = Für mehr Empathie gemeinschaftlich forschen!

Ganz sicher liegt ein Grund keine Nutzertests mit Menschen mit Behinderungen anzusetzen in den höheren Kosten und dem höheren Koordinationsaufwand im Projektmanagement.

Viele dieser Kosten sind Fixkosten und können daher in einem gemeinschaftlichen (Forschungs-)Projekt, können durch den Zusammenschluss mehrere Unternehmen deutlich reduziert werden.

Die Idee hinter dem A11y-Bus: In einer Testsession werden mehrere digitale Services aus verschiedenen Unternehmen „unter die Lupe“ genommen (=Omnibus-Ansatz). Auf diese Weise werden die Fixkosten untereinander aufgeteilt.

Alle Unternehmen die teilnehmen bekommen Antworten auf Fragen wie …

  • Werden relevante, zielführende Informationen zügig gefunden?
  • Ist die Gestaltung der Menüs, die Kategorisierung der Inhalte nachvollziehbar und nutzerfreundlich bedienbar?
  • Sind Texte, Fotos, Abbildungen und Grafiken verständlich und übersichtlich aufbereitet?
  • Gibt es Barrieren, die derart groß sind, dass die Nutzenden nicht ohne Hilfe weiterkommen?
  • Bereitet es den teilnehmenden Menschen mit Behinderungen Freude das digitale Produkt, den digitalen Service zu nutzen?

Viel Wert, Antworten auf diese Fragen – und mit einem Omnibus-Ansatz für relativ geringere Kosten zu haben. Also: Einsteigen bitte, verbündet euch!

Einfach mal machen, es könnte ja richtig gut werden!

Wisst ihr noch, wie das mit dem „Usability-Testessen“ begann?
Es gab eine kleine, aktive „Starter-Community“, die sowohl eine Herausforderung als auch einen Bedarf erkannte.

Von Darmstadt aus, von der Agentur „quäntchen + glück“ initiiert und gestartet, verbreitete sich das Testessen schnell in andere Städte. Der Ansatz wurde von der UX-Community und vielen Unternehmen begeistert aufgenommen.

Heute ist es wieder, heute ist es immer noch ein etabliertes Format, das in vielen deutschen Städten stattfindet. Kollegial gestaltet, partnerschaftlich ausgerichtet und als gemeinschaftliche Projekt gepflegt.

Kann man nicht 1zu1 übertragen, ist aber eine schöne Geschichte, um mir und euch Mut zu machen die Idee eines A11y-Omnibus umzusetzen. Kollegial und partnerschaftlich.

Ich bin dabei. Ich freue mich über jede, über jeden, die/der einfach mal loslegen mag, die/der mit mir beginnt eine „Starter-Community“ zu formen, erste Angebote zu unterbreiten, umzusetzen, Bedarfe zu analysieren, das Konzept weiterzuentwickeln und zu etablieren.

Sprecht mich einfach an, wenn ihr mitmachen wollt.

 

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User Researcher:innen haben das Zeug zum Unternehmer!

Unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch denken und handeln:
Wer von Ihnen  ist Gestalter:in, Unternehmer, Unternehmerin, denkt strategisch, hat Visionen und formuliert sie? Wer von Ihnen arbeitet und handelt unternehmerisch und strategisch?

Es kommt drauf an! Worauf genau?
Vielleicht auf Ihre Rolle und Stellung im Unternehmen?
Das sollten Sie nicht zulassen.

Lassen Sie sich nicht in eine Ecke stellen, in die Sie nicht hingehören oder hingehören wollen. Bleiben Sie vielfältig und breit aufgestellt. Das gilt insbesondere für all jene, die die Rolle einer User Researchin, eines User Researchers inne haben.

Darf ich vermuten, dass viele von uns ….

  • UX Manager:innen, Journey Manager:innen“ UX Designer:innen, UX Architekt:innen, UX Engineers (w/m/d), UX Consutants (w/m/d), Produktinhaber:innen (POs) die Eigenschaften unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch zuschreiben,
  • User Researcher:innen aber in der Regel nicht?

Wir alle haben das Zeug zum Unternehmer, zur Unternehmerin!

Wir sollten User Researcher:innen nicht pauschal als operativ handelnde Rolleninhaber:innen abgrenzen oder gar abstempeln.  Ich kenne keinen Grund, warum das so sein sollte: Warum User Researcher:innen nicht unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch denken oder handeln sollten. Kennen Sie einen Grund?

