Kategorie-Archiv: User Research

Vom Projekt- zum Produktgeschäft – und warum du Digitalagenturen meiden solltest, die für jeden arbeiten!

Im Jahr 2007 schrieb ich einen folgenschweren Satz in mein Notizbuch:

Weg vom Projekt, hin zum Produkt.

Seit 1996 war ich im Projektgeschäft aktiv:

  • Anfrage, Ausgangspunkt: Briefing mit klaren Fragestellungen, Leistungsanforderungen, Zielen und zeitlichen Eckdaten.
  • Gefordert: Leistungs- und Lieferbeschreibung gemäß Leistungsanforderung, gut begründetes Konzept zur Vorgehensweise und Preisangaben.

Nach einem Auftrag, stets ein Moment großer Freude, galt es für mich und mein Team die im Briefing genannten Projektziele zu erreichen, in höchster Qualität gemäß Leistungsanforderung zu liefern. Fast immer gelang uns das. Fast jeder „Are-You-Happy Call“ am Projektende war angenehm.

Nachhaltiger Unternehmenserfolg als Digitalagentur – so auf Dauer nicht möglich!
Zum Glück erkannte ich das 2007, und vergas es seitdem nur selten.

Menschzentrierte Gestaltung ist kein Projekt – es ist ein unternehmerisches Versprechen!

Ein Human Centered Design Mindset und das damit verbundene Können sind notwendig aber keinesfalls hinreichend, wenn Digitalagenturen das Versprechen einlösen wollen Produkte, Teams und Unternehmen zum Erfolg zu führen.

Es ist nicht ausreichend, wenn unternehmerischer Haltung und unternehmerische Kompetenzen fehlen!

Viele Agenturen versprechen ihren Kunden:

  • Wir gestalten mit und für Menschen!“
  • Wir stellen Menschen in den Mittelpunkt!“.

Sie beobachten im Auftrag ihrer Kunden was deren Mitbewerber tun. Sie nutzen die Produkte und Services ihrer Auftraggeber, arbeiten Schwächen und Optimierungsthesen heraus.

Nachhaltiger Erfolg kann so nicht gesichert werden – weder für die Agentur noch für den Auftraggeber der Agentur.

Von der Pflicht zur Kür – und von der Kür zur Wirkung!

Es reicht nicht aus gut zu sein beim Analysieren von Anforderungen und Bedürfnissen, beim Erkennen unerfüllter Bedarfe, gut zu sein beim Testen von Produkten und Services, beim Aufzeigen von Optimierungsthesen, beim Gestalten von prototypischen Lösungen, die mit Nutzern getestet und danach angepasst werden.

Das ist die Pflichtleistung einer Digitalagentur.
Das schafft Werte, aber keine Differenzierung – und damit keinen nachhaltigen (Agentur-)Erfolg.

Die Kür …

  • (Markt-)Chancen und (Wettbewerbs-)Potentiale sehen, bevor die Auftraggeber das tun.
  • Erfolgspotentiale aufzeigen und gut begründen.
  • Geschäftsführende auf Kundenseite davon überzeugen aufgedeckte Chancen und Potentiale anzugehen.

Die Kür zuerst, dann die Pflicht!

Je öfter dies gelingt, je öfter Agenturen ihren Auftraggebern aufgezeigte Erfolgspotentiale erschließen, desto mehr Budget wird das Management auftun, desto mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung wird es auf Kundenseite (auch) im Top-Management geben.

„Mit einem menschzentrierten Gestaltungsansatz haben wir das Zeug Unternehmen zum Erfolg zu führen. Ein Versprechen, das man jeden Tag neu einlösen kann, wenn man sich für Produkte, Teams und Unternehmen, und nicht nur für Projekte verantwortlich fühlt!“

Digitalagenturen müssen ein unternehmerisch einlösbares Erfolgsversprechen bieten!

Ich fasse zusammen: Viele Digitalagenturen bekennen sich zu „Customer Centricity“ und „Human Centered Design“ – doch oft verbleiben sie in der Rolle der verlängerten Werkbank und hasten von einem Projekt zum nächsten.

Wirkliche Veränderung entsteht erst dann, wenn Gestalterinnen und Gestalter, Entwicklerinnen und Entwickler, wenn Managerinnen und Manager auf Agenturseite beginnen unternehmerisch zu denken, zu sprechen und zu handeln.

Wenn sie Verantwortung übernehmen für die Produkte, den Geschäftserfolg und Unternehmenswert ihrer Kunden.

Vom Projektmanager, zum Produktmanager, zum Mitunternehmer!

Auf Agenturseite braucht es dafür starke Persönlichkeiten mit umfangreichen Erfahrungen, strategischem Weitblick und der Fähigkeit Brücken zu bauen zwischen den Zielen der Geschäftsführung, Marketing, Technologie, Entwicklung und Design.

Es braucht Menschen …

  • die die Sprache des Managements sprechen und den Wert menschzentrierter Gestaltung übersetzen können in messbare Erfolgskennzahlen.
  • die Prioritäten aufzeigen, valide Entscheidungsgrundlagen bereitstellen und stets selbst eine Empfehlung abgeben.
  • die aufzeigen, wie Forschung Risiken reduziert, wie systematische Gestaltungsprozesse die Produktivität steigern, wie menschzentrierte Innovation Wettbewerbsvorteile schafft.

Es braucht Menschen …

  • die Unternehmen dabei helfen, wirklich menschzentriert zu arbeiten
    – nicht als Projekt, sondern als Haltung.
  • die das Geschäft ihrer Kunden verstehen und weiterentwickeln können
    – und das braucht Fokus statt Verzettelung!

„Schuster bleib bei deinen Leisten!“

Wenn eine Agentur für jeden arbeitet – für Unternehmen fast jeder Branche, für Konzerne, den (deutschen) Mittelstand, für jede Aufgabenstellung … -, wenn eine Agentur nur „Bauchladen“ ist und bietet, immer „hier“ schreit und stets alles anbietet, was angefragt wird, dann ist all das zuvor beschriebene nicht möglich.

„Agenturen, die keinen Fokus haben, die für alles und jeden anbieten, diese Agenturen wollen Projektgeschäft!“

Agenturen, die fokussiert sind und Anfragen auch einmal begründet ablehnen, machen deutlich, dass sie Kunden suchen mit denen sie partnerschaftlich an deren Produkt- und Unternehmenserfolg arbeiten können.
Agenturen, die diese Einstellung und diesen Anspruch haben fokussieren sich, denn nur so können sie für ihre Kunden unternehmerisch handeln, wahre Expertise bieten, deren Produkte zum Erfolg führen und die Zukunft ihrer Kunden erfolgreich (mit-)gestalten.

Menschzentrierte Gestaltung ist kein Projekt – sie ist ein unternehmerisches Versprechen …

… an Kunden, Mitarbeitende und an sich selbst.

Menschzentrierte Gestaltung erfordert Haltung, Verantwortung und Führung.

Wo auf Agenturseite Persönlichkeiten fehlen, die das (Handwerk-)Zeug und den Willen zum Unternehmertum haben, da entsteht eine Lücke – zwischen Anspruch und Umsetzung, zwischen Strategie und Realität.
Wo auf Agenturseite der Anspruch ist für jeden zu arbeiten, da fehlt die Fähigkeit und der Wille für Kunden wirklich und nachhaltig Unternehmenswerte zu schaffen.

Drum prüfe, bevor du dich an eine Agentur bindest, wer dort wie für wen arbeitet!

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Von der UX Task Force zur Partnerschaft mit dem Management: Kundenbedürfnisse als Entscheidungsgrundlage!

Wie gelingt es, UX als strategischen Erfolgsfaktor in einem Unternehmen zu verankern? In diesem Interview spreche ich genau darüber mit Inga Scharfenberg, der es gelang über eine UX Task Force viel Sichtbarkeit im Top-Management ihres Arbeitgebers zu erlangen. Sie gibt Ihnen tiefe Einblicke in ihre Arbeit als „Anwältin von Kunden und Kundinnen“.

Inga berichtet, wie sie mit einem kombinierten Methodenansatz, Co-Creation und gezielter Aufklärungsarbeit Werbung für UX Design und User Research macht und dem Top-Management immer wieder hilft die richtigen Dinge richtig gut zu gestalten.

Inga Scharfenberg bietet ein Zitat im Foto: „In digital ausgerichteten Unternehmen sollte eine UX Abteilung Pflicht sein. Wenn an den Nutzenden vorbei optimiert wird, bringt es nichts.“ Inga ist bei freenet tätig.Ich durfte Inga kennenlernen, als sie bei der freenet AG damit begann eine UX Task Force aufzubauen – und das mit Herzblut, viel Leidenschaft und klarem Verstand tat. Es war beeindruckend zu sehen, mit welcher Energie, Sorgfalt und Erfolgen Inga „forschungsbasiertes“ UX Design im Unternehmen sichtbar machte und verankerte.

Inga ist eine Macherin – analytisch und empathisch zugleich, mit einem klaren Fokus auf Kundenzentrierung.

Sie vertritt die Perspektive der Nutzenden nicht nur konsequent, sondern auch strategisch klug: In ihrer Rolle als Mitarbeiterin Market Research & Customer Advocacy sorgt sie dafür, dass die Stimmen von Kunden und Kundinnen gehört werden – und zwar dort, wo Entscheidungen getroffen werden.

Im Gespräch gibt Inga Ihnen und mir tiefe Einblicke in ihren Weg, ihre (Erfolgs-)Methoden und ihr Selbstverständnis – und sie zeigt Ihnen damit auf, wie UX zur echten Entscheidungsgrundlage wird, und wie UX Designerinnen und Designer strategische Partner des Top-Managements werden.

Anwältin und Fürsprecherin für Kunden

Ich mag deine Rollen- und Job-Bezeichnung: Anwältin und Fürsprecherin eurer Kunden.
So habe ich eresult auch viele Jahre positioniert. Mit welchen Fällen beschäftigst du dich aktuell?

Inga: Wir verstehen die Rolle vor allem so, dass wir nicht darauf warten, bis Fachbereiche mit einer Fragestellung auf uns zukommen, sondern wir auch mit einem von uns identifizierten Kundenproblem auf die Fachbereiche zugehen und darauf hinweisen.
Wir vertreten die Kundenstimme im Unternehmen, und tragen sie aktiv rein – mit unterschiedlichen Co-Creation-Ansätzen, Fokusgruppen, Speed-Dating-Formaten etc. – immer dort, wo die Fachbereiche in den direkten Austausch mit Nutzenden, Kunden und Kundinnen gehen.

Aktuell beschäftigen wir uns zum Beispiel mit unserem Check Out und damit, wie wir den Ablauf so reibungslos wie möglich gestalten können. Natürlich haben wir auch immer die Unternehmensziele im Blick, denn ohne diese geht es nicht. Wir sorgen dafür, dass die Kunden und Kundinnen durch uns mit am Tisch sitzen und gehört werden.

Ein Schlüssel zum Erfolg: Kombinierter Methodeneinsatz!

Wie gehst du vor, um die Anforderungen eurer Kunden- und Nutzergruppen zuverlässig und valide zu kennen?  

Inga: Wir arbeiten holistisch. Wir betrachten eine Journey nie nur aus einer Perspektive, EINEM unmoderierten Nutzertest oder EINEM Online-Survey. Wir schauen uns verschiedene Daten an: Dazu gehören natürlich klassische UX-Interviews, je nach Fragestellung und Komplexität entweder unmoderiert oder moderiert. Daneben werden meist Experten-Reviews durchgeführt, für die ich eine fachbereichsübergreifende UX Task Force ins Leben gerufen habe. Wir betrachten also die Journey, die Page, den Prozess etc. aus unterschiedlichen Perspektiven und wenden dabei Frameworks, Heuristiken und konsumpsychologische Patterns an.

Natürlich gesellen sich dazu dann noch die Analytics-Daten, die wir auswerten und Onsite-Surveys, in denen wir unsere User direkt am Point of Action fragen können: Wieso brichst du hier ab? Wie gefällt dir die Seite? Welche Informationen fehlen dir? Wir kombinieren also im besten Fall „Qual & Quant“, sowie Beobachtbares und Gesagtes der Nutzenden.

Wie gelingt es dir deinen Kollegen und Kolleginnen immer wieder die Kunden- und Nutzer-Brille aufzusetzen, also sicherzustellen, dass sie Kunden- und Nutzeranforderungen kennen und beachten?

Inga: Indem wir die Kunden und Kundinnen sprechen lassen. Und zwar nicht nur durch uns und unsere Daten in Power Point oder Factsheets, sondern so richtig: Mit Video-Files, mit Voice-Files oder mit direktem Austausch live und in Farbe vor Ort in unseren Räumlichkeiten. Es hilft enorm, wenn die Fachbereiche wirklich sehen und hören, was die Nutzenden sagen und denken.

Von der UX Task Force zur strategischen Partnerschaft mit dem Top-Management!

Nicht jedes Unternehmen investiert in einen forschungsbasierten Gestaltungsprozess. Das ist bei euch dank deines Engagements zum Glück anders. Respekt und Anerkennung dafür. Mit welchen Maßnahmen gelang es dir den positiven Wert von User Research zu verdeutlichen, deine Stelle zu rechtfertigen und dir ein Budget für Studien und Tests zu sichern? 

Inga: Zunächst haben wir seit der Gründung unserer UX Task Force im Unternehmen viel Werbung für uns und UX gemacht.

Wir klären auf:

  • UX – was heißt das eigentlich?
  • Wie geht das und wie machen wir das?

Immer kombiniert mit dem Mehrwert für die Kollegen und Kolleginnen.

Kommt auf uns zu, wir unterstützen euch dabei, kundenzentriert zu denken, zu texten, zu optimieren, zu gestalten.“

Dieses Angebot ist niederschwellig, es braucht keine Tickets oder aufwändige Briefings.

Ein starkes Tool für messbare Erfolge sind unsere A/B Tests, die eine bestehende Kommunikation/Journey/Page gegen eine kundenzentrierte Version davon testen und im besten Fall einen positiven Impact auf vorher festgelegte KPIs zeigen. Wir haben ein Conversion Rate Optimierungs-Team, deren Teammitglieder auf unseren Webseiten klassische A/B-Tests durchführen, wir testen E-Mails gegeneinander und zeigen den Impact dort. Es ist also eine Mischung aus beidem: Harte Kennzahlen und viel Aufklärung, Angebot und niederschwellige Unterstützung.

Denkst du diese Maßnahmen wirken auch in anderen Unternehmen, steigern auch in anderen Unternehmen den Reifegrad in Sachen menschzentrierte Gestaltung? 

Inga: Ich denke ja. Vor allem in stark digital ausgerichteten Unternehmen sollte eine UX Abteilung eigentlich Pflicht sein. Wenn an den Nutzenden vorbei optimiert wird, bringt es nichts. Natürlich hilft es auch, wenn man intrinsisch motivierte Mitarbeitende hat, die das Thema wirklich vorantreiben, aufklären, Prozesse aufsetzen und  für das Thema brennen.

Qualitative und quantitative Methoden im Verbund

Welche Verfahren der qualitativen und quantitativen Forschung gehören in einen gut sortierten User Research Methoden-Baukasten?

Inga: Im qualitativen Bereich: Fokusgruppen, Tiefeninterviews und Co-Creation helfen vor allem in der frühen Phase von Produktentwicklungen: Welche Probleme und Bedürfnisse haben die Nutzenden eigentlich und wie können wir diese lösen? Und sie helfen, wenn man wirklich das Warum verstehen will.
Wenn es an den Flow und die Gestaltung geht, kommen dazu UX Interviews, moderiert und unmoderiert. Da kann und sollte dann alles getestet werden: Kurze Design-Test, ausführliche Prototypen-Tests, Tree Tests für Navigation, Card Sortings, Usability-Tests, … .

