Kategorie-Archiv: User Research

User Researcher:innen haben das Zeug zum Unternehmer!

Unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch denken und handeln:
Wer von Ihnen  ist Gestalter:in, Unternehmer, Unternehmerin, denkt strategisch, hat Visionen und formuliert sie? Wer von Ihnen arbeitet und handelt unternehmerisch und strategisch?

Es kommt drauf an! Worauf genau?
Vielleicht auf Ihre Rolle und Stellung im Unternehmen?
Das sollten Sie nicht zulassen.

Lassen Sie sich nicht in eine Ecke stellen, in die Sie nicht hingehören oder hingehören wollen. Bleiben Sie vielfältig und breit aufgestellt. Das gilt insbesondere für all jene, die die Rolle einer User Researchin, eines User Researchers inne haben.

Darf ich vermuten, dass viele von uns ….

  • UX Manager:innen, Journey Manager:innen“ UX Designer:innen, UX Architekt:innen, UX Engineers (w/m/d), UX Consutants (w/m/d), Produktinhaber:innen (POs) die Eigenschaften unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch zuschreiben,
  • User Researcher:innen aber in der Regel nicht?

Wir alle haben das Zeug zum Unternehmer, zur Unternehmerin!

Wir sollten User Researcher:innen nicht pauschal als operativ handelnde Rolleninhaber:innen abgrenzen oder gar abstempeln.  Ich kenne keinen Grund, warum das so sein sollte: Warum User Researcher:innen nicht unternehmerisch, gestaltend, visionär, strategisch denken oder handeln sollten. Kennen Sie einen Grund?

Die richtigen Fragen stellen, die relevanten und dringlichen Themen im User Research angehen, Innovationen anstoßen, aus Daten zielführende, erfolgswirksame Maßnahmen und Entscheidungen ableiten, nicht einfach nur umsetzen was andere anfordern in Sachen „Forschung & Research“, stattdessen mitdenken, kritisch sein, gestalten, Fragen aufwerfen, Neue Wege aufzeigen, Zielvorgaben erreichen, geschäftliche Erfolge herbeiführen und darüber erzählen und berichten.

Ich kenne viele User Researcher:innen, die genau das täglich tun – und das ist gut so.

Wir haben so viele User Researcher:innen, die unternehmerisch denken und handeln – nur leider sprechen wir zu wenig mit und über sie!

Ohne User Research & UX Testing Wettbewerbsvorteile erzielen, geht das?

Wenn Märkte stagnieren, schrumpfen, sich konsolidieren, dann können Unternehmen ihren Wert halten und steigern, wenn sie aus  (Neu-)Kundensicht und im Vergleich zum Wettbewerb relevantere und bedeutsamere Vorteile bieten. Wenn sie:

Die richtigen Dinge gestalten – und diese richtig gut gestalten!

Produktinhaber:innen („Product Owner“) verantworten beides:

  1. Die richtigen Dinge gestalten.
  2. Die Dinge richtig gut gestalten.

Produktinhaber:innen sind insbesondere in schrumpfenden, stagnierenden Märkten gefordert beides bestmöglich und zugleich auf effiziente Art und Weise sicherzustellen.

Worauf kommt es in solchen Situationen an?

Auf unfassbar viel. Insbesondere auf Schnelligkeit im Handeln, einen Fokus auf das Wesentliche und im Ergebnis auf richtig gute Entscheidungen!

Alle im Team müssen nun jene Dinge tun, jene Aufgaben in den Fokus stellen, die sie richtig gut erledigen können und wollen.  Und alle müssen unternehmerisch denken und handeln. Das gilt für alle Teamrollen:

  • Die/den PO selbst,
  • Entwickler:innen,
  • Marktforscher:innen („Business Analysten“),
  • User Researcher:innen
  • UX Designer:innen.

Was bedeuten derartige Marktsituationen für UX Designer:innen? 

Ich fürchte jene Rolleninhaber:innen werden ihren Fokus auf UI Development / UI Design legen (müssen). Sie werden intensiver und direkter mit Entwickler:innen zusammen arbeiten. Das ist im Grundsatz ja nicht schlecht, diese enge Zusammenarbeitet, insbesondere dann, wenn die/der Rolleninhaber:in kompetent und genrealistisch aufgestellt ist.

Was wird in den Hintergrund treten?

Ich fürchte UX Testing und User Research werden „eingespart“: Weniger Zeit und Geld für die Analyse von Anforderungen und Bedürfnissen von Nutzenden und Kunden. Früh und oft testen – das wird weniger oft stattfinden, vielleicht ganz entfallen. Stattdessen werden immer mehr User Researcher:innen „Forschen am Schreibtisch“ betreiben (müssen). „Sekundäranalysen“ werden primärer, empirischer Forschung vorgezogen – jedenfalls dann, wenn wir das zulassen … .

Wenn Sie als User Researcher:innen es zulassen, dass Budget-Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die den Wert und positiven Effekt von UX Testing und User Research auf den ROI ihres Unternehmens nicht kennen, weil Sie ihnen jenen nicht verdeutlicht haben!

Lassen Sie das nicht zu. Liebe User Researcher:innen, laßt das nicht zu:
Ihr alle habt das Zeug das zu verhindern.

User Reseacher:innen müssen unternehmerisch denken und handeln, müssen unternehmerisch auftreten, um ihre strategisch so relevante Rolle in Unternehmen zu finden oder zu halten!

Ohne UX Testing und User Research keine Wettbewerbsvorteile!

Kommen wir zurück zu dem, was von Produktinhaber:innen in wettbewerbsintensiven Märkten und Situationen erwartet wird: Die richtigen Dinge gestalten – diese Dinge richtig gut gestalten!

Ich frage mich, ich frage Sie: Wie soll das funktionieren, wenn UX Testing und User Research in den Hintergrund treten? Wenn Anforderungsanalysen und Tests eingespart werden? Wenn Sekundärforschung, wenn das „Forschen am Schreibtisch“ eigene Studien und Tests ersetzt?

Es geht einfach nicht!

Will man die richtige Entscheidungen gut treffen – und das muss man, will man die richtigen Dinge gut tun – und auch das muss man, dann braucht es Erkenntnisse auf der Basis von qualitativ hochwertigen Daten.

Wie werden aus Zahlen und Fakten Erkenntnisse für gute Entscheidungen?

Es braucht Daten (Zahlen & Fakten) aus einer Studie („primäre“ Datenerhebung), die das Erkenntnisinteresse (Untersuchungsfragestellung(en)) objektiv, zuverlässig und valide erfüllt.

Zeitdruck, Erkenntnisdruck und zugleich die Notwendigkeit Geld zu sparen!

Unter solchen Rahmenbedingungen wird „Forschen am Schreibtisch“ – Desk-Research, Sekundärforschung – nun einmal angesagt(er), wird empirischer Primärforschung öfter vorgezogen.

Normal, aber auch „gut so“?  

Forschen am Schreibtisch basiert meistens auf …

  • Daten aus eigenen, bereits durchgeführten (Primär-)Forschungen
  • Datenbanken – eigenen und eingekauften (z.B. Statistisches Bundesamt, Statista)
  • Daten, auffindbar beim Suchen im „World Wide Web“ (Internet).

Einfach mal machen – auch wenn’s nur zweite Wahl ist?

Beim Forschen am Schreibtisch werden vorhandene Zahlen und Fakten herangezogen, um Fragestellungen zu beantworten, die das Erhebungs- und Auswertungsdesign der Studien hinter den Daten nicht bestimmten.

Klingt kompliziert – das mit der Sekündarforschung?

Ja, ist es auch. Es braucht eine systematische, durchdachte Recherche-Strategie, jede Menge Erfahrung, darunter auch viel schmerzhafte, gezahltes Lehrgeld, aber selbst dann ist Sekundärforschung noch immer mit viel Unsicherheit behaftet, da …

  • keine auf die Fragestellung(en) zugeschnittene Datenerhebung erfolgte, was bedeutet: wenig Aussagekraft, viel Interpretationsspielraum.
  • oft keine tiefen Einblicke in das Erhebungs- und Auswertungsdesign der Studien gewährt werden, so dass die Qualität (Objektivität, Zuverlässigkeit, Gültigkeit) und Aktualität der genutzten Daten bzw. Studien hinter den Daten nicht immer bewertet werden kann.

Aber hey, ist denn die Arbeit mit ChatGPT & Co. nicht auch Sekundärforschung?

Im Prinzip schon. Aber deutlich einfacher und bequemer, unterstützender und kollegial mitdenkend, in der gewonnenen „Weitsichtigkeit“ deutlich weiter, tiefer und breiter, damit sicherer, aber auch mit generativer KI/AI Unterstützung gilt:

Forschen am Schreibtisch sollten Sie nur einsetzen, um …

  • Forschungsbedarfe und Forschungslücken zu erkennen,
  • Hypothesen zu entwickeln und darauf aufbauend
  • effiziente Primärforschung zu konzipieren.

Mit viel Sicherheit, dass Sie erforschen, wozu es noch keine Daten gibt und dass Sie beim Konzipieren Ihrer Studie(n) darauf aufbauen, was es an Erkenntnissen schon gibt.

Unternehmer, Stratege, Umsetzer (w/m/d): User Researcher:innen sind vielfältig!

Portraitfoto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Liebe User Researcher:innen, lasst euch nicht in eine Ecke drängen. Und falls schon geschehen: Kommt da raus. Raus aus Ecken, in die ihr nicht hingehört, die euch abstempeln mit stereotypischen Eigenschaften, die ihr nicht wollt, die euch „unter Wert“ darstellen!

  1. Ihr werdet gebraucht, operativ handelnd und strategisch denkend.
  2. Ihr werdet gebraucht als Umsetzer:innen und  Gestalter:innen, Unternehmer:innen.

Als User Researcher:innen haben Sie, habt ihr eine Rolle, in der ihr unternehmerisch und strategisch handeln könnt – und ihr solltet das auch tun. Ihr habt das Zeug zur Unternehmerin, zum Unternehmer. Setzt es ein, insbesondere in Zeiten, in denen der Wettbewerb im Markt intensiv ist.

Und lassen Sie sich als User Researcher:in unter diesen Rahmenbedingungen nicht zu „Forscher:innen am Schreibtisch“ abdrängen. Auch nicht von neuen Technologien.

Forschen Sie gern weiter mit ChatGPT, YOU, Consensus, SciSpace & Co. „vor- und nachrangig“, aber bleiben Sie stets offen für eigene, empirische Studien und zeigen Sie diese begründet an, wenn sie Ihnen nötig erscheinen. Sie werden gehört werden, insbesondere dann, wenn Sie unternehmerisch denken, handeln, argumentiert, wenn Sie die Sprache einer/eines Unternehmer:in wählen.

Der Beitrag User Researcher:innen haben das Zeug zum Unternehmer! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Digitale Barrierefreiheit: Einfach machen – Es könnte ja gut werden!

Wer barrierefrei gestalten will, der findet einen Weg. Wer das nicht will, der findet Ausreden.
Diese Aussage, angelehnt an das Buch von Raúl Aguayo-Krauthausen mit dem Titel „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden!“, wird Matthias Blaß – mein Partner im Experten-Interview auf nutzerbrille.de – teilen und unterstützen.
Da bin ich mir fast zu 100% sicher.

Matthias Blaß hat in seinen Rollen als Product Owner und UX Professional schon viele Touren geplant und Wege eingeschlagen.
Wege die im Ergebnis zu erfolgreichen digitalen Produkten und Services führten. Erfolgreich sowohl im Sinne des Erreichens von vorgegebenen oder selbst gesetzten Zielen als auch im Sinne seiner Leidenschaft für barrierefreie Produktgestaltung.

Matthias Blaß, Produktowner und UX Professional im Portrait

Matthias Blaß, Product Owner & UX Professional seit 1998

Ich freue mich daher sehr, lieber Matthias, dass du mich und meine Leser:innen an deinen umfangreichen Erfahrungen teilhaben lässt.

