Kategorie-Archiv: UX Design

Wenn‘s wenig Budget für Usability und User Research gibt, dann teste früh!

Ob ein Gestaltungsprozess für ein Produkt oder einen Service gelungen ist, darüber entscheiden immer jene Menschen, die für den Gestaltungsprozess nicht verantwortlich sind oder waren. Die wahren Entscheider:innen sind Menschen aus der Zielgruppe, die man als Kund:innen hat oder die man zu Kund:innen machen will!

Sie in den Gestaltungsprozess zu integrieren, ist somit immer eine gute Idee.

Ihr Produkt wird in jedem Fall auf Usability getestet.
Wenn Sie es nicht selbst tun, dann tun es Ihre Kunden
.“
Jakob Nielsen, leicht modifiziert, aus: Designing Web Usability.

Nutzererlebnisse auf Basis eines Usability-Test gestalten!

Um Freude, Zufriedenheit und Begeisterung beim Nutzen von Produkten und Services zu gestalten, müssen UX Designer:innen diejenigen Menschen verstehen, für die sie etwas gestalten möchten.

Um jene Menschen zu verstehen, müssen UX Designer:innen mit ihnen sprechen, sie befragen und beobachten. Beobachten, während sie ein Produkt oder einen Service nutzen und auch: Beobachten, um zu erkennen in welchen Situationen und zu welchen Herausforderungen ihnen Produkt- oder Service-Lösungen fehlen.

Und schließlich müssen Gestalter:innen ihre Produkte und Services testen, um zu erkennen ob sie Probleme und Herausforderungen lösen.

Verstehen, befragen, beobachten und testen – die Usability/UX Branche bietet alles, was es dazu braucht: Mehr als zwei Dutzend etablierte Methoden und Forschungsansätze umfasst ein gut gefüllter UX Methoden-Werkzeug-Koffer.

Gutes Werkzeug eingesetzt von Menschen, die ihr Handwerk verstehen, ist weit mehr als die halbe Miete: Es ist die Garantie für positive Erlebnisse (User Experience) beim Verwenden von Produkten oder Services.

Wenn’s gut werden muss, dann teste früh!

Was tun, wenn man sich einen vollständigen Methoden-Koffer und erfahrene UX Designer:innen nicht leisten will (oder kann)?

Nehmen wir spaßeshalber einmal an:

  • Es gibt, aus welchen Gründen auch immer, ein begrenztes Geld- und Zeit-Budget für das Verstehen, Beobachtungen und Befragen von Menschen, für die man etwas gestalten will – konkret: 8.000.- €.
  • Das Zeit- und Geld-Budget ist derart bemessen, dass genau eine Studie zu genau einem Zeitpunkt machbar ist.
  • Und nehmen wir schließlich noch an, dass es in unserem fiktiven Projekt darum geht eine vorhandene,  jedoch „in die Jahre gekommene“ Anwendung neu zu gestalten.

(P.S.: Ob die Annahmen oft zutreffen oder aus der Luft gegriffen sind, das entscheiden Sie am besten selbst. Nicht zuletzt auch dahingehend, ob die Annahmen für Sie zutreffend sind.)

Wie und wann setzen Sie die 8.000.- € Usability/UX Budget ein?

Bei zwei Dutzend etablierten Usability/UX Methoden keine leichte Frage. Meine Antwort:

Ich werde die 8.000.- € in 90% aller Fälle für einen Usability-Test mit Nutzer:innen aus der Zielgruppe einsetzen!

Mit ihnen werde ich einen (low-fidelity) Prototypen in einem szenariobasierten Setting testen, Verhalten beobachten, Nutzer:innen zuhören und im Bedarfsfall nachfragen, wenn ihre Aussagen nicht verständlich waren.

  • Ich teste früh im Konzeptions- und Entwicklungsprozess, um erkannte Probleme schnell und kostengünstig beheben zu können.
  • Weil ich Verhalten, Gedanken und Emotionen ganzheitlich erfassen und Optimierungspotentiale zuverlässig im richtigen Nutzungskontext erkennen will, teste ich aufgabenbasiert, höre zu, frage nach und beobachte, ohne zu werten.
  • Und schließlich: Ich lasse viele Menschen teilhaben an der Beobachtung der Nutzertests und der Ableitung von Optimierungen.