Wir nutzen immer auch unsere eigene Expertise der UX Task Force für UX Audits, die wir mit Heuristiken und konsumentenpsychologischen Ansätzen systematisiert durchführen (das ist zwar streng genommen nicht wirklich User Research, aber dennoch ein wichtiges Tool für uns…).

Im quantitativen Bereich: Customer Satisfaction Score-Analysen, um dauerhaft zu prüfen ob unsere Kunden und Kundinnen zufrieden sind. Wenn hier KPIs einbrechen, sollte man hellhörig werden und schauen, woran es liegt. Die Befragungen dazu können gut in der Bestellbestätigung oder auch auf der Website platziert werden.

Außerdem liebe ich Onsite-Surveys, wie z.B. Abbrecher-Befragungen. Hier treffen wir die Menschen genau am point of action und können mit einem guten Survey das Verhalten verstehen. Alle Ansätze sollten im besten Fall gemeinsam und additiv eingesetzt werden, um ein umfassendes Bild zu bekommen.

Behavioral Patterns und Heuristiken als Problemlöser im UX Design

Wie gehst du vor, um Optimierungspotentiale zu erkennen, Lösungen zu erarbeiten und zu testen, ob jene wirksamer sind als der Status Quo? 

Inga: Wir schauen uns bestimmte Journeys oder Bereiche ganzheitlich an – je nach Case finden wir die passenden Methoden aus dem oben genannten Set. Da finden sich dann meist diverse Optimierungspotenziale, die wir je nach Risikolevel mit einem A/B Test testen oder direkt umsetzen. Ob es danach besser ist, zeigt sich entweder in der KPI, die wir für den A/B Test festgelegt haben oder, wenn wir Journeys mit einer Befragung begleiten, in den Befragungsdaten vor und nach der Anpassung.

Die Lösungen erarbeiten wir mit Hilfe von behavioral patterns, wir texten auch in unserer Abteilung – letztes Jahr durfte ich eine Weiterbildung im Bereich UX Copywriting machen – so können wir konkrete Lösungsvorschläge für die Fachabteilung liefern.

Wir identifizieren oft auch „zufällig“ Themen, beim Durchgehen von Journeys, die dann nach Rücksprache mit der Fachabteilung genauer untersucht werden. Ein regelmäßiger Besuch unserer Website steht bei uns natürlich auch auf der Agenda.

KI für UX Research: Fokus auf Qualität und Geschwindigkeit!

Lass uns zum Ende über Möglichkeiten und Potentiale von generativer KI sprechen: Wo investierst du, wo investiert ihr Zeit und Geld, um Erfahrungen mit KI im User Research zu sammeln? 

Inga: KI unterstützt uns im Research-Bereich hauptsächlich in der Auswertung. Zusammenfassen von Transkripten, Auswertung von offenen Nennungen – solche Dinge. Generative KI kann aber natürlich auch bei der Erstellung von Testkonzepten, bei der Formulierung von Fragebögen oder bei Erstellung von Textvorschlägen für Copy Tests hilfreich sein. Hier aber eher als Ideengeber oder Sparringspartner – die letztendliche Fassung kommt immer noch direkt von uns.

Ich habe dich als Macherin kennen und schätzen gelernt. Du bist neugierig, offen für Neues und stets „unternehmenslustig“. Wenn du die finanzielle Freiheit bekommst („Geld spielt keine Rolle!“) ein Unternehmen im UX Markt aufzubauen, würdest du diese Gelegenheit nutzen? Und falls ja: Welche Produkte und/oder Services wird dein Unternehmen bieten? 

Inga: Aktuell habe ich großen Spaß daran, das Thema bei uns auf- und weiter auszubauen. Wenn ich mal selbstständig wäre in der Branche, dann denke ich mit genau diesem Scope: Bestehenden Unternehmen dabei helfen, UX groß zu schreiben und Abteilungen und Teams enablen. Die einzelnen Disziplinien UX Writing, Design und Research sind auch sehr sehr spannend, aber den Mind-Set Change in Unternehmen mitzugestalten, würde mir denke ich am meisten Freude machen.

Vielen Dank liebe Inga für diese tiefen und spannenden Einblicke in deine Arbeit, Denkweise und deine Haltung.
Du leistest einen wertvollen Beitrag für unsere Profession und trägst dazu bei, dass wir UX Professionals (w/m/d) von operativ Handelnden zu strategischen Partnern werden und so auch wahrgenommen werden. Das ist klasse und sehr lohnend.

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Strategisch, wirksam, verantwortungsvoll: UX im KI Zeitalter

Ich freue mich sehr, dass ich mit Christian Bopp über „KI für UX“ und „UX für KI“ sprechen konnte.
Christian und ich hatten bisher nur wenige Gelegenheiten zum Austausch und Gespräch – und das, obwohl wir schon viele Jahre in ähnlichen Feldern und Rollen tätig waren und sind.

Wann immer wir uns trafen und sprachen, nahm ich sehr viel mit. Ich schätze Christian als Mensch:
Er zeichnet sich durch seine ruhige, reflektierte Art aus, gepaart mit echter, wissenschaftlicher Neugier und dem Wunsch, Komplexität verständlich und wirksam zu machen.

Christian verbindet analytische Schärfe mit strategischem Weitblick – eine Kompetenz, die nur wenige Menschen in sich vereinen.

Christian Bopp im Portrait

Christian Bopp

Christian war Gründer und langjähriger Geschäftsführer von Facit Digital und berät heute über seine Firma UXima Unternehmen – von Start‑Ups bis zu international tätigen Konzernen – in nutzerzentrierten Forschungsprojekten.

Ein besonderer Fokus seiner Arbeit liegt auf der Integration von KI und KI-Tools in menschzentrierten Gestaltungs- und Innovationsprojekten.

Darüber sprechen wir in unseren Interview:
Seien Sie gespannt auf tiefe Einblicke, neue Sichtweisen und handfeste Empfehlungen, wie wir uns als User Researcher (w/m/d) und UX Professional (w/m/d) verändern müssen, um dank KI noch wertvoller und wirksamer zu werden, um wahrgenommen zu werden als strategische Partner für Unternehmer, Unternehmerinnen und Kunden.

Los geht’s …

„KI für UX“ oder „UX für KI“: Wo sammelst du gerade besonders viele Erfahrungen, wo bist du besonders aktiv?

Christian: Tatsächlich spielen beide Richtungen aktuell eine große Rolle für mich, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. „KI für UX“ ist momentan mein Hauptfokus: Ich nutze KI-Tools zum Beispiel bei der Analyse qualitativer Daten, zur Ideenentwicklung oder um Prozesse im Research effizienter zu gestalten. Da passiert gerade unglaublich viel.

Gleichzeitig wird aber auch „UX für KI“ immer wichtiger, denn letztlich entscheidet die Nutzererfahrung darüber, ob ein KI-Tool überhaupt zum Einsatz kommt. Eine gute KI ohne gute UX wird kaum genutzt werden. Gerade wenn Systeme wie LLMs stark im Hintergrund agieren, ist es wichtig, Vertrauen zu schaffen, Kontrollmöglichkeiten anzubieten und transparent zu machen, wie Ergebnisse zustande kommen.

Nutzbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit von KI-Tools

Lass uns tiefer einsteigen in das Thema UX für KI. KI-Tools gibt es immer mehr. Wie zufrieden bist du im Allgemeinen mit deren Nutzbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit – haben die Gestalterinnen und Gestalter die Grundsätze einer dialogorientierten Gestaltung beachtet und weitestgehend eingehalten?

Christian: Technisch sind viele dieser Tools echt beeindruckend. Der Einstieg gelingt meist schnell, und das Interface wirkt oft aufgeräumt und modern. Aber sobald man über das Oberflächliche hinausgeht, zeigt sich: UX-seitig ist da noch Luft nach oben. Viele der etablierten Gestaltungsprinzipien, wie Sichtbarkeit des Systemstatus, Feedback, Nutzerkontrolle oder Anpassbarkeit, werden oft nicht konsequent umgesetzt oder geraten im Eifer des technologischen Fortschritts in den Hintergrund.

Gerade bei KI-Tools ist das fatal. Denn Nutzer interagieren hier oft mit komplexen, schwer durchschaubaren Systemen, deren Entscheidungen erklärungsbedürftig sind. Wenn dann auch noch die Bedienung sperrig ist oder keine Transparenz darüber herrscht, was im Hintergrund passiert, sinkt das Vertrauen. Gute UX bedeutet hier nicht nur einfache Bedienung, sondern vor allem: Orientierung, Verständlichkeit und die Möglichkeit, mit der KI auf Augenhöhe zu interagieren.

Besonders spannend finde ich die dialogbasierten Systeme wie ChatGPT. Hier passiert alles über Sprache – das Interface ist fast unsichtbar. Nutzer interagieren rein textbasiert, ohne klassische Buttons oder Menüs. Das bringt neue Herausforderungen mit sich, denn der „Weg zur Funktion“ ist nicht mehr klickbasiert, sondern sprachlich. Deshalb ist es besonders wichtig, Nutzer dabei zu unterstützen, gute Prompts zu formulieren – also Anfragen, mit denen sie wirklich sinnvolle und präzise Antworten bekommen. Hier sehe ich eine neue UX-Aufgabe: Wir müssen Menschen befähigen, in dieser sprachbasierten Welt sicher zu agieren und zu verstehen, wie sie mit Sprache zu besseren Ergebnissen kommen.

„Sprache wird zum Interface und das verändert die Spielregeln.“

Welches Tool hat dich persönlich am meisten beeindruckt?

Christian: Das ist gar nicht so leicht zu sagen – es gibt viele spannende Ansätze. Was mich besonders überzeugt, sind Tools, die nicht nur technisch gut funktionieren, sondern gleichzeitig mitdenken, wie Menschen arbeiten. Wenn z. B. eine KI nicht nur Inhalte analysiert, sondern mir bei der Ableitung hilft – also wirklich in den Denkprozess einsteigt – dann wird’s für mich richtig nützlich.

User Research und UX Testing bei KI-Anwendungen

Wurdest du schon einmal angefragt für einen UX Review oder Nutzertest eines KI-Tools?

Christian: Noch nicht, aber das würde mich sehr reizen. Gerade bei KI-Tools ist gute UX kein Nice-to-have, sondern ein echter Erfolgsfaktor. Der Markt ist voll, und nur wenige Produkte werden sich durchsetzen. Wer da punkten will, braucht nicht nur starke Features, sondern muss auch die Bedürfnisse seiner Nutzer wirklich verstehen. Ich glaube, UX Research kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie testet man eigentlich UX bei KI-Agenten – also Systemen, die stellvertretend für Menschen handeln?

Christian: KI-Agenten, die im Auftrag des Menschen handeln, stellen UX-Forschung vor neue Herausforderungen, weil sie nicht mehr nur Werkzeuge sind, sondern zunehmend Entscheidungen treffen, Prozesse übernehmen oder eigenständig interagieren. Deshalb ist es besonders wichtig, Vertrauen und Kontrollierbarkeit zu betrachten.

Ein bewährter Einstieg sind qualitative Anforderungsanalysen:

  • Was erwarten die Nutzer?
  • Wo sind sie bereit, Verantwortung abzugeben und wo nicht?

Das hilft, Rollenbilder für den Agenten zu entwickeln. UX-Tests sollten sich dann nicht nur auf das Interface konzentrieren, sondern auch auf die Wirkung des Systemverhaltens – etwa:

  • Wie nachvollziehbar ist die Entscheidung der KI?
  • Wirkt sie kompetent, unterstützend oder eher unheimlich?

Ein guter methodischer Zugang ist die Kombination aus Verhaltensbeobachtung (z. B. via Screen Recording), Denkprotokollen und anschließenden Interviews: Nutzer beobachten, wie der Agent Aufgaben übernimmt und reflektieren anschließend ihre Eindrücke.

  • Wo entsteht Vertrauen?
  • Wo gab es Zweifel oder Kontrollverlust?

„Mixed-Methods-Ansätze sind sehr wertvoll, um die komplexe Mensch-KI-Interaktion besser zu verstehen und iterativ zu verbessern.“

Wie KI UX- und User Research verändert!

Kommen wir zum Thema KI für UX, und starten mit dem Thema Effizienz. Gefühlt jeder UX Professional arbeitet daran mit Hilfe von KI-Tools beim Einsatz vertrauter UX-Methoden und Erhebungsverfahren Kosten zu sparen, ohne die Qualität zu reduzieren. 

Wo siehst du die größten Hebel für (noch) mehr Effizienz im User Research?

Christian: Ganz klar in der Moderation und Analyse. KI kann hier wahnsinnig viel Zeit sparen – vor allem, wenn viele qualitative Interviews zu codieren, zu clustern oder zu interpretieren sind. Gerade bei größeren, internationalen Studien mit mehreren Sprachen, hohen Fallzahlen oder umfangreichem Material (z. B. aus Tagebuchstudien oder ethnografischen Beobachtungen) entfaltet KI ihr Potenzial besonders stark. Ich würde sagen:

Je nach Projekt lassen sich 50 bis 80 % des zeitlichen Aufwands einsparen, insbesondere in der Phase zwischen Datensammlung und Berichterstattung.

Diese gewonnene Zeit ist aber kein Selbstzweck. Sie lässt sich nutzen, um dort mehr Tiefe zu schaffen, wo es wirklich drauf ankommt: in der Interpretation, bei der Ableitung von Handlungsempfehlungen, in der Diskussion mit Stakeholdern. Man kann zusätzliche Perspektiven einbeziehen, Hypothesen nachschärfen oder Ergebnisse stärker mit Businesszielen verknüpfen.

Denn klar ist auch:

„Die entscheidenden Erkenntnisse entstehen immer noch im Kopf – durch menschliche Erfahrung, kontextuelles Verständnis und die Fähigkeit, Bedeutung herzustellen.“

Genau hier bleibt unsere Rolle als UX Researcher unverzichtbar.

Ich frage mich: Sind wir gut beraten unsere Methoden und Erhebungsverfahren dank KI immer günstiger anzubieten? Sollten wir nicht daran arbeiten mit Hilfe von KI und KI-Tools unsere Dienstleistungen teurer anzubieten, „Mehrwerte“ zu liefern? Wie stehst du dazu?

Christian: Das ist eine spannende und sehr aktuelle Frage. Aus meiner Sicht sollten wir den Fokus klar auf Wertschöpfung statt auf Preisreduktion legen. Klar, KI-gestützte Tools machen vieles schneller und günstiger. Aber das allein sollte nicht unser Antrieb sein.

Wir sehen, dass viele Unternehmen bereits beginnen, viele Research-Aufgaben selbst durchzuführen – unterstützt durch KI-Tools mit niedrigen Zugangshürden. Das heißt, unser klassisches Angebotsfeld als Research-Dienstleister oder UX-Berater verändert sich. Standarderhebungen oder einfache Interviews könnten künftig direkt im Produktteam durchgeführt werden – ganz ohne uns.

Gerade deshalb wird es für uns umso wichtiger, uns als strategische Partner zu positionieren. Wir müssen zeigen, dass wir die Tools verstehen – nicht nur in der Anwendung, sondern auch in ihrer Wirkung. Wir wissen, welche Methoden in welchem Kontext Sinn machen. Und wir können Unternehmen dabei unterstützen, die Fülle an verfügbaren Informationen einzuordnen und in Handlung zu übersetzen.

Das bedeutet: Wer Mehrwert liefern will, sollte nicht nur an Geschwindigkeit arbeiten, sondern an Integrationsfähigkeit, kritischer Reflexion und methodischer Tiefe. Dann wird aus KI-Unterstützung echte Business-Relevanz.
Und die darf – ja muss – auch ihren Preis haben.

KI-Persona als Werkzeug: Wie sie UX-Professionals unterstützen können!