2004 durfte ich das erste Mal von deinen Erfahrungen profitieren. Damals hast du als Gründer und Entwickler des ersten barrierearmen Seniorenportals Deutschlands (Lebensphasen(.)de) auf dem von der eresult GmbH ausgerichteten Usability-Kongress einen informativen und unterhaltsamen Vortrag zu den ThemenBarrierefreiheitund seniorengerechte Website-Gestaltung gehalten. Beide Themen waren damals für die meisten Teilnehmer:innen des Usability-Kongresses (noch) nicht besonders relevant – soweit ich mich noch erinnern kann.

Was war damals deine Motivation zu diesem Vortrag, welche (Kern-)Botschaft wolltest du als Missionar in Sachen barrierefreie Websitegestaltung teilen?

Matthias: Im Jahr 2002 traten sowohl das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) als auch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) in Kraft. Diese verpflichteten insbesondere die Bundesbehörden sowie öffentliche Verwaltungen zur digitalen Barrierefreiheit. Parallel dazu kam Anfang der 2000’er Jahre mal wieder ein Trend im Marketing auf:
Die Generation 50plus war plötzlich super attraktiv.

Zu der Zeit arbeitete ich als Projektmanager in Digitalagenturen und wir entwickelten fancy Kampagnen-Webseiten, vornehmlich mit einer sehr grafiklastigen und hochgradig animierbaren Technologie namens Flash. Das Hauptproblem für uns war zu der Zeit der sogenannte “Browser War”. Das bedeutete, dass man für den Internet Explorer und den Mozilla Firefox spezielle Anpassungen programmieren musste, weil die Browser wenig standardisiert waren. Das ist heute ja nicht mehr so, aber das war noch vor dem ersten iPhone oder Alternativen wie Googles Chrome.

Einfach machen – Es könnte ja gut werden!

Matthias: Mich hat es immer genervt, dass man aus visuellen (Verkaufs)Gründen so viel Aufwand betrieben hat. Ich war schon damals der Meinung, dass man solche Projekte vereinfachen können muss. Und als dann die Themen 50plus und Barrierefreiheit kamen, war das für mich die persönliche Motivation:

„Ich wollte zeigen, dass man visuell ansprechende und funktionale Webseiten auch einfacher und zudem maximal zugänglich erstellen kann!“

Ich bin ja kein gelernter Softwareentwickler. Ich kann HTML und CSS und einfachen Programmcode verstehen. Aber das hat damals genügt, um Templates für ein Content-Management-System zu entwickeln und das erste barrierearme Senioren-Portal ins Leben zu rufen.

Neben der einfachen Programmierung konnten die Nutzer:innen die Ansicht skalieren oder das Farbschemata ändern. Das Portal umfasste ein Online-Magazin, ein Forum, einen interaktiven Agenten, E-Card-Service und später sogar einen Online-Shop. Das Gesamtprojekt war weit davon entfernt wirklich barrierefrei zu sein. Aber ich wollte zeigen, dass man ansprechende Webprojekte für alle Zielgruppen anbieten kann. Daher lautete der Titel des Vortrags 2004 auf dem Usability-Kongress: Raus aus der Schublade behindertengerechter Webseiten.

Denn damals hieß es immer, dass barrierefreie Webseiten nicht gut aussehen würden. Deshalb hat das Thema meiner Meinung nach auch in der freien Wirtschaft kein Gehör gefunden.

Die Menschen und das Geschäft immer im Blick!

Seit 2004 ist viel geschehen. Du konntest deine Fertigkeiten und Kompetenzen weiter ausbauen.
Welche deiner zahlreichen Projekte, Herausforderungen und beruflichen Stationen haben deine Leidenschaft für barrierefreie, menschenzentrierte Gestaltung besonders geprägt und gestärkt? 

Matthias: Meine Leidenschaft für gute Usability und User Experience entwickelte sich hauptsächlich in den Jahren bei einer Bank. Dort war ich lange für die Conversion-Optimierung der Online-Antragsstrecken und später für die Entwicklung des Kundenportals (Online-Banking-Plattform) verantwortlich.

Das Thema (technische) Barrierefreiheit war allerdings nicht unser primärer Antrieb, sondern der ROI. Unser Anspruch war immer, die Landingpages und Prozessseiten so zu gestalten, dass es möglichst wenige Kauf-Abbrüche gibt. Und da mussten wir einfach den Menschen stärker in den Mittelpunkt setzen, um zu verstehen, wie dieser eine Webseite tatsächlich versteht und in unterschiedlichsten Situationen mit diversen Endgeräten nutzt.

Wir haben zu der Zeit unheimlich viel getestet und auch viel gelernt. Gerade in direkten Gesprächen mit den Nutzer:innen, sei es im Labor oder in Remote-Tests, erfährt man so viel über die digitalen Barrieren, vor denen sich Menschen wiederfinden. So zieht sich das Thema barrierefreie, menschenzentrierte Gestaltung seit Jahren durch meine beruflichen Stationen. Nicht immer mit dem Erfolg, den ich mir wünsche, aber ich merke, dass die Sensibilisierung dafür überall größer wird.

Digitale Barrierefreiheit: Jetzt wird es ernst!

20 Jahre nach deinem Vortrag auf dem Usability-Kongress in Göttingen ist das Thema „digitale Barrierefreiheit“ für viele (endlich) relevant und für nicht wenige inzwischen auch dringlich.Was sind die zentralen Gründe dafür, dass das Thema „digitale Barrierefreiheit“ heute, im Jahr 2024, für viele eine hohe Bedeutung hat? 

Matthias: Ehrlicherweise muss man konstatieren, dass die Gründe weder Altruismus noch Menschenliebe sind, sondern die verschärfte Regulatorik. Neben dem bereits seit 2002 geltenden Behindertengleichstellungsgesetz gibt es zahlreiche weitere Gesetze, die sich mit dem Thema Inklusion befassen. Das Ganze gipfelt in das am 22. Juli 2021 in Kraft getretene Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das am 28. Juni 2025 vollständig in Kraft tritt.

Und hier wird es jetzt interessant. Denn wurden 2002 nur Bundesbehörden und die öffentliche Verwaltung zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet, so betrifft es jetzt auch Wirtschaftsunternehmen. Und zwar in Form von Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen bei Verstößen. Das kann bei Geldbußen durchaus bis zu 100.000 € gehen. Bei solchen Beträgen denkt der eine oder andere vielleicht noch lächelnd an seine Portokasse. Aber die Marktüberwachungsbehörden haben die Befugnis, die Bereitstellung des Produkts oder der Dienstleistung einzuschränken oder zu untersagen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass bei einem nicht barrierefreien B2C Online-Shop, der mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr macht, im schlimmsten Fall der Stecker gezogen wird. Und das kann dann schnell existenzbedrohend werden.

Jetzt gibt es natürlich auch im BFSG wieder Ausnahmen und Einschränkungen und man kann sich fragen, wie das Ganze überhaupt überwacht werden soll. Hier sollte man aber den Markt nicht unterschätzen, denn der wird auch hier regelnd eingreifen. Ich denke an den nicht ganz so freundlich gestimmten Wettbewerber. Oder die Abmahnanwälte, die mit fehlendem Webseiten-Impressum kein Geld mehr verdienen. Und ich bin mir sehr sicher, dass nach 20 Jahren mäßigem Umsetzungserfolg durch Freiwilligkeit, der Regulator (in diesem Fall zuallererst die EU) die Ausnahmen und Einschränkungen nach und nach einkassieren wird. Ein Abwarten und Weitermachen wie bisher kann also teuer werden.

Es lohnt sich (wieder) groß zu denken!

Wer profitiert, neben Menschen mit Behinderungen, von einer barrierefreien Gestaltung digitaler Produkte und Services?

Matthias: Zunächst einmal, wie zuvor bereits erwähnt, ältere Menschen. Von den knapp 8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung in Deutschland sind fast 80% älter als 55 Jahre. Laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) liegt die Kaufkraft der Generation 50plus bei über 720 Mrd. € pro Jahr. Eine nicht zu unterschätzende und weiterhin wachsende Zielgruppe.

Etwa 90% der Behinderungen sind “erworben” (etwa durch Krankheiten) und nicht “angeboren”. Das bedeutet, dass in Deutschland jeder heute “gesunde” Mensch künftig behindert werden kann. Zusätzlich muss man bedenken, dass man von einer schweren Behinderung erst ab einem Behinderungsgrad von über 50% spricht. Es gibt also sicher eine nicht unerhebliche Dunkelziffer an “leichten” Behinderungen.

Wenn wir Behinderungen meinen, sprechen wir in der Regel von permanenten Einschränkungen, z.B. dem blinden Menschen. Es gibt aber auch temporäre oder situative Einschränkungen. Bezogen auf digitale Barrierefreiheit sind damit z.B. der gebrochene Arm (temporär) oder das Baby auf dem Arm der Mutter (situativ) gemeint, die eine Bedienung einer Webseite oder App be- oder verhindern.

Ein kleiner Punkt, der aber sicher die budgetverantwortlichen Manager interessiert, ist, dass barrierefreie Webseiten per se suchmaschinenfreundlicher sind. Suchmaschinen sind also ebenfalls eine Zielgruppe. Man könnte also das SEO-Budget auch für eine AO (Accessibility Optimization) benutzen. Wir können einfach festhalten:

„Eine nicht barrierefreie Lösung behindert nur etwa 10% der Deutschen. Eine barrierefreie Lösung hilft dagegen allen. Heute und in Zukunft.“

Welche grundlegenden (Gestaltungs-)Prinzipien sollten UX Designer:innen beachten, wenn sie in einem Produktentwicklungsprozess von Beginn an Barrierefreiheit mitdenken und mitgestalten wollen?

Matthias: Ganz wichtig ist das Credo, das sicher alle UX’ler verinnerlicht haben:

„You are not the user!“

Das ist bei Nutzer:innen mit Behinderung noch viel wichtiger. Hier helfen z.B. auch Personas mit Beeinträchtigungen. Ich mag auch den Begriff “Inclusive Design”. Der ist noch stärker als “Universal Design”. Zumal Inklusion heute ein gängiger Begriff ist und die meisten damit etwas anfangen können.

Wir reden im UX-Umfeld häufig von einer systematischen Verzerrung der Wahrnehmung (Bias). In diesem konkreten Fall ist der Visual Bias für UX Designer:innen wichtig. Normalerweise gestalten wir als Sehende für Sehende. Selbst beim Blick auf einen Low-fi Wireframe “sehen” wir sofort, wie die Nutzerführung gemeint ist. Hier hilft es schon, wenn man sich vorstellt, wie ein Screenreader vorgehen würde, der nicht „sieht“, wo z.B. ein Call-to-Action positioniert ist.

Ansonsten eigentlich alles, was per se eine gute User Experience ausmacht:

  • Eine klare Informationsarchitektur und -hierarchie (Sektionen, Überschriften),
  • hohe Kontraste für Schriften und grafische Elemente (Farben),
  • Mindestgrößen für Schriften oder klickbare Elemente (speziell für Mobile),
  • Konsistenz (Seiten- und Geräteübergreifend),
  • Unnötiges weglassen (Overlays, separate Browsertabs),
  • einfache verständliche Sprache.

Und zu guter Letzt die komplette User Journey im Blick haben. Also woher kommt der User (mit einer Behinderung) und was passiert nach dem Kauf (ist die Bestätigungsmail auch barrierefrei?). Hier zeigt sich auch, dass ein inklusives oder universelles Design nicht nur Aufgabe der UX Designer:innen ist, sondern dass alle am Produkt Beteiligten ein entsprechendes Verständnis entwickeln müssen.

Ist deine Website barrierefrei? – Finde es heraus!

Lass uns den Blick auf vorhandene, digitale Produkte und Services richten. Zum Beispiel einen Online-Shop für Möbel, die Website eines Ferienhotels in den Alpen oder die Website einer Versicherung, die Zahnzusatzversicherungen anbietet. Welche Möglichkeiten haben Betreiber:innen derartiger Websites, um einen (automatisierten) Accessibility Quick-Check durchzuführen, um die zentralen Barrieren ihrer Websites zu erkennen?