Ich lade Kolleg:innen und auch Mitarbeiter:innen von Dienstleistern aus den Bereichen Marketing, Entwicklung und Produktmanagement ein, gern auch aus dem Personalwesen, wenn es um interne Anwendungen geht. Insbesondere trage ich dafür Sorge, dass die Zeit- und Geld-Geber:innen bei den Usability-Tests zuschauen. Das kann und wird in den meisten Fällen dazu beitragen, dass Budget für weitere Forschung mit Nutzer:innen freigegeben wird.

Und jenes weitere Zeit- und Geld-Budget würde ich wieder für einen Usability-Test einsetzen – dann mit einem auf Basis der ersten Testergebnisse weiterentwickelten Prototypen (6 Tips to Keep in Mind for Iterative Usability Testing).

Würden auch Sie die (einmalig) 8.000.- € für einen Usability-Test einsetzen?

Ein Usability-Test bietet viel für wenig Geld!

Seit ich im Jahr 1997 begonnen habe User Research und UX Testing anzubieten und durchzuführen, habe ich immer wieder erfahren, wie wertvoll, vielfältig und preiswert ein moderierter Usability-Test ist.

Früh und oft testen!“ – immer wieder denke ich an diese Weisheit (ohne zu wissen, wer jene im UX Kontext erstmals kundgetan hat). Und immer öfter gelingt es mir diese Einstellung an andere weiterzugeben. Es gelingt mir ihnen die Erfahrungen zu bieten, dass ein Usability-Test besonders wertvoll und zielführend ist, wenn er in frühen Entwicklungsstadien stattfindet.

UX Designer:innen müssen früh mit den Nutzer:innen aus der Zielgruppe in Kontakt kommen, anstatt sie sich nur auszudenken. Ein Usability-Test hilft sowohl Anforderungen und unentdeckte Potenziale zu identifizieren als auch Optimierungsnotwendigkeiten zu erkennen.

Usability-Tests sind universell einsetzbar und auf vielfältige Weise gestaltbar.

Ein Usability-Test ist zugleich günstig. Es braucht nur wenige Tage für dessen Planung, Durchführung und Auswertung. 4-5 Tage sind in der Regel ausreichend, 5 Tester:innen ebenso, so dass man mit 8.000.- € auskommt – wenn’s denn nicht mehr gibt.

Und ich finde, es sollte unbedingt mehr Geld für Usability freigegeben werden: 10-20% des gesamtem Konzeptions-, Entwicklungs- und Umsetzungsbudgets sind keinesfalls zu viel.

Ein Usability-Test sorgt für gute Stimmung: Bei Designer:innen & Nutzer:innen!

UX Design ist ein Gestaltungsprozess, der aus den Phasen Konzeption, Gestaltung (Interaktionsdesign, visuelles Design), Entwicklung und Umsetzung besteht.

Wie kann man diesen Prozess nutzerzentriert umsetzen? Wie bewertet man diesen Gestaltungsprozess sachlich, konstruktiv und fundiert – sowohl im Ergebnis als auch als Prozess der Zusammenarbeit im Team?

Das geht nur mit Hilfe von Nutzertests, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien durchgeführt werden.

Neben den bereits genannten Vorzügen und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Usability-Tests sind deren internen Wirkungen unbedingt zu beachten, wenn es darum geht das Preis-Ergebnis-Verhältnis von Usability-Tests zu bewerten.

Und diese Wirkungen haben es in sich!

In Gestaltungsprozessen müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen und interne Diskussionen zum Ende gebracht werden. Schließlich sind die Gestaltungsmöglichkeiten bei interaktiven Produkten nahezu unendlich. Interne Diskussionen und Entscheidungsprozesse kosten oft viel (Arbeits-)Zeit, führen ab und an zu Spannungen im Team und können Gestalter:innen schließlich die Lust am Gestalten rauben.