Beim Thema KI für UX kommen mir synthetische Nutzende, auch als KI-Persona bezeichnet, in den Sinn. Wo siehst du sinnvolle Einsatzmöglichkeiten?

Christian: Spannendes Feld! Ich sehe sie nicht als Ersatz für echte Nutzern, aber als hilfreiches Werkzeug. Im qualitativen Bereich können sie super sein für Pretests, Hypothesenbildung oder um ein Gefühl für Nutzersichtweisen zu bekommen. Im quantitativen Bereich sind sie eher Ergänzung – für die Datenerhebung selbst braucht es nach wie vor reale Menschen.

Ein wichtiger Punkt: KI-Personas sind oft „Mainstream“ – also eher durchschnittlich unterwegs. Für echte Innovationen oder extreme Perspektiven reichen sie nicht aus. Aber als Einstieg oder Sparringspartner funktionieren sie sehr gut.

Wie gehe ich am besten vor, um erste Erfahrungen mit KI-Persona zu sammeln? Welche Ansätze gibt es, wo liegen deren Einsatzmöglichkeiten und Grenzen?

Christian: Der einfachste Weg ist selbst ausprobieren! Ein Large Language Model wie ChatGPT reicht für den Einstieg vollkommen aus. Eine grobe Persona lässt sich erzeugen, indem bestimmte Eigenschaften, Rollen oder Einstellungen vorgegeben werden – zum Beispiel: „Stell dir vor, du bist eine 35-jährige IT-Projektmanagerin aus Berlin, die großen Wert auf Datenschutz legt…“. Daraus entstehen oft schon überraschend glaubwürdige Nutzerbilder, mit denen man weiterarbeiten kann.

Wer es etwas systematischer angehen will, kann spezialisierte Tools wie syntheticusers oder Vurvey nutzen. Diese Plattformen bieten strukturierte Prozesse, um realitätsnahe synthetische Personas zu generieren. Die Qualität steigt deutlich, wenn vorhandenes Wissen über Kundensegmente, Märkte oder bestehende Personas anreichert werden.

Grenzen zeigen sich dort, wo es um emotionale Tiefe oder innovative Perspektiven geht – hier bleibt der Mensch unersetzlich.

Welche weiteren Ansätze und Tools sollten UX Professionals unbedingt in den Blick nehmen, womit sollten wir uns beschäftigen, praktische Erfahrungen sammeln und Kompetenzen aufbauen?

Christian: KI kann grundsätzlich in jeder Phase des UX-Research-Prozesses eingesetzt werden – von der Planung über die Durchführung bis hin zur Auswertung und Ergebnisdarstellung. Entscheidend ist, dass wir als UX Professionals verstehen, welche Tools wofür geeignet sind, wo ihre Stärken liegen und wo ihre Grenzen beginnen.

Es geht nicht nur darum, Tools zu kennen, sondern sie auch selbst auszuprobieren, in bestehende Arbeitsprozesse zu integrieren und ihre Ergebnisse kritisch zu reflektieren. Praktische Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen – gerade, weil sich der Markt extrem dynamisch entwickelt.

Gleichzeitig brauchen wir ein Bewusstsein für die ethische Dimension:

  • Was bedeutet es, wenn KI Inhalte synthetisiert, Nutzer simuliert oder Meinungen klassifiziert?
  • Wie transparent sind diese Prozesse, und wie können wir Verzerrungen erkennen und korrigieren?

Kompetenz heißt hier auch Verantwortung übernehmen – methodisch, inhaltlich und gesellschaftlich. Wer sich auf diesen Wandel aktiv einlässt, wird nicht nur effizienter arbeiten, sondern seine Rolle im Unternehmen oder im Projektteam strategisch ausbauen können.

Von Online-Umfragen zu KI-gestütztem User Research:
Ein Blick zurück und nach vorn!

Lass uns zum Schluss 30 Jahre zurück und zugleich nach vorne blicken. 1994, 1995 wurden die ersten Umfragen über das World Wide Web und über E-Mail-Listen durchgeführt. Über deren Datenqualität wurde viele Jahre diskutiert – sachlich, emotional, mal auf Basis von Forschung, oft auf Basis von Interessen, die es galt zu vertreten und zu verteidigen.  30 Jahre später dominieren Online-Umfragen in vielen Forschungsfeldern. Zurückgedrängt wurden Telefonumfragen und Face-to-Face Befragungen. Was können wir aus dieser Geschichte mit Blick auf KI für UX ableiten?

Christian: Ein schöner Vergleich! Als Online-Umfragen Mitte der 90er-Jahre aufkamen – ich erinnere mich gut an die ersten E-Mail-Befragungen war das ein echter Durchbruch. Studien ließen sich plötzlich schnell, kostengünstig und in großem Stil durchführen. Das war ein Boost für die Branche, aber auch für viele, die sich vorher keinen Zugang zu Marktforschung leisten konnten.

Mit dieser Demokratisierung kamen aber auch neue Herausforderungen. Es wurde viel und teilweise unreflektiert befragt – die Zahl der Umfragen explodierte nachfolgend regelrecht. Dann beobachtete man Phänomene wie Befragungsmüdigkeit, sinkende Rücklaufquoten, aber auch Qualitätsprobleme.

Das eigentliche Problem entstand damit, dass viele der neuen Anwender nicht über das nötige forschungspraktische und methodische Hintergrundwissen verfügten. Oft fehlte die Kenntnis, wie valide Fragen gestellt werden, welche Bedeutung die Definition von Zielgruppen und ein sauberes Sampling haben oder wie sich Ergebnisse korrekt interpretieren lassen. Es fehlte manchmal an einer reflektierten Herangehensweise – sowohl bei der Konzeption als auch bei der Interpretation von Studien. Das führte dazu, dass viele Ergebnisse nicht belastbar oder gar irreführend waren.

Ich sehe bei KI-gestützter Forschung ganz ähnliche Entwicklungen. Die Einstiegshürden sinken, viele neue Akteure nutzen Tools, ohne methodische oder ethische Grundlagen. Das kann dazu führen, dass scheinbare „Insights“ entstehen, die verzerrt oder überinterpretiert werden. Unsere Profession ist hier gefordert: Wir sollten aktiv daran mitwirken, Qualitätsstandards zu setzen, Orientierung zu bieten – und die Tools nicht nur technisch, sondern auch verantwortungsvoll nutzbar zu machen.

Vergangenheit verstehen, Zukunft gestalten!

KI im User Research und UX Testing:
Welche Fehler sollten wir meiden, heute, und wo werden wir in 10 oder gar 20 Jahren stehen?

Christian: Ein häufiger Fehler ist, dass KI-Ergebnisse zu schnell als objektiv oder „richtig“ angenommen werden, ohne sie methodisch oder inhaltlich zu hinterfragen. Natürlich kann KI dabei helfen, Muster zu erkennen, Daten zu strukturieren oder sogar Zusammenfassungen zu erstellen. Aber: Ohne kontextuelles Verständnis und ohne kritische Reflexion laufen wir Gefahr, voreilige Schlüsse zu ziehen. Besonders kritisch wird es, wenn die Anwender der Tools kein fundiertes Research-Verständnis mitbringen. Dann entstehen schnell Ergebnisse, die überzeugend aussehen, aber inhaltlich unzulänglich oder verzerrt sind. Genau hier liegt unsere Verantwortung als Research-Professionals:

„Wir müssen KI-Ergebnisse einordnen, mit Hintergrundwissen anreichern und für valide Ableitungen sorgen.“

Denn schneller ist nicht gleich besser – und nur was auch in der Tiefe verstanden wird, kann echten Mehrwert liefern.

Was die Zukunft bringt? Schwer zu sagen, aber ich denke, KI wird zum natürlichen Teil unseres Workflows. Wir werden zu „Prompt-Architekten“, die ihre Denkweise in Maschinen übersetzen. Gleichzeitig dürften wir schon bald erleben, wie KI-Agenten weitgehend autonom Usability-Tests durchführen, synthetische Nutzertypen generieren oder Designentscheidungen simulativ vorantreiben. Das eröffnet neue Spielräume, birgt aber auch Risiken – zum Beispiel die Gefahr, sich zu sehr auf Modelle zu verlassen, die reale Diversität nicht abbilden.

Damit verschwimmen die Grenzen zwischen Forschung und Entwicklung – und genau deshalb wird die ethische Dimension noch wichtiger:

  • Was dürfen wir automatisieren?
  • Wo müssen wir den Menschen einbeziehen?
  • Und wie gestalten wir das verantwortungsvoll?

Vielen Dank, lieber Christian, für das Teilen deiner Erfahrungen, deine Gedanken, die aufgeworfenen Fragen, die wertvolle Orientierung, die du uns geboten hast, und das Aufzeigen von Chancen und Potentialen von KI im UX und User Research. Ich bin sicher, dass unsere Profession dank KI noch wirksamer wird und es uns gelingen wird als strategische Partner wahrgenommen zu werden: In den Unternehmen und als externe Dienstleister.
Darauf freue ich mich sehr, darauf dürfen wir beide uns freuen.

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Partystimmung, echte Probleme, schnelle Tests, wenig Aufwand, große Wirkung: Welchen Impact hat ein Usability Testessen?

Jedes Usability Testessen ist Werbung für uns: Für Menschen, die in der Marktforschung arbeiten, die tätig sind als User Researcherinnen und User Researcher.
Jedes Usability Testessen ist Werbung für unsere Branche.
Jedes Usability Testessen steigert die Wertschätzung für professionelle Tests mit „richtigen“ Menschen, steigert den wahrgenommenen Wert von Forschung und die Wertschätzung für Menschen, die in der Forschung arbeiten und jene, die an Studien teilnehmen.

Ganz schön viel – ja, das finde ich auch. Und, jetzt wird‘s verrückt:
All das gibt‘s bei einem Usability Testessen kostenlos!

Spätestens jetzt werden Sie vielleicht skeptisch? Oder sind anderer Meinung?
Oder einfach nur neugierig, wollen mehr Informationen?

Lassen Sie uns die letzte Frage zuerst angehen:

Was ist ein Usability Testessen?

Bei einem Usability Testessen lassen Gestalter und Gestalterinnen ihre Produkte von anderen, „echten“ Menschen testen. Sie selbst führen in 12 Minuten-Sessions qualitative, moderierte Tests ihrer Produkte durch – das können Websites, Apps, Prototypen, Werbemittel oder Geräte sein. Sie beobachten, fragen nach, lauschen ausgesprochenen Gedanken, Empfindungen und Wertungen der Tester und Testerinnen während jene ihre Produkte nutzen.

Ein ehrenamtlich tätiges Organisationsteam bucht einen passenden Veranstaltungsraum, bewirbt das Usability Testessen – um genügend Teststationen, Tester und Testerinnen zu bekommen –, versorgt die Teilnehmenden und Teilgebenden mit Pizza und Getränken, führt durch den Abend und wirbt Sponsoren, die die Kosten für Räumlichkeiten und Verpflegung übernehmen.

Jedes Testessen startet mit einem gemeinsamen Abendessen, mit „Klönschnack“ und Kennenlernen bei Pizza, Bier und Limo.

Usability-Testessen: Mehr Show und Partystimmung als Substanz?

Sie sind im Bilde, haben eine Vorstellung davon, was ein Usability-Testessen ist? Wunderbar.
Sie sind nun aber mal so richtig entsetzt:
Wie kann man so testen?

Ich kann Ihre Bedenken teilen …

  • „rosarote Brille“ bei den Testerinnen und Testern (Stichwort: Partystimmung)
  • nur einige, im schlimmsten Fall keine der Tester und Testerinnen repräsentieren Menschen aus den Zielgruppen der Testgegenstände
  • fehlende Objektivität bei den Gestalterinnen und Gestaltern, die die Tests für ihre eigenen Produkte selbst moderieren
  • fehlende oder geringe Erfahrung mit der Durchführung von Interviews, dem Ableiten von Erkenntnissen aus Beobachtungen und Denkprotokollen

Auf den Punkt: „Mehr Show und Partystimmung als Substanz!“

Welchen Impact hat ein Usability Testessen wirklich?

Nun, ja, dieses Bedenken gibt es, sie haben durchaus ihre Berechtigung, die aufgeführten Kritikpunkte stellen Herausforderungen und (Einsatz-)Grenzen von Produkttests bei einem Usability Testessen dar, Und dennoch:
Jedes Usability Testessen hat positive Effekte, ist wertvoll, so dass Teilgebende und Teilnehmende gerne und oft dabei sind.

Ich war das letzte Mal im Juli 2025 als Tester beim Usability-Testessen in Hamburg. Davor im Oktober 2018 in Erfurt und im Mai 2019 beim Usability-Testessen in Kiel. Ich mag Usability Testessen, ich mag dieses etablierte Veranstaltungsformat, weil es für uns, für Marketer, Marktforscher und -forscherinnen, UX Professional, Felddienstleister und die Marktforschungsbranche als Ganzes erfolgreich wirbt.

Jedes Usability-Testessen …

  • … führt Unternehmen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter niederschwellig heran an Forschung, an (Produkt-)Tests mit „richtigen“ Menschen, und bietet den testenden Gestaltern und Gestalterinnen wertvolle Hinweise und Impulse für Produktverbesserungen.
  • … trägt dazu bei, dass Gestalter und Gestalterinnen erkennen, wie wichtig es ist Tests mit richtigen und die Zielgruppen repräsentierenden Menschen durchzuführen.
  • … steigert die Wertschätzung für Dienstleister: für Dienstleister, die in der Lage sind, die richtigen Menschen für Studien und Tests zu rekrutieren, für Dienstleister, die in der Lage sind, die richtigen Fragestellungen, mit den richtigen Verfahren richtig zu beantworten.
  • … steigert Respekt und Wertschätzung für Menschen, die an Studien und Tests teilnehmen.
  • … vernetzt Gleichgesinnte, bietet Räume und Gelegenheiten, um im Gespräch neue Perspektiven und Sichtweisen auf die vielfältigen Herausforderungen als UX Professional einzunehmen.

Finden Sie nicht auch: Das ist eine Menge!
Finden Sie nicht auch, diese positiven Wirkungen, dieser Impact eines Usability Testessen auf unsere Branche sind wertvoll!

Ich hoffe ich konnte diesen Eindruck bei Ihnen erwecken – und Sie motivieren bei einem Usability Testessen teilgebend oder teilnehmend dabei zu sein.
Ich würde mich darüber sehr freuen.

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Wir haben ein Recht mit Menschen zusammenzuarbeiten für die wir Produkte gestalten!

Schon mal gehört? Ist angelegt an das Statement von Raul Krauthausen zum Thema Inklusion:

Auch nicht-behinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben!“.

Gelebte Inklusion, ohne jegliche Barrieren, auch jene im Kopf, ist eine Bereicherung für alle. Das gilt natürlich auch beim Gestalten digitaler Produkte & Services.

In dem Zuge möchte ich ein weiteres Zitat anführen:

„Barrierefreiheit ist für 10 % der Menschen unerlässlich, für 30 % notwendig und für 100 % nützlich (Anne-Marie Nebe).“

Nun werdet ihr, liebe Leser:innen, vielleicht denken:

  • Alter Hut!
  • Haben wir verstanden!
  • Digitale Barrierefreiheit ist Pflicht, es gibt formale Vorgaben, die halten wir ein.
  • Und zu unseren Nutzertests laden wir nun auch Menschen ein, die blind oder stark sehbehindert sind.

Reicht das aus?
Nein!

Mal abgesehen davon, dass die meisten Teststudios in zentralen Lagen unserer Großstädte im ersten Jahr der Wirksamkeit des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes alles andere als barrierefrei zugänglich sind (z.B. fehlende Ansage der Stockwerknummern in Fahrstühlen, keine taktil beschriftete Tasten in den Fahrstühlen), reicht es nicht aus Menschen mit Behinderungen in ein Teststudio einzuladen, sie dort zu beobachten und zu befragen.