Matthias: Am einfachsten und schnellsten geht es mit Accessibility-Plugins für die gängigen Browser. Diese gibt es für spezielle Barrieren wie z.B. Farbkontraste oder die Simulation von Fehlsichtigkeiten (Rot-Grün-Schwäche) oder auch für umfassendere Tests auf Basis der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortiums (W3C).

Die Entwicklertools der Browser selbst haben auch einfache Reports für Barrierefreiheit integriert. Man kann seine Seiten auch anhand der WCAG oder BITV-Checklisten manuell prüfen. Viele Prüfpunkte kann man tatsächlich hands-on prüfen, z.B. ALT-Tags von Bildelementen. Oder man versucht einfach mal mit der Tastatur durch seine Webseite zu navigieren. Diese Quick-Checks helfen bei der schnellen Evaluation des Status Quos.

Welche weitergehenden Analysen sind ratsam, um den Grad der Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung von  Anforderungen an digitale Produkte oder Services aus dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz festzustellen?

Matthias: Die zuvor genannten Tools arbeiten in der Regel Checklisten ab und listen Regelverletzungen auf und geben Empfehlungen ab. Sie gehen aber nicht situativ auf Besonderheiten ein, z.B. die Nutzung von assistiven Technologien wie einem Screenreader.

Für mobile Applikationen oder auch Rechner gibt es bereits im Betriebssystem installierte Hilfsmittel, die man für weiterführende Analysen nutzen kann. So bieten Apple mit VoiceOver, Android mit Talk Back oder Windows mit Narrator einen kostenlosen Screenreader an, mit dem man seine Webseiten oder Apps selbst testen kann.

Des Weiteren gibt es professionelle Tools, die man zur Analyse nutzen kann und die man inhouse auch mit entsprechendem Know how für automatisierte Tests nach den Standard-Checklisten nutzen kann. So etwas hat den Vorteil, dass man diese Tests über APIs in die normalen QS- und Entwicklungs-Prozesse seiner CI/CD-Pipeline integrieren kann.

„Der Gold-Standard ist dann sicherlich, wenn Menschen mit Behinderungen in die Tests eingebunden werden!“

Denn wie in den gewohnten UX-Tests erfährt man so noch wesentlich mehr aus der Nutzerbrille, wie assistive Tools tatsächlich helfen und wo auch diese an ihre Grenzen stoßen.

Welche Fertigkeiten und Kompetenzen sind nötig, um einen Konformitätstest durchzuführen?

Für die Durchführung selbst sollte man mit der Nutzung von Online-Tools vertraut sein. Mehr bedarf es eigentlich nicht.

Viel wichtiger ist allerdings die Auswertung solcher Tests. Hier sollte ein grundlegendes Verständnis vom technischen Aufbau einer Webseite oder einer App vorhanden sein, um die Ergebnisse der Checks bewerten und entsprechende Maßnahmen ableiten zu können. Wer nicht weiß, was ein ALT-Tag ist, oder warum eine klare Inhaltsstruktur oder Hierarchie der Überschriften (H1-Hx) wichtig ist, oder wie die Kontrastverhältnis zu interpretieren sind, versteht die Testergebnisse möglicherweise nicht wirklich.

Das große Ganze stets im Blick: Menschen, Geschäft, Technologie!

Du hast in deinem Berufsleben verschiedene Rollen innegehabt, durftest verschiedene Positionen begleiten und konntest vielfältige Kompetenzen aufbauen und Erfahrungen sammeln. Du vereinst inzwischen die Kompetenzen von 3 Berufsgruppen in dir:

  • UX Professional
  • Product Owner
  • Entwickler.

Das ist außergewöhnlich – ganz sicher nicht die Regel. Die Regel ist: Jede der genannten Rollen wird in Unternehmen von unterschiedlichen Personen eingenommen. In einer solchen Situation, in einem solchen Kontext stellt sich mir die Frage: Was ist zu beachten, worin bestehen Stolperfallen, und wie kann man sie umgehen, wenn ein/-e UX Designer:in Barrierefreiheitstests und Konformitätsanalysen durchführt und im Anschluss „Arbeitsaufträge“ an Entwickler:innen formuliert?

Matthias: Meine Expertise als “Entwickler” habe ich eingangs ja bereits relativiert. Trotz allem hat mir dieses Wissen immer dabei geholfen, zu verstehen, wie eine Webseite sowohl technisch als auch visuell aufgebaut ist und für den User funktioniert. Auch die Fähigkeit, Komplexitäten und die damit verbundenen Aufwände einzuschätzen, sind hilfreich. Gleiches gilt für das Verständnis der Aufgaben eines POs (Business Fokus) und UX’lers (User Fokus).

In einer einfachen, idealisierten Welt reicht ein/-e UX Designer:in das Ergebnis eines Tests an das Entwicklungsteam weiter und überprüft nach der Umsetzung mit den Test-Tools erneut das Ergebnis. Nach ein paar Iterationen ist alles erledigt, das Produkt barrierefrei und alles gut. Job erledigt, nächstes Projekt. Schöne heile Welt.

Wir wissen aber, dass es in der Realität anders aussieht. Die UX’ler formulieren nicht einfach die Arbeitsaufträge. Diese müssen meistens mit dem internen oder externen Entwicklungsteam sowie dem PO verhandelt und priorisiert werden. Hier sind gute Kommunikationsfähigkeiten sowie das zuvor genannte technische Verständnis von Vorteil. Ein gutes Verständnis der Zusammenhänge hilft auch, um beim Gegenüber ein besseres Verständnis zu erzeugen, weshalb man die Änderungen vornehmen muss.

Lass uns zum Schluss noch auf User Tests mit Menschen mit Beeinträchtigungen eingehen. Expertenbasierte Konformitätstests sind – so meine Erfahrung – zielführend und besonders wertvoll, wenn die Expert:innen assistive Tools und Technologien, wie z.B. Screenreader, bei ihren Analysen einsetzen.
Welche zusätzlichen Vorteile bieten Tests mit Menschen mit Beeinträchtigungen?

Matthias: Aus meiner Sicht ist der größte Vorteil, dass z.B. der Nutzer eines Screenreaders in der Regel mit diesem Tool vertraut ist. Er weiß dann, wie er es in seiner gewohnten Umgebung und mit seinen Devices nutzen muss. Oder eben auch nicht, dann ist ein Screenreader eben auch kein Allheilmittel. Man schaltet ihn nicht einfach ein wie ein Radio und schon hört man alles wie gewünscht. Diese Tools bedürfen einer Konfiguration.

Oder nehmen wir Videos. Idealerweise stellt man Transkripte zur Verfügung. Heute vermutlich oft automatisiert mittels KI. Job erledigt? Die pure Transkription eines komplizierten Videos macht den Inhalt zwar „konsumierbar“, aber dadurch noch lange nicht für Menschen mit Ausprägungen von Autismus “verständlich” (Stichwort leichte oder einfache Sprache).

Idealerweise versucht man ein breiteres Spektrum an Beeinträchtigungen abzubilden.

„Wenn man bei klassischen UX-Tests bereits ab 5-7 Usern wertvolle Ergebnisse erhält, rekrutiert man für Barrerefreiheitstests 5-7 Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen.“

Menschenzentriert gestalten: Empathie ist gut, testen ist besser!

Ich habe schon seit meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspsychologie (1992-1997) den bisher noch immer unerfüllten Wunsch einen „Alterssimulationsanzug“ zu tragen: Mit Gewichten beschwerte Kleidungsstücke, Handschuhe die das Greifen von Gegenständen erschweren, klobige Schuhe die das Laufen zur Tortur machen und Brillen die Sehschwächen herbeiführen sollen dabei helfen, dass „junge Menschen“ sich in hochbetagte Menschen hineinversetzen können.

Wie bewertest du diesen Ansatz im Kontext der Zielsetzung, Produkte für Menschen mit Beeinträchtigungen (besser) zu gestalten? Und: Hattest du schon einmal die Gelegenheit einen solchen Anzug zu tragen?

Matthias: Leider hatte ich auch noch keine Gelegenheit, einen solchen Anzug zu tragen. Für mich beginnt die Simulation einer Sehschwäche mit dem Ablegen meiner Brille. Aber Spaß beiseite.

UX Designer:innen verstehen es, sich empathisch in den User zu versetzen. Im Kontext der Barrierefreiheit müssen wir aber noch eine Schippe drauflegen, weil wir die Auswirkungen der meisten Beeinträchtigungen zwar verstehen, aber eben nicht erleben oder fühlen können.

Das Beispiel der Alterssimulation ist hier ein toller Ansatz. Aber anstatt für jede Beeinträchtigung eine Simulation zu bauen, kann man einfach seine Testprobanden entsprechend rekrutieren und sich neben sie setzen. Wenn man dann die Probleme besser verstanden hat, ist man auch in der Lage, inklusive Produkte zu gestalten.

Zum Schluss, das müssen wir noch klären: Kannst du die folgende Aussage bestätigen und unterstützen, wie von mir einleitend angenommen?
Wer barrierefrei gestalten will, der findet einen Weg. Wer das nicht will, der findet Ausreden!

 Matthias: Absolut!

„Eine barrierefreie Gestaltung ist ja nicht unmöglich. Sie muss aber vor allem gewollt und idealerweise in der Strategie verankert werden.“

Wer sich ernsthaft damit auseinandersetzt, baut keine technischen Schulden auf, reduziert künftige Aufwände und skaliert seine Zielgruppe ganz automatisch um mindestens 10%. Dafür lohnt es sich doch, einen Weg zu finden, den man stetig in Richtung Ziel beschreitet.

Vielen Dank, lieber Matthias, für dieses Schlusswort und deine Einstellung.
Ich hoffe sehr, dass du noch viele Menschen, Teams und Unternehmen dabei unterstützen wirst barrierefreie und nachhaltige, digitale Lösungen für alle Menschen, für unsere Gemeinschaft und für ein menschenfreundliches Klima, von dem wir alle abhängig sind, zu entwickeln.

Der Beitrag Digitale Barrierefreiheit: Einfach machen – Es könnte ja gut werden! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Synthetische Nutzer: Von der Nutzung, über die Begeisterung, zum Verstehen!

Ich mag es sehr: Schnacken mit einem synthetischen Nutzer, einer synthetischen Nutzerin, die/der (Ziel-)Personen einer (Ziel-)Gruppe vertreten. Ich bin begeistert über das Erlebnis an sich, über die Möglichkeiten; darüber was ich (dazu-)lerne, erfahre und welch vielfältige, neue Fragestellungen und Thesen ich beim Chatten mit synthetischen Nutzer:innen („KI-Persona“) entwickele.
Fragestellungen und Thesen, die in nachgelagerten User Research Projekten erforscht werden können, ja sogar müssen. Tut man das nicht, dann bleiben falsche KI-Annahmen verborgen, dann können (empirisch) zutreffende KI-Annahmen nicht erkannt werden.

Meine Erfahrungen mit KI-Persona bringen mich zu der Erkenntnis (die noch eine These ist):

Synthetischer Nutzer, die (Ziel-)Personen einer (Ziel-)Gruppe vertreten („KI-Persona“), werden den Persona-Ansatz aufwerten und zu mehr (primären, empirischen) User Research Projekten führen! 

Synthetische Nutzer im UX Design – nutzen ist Pflicht, verstehen ist Kür!

Für mich –  UX Designer  der Generation „Golf“, der mit dem C 64 „groß geworden“ ist und das Internet während seines BWL- und Wirtschaftspsychologiestudiums kennenlernte – ist es nicht einfach wirklich zu verstehen, wie Large Language Models funktionieren und wie sie darauf hinwirken, dass ich so viel Begeisterung für synthetische Persona entwickele. Ich lerne jeden Tag dazu, noch brauche ich aber Menschen, die mich dabei unterstützen sinnvolle und zielführende Eingaben („Prompts“) zu tätigen, die genügend, zielführende Informationen und Kontexte liefern, damit ich ein optimales Ergebnis beim Prompten erziele.

