UX-Design und Inklusion: Aber bitte mit links – Warum es fatal ist, Geräte nur für Rechtshänder zu konzipieren

Was haben Nagellack und Scheren gemeinsam? Richtig, beide finden eine besonders schwere Anwendung, wenn sie mit der unüblichen Hand bedient werden. So dauert das Bemalen der Nägel länger und das Ergebnis ist unpräziser, wenn Rechtshänder mit der linken Hand lackieren wollen. Gleiches gilt für Scheren: Hat schon mal jemand versucht, mit einer Schere für Linkshänder:innen zu schneiden, wenn eigentliche die andere Hand dafür zuständig ist? Das Endprodukt wird nie so aussehen, wie geplant. Die Problematik der nicht optimalen Nutzbarkeit, lässt sich auf sämtliche Produkte beziehen, die nur für die Bedienung mit einer bestimmten Hand konzipiert sind.

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Fiktive Zukunftsbeiräte als Korrektiv in Transformationsprozessen

Auf einer Transformationsreise tauchen immer wieder Fragen der Orientierungssuche auf. Gegenwart und Zukunft, alte und neue Paradigmen ringen miteinander. Allzu oft behalten die Eigenlogiken, Routinen, das Bequemere, die Pragmatik oder das Altbewährte die Oberhand. Beiräte sind eine interessante Intervention, dem Zukünftigen und Werdenden mehr Kraft und eine bessere Kondition zu verleihen. In einer Zeit, in der die Führungsetagen der meisten Organisationen noch immer von (weißen) Männern geprägt sind, können fiktive Zukunftsbeiräte vielleicht eine wichtige Übergangslösung darstellen. In diesem Beitrag möchte ich ein Konzept bzw. eine Methode und Fallbeispiele für fiktive Zukunftsbeiräte vorstellen, in der sich Gedanken der Theory U, Social Presencing Theater und Soziodrama verbinden. 

Beiräte als hybride Transformations-Organe

Vor einer ganzen Weile begegnete ich mal einem Berater, der sich auf die Arbeit mit Aufsichtsräten konzentriert hatte. Aufsichtsräte sind hybride Organisationseinheiten irgendwo zwischen betriebswirtschaftlichen Kontroll-, unternehmerischen Mitgestaltungs- und fachlichen Sparringsfunktionen, besetzt mit Menschen, die keine Organisationsmitglieder und nicht weisungsgebunden sind. Einige Jahre später wurden Kunden- und Digitalbeiräte in Organisationen populär, die Kund*innen bzw. Digitalexpert*innen eine Stimme und ein Forum geben und einen ähnlichen Hybridcharakter haben. Derzeit erleben wir den Aufstieg von Klima- und Bürgerräten als partizipatives Korrektiv und Impulsgeber für Gesellschaft, Politik und Verwaltung. Aufsichts- und Beiräte in jeglicher Form stellen spannende Gegengewichte zu den starken Eigenlogiken in Organisationen dar. Sie integrieren die Perspektiven und das Wissen von den Rändern des Systems und jenseits der Systemgrenzen. Sie zwingen Systeme, den Blick auf das größere Ganze und die Veränderungsdynamiken zu legen. 

Fiktive Zukunftsbeiräte gründen

Die Implementierung eines richtigen Beirats ist eine größere und längerfristige Intervention in einem System. Und selbst beiratsähnliche Werkzeuge wie Wisdom-Councils sind deutlich aufwändiger in Vorbereitung und Durchführung. Wir haben einen Weg gefunden, wie Führungskräfte, Teams, Organisationen oder Communitys schnell und einfach fiktive Zukunftsbeiräte aufsetzen können und einen Teil der Effekte von Beiräten simulieren können. Wir hatten die Idee schon einmal ganz kurz im Artikel “Futures Thinking in Aktion” angerissen. In Teil 1 möchte ich zeigen, wie wir mit fiktiven Zukunftsbeiräten gearbeitet haben. In Teil 2 tauchen wir dann tiefer in das Methodische ein. 

Teil 1: Fiktive Zukunftsbeiräte in der Praxis

Ein fiktiver Zukunftsbeirat, wie wir ihn hier vorstellen, besteht aus drei Sitzen. Dieses Konzept ist abgeleitet von den drei zentralen Entkopplungen (ökologisch, sozial, spirituell) nach Otto Scharmer und deren Übersetzung im 4D-Mapping des Social Presencing Theaters (beides ausführlicher im Methodenteil).