Die richtigen Fragen stellen, die relevanten und dringlichen Themen im User Research angehen, Innovationen anstoßen, aus Daten zielführende, erfolgswirksame Maßnahmen und Entscheidungen ableiten, nicht einfach nur umsetzen was andere anfordern in Sachen „Forschung & Research“, stattdessen mitdenken, kritisch sein, gestalten, Fragen aufwerfen, Neue Wege aufzeigen, Zielvorgaben erreichen, geschäftliche Erfolge herbeiführen und darüber erzählen und berichten.

Ich kenne viele User Researcher:innen, die genau das täglich tun – und das ist gut so.

Wir haben so viele User Researcher:innen, die unternehmerisch denken und handeln – nur leider sprechen wir zu wenig mit und über sie!

Ohne User Research & UX Testing Wettbewerbsvorteile erzielen, geht das?

Wenn Märkte stagnieren, schrumpfen, sich konsolidieren, dann können Unternehmen ihren Wert halten und steigern, wenn sie aus  (Neu-)Kundensicht und im Vergleich zum Wettbewerb relevantere und bedeutsamere Vorteile bieten. Wenn sie:

Die richtigen Dinge gestalten – und diese richtig gut gestalten!

Produktinhaber:innen („Product Owner“) verantworten beides:

  1. Die richtigen Dinge gestalten.
  2. Die Dinge richtig gut gestalten.

Produktinhaber:innen sind insbesondere in schrumpfenden, stagnierenden Märkten gefordert beides bestmöglich und zugleich auf effiziente Art und Weise sicherzustellen.

Worauf kommt es in solchen Situationen an?

Auf unfassbar viel. Insbesondere auf Schnelligkeit im Handeln, einen Fokus auf das Wesentliche und im Ergebnis auf richtig gute Entscheidungen!

Alle im Team müssen nun jene Dinge tun, jene Aufgaben in den Fokus stellen, die sie richtig gut erledigen können und wollen.  Und alle müssen unternehmerisch denken und handeln. Das gilt für alle Teamrollen:

  • Die/den PO selbst,
  • Entwickler:innen,
  • Marktforscher:innen („Business Analysten“),
  • User Researcher:innen
  • UX Designer:innen.

Was bedeuten derartige Marktsituationen für UX Designer:innen? 

Ich fürchte jene Rolleninhaber:innen werden ihren Fokus auf UI Development / UI Design legen (müssen). Sie werden intensiver und direkter mit Entwickler:innen zusammen arbeiten. Das ist im Grundsatz ja nicht schlecht, diese enge Zusammenarbeitet, insbesondere dann, wenn die/der Rolleninhaber:in kompetent und genrealistisch aufgestellt ist.

Was wird in den Hintergrund treten?

Ich fürchte UX Testing und User Research werden „eingespart“: Weniger Zeit und Geld für die Analyse von Anforderungen und Bedürfnissen von Nutzenden und Kunden. Früh und oft testen – das wird weniger oft stattfinden, vielleicht ganz entfallen. Stattdessen werden immer mehr User Researcher:innen „Forschen am Schreibtisch“ betreiben (müssen). „Sekundäranalysen“ werden primärer, empirischer Forschung vorgezogen – jedenfalls dann, wenn wir das zulassen … .

Wenn Sie als User Researcher:innen es zulassen, dass Budget-Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die den Wert und positiven Effekt von UX Testing und User Research auf den ROI ihres Unternehmens nicht kennen, weil Sie ihnen jenen nicht verdeutlicht haben!

Lassen Sie das nicht zu. Liebe User Researcher:innen, laßt das nicht zu:
Ihr alle habt das Zeug das zu verhindern.

User Reseacher:innen müssen unternehmerisch denken und handeln, müssen unternehmerisch auftreten, um ihre strategisch so relevante Rolle in Unternehmen zu finden oder zu halten!

Ohne UX Testing und User Research keine Wettbewerbsvorteile!

Kommen wir zurück zu dem, was von Produktinhaber:innen in wettbewerbsintensiven Märkten und Situationen erwartet wird: Die richtigen Dinge gestalten – diese Dinge richtig gut gestalten!

Ich frage mich, ich frage Sie: Wie soll das funktionieren, wenn UX Testing und User Research in den Hintergrund treten? Wenn Anforderungsanalysen und Tests eingespart werden? Wenn Sekundärforschung, wenn das „Forschen am Schreibtisch“ eigene Studien und Tests ersetzt?

Es geht einfach nicht!

Will man die richtige Entscheidungen gut treffen – und das muss man, will man die richtigen Dinge gut tun – und auch das muss man, dann braucht es Erkenntnisse auf der Basis von qualitativ hochwertigen Daten.

Wie werden aus Zahlen und Fakten Erkenntnisse für gute Entscheidungen?

Es braucht Daten (Zahlen & Fakten) aus einer Studie („primäre“ Datenerhebung), die das Erkenntnisinteresse (Untersuchungsfragestellung(en)) objektiv, zuverlässig und valide erfüllt.