Ich freue mich sehr, dass ich Marius Jahrens, einem leidenschaftlichen Bio- und Neuroinformatiker,  kennenlernen und ihm heute einige Fragen stellen durfte. Fragen, die hoffentlich auch für Sie, lieber Leser:innen von Nutzerbrille, interessieren.

Lieber Marius, vielleicht stellst du dich selbst kurz vor:
Wer bist du, was machst du, wie viel deiner Arbeitszeit setzt du ein für „Prompt Engineering“?

Marius Jahrens

Marius: Ich schaffe neues Wissen am Institut für Neuro- und Bioinformatik an der Universität Lübeck und arbeite seit einigen Jahren im Bereich KI-Reasoning, also an Methoden um lernenden Algorithmen logisches Denken, Schlussfolgern und Argumentieren beizubringen.
Mit den Erfolgen von ChatGPT & Co., und dem damit einhergehenden Interesse Sprachmodelle intelligenter zu machen, hat sich ergeben, dass KI-Reasoning vermehrt in natürlicher Sprache stattfindet.

Prompt Engineering macht eigentlich nur einen kleinen, aber aktuell leider (!) noch notwendigen Teil meiner Arbeit aus. Dass ich das auch außerhalb meiner Forschung mache (Anmerkung: Marius ist Mitgründer und CTO von AURI Consult) hängt damit zusammen, dass großer Bedarf und hohe Nachfrage daran besteht Sprachmodelle praktisch einsetzbar zu machen – beispielsweise beim Optimieren der Effizienz von Geschäftsprozessen.
Die technischen Hintergründe zu kennen ist dabei von großem Wert und stellt einen riesen Vorteil dar, weil viele Schwächen und Probleme der Sprachmodelle sich intuitiv mit deren Architektur und Trainingsverfahren in Verbindung bringen lassen, und die wiederum Aufschluss darüber geben, was am Prompt zu ändern ist.

Neuro-Informatiker aus Leidenschaft – Prompt Engineer wider Willen!

Lieber Marius, Vielleicht hilfst du meinen Leser:innen mit grundlegenden Informationen: Was genau macht ein „Prompt Engineer“ und was sind typische Tätigkeiten dieses recht neuen Berufsbildes?

Marius: Prompt Engineering befasst sich damit wie eine Eingabe für ein Sprachmodell – beispielsweise ChatGPT – oder einen Bildgenerator – wie beispielsweise Midjourney – formuliert sein muss, damit das Ergebnis den Vorstellungen des Benutzers entspricht. Der Benutzer weiß in der Regel was er möchte, nur ist die Frage wie man dies der KI so vermittelt, dass sie die Intention des Benutzers richtig „versteht“.

Das kann etwa dadurch begünstigt werden, indem man eine hypothetische Situation beschreibt, in der die Anfrage gestellt wird, sodass die KI sie mit Begriffen aus dem richtigen Kontext assoziiert. Oder man weist dem Chatbot eine Rolle zu, sodass die Antwort aus der Perspektive einer Person mit bestimmten Fachkenntnissen oder in einem bestimmten gesellschaftlichen oder beruflichen Umfeld geschrieben ist. Das wirkt sich nicht nur auf die Formulierungen aus, die das Sprachmodell verwendet, sondern auch auf den Inhalt, und damit den Nutzen den die Antwort bietet.

Ein Prompt Engineer hat die Aufgabe genau diese Vermittlung zwischen Benutzerintention und KI-Verständnis zu vollbringen, und das ggf. auch für Benutzereingaben, die zum Entwicklungszeitpunkt dem Prompt Engineer noch nicht vollständig, also nur recht grob, bekannt sind.

Synthetische Nutzer mit der Brille eines Neuro-Informatikers betrachtet!

Lieber Marius, wir haben uns kennengelernt im Kontext der Thematik „KI-Persona“ oder „synthetische Nutzer“. Ich habe von dir bereits viel gelernt, u.a. wie man ChatGPT „füttert“, damit man sich mit einer Persona unterhalten kann, und wie man die Protokolle aus einem Chat nutzen kann, um sinnvolle, ja nötige, nachgelagerte User Research Projekte abzuleiten.
Magst du meinen Leser:innen kurz und mit deiner Erfahrung als Bio- und Neuro-Informatiker erläutern, was „synthetische Nutzer“ sind, und wie man jene im Grundsatz „erzeugen“ kann?

Marius: Synthetische Nutzer:innen sind einfach gesagt Chatbots, die exemplarisch Individuen oder repräsentativ Gruppen, verkörpert durch eine:n Repräsentant:in, als Rolle einnehmen.
Damit sollen UX Designer:innen nicht nur „aus der Distanz“ über Nutzergruppen etwas erfahren, sondern in „persönlichen“ Kontakt treten können, um quasi aus erster Hand zu hören, was ihnen wichtig ist. welche Wünsche und Anforderungen sie haben, was sie in ihrem Leben beschäftigt und wie sich das Produkt oder der Service in ihren Alltag einfügt.

Grundlage für synthetische Nutzer sind bestenfalls Nutzerstudien. Jenen Daten kann man dazu verwenden eine Persona-Card je Nutzergruppe zu erstellen und diese dann als Rollenbeschreibung für die KI verwenden. Man kann die detaillierteren Informationen und Daten aus Nutzerstudien auch zur Verkörperung zufällig ausgewählter Nutzer:innen einsetzen, ebenfalls als Rollen für die KI, nur dann mit Fokus auf Einzelnutzer statt auf Gruppenrepräsentanten.

Das Prompt Engineering nimmt dabei eine wichtige Rolle ein, denn selbst wenn die Beschreibung der zu verkörpernden Persona vorhanden ist, existieren noch viele näher zu beschreibende Freiheitsgradem wie etwa die Situation in der sich das Gespräch abspielt, die Beziehung zum Gesprächspartner, vor welchem Hintergrund das Gespräch stattfindet und über welchen Kommunikationskanal – sprich, soll es wie ein persönliches Gespräch in Person sein, oder wie ein förmlicheres Gespräch per E-Mail, oder soll es eher den Charakter von Kurznachrichten über einen Instant-Messenger haben?
Und für Prompt Engineers ebenfalls sehr wichtig zu beachten: Welche Details kann man objektiv beschreiben und welche muss man beispielhaft „vorspielen“, damit die KI sie annimmt?

Lieber Marius vielen Dank für diesen Blick auf synthetische Nutzer mit deinen Erfahrungen als Neuro-Informatiker.
Welchen zentralen Tipp, welchen zentralen Hinweis kannst du UX Designer:innen geben, damit sie richtig „prompten“? 

Marius: Gerade wenn es um logische und weniger um kreative Problemstellungen geht würde ich sagen, wann immer möglich Probleme in kleine Einzelschritte aufteilen.
Je mehr man Sprachmodelle einen gut strukturierten Lösungsweg entlang führen kann, desto robuster die Ergebnisse.

Prompt Engineering – eine Tätigkeit mit geringer Halbwertzeit!

Sag mal, Marius, bei all deiner Erfahrung, die du hier preisgibst, deinen vielfältige Fertigkeiten: Wie bist du auf die Idee gekommen als Unternehmer tätig zu sein? Ist es nicht so, dass du als Neuro-Informatiker und „Prompt Engineer“ (ein wenig „wider Willen“) am Arbeitsmarkt viele attraktive und hoch dotierte Job-Angebote bekommst?

Marius: Ich denke nicht, dass Prompt Engineer als Beruf lange existieren wird. Die Vermittlung zwischen Nutzerintention und KI ist nur deshalb notwendig, weil KI noch nicht ausreichend eigenständig die Intention des Benutzers erfasst oder die richtigen Rückfragen stellt, um Unklarheiten zu beseitigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Schwäche behoben ist.
Und es gibt sehr viel ungenutztes Potenzial, selbst mit den Schwächen die die aktuellen KI-Modelle noch haben. Ich sehe einen sehr viel größeren Wert darin, dieses Potenzial nutzbar zu machen und andere Unternehmen dabei zu unterstützen.

Wie bildest du dich auf deinem Fachgebiet weiter – gibt es Fort- und Weiterbildungen an Hochschulen, zertifizierte Lehrgänge und nutzt du Meet-Ups, (Fach-)Kongresse und Barcamps zum Ausbau deiner Fertigkeiten?

Marius: Es gibt viele Angebote zu dem Thema, aber bei mir sind es vor allem die wissenschaftlichen Veröffentlichungen die ich verfolge und regelmäßig studiere.

Können synthetische Repräsentanten von „einem selbst“ bei der Urlaubsplanung helfen?

Zum Schluss noch etwas „privates“: Wir planen gerade unseren (Familien-)Urlaub. Wir haben verschiedene Ziele zur Wahl und wissen wo es uns in der Vergangenheit gut gefiel (und wo nicht). Könntest du uns helfen einen neuen Urlaubsort zu finden, einen Ort, der mich, meine Frau und Kinder begeistert?

Ich stell mir das – ausgestattet mit meinen Erfahrungen mit „KI-Persona“ – laienhaft so vor: Wir legen jeden von uns als „synthetischen Nutzer“ an, beschrieben mit unseren Präferenzen, Wünschen und Anforderungen an Urlaube und Urlaubsorte. Nun lassen wir unsere „synthetischen Vertreter:innen“ an jene Orte virtuell reisen, lassen sie anschließend miteinander diskutieren, mit dem Ziel eine bestmögliche Konsenslösung für den kommenden Urlaubsort zu finden. Geht so etwas?

Marius:  Möglich wäre das sicherlich, wenn auch aufwändig. Als Pragmatiker würde ich die Lösungsstrategie etwas lenken um zu verhindern, dass sich die KI „verrennt“.
So könnte man erstmal die KI dazu nutzen für jeden eine Kandidatenliste zu erzeugen mit Urlaubszielen, die den persönlichen Kriterien entsprechen. Und dann schrittweise KIs, die die Interessen der Anderen vertreten, die Listen filtern oder um Gegenargumente zu den Vorschlägen erweitern lassen.

Vielen Dank Marius für diese Inspiration und deine wertvollen Gedanken, das Teilen deiner Erfahrungen. Ich freue mich sehr darauf gemeinsam mit dir weiter aufzuklären wie synthetische Nutzer funktionieren, welche Chancen sie bieten, aber auch welche Grenzen und Gefahren es gibt. Das stets mit dem Ziel „KI-Persona“ zu etablieren und dazu beizutragen, dass immer mehr UX Designer:innen research-basiert und menschenzentriert gestalten dürfen.
Und ich hoffe sehr, liebe Leser:innen, wir konnten mit diesem Interview einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Der Beitrag Synthetische Nutzer: Von der Nutzung, über die Begeisterung, zum Verstehen! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Der Kern von gutem UX Design war, ist und bleibt User Research!

Was mich da so sicher macht?  Vieles. Vor allem:
Immer mehr UX Professionals (w/m/d) nehmen die Berufsbezeichnung User Researcher:in ein.

Im Branchenreport der German UPA (Berufsverband der UX/Usability Professionals in Deutschland) weist diese Rollenbezeichnung eine aufsteigende Entwicklung in der jährlichen Abfrage („Branchenreport“) der verwendeten  Berufsbezeichnungen auf:

  • 2019 – Platz 4
  • 2020 – Platz 5
  • 2021 – Platz 3
  • 2022 – Platz 3
  • 2023 – Platz 2

2024 Platz 1? Eher nicht. Aber:
Im Ranking der inhaltlich eindeutigen Berufsbezeichnungen haben User Researcher:innen schon heute den 1. Platz für sich sicher. Der „Platzhirsch“ im Ranking der Berufsbezeichnungen ist seit Jahren die/der UX Designer:in, eine generischen Rollenbezeichnung, die viele unterschiedliche Aufgaben umfasst, die für alles stehen kann, was das Gestalten von positiven Erlebnissen in der Nutzung digitaler Produkte und Services umfasst:

  • Interaktionsdesign und Informationsarchitektur
  • Planung, Koordination und Überwachung des Gestaltungsprozesses
  • Research und Testing
  • visuelles Design und Interface-Design

Was meine Zuversicht beflügelt: Es gibt immer mehr „Head of User Research“!