  • ein*e Repräsentant*in für den Planeten bzw. die Natur
  • ein*e Repräsentant*in für jemanden oder etwas, dessen/deren Stimme im System zu wenig Gehör findet
  • ein*e Repräsentant*in für das höchste Potenzial des Systems

Selbstverständlich kannst du dir auch Zukunftsbeiräte mit anderen Repräsentant*innen, mit mehr oder weniger Sitzen bauen. In seinem Buch The Good Ancestor erwähnt Roman Krznaric ein Beispiel einer Future Citizens Assembly aus Japan. Dort wird z.B. mit fiktiven Vertretern der siebten Generation debattiert. Und auch das Klima-Parlament der Wesen und Unwesen passt in diese Logik.

Eine Case-Study: Ein Zukunftsbeirät für ein Museum

Im Dezember 2021 hatten Valentin und ich das Vergnügen, gemeinsam mit dem Sinclair-Haus zu arbeiten. Wir waren zu einem virtuellen Halbtagesworkshop eingeladen, um das erweiterte Museums-Team bestehend unter anderem aus Kurator*innen, Künstler*innen, der Öffentlichkeitsarbeit, der Kunstvermittlung zusammenzubringen und auf die kommende Ausstellung zum Thema „Wandelmut“ vorzubereiten. Dabei sollte es um eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema Wandel in einer mehr-als-menschlichen Welt gehen. 

Nach einer Einstimmung in das Thema Wandel auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene haben wir die Teilnehmer*innen zunächst Rollen für Dinge oder Lebensformen sammeln lassen, die eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren haben. Anschließend sprachen sie in Breakout-Räumen aus einigen dieser Rollen dazu. Darüber haben die Teilnehmer*innen sich sowohl in einer mehr-als-menschlichen Perspektive sowie mit längerfristigen Zeitdimensionen vertraut gemacht. Zudem wollten wir sie für mögliche Repräsentant*innen des Planeten und allem Natürlichen erwärmen. 

In einer zweiten Runde ging es dann um das erweiterte soziale Bezugssystem des Museums. Die Anwesenden sollten Rollen sammeln, die irgendwie mit dem Museum und der Ausstellung zu tun haben. Egal wie nah oder fern, wie direkt oder indirekt dieser Bezug sein mag. Auch hier schlüpften die Teilnehmer*innen in Rollen dazu. Neben dem Einfühlen für das soziale Feld, in dem sich ein Museum und solch eine Ausstellung bewegt, ging es darum zu schauen, wessen Stimmen zu wenig Gehör bekommen. 

Fiktive Zukunftsbeiräte


Anschließend führten wir das Konzept der drei Entkopplungen (siehe unten) ein. In einer Journaling-Runde suchte jede*r Teilnehmer*in Repräsentant*innen für die drei Sitze des Zukunftsbeirats. Gemeinsam haben wir dann für die Ausstellung “Bewerbungsgespräche” für den Zukunftsbeirat geführt. Dafür schlüpften Teilnehmer*innen in Rollen, die sie für den Zukunftsbeirat nominieren wollten. Die Gruppe entschied, sich nicht auf drei Sitze beschränken zu wollen, und aus drei Sitzen wurden sechs. Der Zukunftsbeirat setzte sich zusammen aus einem Pilz, einem Tier, einer/einem Obdachlosen/Obdachlosem, einer BIPoC-Klimaaktivist*in aus Südamerika, dem “Loch in der Mitte von allem” sowie Mykorrhiza. Daraus – sowie aus dem abschließenden Sharing – entspann sich eine intensive und erkenntnisreiche Diskussion über die anstehende Ausstellung und das Wirken des Museumsteams. Dabei ging es um Fragen der Repräsentanz und Wirksamkeit: wem geben wir eine Stimme und wessen Stimme wird hier nicht gehört? Wen beziehen wir in unsere Ausstellung mit ein und wen nicht? Wie erzielen wir mit einer Ausstellung über Wandel Wirkung? Welche Rolle nehmen wir als Museum in der lokalen und globalen Gesellschaft ein? Der fiktive Zukunftsbeirat hat dem Team geholfen, sich für noch offene Fragen, Themen und Spannungsverhältnisse zu sensibilisieren und mutiger nach vorn zu schauen. 