Zeitdruck, Erkenntnisdruck und zugleich die Notwendigkeit Geld zu sparen!

Unter solchen Rahmenbedingungen wird „Forschen am Schreibtisch“ – Desk-Research, Sekundärforschung – nun einmal angesagt(er), wird empirischer Primärforschung öfter vorgezogen.

Normal, aber auch „gut so“?  

Forschen am Schreibtisch basiert meistens auf …

  • Daten aus eigenen, bereits durchgeführten (Primär-)Forschungen
  • Datenbanken – eigenen und eingekauften (z.B. Statistisches Bundesamt, Statista)
  • Daten, auffindbar beim Suchen im „World Wide Web“ (Internet).

Einfach mal machen – auch wenn’s nur zweite Wahl ist?

Beim Forschen am Schreibtisch werden vorhandene Zahlen und Fakten herangezogen, um Fragestellungen zu beantworten, die das Erhebungs- und Auswertungsdesign der Studien hinter den Daten nicht bestimmten.

Klingt kompliziert – das mit der Sekündarforschung?

Ja, ist es auch. Es braucht eine systematische, durchdachte Recherche-Strategie, jede Menge Erfahrung, darunter auch viel schmerzhafte, gezahltes Lehrgeld, aber selbst dann ist Sekundärforschung noch immer mit viel Unsicherheit behaftet, da …

  • keine auf die Fragestellung(en) zugeschnittene Datenerhebung erfolgte, was bedeutet: wenig Aussagekraft, viel Interpretationsspielraum.
  • oft keine tiefen Einblicke in das Erhebungs- und Auswertungsdesign der Studien gewährt werden, so dass die Qualität (Objektivität, Zuverlässigkeit, Gültigkeit) und Aktualität der genutzten Daten bzw. Studien hinter den Daten nicht immer bewertet werden kann.

Aber hey, ist denn die Arbeit mit ChatGPT & Co. nicht auch Sekundärforschung?

Im Prinzip schon. Aber deutlich einfacher und bequemer, unterstützender und kollegial mitdenkend, in der gewonnenen „Weitsichtigkeit“ deutlich weiter, tiefer und breiter, damit sicherer, aber auch mit generativer KI/AI Unterstützung gilt:

Forschen am Schreibtisch sollten Sie nur einsetzen, um …

  • Forschungsbedarfe und Forschungslücken zu erkennen,
  • Hypothesen zu entwickeln und darauf aufbauend
  • effiziente Primärforschung zu konzipieren.

Mit viel Sicherheit, dass Sie erforschen, wozu es noch keine Daten gibt und dass Sie beim Konzipieren Ihrer Studie(n) darauf aufbauen, was es an Erkenntnissen schon gibt.

Unternehmer, Stratege, Umsetzer (w/m/d): User Researcher:innen sind vielfältig!

Portraitfoto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Liebe User Researcher:innen, lasst euch nicht in eine Ecke drängen. Und falls schon geschehen: Kommt da raus. Raus aus Ecken, in die ihr nicht hingehört, die euch abstempeln mit stereotypischen Eigenschaften, die ihr nicht wollt, die euch „unter Wert“ darstellen!

  1. Ihr werdet gebraucht, operativ handelnd und strategisch denkend.
  2. Ihr werdet gebraucht als Umsetzer:innen und  Gestalter:innen, Unternehmer:innen.

Als User Researcher:innen haben Sie, habt ihr eine Rolle, in der ihr unternehmerisch und strategisch handeln könnt – und ihr solltet das auch tun. Ihr habt das Zeug zur Unternehmerin, zum Unternehmer. Setzt es ein, insbesondere in Zeiten, in denen der Wettbewerb im Markt intensiv ist.

Und lassen Sie sich als User Researcher:in unter diesen Rahmenbedingungen nicht zu „Forscher:innen am Schreibtisch“ abdrängen. Auch nicht von neuen Technologien.

Forschen Sie gern weiter mit ChatGPT, YOU, Consensus, SciSpace & Co. „vor- und nachrangig“, aber bleiben Sie stets offen für eigene, empirische Studien und zeigen Sie diese begründet an, wenn sie Ihnen nötig erscheinen. Sie werden gehört werden, insbesondere dann, wenn Sie unternehmerisch denken, handeln, argumentiert, wenn Sie die Sprache einer/eines Unternehmer:in wählen.

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Digitale Barrierefreiheit: Einfach machen – Es könnte ja gut werden!