Die Suche nach „Head of User Research“ in LinkedIn ergab im Juni des Jahres 2024 um und bei 100.000 Personen. Davon arbeiten 5.900 in einem Unternehmen, das in Deutschland aktiv ist. Setzt man den Filter England / UK, dann erscheint eine Liste mit 16.000 Personen – und das in einem Land, welches zum Zeitpunkt der Suche ein im Vergleich zu Deutschland  um ca. 1.000 Milliarden $ geringeres Bruttosozialprodukt aufweist.


Für mich sind diese Unterschiede wenig verwunderlich. Seit Jahren sind die Ausgaben für Marktforschung in Großbritannien hoch, übersteigen jene in Deutschland um das 2-3fache. Sicherlich keine klare Wirkungskette, denn Marktforschung umfasst weit mehr wie (nur) „User Research“, aber durchaus ein Zeichen dafür, dass in Großbritannien mehr Umfragen, Tests und Gruppendiskussionen stattfinden.

Warum ist das so? Und ist das ein Indikator dafür, dass auch in Deutschland der Trend zu mehr User Researcher:innen bestehen bleibt?

Ich würde das sehr begrüßen. Und ich glaube, dass wir UX Professionals (w/m/d), Markforscher (w/m/d) und (Online) Marketer dazu einen großen Beitrag leisten können.

Es lohnt sich für researchbasiertes UX Design zu werben!

Wir sollten weiter werben für ein researchbasiertes UX Design, sollten UX Design größer machen, politischen Entscheidungsträger:innen deutlich machen, dass erfolgreiche digitale Services und Dienste insbesondere im public sector nur gelingen, wenn Bürger:innen bei deren Gestaltung endlich einbezogen werden (müssen), und wir sollten die Interessen der UX / Usability Branche in unseren Parlamenten intensiver vertreten. Dass uns das gelingen wird, da bin ich mir ebenfalls 100% sicher.

Was mich so sicher macht?

Immer noch sind die meisten Pioniere einer privatwirtschaftlichen UX / Usability Forschung, die in Deutschland in den Jahren 1999 und 2000 startete, engagiert, tätig und motiviert: Sabrina Duda, Tara Bosenick, Marcus Plach, Gesine Quint, Knut Polken, Franz Koller, Torsten Bartel, Ronald Hartwig, Markus Völkl – um nur einige namentlich zu nennen.

Jenen Pionieren stehen inzwischen zahlreiche junge, sehr bekannte Botschafter:innen für ein researchbasiertes UX Design sowohl in unseren Unternehmen als auch auf Seiten der Dienstleister, Agenturen und Institute zur Seite. Gemeinsam und im Geiste vereint, wird es uns gelingen für researchbasiertes UX Design weiter zu werben und endlich auch die Frage aller Fragen zu beantworten:

User Research – Inhouse, integriert oder extern, vom Dienstleister erbracht?

Die Antwort ist, und ja es muss sein: „Es kommt drauf an!“ – aber hey, liebe Entscheider:innen, nehmt noch etwas mit: „Nehmt euch stets die Freiheit und Flexibilität mal intern und mal extern zu forschen. Je nachdem, wie die Rahmenbedingungen sind!“.

Die richtigen Dinge richtig gut zu beforschen, das können beide, wenn …

  • der externen Dienstleister die Hintergründe der Untersuchungsfragestellungen verstanden hat, wenn er vom Auftraggeber abgeholt und gebrieft wurde, wenn er bezahlte Zeit hat sich in die Untersuchungsfragestellungen hineinzudenken, sie zu durchdenken, zu hinterfragen, zu überarbeiten und zu vereinbaren.
  • die/der interne User Researcher:in fähig ist die richtige Methode und die richtigen Erhebungsverfahren auszuwählen, richtig gut anzuwenden, unbefangen und neutral zu handeln – wenn er/sie erfahren ist, sich stetig weiterbildet und den kollegialen Austausch mit anderen User Researcher:innen sucht und pflegt.

Beides ist wirksam, sinnvoll, beides liegt im Trend. Das zeigt nicht zuletzt der Blick auf die heutigen Rollen und Tätigkeitsfelder der Pioniere der privatwirtschaftlichen UX Forschung in Deutschland: Einige sind auf Kundenseite gegangen und bauten dort erfolgreiche, interne und integrierte UX / User Research Teams auf. Andere wiederum integrierten ihre Agentur, wie ich selbst auch die eresult GmbH, in ein großes Netzwerk. Viele erweiterten die pure UX Forschung um verbundene Design- und Entwicklungsleistungen, bauten ihre (Forschungs-)Unternehmen aus zu erfolgreichen Designagentur.

Sie alle eint die Erfahrung (bei weitem nicht mehr nur der Glaube!), dass gutes UX Design ohne User Research und UX Testing nicht gelingen kann. Gut so – denn diese Vielfalt im Wirken der UX Pioniere brachte und bringt auch in der Zukunft viele unterschiedliche Erfolgsgeschichten und zeigt deutlich, wie etabliert researchbasiertes UX Design inzwischen auf unterschiedlichen Ebene und in unterschiedlichen Facetten ausgestaltet werden kann.

Lasst uns UX Design größer machen!

Thorsten Wilhelm - nachdenklich!

Thorsten Wilhelm: Jeder Weg für mehr User Research ist ein guter!

Wie? Nun, auch das ist eigentlich ganz einfach:
Wir UX Professionals lieben was wir tun. Wir sind offen, kollegial, teilen unsere Erfahrungen und wirken nachhaltig. Wir kommen gerne zusammen. All das ist wunderbar.
Mit all dieser Freude und Liebe zu unserem Job ausgestattet, möchte ich euch, liebe UX Community um eine Kleinigkeit bitten: Redet mit Menschen außerhalb unserer Community darüber was ihr tut. Ich tue das so oft als möglich.

Erzählt euren Freunden, Bekannten, Partnern, Nachbarn … Geschichten über euren Arbeitsalltag. Redet wann immer möglich darüber was ihr tut, woran ihr arbeitet, wie ihr arbeitet und was eure Arbeit bewirkt. Auf diese Weise werdet ihr unsere Branche noch größer machen. Und das tut allen gut. Denn da draußen, außerhalb unserer starken Gemeinschaft, gibt es noch sehr viele Unternehmen, die weder UX Professionals (w/m/d) angestellt haben noch User Research Dienstleister beauftragen.

Jene Unternehmen sind (noch) in der Überzahl!

Und ich finde auch sie sollten unbedingt wissen, dass es uns gibt. Auch sie sollten von unseren Kompetenzen und Fertigkeiten profitieren.

Und dazu müssen sie wissen, dass es uns gibt und was wir tun.

(Hinweis/Anmerkung: Dieser Beitrags ist in einer kürzeren Version zuerst
erschienen auf marktforschung.de in meiner Kolumne „Klarblick UX“).

Der Beitrag Der Kern von gutem UX Design war, ist und bleibt User Research! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Hände schmutzig machen erwünscht: Tipps zum Meiden von Stolperfallen beim Optimieren von Mensch-Maschine-Interaktionen

Wenn ein UX Designer und Marketer mit einem Konstrukteur und Ingenieur über Maschinenbau und Mensch-Maschine-Interaktion (HMI) spricht, dann kommt Gehaltvolles zu Tage. Insbesondere dann, wenn sich die beiden schon seit 1971 kennen.

Ich – UX Designer & Marketer – kenne und schätze Thomas (Fiedler) – Ingenieur & Konstrukteur schwerer Maschinen und Fahrzeuge – schon seit meinem 1. Lebensjahr: Wir haben in der Kindheit und Jugend viel Zeit gemeinsam verbracht, im Sandkasten, auf Spielplätzen und Bauernhöfen. Und daher freue ich mich sehr, dass wir über unser gemeinsames Thema „HMI und Maschinenbau“ sprechen konnten.

Thomas Fiedler im Portrait

Thomas Fiedler

Thomas Fiedler arbeitet seit 1996 als Ingenieur und Führungskraft.

Von Anfang an war es ihm wichtig einen guten „Draht“ zu den Fahrern und Bedienern der von ihm konstruierten Maschinen herzustellen; deren Ansprüche und Bedürfnisse aufzunehmen und ihnen im Entwicklungs- und Gestaltungsprozess Gehör zu verschaffen.

Dies war und ist seine Stärke bis heute – und diese Einstellung war im Jahr 1996 alles andere als eine Selbstverständlichkeit für einen Konstrukteur schwerer Maschinen.

Thomas unterstützt Bergbauunternehmen und Energieversorger, Tiefbau- und Straßenbauunternehmen, die Hüttenindustrie (Metallurgie), Agrar-, Forst- und Kommunalbetriebe und Dienstleistungsunternehmen bei der Konzeption von Neuentwicklungen, deren Weiterentwicklung (alternative Antrieb, Usability & Ergonomie), erstellt System- und Typvergleiche und berät bei der Anschaffung von Maschinen. Dabei legt er stets viel Wert darauf nachhaltig zu handeln und Ressourcen zu schonen.

In unserem Gespräch auf Nutzerbrille teilt Thomas seine Erfahrungen als Konstrukteur, Sachverständiger und Berater. Er geht auf typische Entscheidungs- und Einkaufsprozesse in seinen Projekten ein, stellt dar welche Bedeutung die Ansprüche und Bedürfnisse von Nutzer:innen haben und gibt Tipps dazu, wie es gelingt sich als Konstrukteur die Brille von Fahrer:innen und Bediener:innen aufzusetzen.

Wenn der Eigentümer & Betreiber einer Maschine nicht der Nutzer ist!

Thomas, gib meinen Lesern ein Gefühl für die Maschinen, die Du konstruierst. Nehmen wir vielleicht die letzte:
Was hast Du konstruiert, wie teuer war die Maschine zirka und wie lief der Einkaufs- und Bestellprozess ab?

Thomas: Die letzte Maschine hatte einen Wert von ca. 1.2 Millionen €. , eine 50 Tonnen schwere Vortriebsmaschine für den untertägigen Bergbau in Nordamerika. Es war eine ähnlich einem Bagger aufgebaute Maschine für den selektiven Abbau von goldhaltigen Flözen unterhalb eines bereits bestehenden Tagebau.

Für neue Maschinen und darin enthaltene neue Komponenten findet der Einkaufprozess über standardisierte, prozessual geregelte Wege statt. Im Falle einer handelsüblichen Komponente erfolgt zunächst die Identifizierung der richtigen Komponente, möglichst aus dem Katalog des Komponentenherstellers. Ab und an wird mit dessen Kundenberatern noch eine Modifikation der Komponente verhandelt. Anhand des zu erwartenden Lastprofiles des Maschinenherstellers wird die zu erwartende Lebensdauer dieser Komponenten durch die technische Abteilung des Komponentenherstellers rechnerisch verifiziert. Es werden vom Lieferanten jeweils für einen Prototypen und für die zu erwartenden Serienlieferung sowohl Preise als auch Lieferzeiten angegeben und durch den Projekteinkäufer des eigenen Unternehmens nachverhandelt.

Anschließend ergeht über das ERP-System (Enterprise Resource Planning) des Maschinenherstellers eine Bestellung für den Prototypenbedarf an den Komponentenhersteller. In der Folge überwacht ein Projekteinkäufer den Fortschritt der Bestellung, aktualisiert fortlaufend den Liefertermin und meldet das Eintreffen der Komponente im Unternehmen.

Wie gelingt es sich die Brille der (Maschinen-)Bediener:innen aufzusetzen? 

Wow, das klingt nach aufwändigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen. Lass uns mal auf die Rolle der Fahrer:in bzw. Bediener:innen einer solchen Maschine blicken. Wie setzt ihr euch die Brille der Nutzer:innen auf und welche Bedeutung haben deren Wünsche und Anforderungen im Konstruktions- und Gestaltungsprozess?