Das ist klasse, keine Frage. Das ist super wertvoll, auch keine Frage.
Das darf im Sinne eines „Design for All“ aber nur ein Beginn sein!

Hast du schon einmal eine EMPATHY-Workation gemacht?

Wie wäre es, wenn du deine kommende Workation erweiterst. Nicht in Richtung Bildungsurlaub. Eher in Richtung (dazu-)lernen und Empathie steigern.

Empathie = Schlüsselfähigkeit für UX Designer:in!

Viele wissen über den Wert von Empathie. Insbesondere wenn wir den Anspruch haben für alle Menschen zu gestalten. Wir wissen: Empathie hat man oder halt nicht. Oder doch nicht? Natürlich kann man Empathie, Einfühlungsvermögen entwickeln. Und grad als UX Designer:in sollte man das tun. Eine „Empathy-Workation“ ist dabei äußerst hilfreich.

„DESIGN FOR ALL“ braucht Empathie für alle!

Es ist bereichernd, wenn es gelingt Empathie für Menschen mit Behinderungen zu haben. Oft fehlt uns jedoch der intensive Kontakt und tiefe Austausch mit Menschen mit Behinderungen, fehlen uns Gelegenheiten mit ihnen zu sprechen, sich intensiv auszutauschen, andere Perspektiven und Sichtweisen einzunehmen.

Wie kann eine Empathy-Workation dabei helfen?

Nehmen wir mal an, du willst verstehen und lernen, wie Menschen mit Behinderung leben, lernen und arbeiten, wie sie digitale Services nutzen, was ihnen dabei wichtig ist und welche Hürden es gibt. Du willst verstehen und lernen, wie du digitale Produkte und Services barrierefrei gestalten kannst, möchtest Ideen und Impulse erhalten.

Was liegt da näher als an Orten zu arbeiten, an denen du Menschen mit Behinderungen jeden Tag treffen kannst. Wo du mit ihnen zusammen arbeiten kannst, wo du mit ihnen Plätze zum Arbeiten, Kreativ-sein und zum Lernen teilen kannst.

Jene Orte gibt es: Sie bezeichnen sich als inklusive Coworking-Spaces.
Wie beispielsweise das TUECHTIG – Raum für Inklusion in Berlin oder das weserwork im wundervollen Bremen.

Zusammenkommen ist ein guter Beginn, zusammenarbeiten ist ein Fortschritt, zusammenleben ist ein Erfolg!

Wie wäre es, wenn du im TUECHTIG oder weserwork immer mal wieder arbeitest, jene Cowoking-Spaces als 3. Arbeitsort neben deinem zu Hause und Büro nutzt?

  • Dort kannst du mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, lernen, leben.
  • Dort kommst du leicht ins Gespräch mit Menschen mit Behinderungen und lernst dazu, entwickelst Empathie und Freude am Gestalten mit und für Menschen mit Behinderungen.
  • Dort fällt es dir leicht zusammen mit Menschen mit Behinderungen abseits der Arbeit und Arbeitszeit Zeit zu verbringen, gemeinsam Spaß zu haben und sich (leider auch) gemeinsam über Barrieren im Alltag zu ärgern.

Klingt gut? Tue es, probiere es aus, mach’s möglich!

Von „Wir laden ab nun blinde Menschen zu unseren Nutzertests ein!“ hin zu einer Empathy-Workation ist es nur ein kleiner Schritt. Den zu gehen, das sollte einfach gelingen, wenn du bereits Nutzertest mit Menschen mit Behinderungen durchführen kannst.

Noch ist das aber, auch im Jahr 2025, die Ausnahme, nicht die Regel!

Was kannst du, liebe-/r UX Designer:in tun, die/der du dein Recht mit Menschen mit Behinderungen zusammenzuarbeiten nicht durchsetzen kannst? Nicht durchsetzen kannst, weil dein Unternehmen nur tut was Pflicht ist, nicht mehr.

Wie wäre es, wenn du dich vereinst mit anderen, anderen denen es ähnlich geht, und ihr euch die Kosten für die Nutzertests teilt? Wenn ihr „gemeinsam“ forscht?

Der A11y-Omnibus = Für mehr Empathie gemeinschaftlich forschen!

Ganz sicher liegt ein Grund keine Nutzertests mit Menschen mit Behinderungen anzusetzen in den höheren Kosten und dem höheren Koordinationsaufwand im Projektmanagement.

Viele dieser Kosten sind Fixkosten und können daher in einem gemeinschaftlichen (Forschungs-)Projekt, können durch den Zusammenschluss mehrere Unternehmen deutlich reduziert werden.

Die Idee hinter dem A11y-Bus: In einer Testsession werden mehrere digitale Services aus verschiedenen Unternehmen „unter die Lupe“ genommen (=Omnibus-Ansatz). Auf diese Weise werden die Fixkosten untereinander aufgeteilt.

Alle Unternehmen die teilnehmen bekommen Antworten auf Fragen wie …

  • Werden relevante, zielführende Informationen zügig gefunden?
  • Ist die Gestaltung der Menüs, die Kategorisierung der Inhalte nachvollziehbar und nutzerfreundlich bedienbar?
  • Sind Texte, Fotos, Abbildungen und Grafiken verständlich und übersichtlich aufbereitet?
  • Gibt es Barrieren, die derart groß sind, dass die Nutzenden nicht ohne Hilfe weiterkommen?
  • Bereitet es den teilnehmenden Menschen mit Behinderungen Freude das digitale Produkt, den digitalen Service zu nutzen?

Viel Wert, Antworten auf diese Fragen – und mit einem Omnibus-Ansatz für relativ geringere Kosten zu haben. Also: Einsteigen bitte, verbündet euch!

Einfach mal machen, es könnte ja richtig gut werden!

Wisst ihr noch, wie das mit dem „Usability-Testessen“ begann?
Es gab eine kleine, aktive „Starter-Community“, die sowohl eine Herausforderung als auch einen Bedarf erkannte.

Von Darmstadt aus, von der Agentur „quäntchen + glück“ initiiert und gestartet, verbreitete sich das Testessen schnell in andere Städte. Der Ansatz wurde von der UX-Community und vielen Unternehmen begeistert aufgenommen.

Heute ist es wieder, heute ist es immer noch ein etabliertes Format, das in vielen deutschen Städten stattfindet. Kollegial gestaltet, partnerschaftlich ausgerichtet und als gemeinschaftliche Projekt gepflegt.

Kann man nicht 1zu1 übertragen, ist aber eine schöne Geschichte, um mir und euch Mut zu machen die Idee eines A11y-Omnibus umzusetzen. Kollegial und partnerschaftlich.

Ich bin dabei. Ich freue mich über jede, über jeden, die/der einfach mal loslegen mag, die/der mit mir beginnt eine „Starter-Community“ zu formen, erste Angebote zu unterbreiten, umzusetzen, Bedarfe zu analysieren, das Konzept weiterzuentwickeln und zu etablieren.

Sprecht mich einfach an, wenn ihr mitmachen wollt.

 

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User Researcher:innen haben das Zeug zum Unternehmer!

Unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch denken und handeln:
Wer von Ihnen  ist Gestalter:in, Unternehmer, Unternehmerin, denkt strategisch, hat Visionen und formuliert sie? Wer von Ihnen arbeitet und handelt unternehmerisch und strategisch?

Es kommt drauf an! Worauf genau?
Vielleicht auf Ihre Rolle und Stellung im Unternehmen?
Das sollten Sie nicht zulassen.

Lassen Sie sich nicht in eine Ecke stellen, in die Sie nicht hingehören oder hingehören wollen. Bleiben Sie vielfältig und breit aufgestellt. Das gilt insbesondere für all jene, die die Rolle einer User Researchin, eines User Researchers inne haben.

Darf ich vermuten, dass viele von uns ….

  • UX Manager:innen, Journey Manager:innen“ UX Designer:innen, UX Architekt:innen, UX Engineers (w/m/d), UX Consutants (w/m/d), Produktinhaber:innen (POs) die Eigenschaften unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch zuschreiben,
  • User Researcher:innen aber in der Regel nicht?

Wir alle haben das Zeug zum Unternehmer, zur Unternehmerin!

Wir sollten User Researcher:innen nicht pauschal als operativ handelnde Rolleninhaber:innen abgrenzen oder gar abstempeln.  Ich kenne keinen Grund, warum das so sein sollte: Warum User Researcher:innen nicht unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch denken oder handeln sollten. Kennen Sie einen Grund?

Die richtigen Fragen stellen, die relevanten und dringlichen Themen im User Research angehen, Innovationen anstoßen, aus Daten zielführende, erfolgswirksame Maßnahmen und Entscheidungen ableiten, nicht einfach nur umsetzen was andere anfordern in Sachen „Forschung & Research“, stattdessen mitdenken, kritisch sein, gestalten, Fragen aufwerfen, Neue Wege aufzeigen, Zielvorgaben erreichen, geschäftliche Erfolge herbeiführen und darüber erzählen und berichten.

Ich kenne viele User Researcher:innen, die genau das täglich tun – und das ist gut so.

Wir haben so viele User Researcher:innen, die unternehmerisch denken und handeln – nur leider sprechen wir zu wenig mit und über sie!

Ohne User Research & UX Testing Wettbewerbsvorteile erzielen, geht das?

Wenn Märkte stagnieren, schrumpfen, sich konsolidieren, dann können Unternehmen ihren Wert halten und steigern, wenn sie aus  (Neu-)Kundensicht und im Vergleich zum Wettbewerb relevantere und bedeutsamere Vorteile bieten. Wenn sie:

Die richtigen Dinge gestalten – und diese richtig gut gestalten!

Produktinhaber:innen („Product Owner“) verantworten beides:

  1. Die richtigen Dinge gestalten.
  2. Die Dinge richtig gut gestalten.

Produktinhaber:innen sind insbesondere in schrumpfenden, stagnierenden Märkten gefordert beides bestmöglich und zugleich auf effiziente Art und Weise sicherzustellen.

Worauf kommt es in solchen Situationen an?

Auf unfassbar viel. Insbesondere auf Schnelligkeit im Handeln, einen Fokus auf das Wesentliche und im Ergebnis auf richtig gute Entscheidungen!

Alle im Team müssen nun jene Dinge tun, jene Aufgaben in den Fokus stellen, die sie richtig gut erledigen können und wollen.  Und alle müssen unternehmerisch denken und handeln. Das gilt für alle Teamrollen:

  • Die/den PO selbst,
  • Entwickler:innen,
  • Marktforscher:innen („Business Analysten“),
  • User Researcher:innen
  • UX Designer:innen.

Was bedeuten derartige Marktsituationen für UX Designer:innen? 

Ich fürchte jene Rolleninhaber:innen werden ihren Fokus auf UI Development / UI Design legen (müssen). Sie werden intensiver und direkter mit Entwickler:innen zusammen arbeiten. Das ist im Grundsatz ja nicht schlecht, diese enge Zusammenarbeitet, insbesondere dann, wenn die/der Rolleninhaber:in kompetent und genrealistisch aufgestellt ist.

Was wird in den Hintergrund treten?

Ich fürchte UX Testing und User Research werden „eingespart“: Weniger Zeit und Geld für die Analyse von Anforderungen und Bedürfnissen von Nutzenden und Kunden. Früh und oft testen – das wird weniger oft stattfinden, vielleicht ganz entfallen. Stattdessen werden immer mehr User Researcher:innen „Forschen am Schreibtisch“ betreiben (müssen). „Sekundäranalysen“ werden primärer, empirischer Forschung vorgezogen – jedenfalls dann, wenn wir das zulassen … .

Wenn Sie als User Researcher:innen es zulassen, dass Budget-Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die den Wert und positiven Effekt von UX Testing und User Research auf den ROI ihres Unternehmens nicht kennen, weil Sie ihnen jenen nicht verdeutlicht haben!

Lassen Sie das nicht zu. Liebe User Researcher:innen, laßt das nicht zu:
Ihr alle habt das Zeug das zu verhindern.

User Reseacher:innen müssen unternehmerisch denken und handeln, müssen unternehmerisch auftreten, um ihre strategisch so relevante Rolle in Unternehmen zu finden oder zu halten!

Ohne UX Testing und User Research keine Wettbewerbsvorteile!

Kommen wir zurück zu dem, was von Produktinhaber:innen in wettbewerbsintensiven Märkten und Situationen erwartet wird: Die richtigen Dinge gestalten – diese Dinge richtig gut gestalten!

Ich frage mich, ich frage Sie: Wie soll das funktionieren, wenn UX Testing und User Research in den Hintergrund treten? Wenn Anforderungsanalysen und Tests eingespart werden? Wenn Sekundärforschung, wenn das „Forschen am Schreibtisch“ eigene Studien und Tests ersetzt?

Es geht einfach nicht!

Will man die richtige Entscheidungen gut treffen – und das muss man, will man die richtigen Dinge gut tun – und auch das muss man, dann braucht es Erkenntnisse auf der Basis von qualitativ hochwertigen Daten.

Wie werden aus Zahlen und Fakten Erkenntnisse für gute Entscheidungen?

Es braucht Daten (Zahlen & Fakten) aus einer Studie („primäre“ Datenerhebung), die das Erkenntnisinteresse (Untersuchungsfragestellung(en)) objektiv, zuverlässig und valide erfüllt.

Zeitdruck, Erkenntnisdruck und zugleich die Notwendigkeit Geld zu sparen!

Unter solchen Rahmenbedingungen wird „Forschen am Schreibtisch“ – Desk-Research, Sekundärforschung – nun einmal angesagt(er), wird empirischer Primärforschung öfter vorgezogen.

Normal, aber auch „gut so“?  

Forschen am Schreibtisch basiert meistens auf …

  • Daten aus eigenen, bereits durchgeführten (Primär-)Forschungen
  • Datenbanken – eigenen und eingekauften (z.B. Statistisches Bundesamt, Statista)
  • Daten, auffindbar beim Suchen im „World Wide Web“ (Internet).

Einfach mal machen – auch wenn’s nur zweite Wahl ist?

Beim Forschen am Schreibtisch werden vorhandene Zahlen und Fakten herangezogen, um Fragestellungen zu beantworten, die das Erhebungs- und Auswertungsdesign der Studien hinter den Daten nicht bestimmten.

Klingt kompliziert – das mit der Sekündarforschung?

Ja, ist es auch. Es braucht eine systematische, durchdachte Recherche-Strategie, jede Menge Erfahrung, darunter auch viel schmerzhafte, gezahltes Lehrgeld, aber selbst dann ist Sekundärforschung noch immer mit viel Unsicherheit behaftet, da …

  • keine auf die Fragestellung(en) zugeschnittene Datenerhebung erfolgte, was bedeutet: wenig Aussagekraft, viel Interpretationsspielraum.
  • oft keine tiefen Einblicke in das Erhebungs- und Auswertungsdesign der Studien gewährt werden, so dass die Qualität (Objektivität, Zuverlässigkeit, Gültigkeit) und Aktualität der genutzten Daten bzw. Studien hinter den Daten nicht immer bewertet werden kann.

Aber hey, ist denn die Arbeit mit ChatGPT & Co. nicht auch Sekundärforschung?

Im Prinzip schon. Aber deutlich einfacher und bequemer, unterstützender und kollegial mitdenkend, in der gewonnenen „Weitsichtigkeit“ deutlich weiter, tiefer und breiter, damit sicherer, aber auch mit generativer KI/AI Unterstützung gilt:

Forschen am Schreibtisch sollten Sie nur einsetzen, um …

  • Forschungsbedarfe und Forschungslücken zu erkennen,
  • Hypothesen zu entwickeln und darauf aufbauend
  • effiziente Primärforschung zu konzipieren.