Wer barrierefrei gestalten will, der findet einen Weg. Wer das nicht will, der findet Ausreden.
Diese Aussage, angelehnt an das Buch von Raúl Aguayo-Krauthausen mit dem Titel „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden!“, wird Matthias Blaß – mein Partner im Experten-Interview auf nutzerbrille.de – teilen und unterstützen.
Da bin ich mir fast zu 100% sicher.

Matthias Blaß hat in seinen Rollen als Product Owner und UX Professional schon viele Touren geplant und Wege eingeschlagen.
Wege die im Ergebnis zu erfolgreichen digitalen Produkten und Services führten. Erfolgreich sowohl im Sinne des Erreichens von vorgegebenen oder selbst gesetzten Zielen als auch im Sinne seiner Leidenschaft für barrierefreie Produktgestaltung.

Matthias Blaß, Produktowner und UX Professional im Portrait

Matthias Blaß, Product Owner & UX Professional seit 1998

Ich freue mich daher sehr, lieber Matthias, dass du mich und meine Leser:innen an deinen umfangreichen Erfahrungen teilhaben lässt.

2004 durfte ich das erste Mal von deinen Erfahrungen profitieren. Damals hast du als Gründer und Entwickler des ersten barrierearmen Seniorenportals Deutschlands (Lebensphasen(.)de) auf dem von der eresult GmbH ausgerichteten Usability-Kongress einen informativen und unterhaltsamen Vortrag zu den ThemenBarrierefreiheitund seniorengerechte Website-Gestaltung gehalten. Beide Themen waren damals für die meisten Teilnehmer:innen des Usability-Kongresses (noch) nicht besonders relevant – soweit ich mich noch erinnern kann.

Was war damals deine Motivation zu diesem Vortrag, welche (Kern-)Botschaft wolltest du als Missionar in Sachen barrierefreie Websitegestaltung teilen?

Matthias: Im Jahr 2002 traten sowohl das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) als auch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) in Kraft. Diese verpflichteten insbesondere die Bundesbehörden sowie öffentliche Verwaltungen zur digitalen Barrierefreiheit. Parallel dazu kam Anfang der 2000’er Jahre mal wieder ein Trend im Marketing auf:
Die Generation 50plus war plötzlich super attraktiv.

Zu der Zeit arbeitete ich als Projektmanager in Digitalagenturen und wir entwickelten fancy Kampagnen-Webseiten, vornehmlich mit einer sehr grafiklastigen und hochgradig animierbaren Technologie namens Flash. Das Hauptproblem für uns war zu der Zeit der sogenannte “Browser War”. Das bedeutete, dass man für den Internet Explorer und den Mozilla Firefox spezielle Anpassungen programmieren musste, weil die Browser wenig standardisiert waren. Das ist heute ja nicht mehr so, aber das war noch vor dem ersten iPhone oder Alternativen wie Googles Chrome.

Einfach machen – Es könnte ja gut werden!

Matthias: Mich hat es immer genervt, dass man aus visuellen (Verkaufs)Gründen so viel Aufwand betrieben hat. Ich war schon damals der Meinung, dass man solche Projekte vereinfachen können muss. Und als dann die Themen 50plus und Barrierefreiheit kamen, war das für mich die persönliche Motivation:

„Ich wollte zeigen, dass man visuell ansprechende und funktionale Webseiten auch einfacher und zudem maximal zugänglich erstellen kann!“

Ich bin ja kein gelernter Softwareentwickler. Ich kann HTML und CSS und einfachen Programmcode verstehen. Aber das hat damals genügt, um Templates für ein Content-Management-System zu entwickeln und das erste barrierearme Senioren-Portal ins Leben zu rufen.

Neben der einfachen Programmierung konnten die Nutzer:innen die Ansicht skalieren oder das Farbschemata ändern. Das Portal umfasste ein Online-Magazin, ein Forum, einen interaktiven Agenten, E-Card-Service und später sogar einen Online-Shop. Das Gesamtprojekt war weit davon entfernt wirklich barrierefrei zu sein. Aber ich wollte zeigen, dass man ansprechende Webprojekte für alle Zielgruppen anbieten kann. Daher lautete der Titel des Vortrags 2004 auf dem Usability-Kongress: Raus aus der Schublade behindertengerechter Webseiten.

Denn damals hieß es immer, dass barrierefreie Webseiten nicht gut aussehen würden. Deshalb hat das Thema meiner Meinung nach auch in der freien Wirtschaft kein Gehör gefunden.

Die Menschen und das Geschäft immer im Blick!

Seit 2004 ist viel geschehen. Du konntest deine Fertigkeiten und Kompetenzen weiter ausbauen.
Welche deiner zahlreichen Projekte, Herausforderungen und beruflichen Stationen haben deine Leidenschaft für barrierefreie, menschenzentrierte Gestaltung besonders geprägt und gestärkt? 