Thomas: Die Rolle der Nutzer:innen (hier: Fahrer:innen / Bediener:innen) ist in den letzten etwa zwei Jahrzehnten immer bedeutender geworden. Sie sind wichtige und bisweilen gelegentlich unterschätzte Stakeholder in den Prozessen der Bauunternehmen.

Hintergrund ist immer öfter die Personalknappheit und zusätzlich das tendenziell fallende Ausbildungsniveau. Gut ausgebildete Bediener:innen auf „Schlüsselmaschinen“ bestimmen ganz wesentlich den Erfolg und den Forstschritt auf Baustellen. Außerdem sind die Nutzer:innen, wie in jeder anderen Branche, die Hüter von kostbarem Wissen, das es aufzuschließen gilt. Dabei ist es wichtig, mit geschickten Fragen die Informationen aus den Nutzern heraus zu kitzeln.

Viele von ihnen sind wirklich virtuose Bediener, manche sogar Enthusiasten, aber reden und schreiben oftmals nicht gern. Abgegebene Fragelisten kommen da auch schon mal unausgefüllt zurück, was aber nie bösem Willen entspricht. Es gilt in einem aktiven Gespräch den Leuten unterstützend zu entlocken, was sie als wichtig erachten. Oftmals sind dabei unsichtbare Hindernisse zwischen den Interviewpartnern, wie unterschiedliche soziale Herkunft oder unterschiedliche Schulbildung. Hier muss der Interviewer das Vertrauen seines Gegenübers gewinnen.

Des Weiteren kann es notwendig sein, das Wissen der Nutzer:innen nach einem Interview zunächst in einen korrekten physikalisch-technischen Terminus zu übersetzen: Stand die heutige Aussage „schnell“ in Relation zur Reaktionsgeschwindigkeit (dem Ansprechverhalten) oder geht es mehr um die allgemein zu langsame Ablaufzeit bei einem Arbeitstakt?
In diesem Fall ist es noch wichtiger, dass Informationen so unmittelbar wie irgend möglich zwischen Usern und Konstrukteuren ausgetauscht werden, da das Verfahren sonst schnell zu einem „Stille-Post-Spiel“ werden kann.

Das Wissen der Konstrukteure bei den Maschinenherstellern ist nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Wissen der Nutzer:innen bei den Endkunden. Konstrukteure können, ohne das Nutzerwissen zu besitzen, z.B. Schwerpunkte an anderen Stellen setzen und dabei an Nutzerbedürfnissen vorbei entscheiden.

Ohne einen „guten Draht“ zu Bediener:innen einer Maschine geht nichts!

Hast Du ein Beispiel bei dem deutlich wird was passieren kann, wenn die Anforderungen der Fahrer:innen bzw. Bediener:innen nicht in ausreichendem Maße Beachtung finden?

Thomas: Beispiele aus meinem eigenen Leben …

Fall #1: Raupenbagger

Ich habe mir bei Baggern häufig die Frage gestellt, will der Nutzer eine kräftige oder eher eine agile Maschine?
Tendenziell muss man sich als Konstrukteur in diesem Punkt später festlegen.

  • Frage an einen Nutzer auf einer Großbaustelle: „Warum habt ihr genau DIESE Maschine beschafft? Weil sie schnell oder weil sie kräftig ist im Vergleich zu anderen?
  • Antwort Nutzer: „Naja, das passt beides eigentlich ganz gut. Wirklicher Entscheidungsgrund war aber die gute Klimaanlage!

Der Fahrer saß in brüllender Hitze, nur mit einer Badehose bekleidet, auf dem Baggersitz. Inzwischen hatte er trotz laufender Klimaanlage die Frontscheibe hochgeschoben und die Seitentür geöffnet. Auf freier Fläche ohne natürlichen Schatten bei über 30°C im Schatten und in einer schwarz lackierten Maschinenkabine wird die Hitze zum alles bestimmenden Parameter. Das muss ein Konstrukteur erst verstehen lernen.

Fall #2: Radlader

In den 90er Jahren ist das Fahrerhaus bei einigen Herstellern auf dem Hinterwagen der Maschine, bei anderen auf dem Vorderwagen (also vor der Knicklenkung) platziert worden, anteilig etwa 50:50 bei den weltweiten Herstellern. Da die weiter hinten, also auf dem Hinterwagen angeordnete Kabine, mehr Nutzlast erlaubt, was aus Sicht der Betreiber erstrebenswert ist, gingen schlussendlich alle Hersteller dazu über, die Kabinen auf dem Hinterwagen anzuordnen. Zwischen Betreibern, Beschaffern und Herstellern herrschte Einigkeit.

Die Fahrer hatten zu dieser Zeit oft ganz andere Ansichten, fühlten sich übergangen. Beim Rückwärtsfahren ist eine Kabine auf dem Vorderwagen deutlich nutzerfreundlicher, unterstützt auf lange Sicht die Gesundheit der Fahrer und schützt die Sicherheit Dritter im näheren Umfeld besser. Heute, im Zeitalter der Rückfahrkameras und der 360°-Kamerasysteme, mit Radar und Lidar, hat sich das Thema wieder relativiert.

Hände schmutzig machen und Selbst(er)fahren!

Wenn ein Hersteller bisher noch so gar nicht „nutzerzentriert“ vorgegangen ist, nun aber starten will: Womit sollte er beginnen, was wäre ein pragmatisches Vorgehen?

Thomas: Diese Unternehmen können schnell und pragmatisch vorankommen, indem sie die Produktmanager und die Konstrukteure zum Selbst(er)fahren ermutigen. So fallen den verantwortlichen Personen schnell wichtigen Informationen zu, die dann aber noch entsprechend reflektiert werden müssen. Die eigene Wahrnehmung ist durch nichts zu ersetzen.

In einem zweiten Schritt gilt es zu netzwerken und Bauunternehmen und deren Fahrer zu finden, die sich interviewen lassen. Dabei ist mir oft aufgefallen, dass es den Bauunternehmen gar nicht so sehr um die verlorene produktive Zeit bei den Fahrern geht, sondern bereits viel Offenheit für dieses Thema besteht. Eine gut eingebundene Maschinentechnische Abteilung (MTA) des Bauunternehmens kann wertvolle Unterstützung leisten.

Erste, schnelle Statements der Nutzer können früh Klarheit verschaffen. Die Nutzer sollten dabei gern im Alter von ca. 40 Jahren oder darüber sein, da, einen dauerhaften Einsatz als Maschinenführer vorausgesetzt, die Erfahrung dieser Personen auf verschiedenen Maschinen von verschiedenen Herstellern so groß ist, dass auch rasch, aus dem Handgelenk, Vergleiche zu ähnlichen Produkten gezogen werden können.

Die Sprache der Nutzer:innen sprechen!

Thomas, Du bist passionierter Fahrer eines eigenen Baggers. Dir die Brille von Nutzenden aufzusetzen, wenn es drum geht einen Bagger weiterzuentwickeln, das fällt Dir sicher ziemlich leicht.
Zugleich hast Du sicherlich klare Vorstellungen davon, wie Du als Baggerfahrer von einem Hersteller eines Baggers behandelt werden möchtest, wie Du eingebunden werden möchtest bei der Weiterentwicklung und kontinuierlichen Verbesserung. Magst Du uns Deine Vorstellungen dazu kurz beschreiben?

Thomas: Ich versuche es mit der mir eigenen Empathie: Ich hätte gern einen Interviewpartner:in, der/die sich etwas auf meinem Gebiet auskennt. Es würde mich freuen, wenn diese Person eigene einschlägige Erfahrungen gemacht hat und mir schnell folgen kann, ohne dass ich viel , vor allem keine Basics, erklären muss. Dazu kann auch etwas Fachvokabular auf der Seite der/des Fragenden erforderlich sein.
Schon ein angemessener Gruß beim ersten Zusammentreffen kann das Eis brechen: Bergleute begrüße ich nicht mit „Guten Morgen“, sondern mit „Glück auf“.

Bei einem Interview in Deutschland vor Ort, besonders in traditionellen Unternehmen, ist ein weißer Bauhelm schnell ein Fauxpas, weil i.d.R. nur Führungspersonal diesen trägt. Auf dem Bau sind dies die Poliere (und Dienstränge darüber), im Bergbau, Tagebau und unter Tage, sind dies die Steiger (und Dienstränge darüber). Ausnahmen bestätigen die Regel: Dies ist unproblematisch, wenn inzwischen unternehmensweit weiße Helme getragen werden.
Andernfalls kann es schnell zu Verstimmungen kommen.

Insgesamt darf nichts getan werden, was die Berufsehre dieser Leute beleidigt.
Ich möchte als Interviewter

  • Wertschätzung erfahren.
  • möchte nicht belehrt werden.
  • möchte gern erfahren, was mit meinen Aussagen geschieht.
  • dass mein Interviewer auf Augenhöhe mit mir redet.
  • nicht, dass mein Gegenüber in irgendeiner Weise elitär ist bzw. wirkt.

Es kann auch die Aussage wichtig sein, dass die Geschäfts- und / oder Baustellenleitung das Interview autorisiert hat, falls dies vorab noch nicht intern geklärt worden ist.

Häufig bin ich am besten gefahren, wenn ich nicht zu viel von mir selbst erzählt habe. Während am Vortag ein Gespräch gut voran kam, als ich noch „Thomas“, per „Du“ und nur Mitarbeiter bei der Herstellerfirma war, ging es am nächsten Tag plötzlich nur schleppend weiter, nachdem Dritte von mir erzählt hatten („der hat dort was zu sagen“) und wir plötzlich wieder bei dem „Sie“ waren.

Handfeste Tipps für UX Professionals (w/m/d): beobachten, fachkundig fragen, zuhören, angemessen auftreten und Standesregeln beachten!

Magst Du uns – als UX Professionals / UX Designer (w/m/d) – noch einige Tipps geben: Was sollten wir unbedingt beachten, wenn wir mit Fahrer:innen oder Bediener:innen einer Maschine gemeinsam an deren Nutzerfreundlichkeit arbeiten wollen?

Thomas: Die Leute, z.B. auf dem Bau, im Bergbau, in der Landwirtschaft, auf dem Kommunalhof sind gut geerdete Leute, ohne Allüren.

  • Gern die Frage „darf ich Du sagen?“, was sowieso i.d.R. angenommen wird.
  • Respekt vor der Tätigkeit zeigen, nicht heucheln.
  • Nicht vorlaut sein und die Leute ausreden lassen (eigentlich Knigge-Basics).
  • Vor Ort schon persönliche Schutzausrüstung dabeihaben: Helm, Sicherheitsschuhe … etc.
  • In Pausen fragen, ob man sich zu den Leuten setzen darf.
  • Vielleicht mal mit einem Lächeln ein Bonbon aus der eigenen Jackentasche anbieten.
  • Einen Kaffee ausgeben, falls das ortsüblich ist.
  • Das Gespräch betont locker aufbauen. Stress haben diese Leute schon genug!
  • Nicht im Weg stehen, niemanden bei der Arbeit behindern.
  • Von mobilen Maschinen wegbleiben: Lebensgefahr!
  • Werbegeschenke dabeihaben: Meterstäbe (Zollstöcke), Baseball Caps, Feuerzeuge … etc.
  • Nach ehrlicher, aufrichtiger Kooperation streben.
  • Nachhaltige Verbindung anstreben, sofern es sich um gute Interviewpartner handelt.
  • Keine geschlossenen Fragen stellen!
  • Bei Bedarf neutrale Formulierungshilfen geben, aber nicht beeinflussen

Als Interviewer muss ich mein Interview als Chance verstehen. Im guten Fall springt dabei eine dauerhafte Zusammenarbeit heraus, wenn es noch besser kommt, eine Freundschaft, und die Leute sind auch ihrerseits an weiterer Zusammenarbeit interessiert.