Mit viel Sicherheit, dass Sie erforschen, wozu es noch keine Daten gibt und dass Sie beim Konzipieren Ihrer Studie(n) darauf aufbauen, was es an Erkenntnissen schon gibt.

Unternehmer, Stratege, Umsetzer (w/m/d): User Researcher:innen sind vielfältig!

Portraitfoto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Liebe User Researcher:innen, lasst euch nicht in eine Ecke drängen. Und falls schon geschehen: Kommt da raus. Raus aus Ecken, in die ihr nicht hingehört, die euch abstempeln mit stereotypischen Eigenschaften, die ihr nicht wollt, die euch „unter Wert“ darstellen!

  1. Ihr werdet gebraucht, operativ handelnd und strategisch denkend.
  2. Ihr werdet gebraucht als Umsetzer:innen und  Gestalter:innen, Unternehmer:innen.

Als User Researcher:innen haben Sie, habt ihr eine Rolle, in der ihr unternehmerisch und strategisch handeln könnt – und ihr solltet das auch tun. Ihr habt das Zeug zur Unternehmerin, zum Unternehmer. Setzt es ein, insbesondere in Zeiten, in denen der Wettbewerb im Markt intensiv ist.

Und lassen Sie sich als User Researcher:in unter diesen Rahmenbedingungen nicht zu „Forscher:innen am Schreibtisch“ abdrängen. Auch nicht von neuen Technologien.

Forschen Sie gern weiter mit ChatGPT, YOU, Consensus, SciSpace & Co. „vor- und nachrangig“, aber bleiben Sie stets offen für eigene, empirische Studien und zeigen Sie diese begründet an, wenn sie Ihnen nötig erscheinen. Sie werden gehört werden, insbesondere dann, wenn Sie unternehmerisch denken, handeln, argumentiert, wenn Sie die Sprache einer/eines Unternehmer:in wählen.

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Digitale Barrierefreiheit: Einfach machen – Es könnte ja gut werden!

Wer barrierefrei gestalten will, der findet einen Weg. Wer das nicht will, der findet Ausreden.
Diese Aussage, angelehnt an das Buch von Raúl Aguayo-Krauthausen mit dem Titel „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden!“, wird Matthias Blaß – mein Partner im Experten-Interview auf nutzerbrille.de – teilen und unterstützen.
Da bin ich mir fast zu 100% sicher.

Matthias Blaß hat in seinen Rollen als Product Owner und UX Professional schon viele Touren geplant und Wege eingeschlagen.
Wege die im Ergebnis zu erfolgreichen digitalen Produkten und Services führten. Erfolgreich sowohl im Sinne des Erreichens von vorgegebenen oder selbst gesetzten Zielen als auch im Sinne seiner Leidenschaft für barrierefreie Produktgestaltung.

Matthias Blaß, Produktowner und UX Professional im Portrait

Matthias Blaß, Product Owner & UX Professional seit 1998

Ich freue mich daher sehr, lieber Matthias, dass du mich und meine Leser:innen an deinen umfangreichen Erfahrungen teilhaben lässt.

2004 durfte ich das erste Mal von deinen Erfahrungen profitieren. Damals hast du als Gründer und Entwickler des ersten barrierearmen Seniorenportals Deutschlands (Lebensphasen(.)de) auf dem von der eresult GmbH ausgerichteten Usability-Kongress einen informativen und unterhaltsamen Vortrag zu den ThemenBarrierefreiheitund seniorengerechte Website-Gestaltung gehalten. Beide Themen waren damals für die meisten Teilnehmer:innen des Usability-Kongresses (noch) nicht besonders relevant – soweit ich mich noch erinnern kann.

Was war damals deine Motivation zu diesem Vortrag, welche (Kern-)Botschaft wolltest du als Missionar in Sachen barrierefreie Websitegestaltung teilen?

Matthias: Im Jahr 2002 traten sowohl das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) als auch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) in Kraft. Diese verpflichteten insbesondere die Bundesbehörden sowie öffentliche Verwaltungen zur digitalen Barrierefreiheit. Parallel dazu kam Anfang der 2000’er Jahre mal wieder ein Trend im Marketing auf:
Die Generation 50plus war plötzlich super attraktiv.

Zu der Zeit arbeitete ich als Projektmanager in Digitalagenturen und wir entwickelten fancy Kampagnen-Webseiten, vornehmlich mit einer sehr grafiklastigen und hochgradig animierbaren Technologie namens Flash. Das Hauptproblem für uns war zu der Zeit der sogenannte “Browser War”. Das bedeutete, dass man für den Internet Explorer und den Mozilla Firefox spezielle Anpassungen programmieren musste, weil die Browser wenig standardisiert waren. Das ist heute ja nicht mehr so, aber das war noch vor dem ersten iPhone oder Alternativen wie Googles Chrome.

Einfach machen – Es könnte ja gut werden!

Matthias: Mich hat es immer genervt, dass man aus visuellen (Verkaufs)Gründen so viel Aufwand betrieben hat. Ich war schon damals der Meinung, dass man solche Projekte vereinfachen können muss. Und als dann die Themen 50plus und Barrierefreiheit kamen, war das für mich die persönliche Motivation:

„Ich wollte zeigen, dass man visuell ansprechende und funktionale Webseiten auch einfacher und zudem maximal zugänglich erstellen kann!“

Ich bin ja kein gelernter Softwareentwickler. Ich kann HTML und CSS und einfachen Programmcode verstehen. Aber das hat damals genügt, um Templates für ein Content-Management-System zu entwickeln und das erste barrierearme Senioren-Portal ins Leben zu rufen.

Neben der einfachen Programmierung konnten die Nutzer:innen die Ansicht skalieren oder das Farbschemata ändern. Das Portal umfasste ein Online-Magazin, ein Forum, einen interaktiven Agenten, E-Card-Service und später sogar einen Online-Shop. Das Gesamtprojekt war weit davon entfernt wirklich barrierefrei zu sein. Aber ich wollte zeigen, dass man ansprechende Webprojekte für alle Zielgruppen anbieten kann. Daher lautete der Titel des Vortrags 2004 auf dem Usability-Kongress: Raus aus der Schublade behindertengerechter Webseiten.

Denn damals hieß es immer, dass barrierefreie Webseiten nicht gut aussehen würden. Deshalb hat das Thema meiner Meinung nach auch in der freien Wirtschaft kein Gehör gefunden.

Die Menschen und das Geschäft immer im Blick!

Seit 2004 ist viel geschehen. Du konntest deine Fertigkeiten und Kompetenzen weiter ausbauen.
Welche deiner zahlreichen Projekte, Herausforderungen und beruflichen Stationen haben deine Leidenschaft für barrierefreie, menschenzentrierte Gestaltung besonders geprägt und gestärkt? 

Matthias: Meine Leidenschaft für gute Usability und User Experience entwickelte sich hauptsächlich in den Jahren bei einer Bank. Dort war ich lange für die Conversion-Optimierung der Online-Antragsstrecken und später für die Entwicklung des Kundenportals (Online-Banking-Plattform) verantwortlich.

Das Thema (technische) Barrierefreiheit war allerdings nicht unser primärer Antrieb, sondern der ROI. Unser Anspruch war immer, die Landingpages und Prozessseiten so zu gestalten, dass es möglichst wenige Kauf-Abbrüche gibt. Und da mussten wir einfach den Menschen stärker in den Mittelpunkt setzen, um zu verstehen, wie dieser eine Webseite tatsächlich versteht und in unterschiedlichsten Situationen mit diversen Endgeräten nutzt.

Wir haben zu der Zeit unheimlich viel getestet und auch viel gelernt. Gerade in direkten Gesprächen mit den Nutzer:innen, sei es im Labor oder in Remote-Tests, erfährt man so viel über die digitalen Barrieren, vor denen sich Menschen wiederfinden. So zieht sich das Thema barrierefreie, menschenzentrierte Gestaltung seit Jahren durch meine beruflichen Stationen. Nicht immer mit dem Erfolg, den ich mir wünsche, aber ich merke, dass die Sensibilisierung dafür überall größer wird.

Digitale Barrierefreiheit: Jetzt wird es ernst!

20 Jahre nach deinem Vortrag auf dem Usability-Kongress in Göttingen ist das Thema „digitale Barrierefreiheit“ für viele (endlich) relevant und für nicht wenige inzwischen auch dringlich.Was sind die zentralen Gründe dafür, dass das Thema „digitale Barrierefreiheit“ heute, im Jahr 2024, für viele eine hohe Bedeutung hat? 

Matthias: Ehrlicherweise muss man konstatieren, dass die Gründe weder Altruismus noch Menschenliebe sind, sondern die verschärfte Regulatorik. Neben dem bereits seit 2002 geltenden Behindertengleichstellungsgesetz gibt es zahlreiche weitere Gesetze, die sich mit dem Thema Inklusion befassen. Das Ganze gipfelt in das am 22. Juli 2021 in Kraft getretene Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das am 28. Juni 2025 vollständig in Kraft tritt.

Und hier wird es jetzt interessant. Denn wurden 2002 nur Bundesbehörden und die öffentliche Verwaltung zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet, so betrifft es jetzt auch Wirtschaftsunternehmen. Und zwar in Form von Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen bei Verstößen. Das kann bei Geldbußen durchaus bis zu 100.000 € gehen. Bei solchen Beträgen denkt der eine oder andere vielleicht noch lächelnd an seine Portokasse. Aber die Marktüberwachungsbehörden haben die Befugnis, die Bereitstellung des Produkts oder der Dienstleistung einzuschränken oder zu untersagen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass bei einem nicht barrierefreien B2C Online-Shop, der mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr macht, im schlimmsten Fall der Stecker gezogen wird. Und das kann dann schnell existenzbedrohend werden.

Jetzt gibt es natürlich auch im BFSG wieder Ausnahmen und Einschränkungen und man kann sich fragen, wie das Ganze überhaupt überwacht werden soll. Hier sollte man aber den Markt nicht unterschätzen, denn der wird auch hier regelnd eingreifen. Ich denke an den nicht ganz so freundlich gestimmten Wettbewerber. Oder die Abmahnanwälte, die mit fehlendem Webseiten-Impressum kein Geld mehr verdienen. Und ich bin mir sehr sicher, dass nach 20 Jahren mäßigem Umsetzungserfolg durch Freiwilligkeit, der Regulator (in diesem Fall zuallererst die EU) die Ausnahmen und Einschränkungen nach und nach einkassieren wird. Ein Abwarten und Weitermachen wie bisher kann also teuer werden.

Es lohnt sich (wieder) groß zu denken!

Wer profitiert, neben Menschen mit Behinderungen, von einer barrierefreien Gestaltung digitaler Produkte und Services?

Matthias: Zunächst einmal, wie zuvor bereits erwähnt, ältere Menschen. Von den knapp 8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung in Deutschland sind fast 80% älter als 55 Jahre. Laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) liegt die Kaufkraft der Generation 50plus bei über 720 Mrd. € pro Jahr. Eine nicht zu unterschätzende und weiterhin wachsende Zielgruppe.

Etwa 90% der Behinderungen sind “erworben” (etwa durch Krankheiten) und nicht “angeboren”. Das bedeutet, dass in Deutschland jeder heute “gesunde” Mensch künftig behindert werden kann. Zusätzlich muss man bedenken, dass man von einer schweren Behinderung erst ab einem Behinderungsgrad von über 50% spricht. Es gibt also sicher eine nicht unerhebliche Dunkelziffer an “leichten” Behinderungen.

Wenn wir Behinderungen meinen, sprechen wir in der Regel von permanenten Einschränkungen, z.B. dem blinden Menschen. Es gibt aber auch temporäre oder situative Einschränkungen. Bezogen auf digitale Barrierefreiheit sind damit z.B. der gebrochene Arm (temporär) oder das Baby auf dem Arm der Mutter (situativ) gemeint, die eine Bedienung einer Webseite oder App be- oder verhindern.

Ein kleiner Punkt, der aber sicher die budgetverantwortlichen Manager interessiert, ist, dass barrierefreie Webseiten per se suchmaschinenfreundlicher sind. Suchmaschinen sind also ebenfalls eine Zielgruppe. Man könnte also das SEO-Budget auch für eine AO (Accessibility Optimization) benutzen. Wir können einfach festhalten:

„Eine nicht barrierefreie Lösung behindert nur etwa 10% der Deutschen. Eine barrierefreie Lösung hilft dagegen allen. Heute und in Zukunft.“

Welche grundlegenden (Gestaltungs-)Prinzipien sollten UX Designer:innen beachten, wenn sie in einem Produktentwicklungsprozess von Beginn an Barrierefreiheit mitdenken und mitgestalten wollen?

Matthias: Ganz wichtig ist das Credo, das sicher alle UX’ler verinnerlicht haben:

„You are not the user!“

Das ist bei Nutzer:innen mit Behinderung noch viel wichtiger. Hier helfen z.B. auch Personas mit Beeinträchtigungen. Ich mag auch den Begriff “Inclusive Design”. Der ist noch stärker als “Universal Design”. Zumal Inklusion heute ein gängiger Begriff ist und die meisten damit etwas anfangen können.

Wir reden im UX-Umfeld häufig von einer systematischen Verzerrung der Wahrnehmung (Bias). In diesem konkreten Fall ist der Visual Bias für UX Designer:innen wichtig. Normalerweise gestalten wir als Sehende für Sehende. Selbst beim Blick auf einen Low-fi Wireframe “sehen” wir sofort, wie die Nutzerführung gemeint ist. Hier hilft es schon, wenn man sich vorstellt, wie ein Screenreader vorgehen würde, der nicht „sieht“, wo z.B. ein Call-to-Action positioniert ist.

Ansonsten eigentlich alles, was per se eine gute User Experience ausmacht:

  • Eine klare Informationsarchitektur und -hierarchie (Sektionen, Überschriften),
  • hohe Kontraste für Schriften und grafische Elemente (Farben),
  • Mindestgrößen für Schriften oder klickbare Elemente (speziell für Mobile),
  • Konsistenz (Seiten- und Geräteübergreifend),
  • Unnötiges weglassen (Overlays, separate Browsertabs),
  • einfache verständliche Sprache.

Und zu guter Letzt die komplette User Journey im Blick haben. Also woher kommt der User (mit einer Behinderung) und was passiert nach dem Kauf (ist die Bestätigungsmail auch barrierefrei?). Hier zeigt sich auch, dass ein inklusives oder universelles Design nicht nur Aufgabe der UX Designer:innen ist, sondern dass alle am Produkt Beteiligten ein entsprechendes Verständnis entwickeln müssen.

Ist deine Website barrierefrei? – Finde es heraus!

Lass uns den Blick auf vorhandene, digitale Produkte und Services richten. Zum Beispiel einen Online-Shop für Möbel, die Website eines Ferienhotels in den Alpen oder die Website einer Versicherung, die Zahnzusatzversicherungen anbietet. Welche Möglichkeiten haben Betreiber:innen derartiger Websites, um einen (automatisierten) Accessibility Quick-Check durchzuführen, um die zentralen Barrieren ihrer Websites zu erkennen?

Matthias: Am einfachsten und schnellsten geht es mit Accessibility-Plugins für die gängigen Browser. Diese gibt es für spezielle Barrieren wie z.B. Farbkontraste oder die Simulation von Fehlsichtigkeiten (Rot-Grün-Schwäche) oder auch für umfassendere Tests auf Basis der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortiums (W3C).

Die Entwicklertools der Browser selbst haben auch einfache Reports für Barrierefreiheit integriert. Man kann seine Seiten auch anhand der WCAG oder BITV-Checklisten manuell prüfen. Viele Prüfpunkte kann man tatsächlich hands-on prüfen, z.B. ALT-Tags von Bildelementen. Oder man versucht einfach mal mit der Tastatur durch seine Webseite zu navigieren. Diese Quick-Checks helfen bei der schnellen Evaluation des Status Quos.