Weitere Anwendungsbeispiele für fiktive Zukunftsbeiräte

  • Wir haben das Konzept in einem Leadership-Programm für Nachwuchsführungskräfte eines Industrie-Unternehmens genutzt. Neben dem Zukunftsbeirat war der neue CEO als Rolle präsent. Der Zukunftsbeirat wurde genutzt, um mehr über den neuen CEO, seine Ambitionen und den Zeitenwechsel zu erfahren, der mit dem Wechsel an der Unternehmensspitze einhergehen könnte. 
  • Im Transformation Circle, einer von uns initiierten monatlichen Supervisions-Gruppe für Transformationsbegleiter*innen, haben wir mit dem Zukunftsbeirat das Vorhaben einer Teilnehmerin in Aktion erkundet. Andere Teilnehmer*innen schlüpften dafür in die von der Protagonistin vorgegebenen Rollen. Auch in dieser Variante hat der Zukunftsbeirat eine sehr tiefgehende Auseinandersetzung mit den Zukunftsplänen der Protagonistin ermöglicht.  
  • Beim Meet-Up der Berlin Change Days funktionierte das Konzept nur bedingt. Nicht zuletzt deshalb, weil eine relevante Zahl der Teilnehmer*innen keinen Bezug zu den Berlin Change Days hatte, es an einem gemeinsamen Bezugspunkt fehlte und der Zukunftsbeirat zu abstrakt in Gestalt und Ratschlägen blieb. Statt drei oder sechs Rollen haben wir den Rat für jede Stimme aus den drei Kollektivrollen geöffnet. 

Gemeinsamer Bezug als Voraussetzung

Unser Learning bislang: Damit fiktive Zukunftsbeiräte gut funktionieren, braucht es einen klaren Bezugspunkt. Je unklarer dieser Bezugspunkt wird, desto schwieriger wird es, einen Zukunftsbeirat zu bilden. Für die Durchführung solch einer Session haben wir 90 bis 150 Minuten inklusive Erwärmungen, Debriefing und generativem Dialog gebraucht. 

Fiktive Zukunftsbeiräte als Korrektiv in Transformationsprozessen

Als Abschluss des ersten Teils möchte ich die Idee vorstellen, solche fiktiven Zukunftsbeiräte in der Arbeit mit Transformationsprozessen zu nutzen. Ähnlich wie in früheren Zeiten die Konsultation des Orakels von Delphi können fiktive Zukunftsbeiräte Führungskräften, Teams oder Organisationen helfen, den Gestaltungsspielraum in ihrer Organisation offenzuhalten bzw. weiter zu öffnen. Selbst wenn (oder gerade weil) sie nur fiktiv sind: fiktive Zukunftsbeiräte sind zusätzliche Fürsprecher für ambitionierte Vorhaben und helfen einer Organisation, Teams oder Führungskräften langfristige Ziele und Verantwortung besser im Blick zu behalten und nicht nur auf das Machbare zu schauen. 

Mehr als nur eine einmalige Übung

In der Anwendung haben wir die co-kreative Entwicklung und einmalige Befragung solch eines Beirats als kraftvolles Werkzeug erlebt. Aber auch eine regelmäßige Konsultation nach/vor jedem neuen Zyklus oder Sprint sowie eine Umbesetzung oder Erweiterung des Gremiums scheinen uns spannende, leichtgängige und zugleich aktivierende Wege, mit fiktiven Zukunftsbeiräten in Transformationsprozessen zu arbeiten. Wenn du gern einen fiktiven Zukunftsbeirat für deine Transformationsarbeit entwickeln willst, nimm gern Kontakt mit uns auf. 

Teil II: Die theoretische Basis

Wer methodisch-theoretisch etwas tiefer eintauchen möchte, findet in diesem Teil die Basis für diese Art der fiktiven Zukunftsbeiräte. 