Vielen Dank Thomas, für diese spannenden und tiefen Einblicke. Du hast mit Deinen Gedanken, Impulsen und konkreten Tipps einen wertvollen Beitrag dafür geleistet, dass die Ansprüche und Bedürfnisse von Fahrer:innen und Bediener:innen schwerer Maschinen in Zukunft noch mehr Beachtung finden werden. Und ich hoffe sehr, es war der Beginn einer Beitragsserie hier auf Nutzerbrille zu unserem gemeinsamen Thema: Mensch-Maschine-Interaktionen zusammen verbessern!

Der Beitrag Hände schmutzig machen erwünscht: Tipps zum Meiden von Stolperfallen beim Optimieren von Mensch-Maschine-Interaktionen erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Wieso betreibt der TÜV selbst keine Autowerkstätten?

Und: Warum gestaltet der TÜV nicht selbst Produkte?

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die Technischen Überwachungsvereine (kurz: TÜV) und deren Mitarbeiter:innen der Versuchung erliegen könnten ihre Prüfungen weder objektiv noch neutral, stattdessen geschäftsfördernd durchzuführen. Sie könnten in dem einen Fall sich selbst beste Qualität bestätigen, selbst wenn jene nicht gegeben ist („Gefälligkeitsgutachten“). Sie könnten im anderen Fall mit der Absicht möglichst viel Folgegeschäft zu bekommen allzu viele Schwächen aufzeigen, Schwächen die lediglich kosmetischer Natur sind.

Naheliegend das zu verhindern.

Weder gestalten, noch optimieren!

Wären die TÜV Mitarbeiter:innen überhaupt in der Lage Produkte und Services zu gestalten, zu reparieren oder zu optimieren? Ich denke schon. Allein der TÜV Süd, wie alle anderen TÜV Gesellschaften eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, hat über 24.000 Mitarbeiter:innen und zahlreiche Tochterunternehmen. Er erzielt Milliardenumsätze, wächst stetig, verfügt über Gebäude an zahlreichen Orten und hochwertige Infrastruktur.

80% der TÜV Süd Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben einen akademischen Abschluss („Akademiker in der Grube“), sind beispielsweise Ingenieure (w/m/d), Entwickler:innen, Psycholog:innen, Soziologen (w/m/d) oder Designer:innen. Im Team könnten sie Produkte gestalten und erkannte Schwächen und Norm-Verletzungen beheben.

Sie tun beides nicht: Weder gestalten, noch optimieren!

Der TÜV – bei seiner Gründung noch als Dampfkessel-Überwachungsverein (DÜV) bezeichnet – prüft heute fast alles wofür es Normen wie beispielsweise die „Deutsche Industrie Norm“ (DIN) gibt.

Das Aktienkapital der TÜV Gesellschaften (TÜV NORD, TÜV Rheinland, TÜV SÜD) halten zu 100 Prozent die ursprünglichen Vereine, deren Mitglieder meist Industrieunternehmen sind, und TÜV-eigene Stiftungen. Der TÜV investiert erzielte Gewinnen zu 100%: Das Geld verbleibt innerhalb der Gesellschaften und wird nicht ausgeschüttet. Die erzielten Überschüssen werden investiert, um zu wachsen, sich weiterzuentwickeln und die Qualität der Prüfungen zu steigern.

Wie halten Sie es mit der Prüfung Ihrer digitalen Produkte, Services und Anwendungen?

Vom wem lassen Sie Ihre digitalen Produkte und Services beispielsweise hinsichtlich der Einhaltung der Interaktionsprinzipien aus der DIN ISO Norm 9241-110 (Grundsätze der Dialoggestaltung) überprüfen?

Ich kenne Ihre Antwort natürlich nicht. Ich denke aber die Verteilung der Antworten ganz gut abschätzen zu können.

  • Nur wenige werden jene Prüfungen vom TÜV vornehmen lassen – der macht das, jedoch eingebettet in umfangreiche IT-sicherheitstechnische Prüfverfahren.
  • Durchaus einige werden von dieser Norm noch gar nichts gehört oder gelesen haben.
  • Einige wenige werden die Frage ungefähr so beantworten: „Institute und Agenturen, die ihren Schwerpunkt in den Bereichen User Research und UX Testing haben, testen unserer Produkte, Anwendungen und Services regelmäßig – sowohl Prototypen als auch die fertigen Versionen kurz vor einem Markteintritt.
  • Viele werden so oder ähnlich antworten: „Wir lassen unsere Anwendungen, Produkte und Services von Agenturen testen, die jene auch gestalten und in unserem Auftrag umsetzen!

Und nun frage ich Sie: Handelt die vermeintliche Mehrheit richtig? Sollten jene, die ein Produkt gestaltet haben es auch selbst testen – expertenbasiert oder mit Nutzer:innen? Sollten jene, die eine Evaluation durchführten schon während der Evaluation die Gewissheit haben, dass sie die dabei erkannten Schwächen in einem sicheren (!) Folgeauftrag auch selbst beheben werden?

Auch hier ist die Antwort naheliegend: Nein, das sollten sie nicht!

Jenes Vorgehen wäre vergleichbar mit der einleitend dargestellten Fiktion: Der TÜV entwickelt, im Auftrag anderer Unternehmen, Fahrzeuge zur Fortbewegung und prüft jene selbst vor dem Markteintritt hinsichtlich der Einhaltung von Normen. Der TÜV betreibt selbst Autowerkstätten, in denen er Prüfungen und Reparaturen durchführt.

Der TÜV tut beides nicht – und das aus gutem Grund.

„Teste nicht selbst was Du selbst gestaltet hast!“

Natürlich gibt es Ausnahmen: Es gibt Designer:innen und Entwickler:innen, die können Tests mit Nutzer:innen selbst durchführen. Sie haben alle dazu nötigen Fertigkeiten und Fähigkeiten, verfügen über reichlich Erfahrung mit UX Tests, haben vielleicht eine geeignete Ausbildung oder sich weitergebildet, sind zertifizierte UX Tester:innen und weisen Persönlichkeitsmerkmale auf, die es ihnen erlauben Kritik an der eigenen Arbeit rein sachlich aufzunehmen.

Sie verzichten in Interviews mit Nutzer:innen auf suggestiv gestellte Fragen, sie können gut zuhören, nehmen erhaltene Kritik zu ihrer eigenen, gestalterischen Arbeit auf, versuchen sich nicht zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Stattdessen reflektieren sie Kritik rein sachlich und leiten auf deren Basis Anpassungen ab, um die erkannten Probleme und Schwächen zu beheben.

Viele können all das jedoch nicht – und die meisten mögen es nicht besonders wenn das, was sie mit viel Leidenschaft und Herzblut gestaltet haben von „Laien“ – also den Nutzer:innen aus der Zielgruppe des Produktes oder der Anwendung – negativ bewertet wird.

Menschlich, oder etwa nicht?

Was die meisten Designer:innen und Entwickler:innen also brauchen, das sind Menschen, die sich auf die Überprüfung von Produkten, Anwendungen und Services spezialisiert haben. Die zugleich kein eigenes, kommerzielles Interesse haben erkannte Schwächen und Optimierungen gegen Bezahlung selbst zu beheben.

Die gute Nachricht: Jene Menschen gibt es – und sie zu finden, das ist gar nicht schwer.

Die kollegiale Lösung: Kolleg:innen testen die Arbeit ihrer Kolleg:innen!     

Einige Agenturen beschäftigen User Researcher:innen und UX Tester:innen die, im Angestelltenverhältnis oder als freiberufliche Mitarbeiter:innen, ausschließlich Tests im Auftrag ihre Kolleg:innen, welche gestalten und entwickeln, durchführen.

Jene User Researcher:innen konzipieren die Studien, legen die Test-Szenarien in Zusammenarbeit mit den Gestalter:innen fest und wählen geeignete Nutzer:innen für die Tests aus. Sie schreiben den Interviewleitfaden und führen die Nutzerinterviews durch. Sie hören dabei gut zu, fragen gezielt nach, dokumentieren die erhaltenen Antworten und die aus der Beobachtung gewonnen Eindrücke, und schließlich leiten sie aus den Daten Erkenntnisse ab. Letzteres gern gemeinsam und im Austausch mit den Designer:innen, Entwickler:innen und deren Kunden.

Ist dieses Vorgehen neutral und objektiv? Es kommt drauf an – schließlich werden die User Researcher:innen von der Agentur bezahlt.

Dennoch ist dieses Vorgehen zu begrüßen – und deutlich besser, verglichen mit jenen Agenturen, bei denen die Designer:innen das Ergebnis ihrer Arbeit selbst mit Nutzer:innen testen, die Nutzerinterviews selbst durchführen und die gewonnenen Ergebnisse selbst interpretieren.

Die externe Lösung: User Researcher:innen anderer Unternehmen testen!

Diese Lösung ist perfekter. Sie ist insbesondere dann perfekt, wenn die User Researcher:innen von den Kunden der gestaltenden und umsetzenden Agentur beauftragt werden. Und nicht von der Agentur selbst – das wäre lediglich eine Variante der zuvor beschriebenen kollegialen Lösung.

Erst dann, wenn der bezahlte Prüfauftrag direkt vom (Agentur-)Kunden kommt, können die externen User Researcher:innen die so wichtige Rolle der neutralen und objektiven Qualitätssicherer zu 100% einnehmen. Qualitätssicherung verstanden als eine umfängliche Prüfung dahingehend, ob sowohl die Bedürfnissen und Anforderungen der Nutzer:innen von den Gestalter:innen erkannt und erfüllt wurden als auch die Prüfkriterien aus Normen eingehalten wurden.

Wie findet man Unternehmen, die ihr „Alleinstellungsmerkmal“ darin sehen ihre Prüfleistungen neutral, objektiv und kompetent zu erbringen? Die sich auf User Research und UX/Usability-Tests fokussieren, kein Interesse haben an Gefälligkeits- oder übermäßig scharfen Gutachten, und die ihre Mitarbeiter:innen im Angestelltenverhältnis gut bezahlen und stetig weiterbilden?

Man findet sie wie jede andere Dienstleister zunächst einmal über eine Suche in bekannten Suchdiensten. Suchdienst aufrufen, beispielsweise Google, „User Research und UX Testing“ eingeben und fertig.

Fast. Denn: Wie wählt man den richtigen Anbieter aus? Wie die Spreu vom Weizen trennen? Gibt es im Markt der User Researcher und UX / Usability Test-Anbieter doch (noch) keine Akkreditierungsstelle, wie beispielsweise die Deutsche Akkreditierungsstelle (kurz: DAkkS), die für die Prüfung der Arbeit von TÜV, Dekar, KÜS, GTU & Co. zuständig ist.

Achten Sie auf Zertifikate!

In Ihrem Auswahl- und Entscheidungsprozess sollte Sie sich vor allem über die Kompetenzen der in den Unternehmen angestellten Mitarbeiter:innen informieren.

Ein erster, guter Indikator dafür ist die Berufserfahrung der Mitarbeiter:innen: Wie lange sind jene bereits im UX / Usability Geschäft? Welche Rollen nahmen sie bisher ein und welche Ausbildung haben Sie? Ein weiterer, vielleicht der entscheidende Indikator ist: Verfügen die Mitarbeiter:innen über einschlägige Zertifikate? Ja, auch im UX / Usability Markt gibt es Zertifizierungen – und ob jene vorhanden sind, darauf sollten Sie bei Ihre Auswahlentscheidung besonders achten.

Die im UX / Usability Markt vorhandenen Zertifikate geben Auskunft darüber, ob ein/eine User Researcher:in nötige Fertigkeiten und Fähigkeiten hat, um Leistungen wie beispielsweise Tests von Produkten, Services und Anwendungen mit hoher Qualität durchführen zu können.

Die Zertifikate haben so gelungene Bezeichnungen wie …

  • in der Basis-Zertifizierung: Certified Professional for Usability and User Experience (kurz: CPUX-F)
  • in ausgewählten Aufbauzertifizierungen:
    • User Requirements Engineering (CPUX-UR) – Expert (w/m/d)
    • Usability Testing and Evaluation (CPUX-UT) – Expert (w/m/d)

… um an dieser Stelle nur einige zu nennen.