Welche weitergehenden Analysen sind ratsam, um den Grad der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung von  Anforderungen an digitale Produkte oder Services aus dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz festzustellen?

Matthias: Die zuvor genannten Tools arbeiten in der Regel Checklisten ab und listen Regelverletzungen auf und geben Empfehlungen ab. Sie gehen aber nicht situativ auf Besonderheiten ein, z.B. die Nutzung von assistiven Technologien wie einem Screenreader.

Für mobile Applikationen oder auch Rechner gibt es bereits im Betriebssystem installierte Hilfsmittel, die man für weiterführende Analysen nutzen kann. So bieten Apple mit VoiceOver, Android mit Talk Back oder Windows mit Narrator einen kostenlosen Screenreader an, mit dem man seine Webseiten oder Apps selbst testen kann.

Des Weiteren gibt es professionelle Tools, die man zur Analyse nutzen kann und die man inhouse auch mit entsprechendem Know how für automatisierte Tests nach den Standard-Checklisten nutzen kann. So etwas hat den Vorteil, dass man diese Tests über APIs in die normalen QS- und Entwicklungs-Prozesse seiner CI/CD-Pipeline integrieren kann.

„Der Gold-Standard ist dann sicherlich, wenn Menschen mit Behinderungen in die Tests eingebunden werden!“

Denn wie in den gewohnten UX-Tests erfährt man so noch wesentlich mehr aus der Nutzerbrille, wie assistive Tools tatsächlich helfen und wo auch diese an ihre Grenzen stoßen.

Welche Fertigkeiten und Kompetenzen sind nötig, um einen Konformitätstest durchzuführen?

Für die Durchführung selbst sollte man mit der Nutzung von Online-Tools vertraut sein. Mehr bedarf es eigentlich nicht.

Viel wichtiger ist allerdings die Auswertung solcher Tests. Hier sollte ein grundlegendes Verständnis vom technischen Aufbau einer Webseite oder einer App vorhanden sein, um die Ergebnisse der Checks bewerten und entsprechende Maßnahmen ableiten zu können. Wer nicht weiß, was ein ALT-Tag ist, oder warum eine klare Inhaltsstruktur oder Hierarchie der Überschriften (H1-Hx) wichtig ist, oder wie die Kontrastverhältnis zu interpretieren sind, versteht die Testergebnisse möglicherweise nicht wirklich.

Das große Ganze stets im Blick: Menschen, Geschäft, Technologie!

Du hast in deinem Berufsleben verschiedene Rollen innegehabt, durftest verschiedene Positionen begleiten und konntest vielfältige Kompetenzen aufbauen und Erfahrungen sammeln. Du vereinst inzwischen die Kompetenzen von 3 Berufsgruppen in dir:

  • UX Professional
  • Product Owner
  • Entwickler.

Das ist außergewöhnlich – ganz sicher nicht die Regel. Die Regel ist: Jede der genannten Rollen wird in Unternehmen von unterschiedlichen Personen eingenommen. In einer solchen Situation, in einem solchen Kontext stellt sich mir die Frage: Was ist zu beachten, worin bestehen Stolperfallen, und wie kann man sie umgehen, wenn ein/-e UX Designer:in Barrierefreiheitstests und Konformitätsanalysen durchführt und im Anschluss „Arbeitsaufträge“ an Entwickler:innen formuliert?

Matthias: Meine Expertise als “Entwickler” habe ich eingangs ja bereits relativiert. Trotz allem hat mir dieses Wissen immer dabei geholfen, zu verstehen, wie eine Webseite sowohl technisch als auch visuell aufgebaut ist und für den User funktioniert. Auch die Fähigkeit, Komplexitäten und die damit verbundenen Aufwände einzuschätzen, sind hilfreich. Gleiches gilt für das Verständnis der Aufgaben eines POs (Business Fokus) und UX’lers (User Fokus).

In einer einfachen, idealisierten Welt reicht ein/-e UX Designer:in das Ergebnis eines Tests an das Entwicklungsteam weiter und überprüft nach der Umsetzung mit den Test-Tools erneut das Ergebnis. Nach ein paar Iterationen ist alles erledigt, das Produkt barrierefrei und alles gut. Job erledigt, nächstes Projekt. Schöne heile Welt.

Wir wissen aber, dass es in der Realität anders aussieht. Die UX’ler formulieren nicht einfach die Arbeitsaufträge. Diese müssen meistens mit dem internen oder externen Entwicklungsteam sowie dem PO verhandelt und priorisiert werden. Hier sind gute Kommunikationsfähigkeiten sowie das zuvor genannte technische Verständnis von Vorteil. Ein gutes Verständnis der Zusammenhänge hilft auch, um beim Gegenüber ein besseres Verständnis zu erzeugen, weshalb man die Änderungen vornehmen muss.

Lass uns zum Schluss noch auf User Tests mit Menschen mit Beeinträchtigungen eingehen. Expertenbasierte Konformitätstests sind – so meine Erfahrung – zielführend und besonders wertvoll, wenn die Expert:innen assistive Tools und Technologien, wie z.B. Screenreader, bei ihren Analysen einsetzen.
Welche zusätzlichen Vorteile bieten Tests mit Menschen mit Beeinträchtigungen?

Matthias: Aus meiner Sicht ist der größte Vorteil, dass z.B. der Nutzer eines Screenreaders in der Regel mit diesem Tool vertraut ist. Er weiß dann, wie er es in seiner gewohnten Umgebung und mit seinen Devices nutzen muss. Oder eben auch nicht, dann ist ein Screenreader eben auch kein Allheilmittel. Man schaltet ihn nicht einfach ein wie ein Radio und schon hört man alles wie gewünscht. Diese Tools bedürfen einer Konfiguration.

Oder nehmen wir Videos. Idealerweise stellt man Transkripte zur Verfügung. Heute vermutlich oft automatisiert mittels KI. Job erledigt? Die pure Transkription eines komplizierten Videos macht den Inhalt zwar „konsumierbar“, aber dadurch noch lange nicht für Menschen mit Ausprägungen von Autismus “verständlich” (Stichwort leichte oder einfache Sprache).

Idealerweise versucht man ein breiteres Spektrum an Beeinträchtigungen abzubilden.

„Wenn man bei klassischen UX-Tests bereits ab 5-7 Usern wertvolle Ergebnisse erhält, rekrutiert man für Barrerefreiheitstests 5-7 Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen.“

Menschenzentriert gestalten: Empathie ist gut, testen ist besser!

Ich habe schon seit meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspsychologie (1992-1997) den bisher noch immer unerfüllten Wunsch einen „Alterssimulationsanzug“ zu tragen: Mit Gewichten beschwerte Kleidungsstücke, Handschuhe die das Greifen von Gegenständen erschweren, klobige Schuhe die das Laufen zur Tortur machen und Brillen die Sehschwächen herbeiführen sollen dabei helfen, dass „junge Menschen“ sich in hochbetagte Menschen hineinversetzen können.

Wie bewertest du diesen Ansatz im Kontext der Zielsetzung, Produkte für Menschen mit Beeinträchtigungen (besser) zu gestalten? Und: Hattest du schon einmal die Gelegenheit einen solchen Anzug zu tragen?

Matthias: Leider hatte ich auch noch keine Gelegenheit, einen solchen Anzug zu tragen. Für mich beginnt die Simulation einer Sehschwäche mit dem Ablegen meiner Brille. Aber Spaß beiseite.

UX Designer:innen verstehen es, sich empathisch in den User zu versetzen. Im Kontext der Barrierefreiheit müssen wir aber noch eine Schippe drauflegen, weil wir die Auswirkungen der meisten Beeinträchtigungen zwar verstehen, aber eben nicht erleben oder fühlen können.

Das Beispiel der Alterssimulation ist hier ein toller Ansatz. Aber anstatt für jede Beeinträchtigung eine Simulation zu bauen, kann man einfach seine Testprobanden entsprechend rekrutieren und sich neben sie setzen. Wenn man dann die Probleme besser verstanden hat, ist man auch in der Lage, inklusive Produkte zu gestalten.

Zum Schluss, das müssen wir noch klären: Kannst du die folgende Aussage bestätigen und unterstützen, wie von mir einleitend angenommen?
Wer barrierefrei gestalten will, der findet einen Weg. Wer das nicht will, der findet Ausreden!

 Matthias: Absolut!

„Eine barrierefreie Gestaltung ist ja nicht unmöglich. Sie muss aber vor allem gewollt und idealerweise in der Strategie verankert werden.“

Wer sich ernsthaft damit auseinandersetzt, baut keine technischen Schulden auf, reduziert künftige Aufwände und skaliert seine Zielgruppe ganz automatisch um mindestens 10%. Dafür lohnt es sich doch, einen Weg zu finden, den man stetig in Richtung Ziel beschreitet.

Vielen Dank, lieber Matthias, für dieses Schlusswort und deine Einstellung.
Ich hoffe sehr, dass du noch viele Menschen, Teams und Unternehmen dabei unterstützen wirst barrierefreie und nachhaltige, digitale Lösungen für alle Menschen, für unsere Gemeinschaft und für ein menschenfreundliches Klima, von dem wir alle abhängig sind, zu entwickeln.

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Synthetische Nutzer: Von der Nutzung, über die Begeisterung, zum Verstehen!

Ich mag es sehr: Schnacken mit einem synthetischen Nutzer, einer synthetischen Nutzerin, die/der (Ziel-)Personen einer (Ziel-)Gruppe vertreten. Ich bin begeistert über das Erlebnis an sich, über die Möglichkeiten; darüber was ich (dazu-)lerne, erfahre und welch vielfältige, neue Fragestellungen und Thesen ich beim Chatten mit synthetischen Nutzer:innen („KI-Persona“) entwickele.
Fragestellungen und Thesen, die in nachgelagerten User Research Projekten erforscht werden können, ja sogar müssen. Tut man das nicht, dann bleiben falsche KI-Annahmen verborgen, dann können (empirisch) zutreffende KI-Annahmen nicht erkannt werden.

Meine Erfahrungen mit KI-Persona bringen mich zu der Erkenntnis (die noch eine These ist):

Synthetischer Nutzer, die (Ziel-)Personen einer (Ziel-)Gruppe vertreten („KI-Persona“), werden den Persona-Ansatz aufwerten und zu mehr (primären, empirischen) User Research Projekten führen! 

Synthetische Nutzer im UX Design – nutzen ist Pflicht, verstehen ist Kür!

Für mich –  UX Designer  der Generation „Golf“, der mit dem C 64 „groß geworden“ ist und das Internet während seines BWL- und Wirtschaftspsychologiestudiums kennenlernte – ist es nicht einfach wirklich zu verstehen, wie Large Language Models funktionieren und wie sie darauf hinwirken, dass ich so viel Begeisterung für synthetische Persona entwickele. Ich lerne jeden Tag dazu, noch brauche ich aber Menschen, die mich dabei unterstützen sinnvolle und zielführende Eingaben („Prompts“) zu tätigen, die genügend, zielführende Informationen und Kontexte liefern, damit ich ein optimales Ergebnis beim Prompten erziele.

Ich freue mich sehr, dass ich Marius Jahrens, einem leidenschaftlichen Bio- und Neuroinformatiker,  kennenlernen und ihm heute einige Fragen stellen durfte. Fragen, die hoffentlich auch für Sie, lieber Leser:innen von Nutzerbrille, interessieren.

Lieber Marius, vielleicht stellst du dich selbst kurz vor:
Wer bist du, was machst du, wie viel deiner Arbeitszeit setzt du ein für „Prompt Engineering“?

Marius Jahrens

Marius: Ich schaffe neues Wissen am Institut für Neuro- und Bioinformatik an der Universität Lübeck und arbeite seit einigen Jahren im Bereich KI-Reasoning, also an Methoden um lernenden Algorithmen logisches Denken, Schlussfolgern und Argumentieren beizubringen.
Mit den Erfolgen von ChatGPT & Co., und dem damit einhergehenden Interesse Sprachmodelle intelligenter zu machen, hat sich ergeben, dass KI-Reasoning vermehrt in natürlicher Sprache stattfindet.

Prompt Engineering macht eigentlich nur einen kleinen, aber aktuell leider (!) noch notwendigen Teil meiner Arbeit aus. Dass ich das auch außerhalb meiner Forschung mache (Anmerkung: Marius ist Mitgründer und CTO von AURI Consult) hängt damit zusammen, dass großer Bedarf und hohe Nachfrage daran besteht Sprachmodelle praktisch einsetzbar zu machen – beispielsweise beim Optimieren der Effizienz von Geschäftsprozessen.
Die technischen Hintergründe zu kennen ist dabei von großem Wert und stellt einen riesen Vorteil dar, weil viele Schwächen und Probleme der Sprachmodelle sich intuitiv mit deren Architektur und Trainingsverfahren in Verbindung bringen lassen, und die wiederum Aufschluss darüber geben, was am Prompt zu ändern ist.

Neuro-Informatiker aus Leidenschaft – Prompt Engineer wider Willen!

Lieber Marius, Vielleicht hilfst du meinen Leser:innen mit grundlegenden Informationen: Was genau macht ein „Prompt Engineer“ und was sind typische Tätigkeiten dieses recht neuen Berufsbildes?

Marius: Prompt Engineering befasst sich damit wie eine Eingabe für ein Sprachmodell – beispielsweise ChatGPT – oder einen Bildgenerator – wie beispielsweise Midjourney – formuliert sein muss, damit das Ergebnis den Vorstellungen des Benutzers entspricht. Der Benutzer weiß in der Regel was er möchte, nur ist die Frage wie man dies der KI so vermittelt, dass sie die Intention des Benutzers richtig „versteht“.

Das kann etwa dadurch begünstigt werden, indem man eine hypothetische Situation beschreibt, in der die Anfrage gestellt wird, sodass die KI sie mit Begriffen aus dem richtigen Kontext assoziiert. Oder man weist dem Chatbot eine Rolle zu, sodass die Antwort aus der Perspektive einer Person mit bestimmten Fachkenntnissen oder in einem bestimmten gesellschaftlichen oder beruflichen Umfeld geschrieben ist. Das wirkt sich nicht nur auf die Formulierungen aus, die das Sprachmodell verwendet, sondern auch auf den Inhalt, und damit den Nutzen den die Antwort bietet.

Ein Prompt Engineer hat die Aufgabe genau diese Vermittlung zwischen Benutzerintention und KI-Verständnis zu vollbringen, und das ggf. auch für Benutzereingaben, die zum Entwicklungszeitpunkt dem Prompt Engineer noch nicht vollständig, also nur recht grob, bekannt sind.

Synthetische Nutzer mit der Brille eines Neuro-Informatikers betrachtet!

Lieber Marius, wir haben uns kennengelernt im Kontext der Thematik „KI-Persona“ oder „synthetische Nutzer“. Ich habe von dir bereits viel gelernt, u.a. wie man ChatGPT „füttert“, damit man sich mit einer Persona unterhalten kann, und wie man die Protokolle aus einem Chat nutzen kann, um sinnvolle, ja nötige, nachgelagerte User Research Projekte abzuleiten.
Magst du meinen Leser:innen kurz und mit deiner Erfahrung als Bio- und Neuro-Informatiker erläutern, was „synthetische Nutzer“ sind, und wie man jene im Grundsatz „erzeugen“ kann?

Marius: Synthetische Nutzer:innen sind einfach gesagt Chatbots, die exemplarisch Individuen oder repräsentativ Gruppen, verkörpert durch eine:n Repräsentant:in, als Rolle einnehmen.
Damit sollen UX Designer:innen nicht nur „aus der Distanz“ über Nutzergruppen etwas erfahren, sondern in „persönlichen“ Kontakt treten können, um quasi aus erster Hand zu hören, was ihnen wichtig ist. welche Wünsche und Anforderungen sie haben, was sie in ihrem Leben beschäftigt und wie sich das Produkt oder der Service in ihren Alltag einfügt.