Matthias: Meine Leidenschaft für gute Usability und User Experience entwickelte sich hauptsächlich in den Jahren bei einer Bank. Dort war ich lange für die Conversion-Optimierung der Online-Antragsstrecken und später für die Entwicklung des Kundenportals (Online-Banking-Plattform) verantwortlich.

Das Thema (technische) Barrierefreiheit war allerdings nicht unser primärer Antrieb, sondern der ROI. Unser Anspruch war immer, die Landingpages und Prozessseiten so zu gestalten, dass es möglichst wenige Kauf-Abbrüche gibt. Und da mussten wir einfach den Menschen stärker in den Mittelpunkt setzen, um zu verstehen, wie dieser eine Webseite tatsächlich versteht und in unterschiedlichsten Situationen mit diversen Endgeräten nutzt.

Wir haben zu der Zeit unheimlich viel getestet und auch viel gelernt. Gerade in direkten Gesprächen mit den Nutzer:innen, sei es im Labor oder in Remote-Tests, erfährt man so viel über die digitalen Barrieren, vor denen sich Menschen wiederfinden. So zieht sich das Thema barrierefreie, menschenzentrierte Gestaltung seit Jahren durch meine beruflichen Stationen. Nicht immer mit dem Erfolg, den ich mir wünsche, aber ich merke, dass die Sensibilisierung dafür überall größer wird.

Digitale Barrierefreiheit: Jetzt wird es ernst!

20 Jahre nach deinem Vortrag auf dem Usability-Kongress in Göttingen ist das Thema „digitale Barrierefreiheit“ für viele (endlich) relevant und für nicht wenige inzwischen auch dringlich.Was sind die zentralen Gründe dafür, dass das Thema „digitale Barrierefreiheit“ heute, im Jahr 2024, für viele eine hohe Bedeutung hat? 

Matthias: Ehrlicherweise muss man konstatieren, dass die Gründe weder Altruismus noch Menschenliebe sind, sondern die verschärfte Regulatorik. Neben dem bereits seit 2002 geltenden Behindertengleichstellungsgesetz gibt es zahlreiche weitere Gesetze, die sich mit dem Thema Inklusion befassen. Das Ganze gipfelt in das am 22. Juli 2021 in Kraft getretene Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das am 28. Juni 2025 vollständig in Kraft tritt.

Und hier wird es jetzt interessant. Denn wurden 2002 nur Bundesbehörden und die öffentliche Verwaltung zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet, so betrifft es jetzt auch Wirtschaftsunternehmen. Und zwar in Form von Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen bei Verstößen. Das kann bei Geldbußen durchaus bis zu 100.000 € gehen. Bei solchen Beträgen denkt der eine oder andere vielleicht noch lächelnd an seine Portokasse. Aber die Marktüberwachungsbehörden haben die Befugnis, die Bereitstellung des Produkts oder der Dienstleistung einzuschränken oder zu untersagen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass bei einem nicht barrierefreien B2C Online-Shop, der mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr macht, im schlimmsten Fall der Stecker gezogen wird. Und das kann dann schnell existenzbedrohend werden.

Jetzt gibt es natürlich auch im BFSG wieder Ausnahmen und Einschränkungen und man kann sich fragen, wie das Ganze überhaupt überwacht werden soll. Hier sollte man aber den Markt nicht unterschätzen, denn der wird auch hier regelnd eingreifen. Ich denke an den nicht ganz so freundlich gestimmten Wettbewerber. Oder die Abmahnanwälte, die mit fehlendem Webseiten-Impressum kein Geld mehr verdienen. Und ich bin mir sehr sicher, dass nach 20 Jahren mäßigem Umsetzungserfolg durch Freiwilligkeit, der Regulator (in diesem Fall zuallererst die EU) die Ausnahmen und Einschränkungen nach und nach einkassieren wird. Ein Abwarten und Weitermachen wie bisher kann also teuer werden.

Es lohnt sich (wieder) groß zu denken!

Wer profitiert, neben Menschen mit Behinderungen, von einer barrierefreien Gestaltung digitaler Produkte und Services?

Matthias: Zunächst einmal, wie zuvor bereits erwähnt, ältere Menschen. Von den knapp 8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung in Deutschland sind fast 80% älter als 55 Jahre. Laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) liegt die Kaufkraft der Generation 50plus bei über 720 Mrd. € pro Jahr. Eine nicht zu unterschätzende und weiterhin wachsende Zielgruppe.

Etwa 90% der Behinderungen sind “erworben” (etwa durch Krankheiten) und nicht “angeboren”. Das bedeutet, dass in Deutschland jeder heute “gesunde” Mensch künftig behindert werden kann. Zusätzlich muss man bedenken, dass man von einer schweren Behinderung erst ab einem Behinderungsgrad von über 50% spricht. Es gibt also sicher eine nicht unerhebliche Dunkelziffer an “leichten” Behinderungen.