Das hier vorgestellte Konzept besteht einer Bricolage der drei Entkoppelungen nach Otto Scharme (Theory U), dessen Übersetzung im 4D-Mapping des Social Presencing Theaters (SPT), einen Auszug aus dem Seed Dance (SPT) und die Arbeit mit Rollen aus dem Soziodrama. Wer tiefer in drei Entkopplungen (Three Divides), das 4D-Mapping oder den Seed Dance eintauchen will, sollte sich das Buch “Social Presencing Theater” von Arawana Hayashi anschauen. Für die Arbeit mit dem Soziodrama, möchte ich das “Praxishandbuch Soziodrama” von Mirja Anderl, Christoph Buckel und Uwe Reineck empfehlen.

Die drei Entkopplungen (Three divides)

Otto Scharmer beschreibt die drei großen Entkoppelungen der gegenwärtigen Ära.

  • Die ökologische Entkopplung: als Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind wir aktuell stark von der Natur entkoppelt. Das äußert sich z.B. in der Vielzahl ökologischer Krisen, allen voran den Klima- und Biodiversitätskrisen.
  • Die soziale Entkopplung: als Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind wir aktuell stark von anderen Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften entkoppelt. Das äussert sich z.B. in der massiven Polarisierung von Einkommen, dem Zerbröseln politischer Institutionen, Intoleranz, Hass oder auch kriegerischen Auseinandersetzungen.
  • Die spirituelle Entkopplung: als Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind wir aktuell stark von uns selbst entkoppelt. Das äußert sich z.B. als der massiven Zahl mentaler Krankheiten wie Burnouts, Traumata oder Suizids.

Die Übersetzung im 4D-Mapping

Im 4D-Mapping des Social Presencing Theaters geht es darum, für ein Anliegen eine*r Fallgeber*in das Zusammenspiel der wichtigsten Akteure zu erkunden und Ideen für einen nächsten Schritt zu gewinnen. Wie bei einem Soziodama oder einer Aufstellung sind in jedem 4D-Mapping neben Rollen für die Akteure und Stakeholder*innen des Falls auch Repräsentant*innen der drei Entkopplungen dabei. Die ökologische Entkopplung wird durch eine Rolle aus dem ökologischen Kontext repräsentiert. Das kann z.B. das Klima, der Planet oder auch das lokale Wassersystem sein. Für die soziale Entkopplung wird eine Rolle gewählt, deren Stimme im System zu wenig Gehör findet. Die spirituelle Entkopplung wird durch eine Rolle repräsentiert, die das höchste Zukunftspotenzial des Systems zum Ausdruck bringt. In einem Fall, an dem ich teilgenommen habe, war das z.B. die nächste Generation der Unternehmensgründer*innen. 

Der Seed Dance

Der Seed Dance ist eine weitere Praktik im Social Presencing Theater. Im Seed Dance imaginieren und erspüren die Teilnehmer*innen ein gewünschtes Zukunftsfeld. Für dieses Zukunftsfeld lässt man den Körper eine Skulptur finden. In weiteren Schritten werden dann eine Skulptur für den Status Quo gefunden, ein Weg vom Status Quo zum Zukunftsfeld, Trieb- und Beharrungskräfte sowie Resonanzen von Mitwirkenden und Beobachter*innen integriert.

Wir haben für den fiktiven Zukunftsbeirat nur die Entwicklung der Skulptur des Zukunftsfeldes genutzt. Diese Arbeit hat sich als sehr hilfreich erwiesen, Teilnehmer*innen konkrete Ideen für die schwierige und spirituell anmutende Kategorie “das höchste Potenzial des Systems” zu geben.

Die Rollenbegegnungen des Soziodrama

Im Soziodrama versuchen wir mit einer Gruppe ein Thema in Aktion zu erkunden. Dafür kreieren und übernehmen Teilnehmer*innen die Rollen (und ggf. Schlüsselszenen), die für solch eine Exploration notwendig sind. Teilnehmer*innen sprechen und interagieren in Rollen miteinander, erkunden so das Thema und simulieren das jeweilige soziale System. Im anschließenden Sharing teilen die Teilnehmer*innen ihre Erlebnisse, Erfahrungen und Learnings. Im Fall des fiktiven Zukunftsbeirats übernehmen Teilnehmer*innen die Rollen für die drei Sitze und sprechen aus ihnen. Häufig gibt es mit der Organisation, dem Team oder dem CEO noch eine vierte Rolle. Die Organisation kann Fragen an den fiktiven Zukunftsbeirat stellen, sie kann ihre Strategien oder Zukunftsanliegen präsentieren und Stimmen aus dem Beirat hören. Teilnehmer*innen können aber auch als Individuen den fiktiven Zukunftsbeirat (in Rollen) befragen. 