Grundlage für synthetische Nutzer sind bestenfalls Nutzerstudien. Jenen Daten kann man dazu verwenden eine Persona-Card je Nutzergruppe zu erstellen und diese dann als Rollenbeschreibung für die KI verwenden. Man kann die detaillierteren Informationen und Daten aus Nutzerstudien auch zur Verkörperung zufällig ausgewählter Nutzer:innen einsetzen, ebenfalls als Rollen für die KI, nur dann mit Fokus auf Einzelnutzer statt auf Gruppenrepräsentanten.

Das Prompt Engineering nimmt dabei eine wichtige Rolle ein, denn selbst wenn die Beschreibung der zu verkörpernden Persona vorhanden ist, existieren noch viele näher zu beschreibende Freiheitsgradem wie etwa die Situation in der sich das Gespräch abspielt, die Beziehung zum Gesprächspartner, vor welchem Hintergrund das Gespräch stattfindet und über welchen Kommunikationskanal – sprich, soll es wie ein persönliches Gespräch in Person sein, oder wie ein förmlicheres Gespräch per E-Mail, oder soll es eher den Charakter von Kurznachrichten über einen Instant-Messenger haben?
Und für Prompt Engineers ebenfalls sehr wichtig zu beachten: Welche Details kann man objektiv beschreiben und welche muss man beispielhaft „vorspielen“, damit die KI sie annimmt?

Lieber Marius vielen Dank für diesen Blick auf synthetische Nutzer mit deinen Erfahrungen als Neuro-Informatiker.
Welchen zentralen Tipp, welchen zentralen Hinweis kannst du UX Designer:innen geben, damit sie richtig „prompten“? 

Marius: Gerade wenn es um logische und weniger um kreative Problemstellungen geht würde ich sagen, wann immer möglich Probleme in kleine Einzelschritte aufteilen.
Je mehr man Sprachmodelle einen gut strukturierten Lösungsweg entlang führen kann, desto robuster die Ergebnisse.

Prompt Engineering – eine Tätigkeit mit geringer Halbwertzeit!

Sag mal, Marius, bei all deiner Erfahrung, die du hier preisgibst, deinen vielfältige Fertigkeiten: Wie bist du auf die Idee gekommen als Unternehmer tätig zu sein? Ist es nicht so, dass du als Neuro-Informatiker und „Prompt Engineer“ (ein wenig „wider Willen“) am Arbeitsmarkt viele attraktive und hoch dotierte Job-Angebote bekommst?

Marius: Ich denke nicht, dass Prompt Engineer als Beruf lange existieren wird. Die Vermittlung zwischen Nutzerintention und KI ist nur deshalb notwendig, weil KI noch nicht ausreichend eigenständig die Intention des Benutzers erfasst oder die richtigen Rückfragen stellt, um Unklarheiten zu beseitigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Schwäche behoben ist.
Und es gibt sehr viel ungenutztes Potenzial, selbst mit den Schwächen die die aktuellen KI-Modelle noch haben. Ich sehe einen sehr viel größeren Wert darin, dieses Potenzial nutzbar zu machen und andere Unternehmen dabei zu unterstützen.

Wie bildest du dich auf deinem Fachgebiet weiter – gibt es Fort- und Weiterbildungen an Hochschulen, zertifizierte Lehrgänge und nutzt du Meet-Ups, (Fach-)Kongresse und Barcamps zum Ausbau deiner Fertigkeiten?

Marius: Es gibt viele Angebote zu dem Thema, aber bei mir sind es vor allem die wissenschaftlichen Veröffentlichungen die ich verfolge und regelmäßig studiere.

Können synthetische Repräsentanten von „einem selbst“ bei der Urlaubsplanung helfen?

Zum Schluss noch etwas „privates“: Wir planen gerade unseren (Familien-)Urlaub. Wir haben verschiedene Ziele zur Wahl und wissen wo es uns in der Vergangenheit gut gefiel (und wo nicht). Könntest du uns helfen einen neuen Urlaubsort zu finden, einen Ort, der mich, meine Frau und Kinder begeistert?

Ich stell mir das – ausgestattet mit meinen Erfahrungen mit „KI-Persona“ – laienhaft so vor: Wir legen jeden von uns als „synthetischen Nutzer“ an, beschrieben mit unseren Präferenzen, Wünschen und Anforderungen an Urlaube und Urlaubsorte. Nun lassen wir unsere „synthetischen Vertreter:innen“ an jene Orte virtuell reisen, lassen sie anschließend miteinander diskutieren, mit dem Ziel eine bestmögliche Konsenslösung für den kommenden Urlaubsort zu finden. Geht so etwas?

Marius:  Möglich wäre das sicherlich, wenn auch aufwändig. Als Pragmatiker würde ich die Lösungsstrategie etwas lenken um zu verhindern, dass sich die KI „verrennt“.
So könnte man erstmal die KI dazu nutzen für jeden eine Kandidatenliste zu erzeugen mit Urlaubszielen, die den persönlichen Kriterien entsprechen. Und dann schrittweise KIs, die die Interessen der Anderen vertreten, die Listen filtern oder um Gegenargumente zu den Vorschlägen erweitern lassen.

Vielen Dank Marius für diese Inspiration und deine wertvollen Gedanken, das Teilen deiner Erfahrungen. Ich freue mich sehr darauf gemeinsam mit dir weiter aufzuklären wie synthetische Nutzer funktionieren, welche Chancen sie bieten, aber auch welche Grenzen und Gefahren es gibt. Das stets mit dem Ziel „KI-Persona“ zu etablieren und dazu beizutragen, dass immer mehr UX Designer:innen research-basiert und menschenzentriert gestalten dürfen.
Und ich hoffe sehr, liebe Leser:innen, wir konnten mit diesem Interview einen kleinen Beitrag dazu leisten.

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Der Kern von gutem UX Design war, ist und bleibt User Research!

Was mich da so sicher macht?  Vieles. Vor allem:
Immer mehr UX Professionals (w/m/d) nehmen die Berufsbezeichnung User Researcher:in ein.

Im Branchenreport der German UPA (Berufsverband der UX/Usability Professionals in Deutschland) weist diese Rollenbezeichnung eine aufsteigende Entwicklung in der jährlichen Abfrage („Branchenreport“) der verwendeten  Berufsbezeichnungen auf:

  • 2019 – Platz 4
  • 2020 – Platz 5
  • 2021 – Platz 3
  • 2022 – Platz 3
  • 2023 – Platz 2

2024 Platz 1? Eher nicht. Aber:
Im Ranking der inhaltlich eindeutigen Berufsbezeichnungen haben User Researcher:innen schon heute den 1. Platz für sich sicher. Der „Platzhirsch“ im Ranking der Berufsbezeichnungen ist seit Jahren die/der UX Designer:in, eine generischen Rollenbezeichnung, die viele unterschiedliche Aufgaben umfasst, die für alles stehen kann, was das Gestalten von positiven Erlebnissen in der Nutzung digitaler Produkte und Services umfasst:

  • Interaktionsdesign und Informationsarchitektur
  • Planung, Koordination und Überwachung des Gestaltungsprozesses
  • Research und Testing
  • visuelles Design und Interface-Design

Was meine Zuversicht beflügelt: Es gibt immer mehr „Head of User Research“!

Die Suche nach „Head of User Research“ in LinkedIn ergab im Juni des Jahres 2024 um und bei 100.000 Personen. Davon arbeiten 5.900 in einem Unternehmen, das in Deutschland aktiv ist. Setzt man den Filter England / UK, dann erscheint eine Liste mit 16.000 Personen – und das in einem Land, welches zum Zeitpunkt der Suche ein im Vergleich zu Deutschland  um ca. 1.000 Milliarden $ geringeres Bruttosozialprodukt aufweist.


Für mich sind diese Unterschiede wenig verwunderlich. Seit Jahren sind die Ausgaben für Marktforschung in Großbritannien hoch, übersteigen jene in Deutschland um das 2-3fache. Sicherlich keine klare Wirkungskette, denn Marktforschung umfasst weit mehr wie (nur) „User Research“, aber durchaus ein Zeichen dafür, dass in Großbritannien mehr Umfragen, Tests und Gruppendiskussionen stattfinden.

Warum ist das so? Und ist das ein Indikator dafür, dass auch in Deutschland der Trend zu mehr User Researcher:innen bestehen bleibt?

Ich würde das sehr begrüßen. Und ich glaube, dass wir UX Professionals (w/m/d), Markforscher (w/m/d) und (Online) Marketer dazu einen großen Beitrag leisten können.

Es lohnt sich für researchbasiertes UX Design zu werben!

Wir sollten weiter werben für ein researchbasiertes UX Design, sollten UX Design größer machen, politischen Entscheidungsträger:innen deutlich machen, dass erfolgreiche digitale Services und Dienste insbesondere im public sector nur gelingen, wenn Bürger:innen bei deren Gestaltung endlich einbezogen werden (müssen), und wir sollten die Interessen der UX / Usability Branche in unseren Parlamenten intensiver vertreten. Dass uns das gelingen wird, da bin ich mir ebenfalls 100% sicher.

Was mich so sicher macht?

Immer noch sind die meisten Pioniere einer privatwirtschaftlichen UX / Usability Forschung, die in Deutschland in den Jahren 1999 und 2000 startete, engagiert, tätig und motiviert: Sabrina Duda, Tara Bosenick, Marcus Plach, Gesine Quint, Knut Polken, Franz Koller, Torsten Bartel, Ronald Hartwig, Markus Völkl – um nur einige namentlich zu nennen.

Jenen Pionieren stehen inzwischen zahlreiche junge, sehr bekannte Botschafter:innen für ein researchbasiertes UX Design sowohl in unseren Unternehmen als auch auf Seiten der Dienstleister, Agenturen und Institute zur Seite. Gemeinsam und im Geiste vereint, wird es uns gelingen für researchbasiertes UX Design weiter zu werben und endlich auch die Frage aller Fragen zu beantworten:

User Research – Inhouse, integriert oder extern, vom Dienstleister erbracht?

Die Antwort ist, und ja es muss sein: „Es kommt drauf an!“ – aber hey, liebe Entscheider:innen, nehmt noch etwas mit: „Nehmt euch stets die Freiheit und Flexibilität mal intern und mal extern zu forschen. Je nachdem, wie die Rahmenbedingungen sind!“.

Die richtigen Dinge richtig gut zu beforschen, das können beide, wenn …

  • der externen Dienstleister die Hintergründe der Untersuchungsfragestellungen verstanden hat, wenn er vom Auftraggeber abgeholt und gebrieft wurde, wenn er bezahlte Zeit hat sich in die Untersuchungsfragestellungen hineinzudenken, sie zu durchdenken, zu hinterfragen, zu überarbeiten und zu vereinbaren.
  • die/der interne User Researcher:in fähig ist die richtige Methode und die richtigen Erhebungsverfahren auszuwählen, richtig gut anzuwenden, unbefangen und neutral zu handeln – wenn er/sie erfahren ist, sich stetig weiterbildet und den kollegialen Austausch mit anderen User Researcher:innen sucht und pflegt.

Beides ist wirksam, sinnvoll, beides liegt im Trend. Das zeigt nicht zuletzt der Blick auf die heutigen Rollen und Tätigkeitsfelder der Pioniere der privatwirtschaftlichen UX Forschung in Deutschland: Einige sind auf Kundenseite gegangen und bauten dort erfolgreiche, interne und integrierte UX / User Research Teams auf. Andere wiederum integrierten ihre Agentur, wie ich selbst auch die eresult GmbH, in ein großes Netzwerk. Viele erweiterten die pure UX Forschung um verbundene Design- und Entwicklungsleistungen, bauten ihre (Forschungs-)Unternehmen aus zu erfolgreichen Designagentur.

Sie alle eint die Erfahrung (bei weitem nicht mehr nur der Glaube!), dass gutes UX Design ohne User Research und UX Testing nicht gelingen kann. Gut so – denn diese Vielfalt im Wirken der UX Pioniere brachte und bringt auch in der Zukunft viele unterschiedliche Erfolgsgeschichten und zeigt deutlich, wie etabliert researchbasiertes UX Design inzwischen auf unterschiedlichen Ebene und in unterschiedlichen Facetten ausgestaltet werden kann.

Lasst uns UX Design größer machen!

Thorsten Wilhelm - nachdenklich!

Thorsten Wilhelm: Jeder Weg für mehr User Research ist ein guter!

Wie? Nun, auch das ist eigentlich ganz einfach:
Wir UX Professionals lieben was wir tun. Wir sind offen, kollegial, teilen unsere Erfahrungen und wirken nachhaltig. Wir kommen gerne zusammen. All das ist wunderbar.
Mit all dieser Freude und Liebe zu unserem Job ausgestattet, möchte ich euch, liebe UX Community um eine Kleinigkeit bitten: Redet mit Menschen außerhalb unserer Community darüber was ihr tut. Ich tue das so oft als möglich.

Erzählt euren Freunden, Bekannten, Partnern, Nachbarn … Geschichten über euren Arbeitsalltag. Redet wann immer möglich darüber was ihr tut, woran ihr arbeitet, wie ihr arbeitet und was eure Arbeit bewirkt. Auf diese Weise werdet ihr unsere Branche noch größer machen. Und das tut allen gut. Denn da draußen, außerhalb unserer starken Gemeinschaft, gibt es noch sehr viele Unternehmen, die weder UX Professionals (w/m/d) angestellt haben noch User Research Dienstleister beauftragen.

Jene Unternehmen sind (noch) in der Überzahl!

Und ich finde auch sie sollten unbedingt wissen, dass es uns gibt. Auch sie sollten von unseren Kompetenzen und Fertigkeiten profitieren.

Und dazu müssen sie wissen, dass es uns gibt und was wir tun.

(Hinweis/Anmerkung: Dieser Beitrags ist in einer kürzeren Version zuerst
erschienen auf marktforschung.de in meiner Kolumne „Klarblick UX“).

Der Beitrag Der Kern von gutem UX Design war, ist und bleibt User Research! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Hände schmutzig machen erwünscht: Tipps zum Meiden von Stolperfallen beim Optimieren von Mensch-Maschine-Interaktionen

Wenn ein UX Designer und Marketer mit einem Konstrukteur und Ingenieur über Maschinenbau und Mensch-Maschine-Interaktion (HMI) spricht, dann kommt Gehaltvolles zu Tage. Insbesondere dann, wenn sich die beiden schon seit 1971 kennen.

Ich – UX Designer & Marketer – kenne und schätze Thomas (Fiedler) – Ingenieur & Konstrukteur schwerer Maschinen und Fahrzeuge – schon seit meinem 1. Lebensjahr: Wir haben in der Kindheit und Jugend viel Zeit gemeinsam verbracht, im Sandkasten, auf Spielplätzen und Bauernhöfen. Und daher freue ich mich sehr, dass wir über unser gemeinsames Thema „HMI und Maschinenbau“ sprechen konnten.

Thomas Fiedler im Portrait

Thomas Fiedler

Thomas Fiedler arbeitet seit 1996 als Ingenieur und Führungskraft.

Von Anfang an war es ihm wichtig einen guten „Draht“ zu den Fahrern und Bedienern der von ihm konstruierten Maschinen herzustellen; deren Ansprüche und Bedürfnisse aufzunehmen und ihnen im Entwicklungs- und Gestaltungsprozess Gehör zu verschaffen.

Dies war und ist seine Stärke bis heute – und diese Einstellung war im Jahr 1996 alles andere als eine Selbstverständlichkeit für einen Konstrukteur schwerer Maschinen.