Wenn wir Behinderungen meinen, sprechen wir in der Regel von permanenten Einschränkungen, z.B. dem blinden Menschen. Es gibt aber auch temporäre oder situative Einschränkungen. Bezogen auf digitale Barrierefreiheit sind damit z.B. der gebrochene Arm (temporär) oder das Baby auf dem Arm der Mutter (situativ) gemeint, die eine Bedienung einer Webseite oder App be- oder verhindern.

Ein kleiner Punkt, der aber sicher die budgetverantwortlichen Manager interessiert, ist, dass barrierefreie Webseiten per se suchmaschinenfreundlicher sind. Suchmaschinen sind also ebenfalls eine Zielgruppe. Man könnte also das SEO-Budget auch für eine AO (Accessibility Optimization) benutzen. Wir können einfach festhalten:

„Eine nicht barrierefreie Lösung behindert nur etwa 10% der Deutschen. Eine barrierefreie Lösung hilft dagegen allen. Heute und in Zukunft.“

Welche grundlegenden (Gestaltungs-)Prinzipien sollten UX Designer:innen beachten, wenn sie in einem Produktentwicklungsprozess von Beginn an Barrierefreiheit mitdenken und mitgestalten wollen?

Matthias: Ganz wichtig ist das Credo, das sicher alle UX’ler verinnerlicht haben:

„You are not the user!“

Das ist bei Nutzer:innen mit Behinderung noch viel wichtiger. Hier helfen z.B. auch Personas mit Beeinträchtigungen. Ich mag auch den Begriff “Inclusive Design”. Der ist noch stärker als “Universal Design”. Zumal Inklusion heute ein gängiger Begriff ist und die meisten damit etwas anfangen können.

Wir reden im UX-Umfeld häufig von einer systematischen Verzerrung der Wahrnehmung (Bias). In diesem konkreten Fall ist der Visual Bias für UX Designer:innen wichtig. Normalerweise gestalten wir als Sehende für Sehende. Selbst beim Blick auf einen Low-fi Wireframe “sehen” wir sofort, wie die Nutzerführung gemeint ist. Hier hilft es schon, wenn man sich vorstellt, wie ein Screenreader vorgehen würde, der nicht „sieht“, wo z.B. ein Call-to-Action positioniert ist.

Ansonsten eigentlich alles, was per se eine gute User Experience ausmacht:

  • Eine klare Informationsarchitektur und -hierarchie (Sektionen, Überschriften),
  • hohe Kontraste für Schriften und grafische Elemente (Farben),
  • Mindestgrößen für Schriften oder klickbare Elemente (speziell für Mobile),
  • Konsistenz (Seiten- und Geräteübergreifend),
  • Unnötiges weglassen (Overlays, separate Browsertabs),
  • einfache verständliche Sprache.

Und zu guter Letzt die komplette User Journey im Blick haben. Also woher kommt der User (mit einer Behinderung) und was passiert nach dem Kauf (ist die Bestätigungsmail auch barrierefrei?). Hier zeigt sich auch, dass ein inklusives oder universelles Design nicht nur Aufgabe der UX Designer:innen ist, sondern dass alle am Produkt Beteiligten ein entsprechendes Verständnis entwickeln müssen.

Ist deine Website barrierefrei? – Finde es heraus!

Lass uns den Blick auf vorhandene, digitale Produkte und Services richten. Zum Beispiel einen Online-Shop für Möbel, die Website eines Ferienhotels in den Alpen oder die Website einer Versicherung, die Zahnzusatzversicherungen anbietet. Welche Möglichkeiten haben Betreiber:innen derartiger Websites, um einen (automatisierten) Accessibility Quick-Check durchzuführen, um die zentralen Barrieren ihrer Websites zu erkennen?

Matthias: Am einfachsten und schnellsten geht es mit Accessibility-Plugins für die gängigen Browser. Diese gibt es für spezielle Barrieren wie z.B. Farbkontraste oder die Simulation von Fehlsichtigkeiten (Rot-Grün-Schwäche) oder auch für umfassendere Tests auf Basis der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortiums (W3C).

Die Entwicklertools der Browser selbst haben auch einfache Reports für Barrierefreiheit integriert. Man kann seine Seiten auch anhand der WCAG oder BITV-Checklisten manuell prüfen. Viele Prüfpunkte kann man tatsächlich hands-on prüfen, z.B. ALT-Tags von Bildelementen. Oder man versucht einfach mal mit der Tastatur durch seine Webseite zu navigieren. Diese Quick-Checks helfen bei der schnellen Evaluation des Status Quos.