Abschließende Bemerkungen zu fiktivien Zukunftsbeiräten

Wie bei einem echten Beirat liegt die Herausforderung nicht in der Arbeit mit dem Beirat, sondern in der Auswahl der richtigen Repräsentanten. Daher sollte ausreichend Vorbereitung, Aufwärmung und Exploration vor der Arbeit mit einem fiktiven Zukunftsbeirat erfolgen.

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Entwicklung der Künstlichen Intelligenz: Zu schnell für Regulierungen

„Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Mit diesem Satz hat Angela Merkel 2013 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Barack Obama für viel Spott und Häme gesorgt. Denn besonders die sozialen Netzwerke verloren keine Zeit, um sich über diesen vermeintlichen Patzer der damaligen Bundeskanzlerin zu amüsieren. Wer Internet für Neuland hält, stecke doch im 20. Jahrhundert fest. Tatsächlich ist die Wirklichkeit eine andere: Wer das Internet nicht für Neuland hält, hat die Tragweite der digitalen Revolution nicht erfasst. Das galt damals – genauso wie heute.

Die Künstliche Intelligenz führt uns diesen Sachverhalt dieses Jahr besonders deutlich vor Augen. Die rasante Entwicklung der KI sorgt weltweit für Erstaunen. Auch Frank Hutter, Professor am "Machine Learning Lab" der Universität Freiburg zeigt sich gegenüber dem ZDF beeindruckt: „Wenn man das Forschungswachstum der letzten Monate betrachtet, wären das normalerweise zehn Jahre Entwicklung.“ Viel zu schnell, um von einer vergleichsweise behäbigen Gesetzgebung reguliert werden zu können. Mehr als tausend führende Tech-Experten fordern deswegen in einem offenen Brief eine sechsmonatige Entwicklungspause in der KI-Forschung. Dabei gehe es nicht darum, KI-Forschung als Ganzes zu pausieren, sondern nur das Wettrennen der Tech-Giganten um die mächtigste KI, so Frank Hutter.

Wie gefährlich ist KI?

Die Unterstützer des offenen Briefes sehen die Gefahr eines Vertrauensverlustes in der Kommunikation. Immer menschlicher wirkende KI-Tools könnten Millionen authentisch aussehende Fake-Accounts auf Plattformen erstellen und Fake News verbreiten oder Wahlen beeinflussen. Weiter könnten KI-Systeme Einseitigkeit, Vorurteile und Rassismus aufgrund bestimmter Trainingsdaten weiterverbreiten. Zudem gebe KI autoritären Staaten die Möglichkeit zur ‚Totalüberwachung‘ einer Gesellschaft.

Den Gefahren der KI steht natürlich eine lange Liste von Potenzialen wie Automatisierung oder die Steigerung der Produktivität gegenüber. Außerdem würden die Fortschritte im KI-Bereich laut Hutter große Hoffnung bei der Krebsforschung machen. Das Problem liegt vor allem in der fast schon monopolartigen Dominanz der digitalen Big-Player bei der KI-Forschung. Die Ethik-Kodizes zu Aspekten wie Datenschutz oder Transparenz werden von großen Onlineplattformen schon seit Jahren ignoriert. Juristisch bindende Regulierungen fehlen bisher. Deswegen fordert die Medienethikerin Dr. Jessica Hessen von der Universität Tübingen eine Offenlegungspflicht für Filter und Algorithmen, die bei KI-Anwendungen verwendet werden.

Das Neuland erkunden

Ob die geforderte Forschungspause eine umsetzbare Lösung darstellt, bleibt fraglich. Trotzdem stößt der offene Brief die richtige Debatte an. Denn Künstliche Intelligenz ist für uns alle Neuland. In einem Neuland warten Potenziale und Gefahren. KI-Forschung, Politik und Gesellschaft müssen gemeinsam einen Weg finden, um Potenziale auszunutzen und Gefahren zu umgehen. Lasst uns aus diesem Prozess außerdem Lehren ziehen – die KI wird nicht das letzte unbekannte Land in der großen Welt des Internets bleiben.