Thomas unterstützt Bergbauunternehmen und Energieversorger, Tiefbau- und Straßenbauunternehmen, die Hüttenindustrie (Metallurgie), Agrar-, Forst- und Kommunalbetriebe und Dienstleistungsunternehmen bei der Konzeption von Neuentwicklungen, deren Weiterentwicklung (alternative Antrieb, Usability & Ergonomie), erstellt System- und Typvergleiche und berät bei der Anschaffung von Maschinen. Dabei legt er stets viel Wert darauf nachhaltig zu handeln und Ressourcen zu schonen.

In unserem Gespräch auf Nutzerbrille teilt Thomas seine Erfahrungen als Konstrukteur, Sachverständiger und Berater. Er geht auf typische Entscheidungs- und Einkaufsprozesse in seinen Projekten ein, stellt dar welche Bedeutung die Ansprüche und Bedürfnisse von Nutzer:innen haben und gibt Tipps dazu, wie es gelingt sich als Konstrukteur die Brille von Fahrer:innen und Bediener:innen aufzusetzen.

Wenn der Eigentümer & Betreiber einer Maschine nicht der Nutzer ist!

Thomas, gib meinen Lesern ein Gefühl für die Maschinen, die Du konstruierst. Nehmen wir vielleicht die letzte:
Was hast Du konstruiert, wie teuer war die Maschine zirka und wie lief der Einkaufs- und Bestellprozess ab?

Thomas: Die letzte Maschine hatte einen Wert von ca. 1.2 Millionen €. , eine 50 Tonnen schwere Vortriebsmaschine für den untertägigen Bergbau in Nordamerika. Es war eine ähnlich einem Bagger aufgebaute Maschine für den selektiven Abbau von goldhaltigen Flözen unterhalb eines bereits bestehenden Tagebau.

Für neue Maschinen und darin enthaltene neue Komponenten findet der Einkaufprozess über standardisierte, prozessual geregelte Wege statt. Im Falle einer handelsüblichen Komponente erfolgt zunächst die Identifizierung der richtigen Komponente, möglichst aus dem Katalog des Komponentenherstellers. Ab und an wird mit dessen Kundenberatern noch eine Modifikation der Komponente verhandelt. Anhand des zu erwartenden Lastprofiles des Maschinenherstellers wird die zu erwartende Lebensdauer dieser Komponenten durch die technische Abteilung des Komponentenherstellers rechnerisch verifiziert. Es werden vom Lieferanten jeweils für einen Prototypen und für die zu erwartenden Serienlieferung sowohl Preise als auch Lieferzeiten angegeben und durch den Projekteinkäufer des eigenen Unternehmens nachverhandelt.

Anschließend ergeht über das ERP-System (Enterprise Resource Planning) des Maschinenherstellers eine Bestellung für den Prototypenbedarf an den Komponentenhersteller. In der Folge überwacht ein Projekteinkäufer den Fortschritt der Bestellung, aktualisiert fortlaufend den Liefertermin und meldet das Eintreffen der Komponente im Unternehmen.

Wie gelingt es sich die Brille der (Maschinen-)Bediener:innen aufzusetzen? 

Wow, das klingt nach aufwändigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen. Lass uns mal auf die Rolle der Fahrer:in bzw. Bediener:innen einer solchen Maschine blicken. Wie setzt ihr euch die Brille der Nutzer:innen auf und welche Bedeutung haben deren Wünsche und Anforderungen im Konstruktions- und Gestaltungsprozess?

Thomas: Die Rolle der Nutzer:innen (hier: Fahrer:innen / Bediener:innen) ist in den letzten etwa zwei Jahrzehnten immer bedeutender geworden. Sie sind wichtige und bisweilen gelegentlich unterschätzte Stakeholder in den Prozessen der Bauunternehmen.

Hintergrund ist immer öfter die Personalknappheit und zusätzlich das tendenziell fallende Ausbildungsniveau. Gut ausgebildete Bediener:innen auf „Schlüsselmaschinen“ bestimmen ganz wesentlich den Erfolg und den Forstschritt auf Baustellen. Außerdem sind die Nutzer:innen, wie in jeder anderen Branche, die Hüter von kostbarem Wissen, das es aufzuschließen gilt. Dabei ist es wichtig, mit geschickten Fragen die Informationen aus den Nutzern heraus zu kitzeln.

Viele von ihnen sind wirklich virtuose Bediener, manche sogar Enthusiasten, aber reden und schreiben oftmals nicht gern. Abgegebene Fragelisten kommen da auch schon mal unausgefüllt zurück, was aber nie bösem Willen entspricht. Es gilt in einem aktiven Gespräch den Leuten unterstützend zu entlocken, was sie als wichtig erachten. Oftmals sind dabei unsichtbare Hindernisse zwischen den Interviewpartnern, wie unterschiedliche soziale Herkunft oder unterschiedliche Schulbildung. Hier muss der Interviewer das Vertrauen seines Gegenübers gewinnen.

Des Weiteren kann es notwendig sein, das Wissen der Nutzer:innen nach einem Interview zunächst in einen korrekten physikalisch-technischen Terminus zu übersetzen: Stand die heutige Aussage „schnell“ in Relation zur Reaktionsgeschwindigkeit (dem Ansprechverhalten) oder geht es mehr um die allgemein zu langsame Ablaufzeit bei einem Arbeitstakt?
In diesem Fall ist es noch wichtiger, dass Informationen so unmittelbar wie irgend möglich zwischen Usern und Konstrukteuren ausgetauscht werden, da das Verfahren sonst schnell zu einem „Stille-Post-Spiel“ werden kann.

Das Wissen der Konstrukteure bei den Maschinenherstellern ist nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Wissen der Nutzer:innen bei den Endkunden. Konstrukteure können, ohne das Nutzerwissen zu besitzen, z.B. Schwerpunkte an anderen Stellen setzen und dabei an Nutzerbedürfnissen vorbei entscheiden.

Ohne einen „guten Draht“ zu Bediener:innen einer Maschine geht nichts!

Hast Du ein Beispiel bei dem deutlich wird was passieren kann, wenn die Anforderungen der Fahrer:innen bzw. Bediener:innen nicht in ausreichendem Maße Beachtung finden?

Thomas: Beispiele aus meinem eigenen Leben …

Fall #1: Raupenbagger

Ich habe mir bei Baggern häufig die Frage gestellt, will der Nutzer eine kräftige oder eher eine agile Maschine?
Tendenziell muss man sich als Konstrukteur in diesem Punkt später festlegen.

  • Frage an einen Nutzer auf einer Großbaustelle: „Warum habt ihr genau DIESE Maschine beschafft? Weil sie schnell oder weil sie kräftig ist im Vergleich zu anderen?
  • Antwort Nutzer: „Naja, das passt beides eigentlich ganz gut. Wirklicher Entscheidungsgrund war aber die gute Klimaanlage!

Der Fahrer saß in brüllender Hitze, nur mit einer Badehose bekleidet, auf dem Baggersitz. Inzwischen hatte er trotz laufender Klimaanlage die Frontscheibe hochgeschoben und die Seitentür geöffnet. Auf freier Fläche ohne natürlichen Schatten bei über 30°C im Schatten und in einer schwarz lackierten Maschinenkabine wird die Hitze zum alles bestimmenden Parameter. Das muss ein Konstrukteur erst verstehen lernen.

Fall #2: Radlader

In den 90er Jahren ist das Fahrerhaus bei einigen Herstellern auf dem Hinterwagen der Maschine, bei anderen auf dem Vorderwagen (also vor der Knicklenkung) platziert worden, anteilig etwa 50:50 bei den weltweiten Herstellern. Da die weiter hinten, also auf dem Hinterwagen angeordnete Kabine, mehr Nutzlast erlaubt, was aus Sicht der Betreiber erstrebenswert ist, gingen schlussendlich alle Hersteller dazu über, die Kabinen auf dem Hinterwagen anzuordnen. Zwischen Betreibern, Beschaffern und Herstellern herrschte Einigkeit.

Die Fahrer hatten zu dieser Zeit oft ganz andere Ansichten, fühlten sich übergangen. Beim Rückwärtsfahren ist eine Kabine auf dem Vorderwagen deutlich nutzerfreundlicher, unterstützt auf lange Sicht die Gesundheit der Fahrer und schützt die Sicherheit Dritter im näheren Umfeld besser. Heute, im Zeitalter der Rückfahrkameras und der 360°-Kamerasysteme, mit Radar und Lidar, hat sich das Thema wieder relativiert.

Hände schmutzig machen und Selbst(er)fahren!

Wenn ein Hersteller bisher noch so gar nicht „nutzerzentriert“ vorgegangen ist, nun aber starten will: Womit sollte er beginnen, was wäre ein pragmatisches Vorgehen?

Thomas: Diese Unternehmen können schnell und pragmatisch vorankommen, indem sie die Produktmanager und die Konstrukteure zum Selbst(er)fahren ermutigen. So fallen den verantwortlichen Personen schnell wichtigen Informationen zu, die dann aber noch entsprechend reflektiert werden müssen. Die eigene Wahrnehmung ist durch nichts zu ersetzen.

In einem zweiten Schritt gilt es zu netzwerken und Bauunternehmen und deren Fahrer zu finden, die sich interviewen lassen. Dabei ist mir oft aufgefallen, dass es den Bauunternehmen gar nicht so sehr um die verlorene produktive Zeit bei den Fahrern geht, sondern bereits viel Offenheit für dieses Thema besteht. Eine gut eingebundene Maschinentechnische Abteilung (MTA) des Bauunternehmens kann wertvolle Unterstützung leisten.

Erste, schnelle Statements der Nutzer können früh Klarheit verschaffen. Die Nutzer sollten dabei gern im Alter von ca. 40 Jahren oder darüber sein, da, einen dauerhaften Einsatz als Maschinenführer vorausgesetzt, die Erfahrung dieser Personen auf verschiedenen Maschinen von verschiedenen Herstellern so groß ist, dass auch rasch, aus dem Handgelenk, Vergleiche zu ähnlichen Produkten gezogen werden können.

Die Sprache der Nutzer:innen sprechen!

Thomas, Du bist passionierter Fahrer eines eigenen Baggers. Dir die Brille von Nutzenden aufzusetzen, wenn es drum geht einen Bagger weiterzuentwickeln, das fällt Dir sicher ziemlich leicht.
Zugleich hast Du sicherlich klare Vorstellungen davon, wie Du als Baggerfahrer von einem Hersteller eines Baggers behandelt werden möchtest, wie Du eingebunden werden möchtest bei der Weiterentwicklung und kontinuierlichen Verbesserung. Magst Du uns Deine Vorstellungen dazu kurz beschreiben?

Thomas: Ich versuche es mit der mir eigenen Empathie: Ich hätte gern einen Interviewpartner:in, der/die sich etwas auf meinem Gebiet auskennt. Es würde mich freuen, wenn diese Person eigene einschlägige Erfahrungen gemacht hat und mir schnell folgen kann, ohne dass ich viel , vor allem keine Basics, erklären muss. Dazu kann auch etwas Fachvokabular auf der Seite der/des Fragenden erforderlich sein.
Schon ein angemessener Gruß beim ersten Zusammentreffen kann das Eis brechen: Bergleute begrüße ich nicht mit „Guten Morgen“, sondern mit „Glück auf“.

Bei einem Interview in Deutschland vor Ort, besonders in traditionellen Unternehmen, ist ein weißer Bauhelm schnell ein Fauxpas, weil i.d.R. nur Führungspersonal diesen trägt. Auf dem Bau sind dies die Poliere (und Dienstränge darüber), im Bergbau, Tagebau und unter Tage, sind dies die Steiger (und Dienstränge darüber). Ausnahmen bestätigen die Regel: Dies ist unproblematisch, wenn inzwischen unternehmensweit weiße Helme getragen werden.
Andernfalls kann es schnell zu Verstimmungen kommen.

Insgesamt darf nichts getan werden, was die Berufsehre dieser Leute beleidigt.
Ich möchte als Interviewter

  • Wertschätzung erfahren.
  • möchte nicht belehrt werden.
  • möchte gern erfahren, was mit meinen Aussagen geschieht.
  • dass mein Interviewer auf Augenhöhe mit mir redet.
  • nicht, dass mein Gegenüber in irgendeiner Weise elitär ist bzw. wirkt.

Es kann auch die Aussage wichtig sein, dass die Geschäfts- und / oder Baustellenleitung das Interview autorisiert hat, falls dies vorab noch nicht intern geklärt worden ist.

Häufig bin ich am besten gefahren, wenn ich nicht zu viel von mir selbst erzählt habe. Während am Vortag ein Gespräch gut voran kam, als ich noch „Thomas“, per „Du“ und nur Mitarbeiter bei der Herstellerfirma war, ging es am nächsten Tag plötzlich nur schleppend weiter, nachdem Dritte von mir erzählt hatten („der hat dort was zu sagen“) und wir plötzlich wieder bei dem „Sie“ waren.

Handfeste Tipps für UX Professionals (w/m/d): beobachten, fachkundig fragen, zuhören, angemessen auftreten und Standesregeln beachten!

Magst Du uns – als UX Professionals / UX Designer (w/m/d) – noch einige Tipps geben: Was sollten wir unbedingt beachten, wenn wir mit Fahrer:innen oder Bediener:innen einer Maschine gemeinsam an deren Nutzerfreundlichkeit arbeiten wollen?

Thomas: Die Leute, z.B. auf dem Bau, im Bergbau, in der Landwirtschaft, auf dem Kommunalhof sind gut geerdete Leute, ohne Allüren.

  • Gern die Frage „darf ich Du sagen?“, was sowieso i.d.R. angenommen wird.
  • Respekt vor der Tätigkeit zeigen, nicht heucheln.
  • Nicht vorlaut sein und die Leute ausreden lassen (eigentlich Knigge-Basics).
  • Vor Ort schon persönliche Schutzausrüstung dabeihaben: Helm, Sicherheitsschuhe … etc.
  • In Pausen fragen, ob man sich zu den Leuten setzen darf.
  • Vielleicht mal mit einem Lächeln ein Bonbon aus der eigenen Jackentasche anbieten.
  • Einen Kaffee ausgeben, falls das ortsüblich ist.
  • Das Gespräch betont locker aufbauen. Stress haben diese Leute schon genug!
  • Nicht im Weg stehen, niemanden bei der Arbeit behindern.
  • Von mobilen Maschinen wegbleiben: Lebensgefahr!
  • Werbegeschenke dabeihaben: Meterstäbe (Zollstöcke), Baseball Caps, Feuerzeuge … etc.
  • Nach ehrlicher, aufrichtiger Kooperation streben.
  • Nachhaltige Verbindung anstreben, sofern es sich um gute Interviewpartner handelt.
  • Keine geschlossenen Fragen stellen!
  • Bei Bedarf neutrale Formulierungshilfen geben, aber nicht beeinflussen

Als Interviewer muss ich mein Interview als Chance verstehen. Im guten Fall springt dabei eine dauerhafte Zusammenarbeit heraus, wenn es noch besser kommt, eine Freundschaft, und die Leute sind auch ihrerseits an weiterer Zusammenarbeit interessiert.

Vielen Dank Thomas, für diese spannenden und tiefen Einblicke. Du hast mit Deinen Gedanken, Impulsen und konkreten Tipps einen wertvollen Beitrag dafür geleistet, dass die Ansprüche und Bedürfnisse von Fahrer:innen und Bediener:innen schwerer Maschinen in Zukunft noch mehr Beachtung finden werden. Und ich hoffe sehr, es war der Beginn einer Beitragsserie hier auf Nutzerbrille zu unserem gemeinsamen Thema: Mensch-Maschine-Interaktionen zusammen verbessern!

Der Beitrag Hände schmutzig machen erwünscht: Tipps zum Meiden von Stolperfallen beim Optimieren von Mensch-Maschine-Interaktionen erschien zuerst auf Nutzerbrille.