Welche weitergehenden Analysen sind ratsam, um den Grad der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung von  Anforderungen an digitale Produkte oder Services aus dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz festzustellen?

Matthias: Die zuvor genannten Tools arbeiten in der Regel Checklisten ab und listen Regelverletzungen auf und geben Empfehlungen ab. Sie gehen aber nicht situativ auf Besonderheiten ein, z.B. die Nutzung von assistiven Technologien wie einem Screenreader.

Für mobile Applikationen oder auch Rechner gibt es bereits im Betriebssystem installierte Hilfsmittel, die man für weiterführende Analysen nutzen kann. So bieten Apple mit VoiceOver, Android mit Talk Back oder Windows mit Narrator einen kostenlosen Screenreader an, mit dem man seine Webseiten oder Apps selbst testen kann.

Des Weiteren gibt es professionelle Tools, die man zur Analyse nutzen kann und die man inhouse auch mit entsprechendem Know how für automatisierte Tests nach den Standard-Checklisten nutzen kann. So etwas hat den Vorteil, dass man diese Tests über APIs in die normalen QS- und Entwicklungs-Prozesse seiner CI/CD-Pipeline integrieren kann.

„Der Gold-Standard ist dann sicherlich, wenn Menschen mit Behinderungen in die Tests eingebunden werden!“

Denn wie in den gewohnten UX-Tests erfährt man so noch wesentlich mehr aus der Nutzerbrille, wie assistive Tools tatsächlich helfen und wo auch diese an ihre Grenzen stoßen.

Welche Fertigkeiten und Kompetenzen sind nötig, um einen Konformitätstest durchzuführen?

Für die Durchführung selbst sollte man mit der Nutzung von Online-Tools vertraut sein. Mehr bedarf es eigentlich nicht.

Viel wichtiger ist allerdings die Auswertung solcher Tests. Hier sollte ein grundlegendes Verständnis vom technischen Aufbau einer Webseite oder einer App vorhanden sein, um die Ergebnisse der Checks bewerten und entsprechende Maßnahmen ableiten zu können. Wer nicht weiß, was ein ALT-Tag ist, oder warum eine klare Inhaltsstruktur oder Hierarchie der Überschriften (H1-Hx) wichtig ist, oder wie die Kontrastverhältnis zu interpretieren sind, versteht die Testergebnisse möglicherweise nicht wirklich.

Das große Ganze stets im Blick: Menschen, Geschäft, Technologie!

Du hast in deinem Berufsleben verschiedene Rollen innegehabt, durftest verschiedene Positionen begleiten und konntest vielfältige Kompetenzen aufbauen und Erfahrungen sammeln. Du vereinst inzwischen die Kompetenzen von 3 Berufsgruppen in dir:

  • UX Professional
  • Product Owner
  • Entwickler.

Das ist außergewöhnlich – ganz sicher nicht die Regel. Die Regel ist: Jede der genannten Rollen wird in Unternehmen von unterschiedlichen Personen eingenommen. In einer solchen Situation, in einem solchen Kontext stellt sich mir die Frage: Was ist zu beachten, worin bestehen Stolperfallen, und wie kann man sie umgehen, wenn ein/-e UX Designer:in Barrierefreiheitstests und Konformitätsanalysen durchführt und im Anschluss „Arbeitsaufträge“ an Entwickler:innen formuliert?

Matthias: Meine Expertise als “Entwickler” habe ich eingangs ja bereits relativiert. Trotz allem hat mir dieses Wissen immer dabei geholfen, zu verstehen, wie eine Webseite sowohl technisch als auch visuell aufgebaut ist und für den User funktioniert. Auch die Fähigkeit, Komplexitäten und die damit verbundenen Aufwände einzuschätzen, sind hilfreich. Gleiches gilt für das Verständnis der Aufgaben eines POs (Business Fokus) und UX’lers (User Fokus).

In einer einfachen, idealisierten Welt reicht ein/-e UX Designer:in das Ergebnis eines Tests an das Entwicklungsteam weiter und überprüft nach der Umsetzung mit den Test-Tools erneut das Ergebnis. Nach ein paar Iterationen ist alles erledigt, das Produkt barrierefrei und alles gut. Job erledigt, nächstes Projekt. Schöne heile Welt.

Wir wissen aber, dass es in der Realität anders aussieht. Die UX’ler formulieren nicht einfach die Arbeitsaufträge. Diese müssen meistens mit dem internen oder externen Entwicklungsteam sowie dem PO verhandelt und priorisiert werden. Hier sind gute Kommunikationsfähigkeiten sowie das zuvor genannte technische Verständnis von Vorteil. Ein gutes Verständnis der Zusammenhänge hilft auch, um beim Gegenüber ein besseres Verständnis zu erzeugen, weshalb man die Änderungen vornehmen muss.