Wer sollte Entscheidungen, zu denen es intern unterschiedliche Ansichten und Meinungen gibt, bestenfalls treffen: Konzepter (w/m/d), Designer (w/m/d), Produktmanager (w/m/d), Entwickler (w/m/d) oder jene, die über das Zeit- und Geld-Budget im Projekt entscheiden? Oder sollten in solchen Situationen die Nutzer:innen aus der Zielgruppe den finalen Ausschlag geben?

Usability-Tests mit Nutzer:innen aus den Zielgruppen sind die allerbeste Maßnahme, um in einer solchen Situation für „Ent-Spannung“ zu sorgen und den Gestaltungsprozess effizient fortzusetzen.

Schaut man seinen Nutzer:innen und (späteren) Kund:innen über die Schulter, hört zu und beobachtet, ohne gleich zu werten, dann entsteht ganz schnell Einigkeit darüber warum und wie man eine kontrovers diskutierte Gestaltungsentscheidung treffen muss.

UX Design: Nur echt mit echten Nutzer:innen!

Bitte sprechen Sie mir nach.“ (Regieanweisung: lange Pause einlegen!)

„Ich bin nicht die Zielgruppe!“

Mit diesem, zugegeben konfrontativen Ansatz hat Jakob Nielsen oft einen Perspektivenwechsel in Teams und bei Entscheider:innen eingeläutet, und schließlich die Gebrauchstauglichkeit von Produkten mit einem Usability-Test verbessert (Quelle Markus Völkel, zitiert aus seinem Beitrag Nutzerfreundlichkeit auf dem Prüfstand).

Foto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Ich hoffe sehr, dass es mir gelungen ist auch Sie davon zu überzeugen oder die Überzeugung bei Ihnen (wieder) in Erinnerung zu rufen, dass UX Design – verstanden als ein Gestaltungsprozess für positive Nutzerlebnisse – nur mit mindestens einem Usability-Test mit echten Nutzer:innen gelingen kann.

Dieser Test sollte möglichst früh im Konzeptions- und Entwicklungsprozess durchgeführt werden, und alle, die für das Produkt oder den Service zuständig sind, sollten den Nutzer:innen dabei über die Schulter schauen. Insbesondere die Zeit- und Geldgeber:innen für User Research & Usability Testing. Danach wird in der Regel nicht nur früh, sondern auch oft getestet.

Zu guter Letzt – und keinesfalls „das Letzte!“ …

Design-Kritik statt oder besser mit einem Usability-Test durchführen?

Sollte man Usability-Testing gezielt abgrenzen von einer fundierten Design-Kritik im Team? Ja, unbedingt, denn bei einem Usability Test sieht und hört man, wie Nutzer:innen denken, fühlen und auf ein Design reagieren (handeln), das ihren Anforderungen gerecht werden soll und das für sie gut nutzbar sein soll (und es ggf. nicht ist). Das ist extrem überzeugend – überzeugend um die erkannten Probleme zu beheben, die Chancen zu nutzen und auch weiteres Budget (Zeit, Geld) für weitere Tests zu erhalten.

Bei einer rein internen Design-Kritik geht es darum was die Kritiker:innen gut begründet zu einem Design (wertend, verbessernd) sagen, betreffend dessen was gut oder weniger gut funktioniert – und wie man es ggf. verändern sollte. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass die Kritiker:innen (ebenso wie natürlich auch die/der Deisgner:in) von sich selbst und ihren Erwartungen ausgehend urteilt.

Design-Kritik ist für jede(n) Designer:in wichtig, nötig und hilfreich, um Nutzungsanforderungen aus der IT / Entwicklung, den gesetzlichen Rahmenbedingungen, dem Marketing und dem Markt (Wettbewerb) zu erkennen und zu erfüllen. Sie ersetzen aber keinesfalls Tests mit Nutzer:innen und (späteren) Kund:innen.

Sie wollen mehr erfahren über den Wert eines Usability-Test?

Dann nutzen Sie gern meine favorisierten Linktipps:

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