Lass uns zum Schluss noch auf User Tests mit Menschen mit Beeinträchtigungen eingehen. Expertenbasierte Konformitätstests sind – so meine Erfahrung – zielführend und besonders wertvoll, wenn die Expert:innen assistive Tools und Technologien, wie z.B. Screenreader, bei ihren Analysen einsetzen.
Welche zusätzlichen Vorteile bieten Tests mit Menschen mit Beeinträchtigungen?

Matthias: Aus meiner Sicht ist der größte Vorteil, dass z.B. der Nutzer eines Screenreaders in der Regel mit diesem Tool vertraut ist. Er weiß dann, wie er es in seiner gewohnten Umgebung und mit seinen Devices nutzen muss. Oder eben auch nicht, dann ist ein Screenreader eben auch kein Allheilmittel. Man schaltet ihn nicht einfach ein wie ein Radio und schon hört man alles wie gewünscht. Diese Tools bedürfen einer Konfiguration.

Oder nehmen wir Videos. Idealerweise stellt man Transkripte zur Verfügung. Heute vermutlich oft automatisiert mittels KI. Job erledigt? Die pure Transkription eines komplizierten Videos macht den Inhalt zwar „konsumierbar“, aber dadurch noch lange nicht für Menschen mit Ausprägungen von Autismus “verständlich” (Stichwort leichte oder einfache Sprache).

Idealerweise versucht man ein breiteres Spektrum an Beeinträchtigungen abzubilden.

„Wenn man bei klassischen UX-Tests bereits ab 5-7 Usern wertvolle Ergebnisse erhält, rekrutiert man für Barrerefreiheitstests 5-7 Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen.“

Menschenzentriert gestalten: Empathie ist gut, testen ist besser!

Ich habe schon seit meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspsychologie (1992-1997) den bisher noch immer unerfüllten Wunsch einen „Alterssimulationsanzug“ zu tragen: Mit Gewichten beschwerte Kleidungsstücke, Handschuhe die das Greifen von Gegenständen erschweren, klobige Schuhe die das Laufen zur Tortur machen und Brillen die Sehschwächen herbeiführen sollen dabei helfen, dass „junge Menschen“ sich in hochbetagte Menschen hineinversetzen können.

Wie bewertest du diesen Ansatz im Kontext der Zielsetzung, Produkte für Menschen mit Beeinträchtigungen (besser) zu gestalten? Und: Hattest du schon einmal die Gelegenheit einen solchen Anzug zu tragen?

Matthias: Leider hatte ich auch noch keine Gelegenheit, einen solchen Anzug zu tragen. Für mich beginnt die Simulation einer Sehschwäche mit dem Ablegen meiner Brille. Aber Spaß beiseite.

UX Designer:innen verstehen es, sich empathisch in den User zu versetzen. Im Kontext der Barrierefreiheit müssen wir aber noch eine Schippe drauflegen, weil wir die Auswirkungen der meisten Beeinträchtigungen zwar verstehen, aber eben nicht erleben oder fühlen können.

Das Beispiel der Alterssimulation ist hier ein toller Ansatz. Aber anstatt für jede Beeinträchtigung eine Simulation zu bauen, kann man einfach seine Testprobanden entsprechend rekrutieren und sich neben sie setzen. Wenn man dann die Probleme besser verstanden hat, ist man auch in der Lage, inklusive Produkte zu gestalten.

Zum Schluss, das müssen wir noch klären: Kannst du die folgende Aussage bestätigen und unterstützen, wie von mir einleitend angenommen?
Wer barrierefrei gestalten will, der findet einen Weg. Wer das nicht will, der findet Ausreden!

 Matthias: Absolut!

„Eine barrierefreie Gestaltung ist ja nicht unmöglich. Sie muss aber vor allem gewollt und idealerweise in der Strategie verankert werden.“

Wer sich ernsthaft damit auseinandersetzt, baut keine technischen Schulden auf, reduziert künftige Aufwände und skaliert seine Zielgruppe ganz automatisch um mindestens 10%. Dafür lohnt es sich doch, einen Weg zu finden, den man stetig in Richtung Ziel beschreitet.

Vielen Dank, lieber Matthias, für dieses Schlusswort und deine Einstellung.
Ich hoffe sehr, dass du noch viele Menschen, Teams und Unternehmen dabei unterstützen wirst barrierefreie und nachhaltige, digitale Lösungen für alle Menschen, für unsere Gemeinschaft und für ein menschenfreundliches Klima, von dem wir alle abhängig sind, zu entwickeln.

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