Vergeben werden die Zertifikate über den UXQB – International Usability and User Experience Qualification Board e.V. – ein Zusammenschluss von internationalen Expert:innen, Berufs- und Unternehmensverbänden auf dem Gebiet „Usability & User Experience“. Sie haben einen internationalen Standard zur Aus- und Weiterbildung von Personen, die sich seriös für Usability und der User Experience interessieren, entwickelt.

Die Vereinssatzung stellt sicher, dass sich die Mitglieder und Vereinsorgane für die (Weiter-)Entwicklung und Pflege des Zertifizierungsprogramms „Certified Professional for Usability and User Experience“ einsetzen. Die Prüfungen übernehmen vom Verein eingesetzte („akkreditierte“) Zertifizierungsstellen. Die Kosten einer Prüfung sind unabhängig von der gewählten Zertifizierungsstelle.

Die Rechtsform eines Vereins stellt sicher, dass erzielte Gewinne stets investiert werden und es zu keiner Gewinnausschüttung an Mitglieder kommt. Die Vergabe eines Zertifikats an jene User Researcher:innen und UX Tester:innen, die sich erfolgreich auf die Prüfung vorbereiteten und jene bestehen konnten, erfolgt über das UXQB.

Eine Runde Sache und der entscheidende Indikator für Sie, um die Streu vom Weizen zu trennen, um kompetente, fähige und erfahrene Testdienstleister zu finden!

Sie können also ruhigen Gewissens auf die beste, die externe Lösung setzen:

Lassen Sie Ihre Produkte, Services und Anwendungen von spezialisierten Unternehmen prüfen und testen. Von Unternehmen die User Research & UX Testing als Leistungsschwerpunkte haben, die neutral und objektiv sein können und die über glaubhaft kompetente Mitarbeiter:innen – zertifizierte Expert:innen – verfügen.

Und vergessen Sie bitte niemals zwei der wichtigsten Daumenregeln für erfolgreiche Produkte, Services und Anwendungen:

P.S.: An dieser Stelle verzichte ich auf mein obligatorisches Angebot zur Unterstützung bei der Auswahl geeigneter Dienstleister. Ich denke Sie haben nun alle Informationen zusammen, um eine gute Entscheidung zu treffen. Zudem bin ich Gründer & Gesellschafter eines Unternehmens, das objektiv und belegt alle Voraussetzungen für erfolgreiche, qualitativ hochwertige Tests aufweist. Jenes würde ich Ihnen daher ganz sicher empfehlen – aber wäre das neutral? Entscheiden Sie selbst!

Der Beitrag Wieso betreibt der TÜV selbst keine Autowerkstätten? erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Haben Sie wirklich alle Voraussetzungen, um mit Persona erfolgreich zu arbeiten?

Ich erkläre mich für schuldig: Das ist eine Suggestivfrage. Sie scheint mir jedoch nötig, um den Persona  – einen der besten, wenn nicht der beste Ansatz für menschenzentrierte Gestaltung – zu retten.

Woran leitet der Persona-Ansatz?

Immer wieder höre ich diese Kritik: „Unsere Persona sind viel zu fiktiv. Die passen nicht zu meinem Bild von unseren Kunden & Nutzern. Und aus der Beschreibung unser Persona lässt sich überhaupt nichts konkretes ableiten – für mich nicht hilfreich!

Wer hat Persona in Verruf gebracht?

  • Menschen, die die Idee hinter dem Persona-Ansatz nicht kannten oder die es versäumten ihr Wissen über den Ansatz im Unternehmen breit zu streuen.
  • Menschen, die Persona gleichsetzten mit Zielgruppen.
  • Menschen, die Persona für gleich mehrere Produkte, Projekte oder Zielgruppen entwickelten – mit dem Anspruch, dass alle Mitarbeiter:innen eines Unternehmens damit arbeiten können (sollen).
  • Menschen, die sich ihre Persona erdachten, d.h. im Entwicklungsprozess ihrer Persona auf die Erhebung von projektspezifischen Daten verzichteten.

Jene Menschen und ihr Verhalten haben bei einigen Menschen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Persona beigetragen. Vermutlich geschah das unbeabsichtigt: Entweder wurde der Persona Ansatz nicht richtig verstanden und umgesetzt oder in Unternehmen bzw. Teams eingeführt, die noch nicht alle Voraussetzungen hatten, um mit Persona erfolgreich zu arbeiten.

Lassen Sie uns das ändern. Starten wir mit einer abgrenzenden Beschreibung von Zielgruppen und Persona: Persona sind keine Zielgruppenbeschreibungen!

Was sind Zielgruppen?

Eine wichtige Frage, die ganz einfach zu beantworten ist: Man gruppiert Menschen nach ähnlichen Merkmalen, um sie gezielt über Werbeträger (Online-Magazine, Print-Medien, Fernsehsendungen, Gruppen in sozialen Medien etc.) zu erreichen.

In ihren Mediadaten beschreiben die  Werbeträger ihre Nutzer:innen nach Merkmalen wie beispielsweise:

  • Geschlecht, Alter, Einkommen und Bildung
  • Familienstand und Haushaltsgröße
  • Werte, Einstellungen und politische Haltung
  • Beruf, Tätigkeiten und Stellung im Beruf
  • Land, Region und Wohnort
  • präferierte Markenartikel
  • Freizeitverhalten und Hobbys.

Zielgruppen werden nach eben jenen Merkmalen gebildet und beschrieben. Nur so gelingt es in der Vielzahl an Werbeträgen (Medien) jene auszuwählen, über die man seine Zielgruppe passgenau und ohne Streuverluste erreichen kann.

Das sind Zielgruppen – aber keine Persona!

Was sind Persona?

Bei dieser, zugegeben schon etwas schwierigeren Frage lohnt sich der Blick in die Geschichte: Wo kommt der Ansatz eigentlich her, wie hat er den Weg in die Usability / UX-Branche gefunden?

Alan Cooper gilt als der unangefochtene Wegbereiter.
Zwei Dinge motivierten ihn Anfang der 1980er Jahre:

  • Er wollte erreichen, dass die Bedürfnisse von Nutzer:innen darüber entscheiden, wie Entwickler:innen und Designer:innen eine Anwendung gestalten.
  • Er wollte sicherstellen, dass Entwickler:innen und Designer:innen nicht mit erdachten Beschreibungen von Nutzern und Nutzerinnen arbeiten (müssen).

Um jene Ziele zu erreichen, führte Alan Cooper – selbst Entwickler & Designer – in seinen Projekten stets Interviews mit Nutzer:innen, entdeckte dabei Gemeinsamkeiten in Verhaltensweisen und Bedürfnissen.

Auf der (Daten-)Grundlage seiner Interviews beschrieb er typische (Persona-)Vertreter:innen. Seine Beschreibungen waren anschaulich, detailliert und hatten somit einen hohen Realitätsbezug.

Ein Beispiel für eine Persona – ganz im Sinne des Wegbereiters des Persona-Ansatzes (gestaltet von: Lisa Maria Moritz):

Persona Sedcard

„Develop a precise description of your user and what he wishes to accomplish
(Alan Cooper).”

Für alle, die beim Lesen dieser Aussage vielleicht verwirrt sind und denken
Alter Hut, hat die Verbraucherforschung (später bezeichnet als “Marketing“) so schon in den 70er Jahren gefordert!“: Bitte schauen Sie sich die exemplarische Persona noch einmal genau an. Lesen Sie vor allem den Text im rechten Teil des Bildes.

Sie werden nun erkennen:

  • Ziele, Bedürfnisse und Hindernissen, das ist nichts, was in typischen Zielgruppenbeschreibungen vorkommt. Das sind die konstitutive Merkmale von Persona, die sie von Zielgruppenbeschreibungen im Marketing deutlich unterscheiden.
  • Persona beziehen sich niemals auf alle Leistungen (Produkte & Services) eines Unternehmens. Sie haben stets Produktbezug und werden für eine konkretes Projekt erstellt.
    Bei der exemplarischen Persona: Die Verbesserung der Nützlichkeit einer Anwendung zum Anlegen, Bearbeiten und Löschen von Bank-Accounts für die Zielgruppe der (angestellten) Sachbearbeiter:innen einer Bank.

Wir haben bis hierher also gelernt oder wurden daran erinnert:
Zielgruppenbeschreibungen sind keine Persona!
Klingt vielleicht nicht grad nach viel; ist aber ein ganz wichtiger Punkt, um mit Persona richtig gut und erfolgreich zu arbeiten.

UX Designer:innen nutzen Persona – Fachmänner und Fachfrauen für Marketing nutzen Zielgruppenbeschreibungen!

Als Marketer und UX Designer blutet mir bei einer solch trennenden Aussage das Herz. Und sie ist in ihrer Klarheit eigentlich auch übertrieben, denn der Zielgruppen- und Persona-Ansatz harmonieren wunderbar.

Nur wenn beide zum Einsatz kommen, nur dann können Produkte und Services entstehen, die einem Unternehmen richtig Freude bereiten, die viel Umsatz und hohe Gewinne sichern.

Das Vorgehen, um den Zielgruppen & Persona zu vereinen, ist naheliegend und eigentlich ebenfalls ganz einfach:

  1. Den Markt definieren, eine Kundenwertanalyse durchführen und auf der Basis die relevante Zielgruppe beschreiben:
    • Wen wollen wir erreichen, wem wollen wir etwas bieten und damit Geld verdienen?
    • Welche Zielgruppen sind es „wert“ sie besonders gut zu kennen und zu bedienen?
  2. Produkt und Projekt definieren:
    Welche Anwendung wollen wir mit welchem Ziel gestalten, optimieren oder verbessern?
  3. qualitative Interviews mit Vertreter:innen der relevanten Zielgruppe durchführen. Interviews, in denen …
    • Motivationen und Bedürfnisse
    • Probleme und Abneigungen
    • Ängste und Wünsche
    • Informations- und Entscheidungsverhalten
    • Verhaltensabsichten und tatsächliches Verhalten

mit Bezug zum zuvor festgelegten Produkt & Projekt thematisiert werden.

Mit diesem Vorgehen haben wir nebenbei eine weitere, wichtige Voraussetzung geschaffen, damit ein Persona-Projekt erfolgreich sein kann: Wir haben Relevanz und damit Aufmerksamkeit für die Persona geschaffen! Nicht unwesentlich für ein erfolgreiches Persona-Projekt. Erreicht haben wir das, weil wir der Persona-Beschreibung eine Kundenwertanalyse vorgeschaltet haben, aus der die relevanteste („wertvollste“) Zielgruppe abgeleitet wurde.

Aber Achtung: Persona dürfen nie generisch sein. Sie müssen stets spezifisch für ein Produkt oder Projekt geschaffen werden. Wenn letzteres nicht gegeben ist, dann sind Persona zum Scheitern verurteilt.
Dazu ein konkretes Beispiel, um den so zwingend nötigen Zielgruppen-, Produkt- und Projektbezug zu verdeutlichen:

  • Unternehmen: Multi-Channel-Händler mit eigenen Web-Shop und Ladengeschäft
  • Zentrale Zielsetzung: Shoppen im Ladengeschäft für zunehmend digital-affine Menschen weiterhin attraktiv gestalten!
  • Projekt: Entwicklung von digitalen Produkten & Services, die die Nutzung des Online-Shops (bzw. das Online-Kaufverhalten) und den Einkauf im Laden (bzw. stationäres Kaufverhalten) verzahnen.
  • Zielgruppe: Menschen, die sowohl im Ladengeschäft einkaufen als auch im Web shoppen – egal in welchem Online-Shop.

Jetzt ist sind da: Alle nötigen Grundlagen, um in der definierten Zielgruppe Persona – auf der Basis von Erkenntnissen aus Interviews mit Zielgruppen-Vertreter:innen – zu beschreiben und mit ihnen erfolgreich digitale Produkte & Services zu gestalten.

Was braucht es noch, um mit Persona erfolgreich zu arbeiten?

Das Verständnis dafür, dass Persona ein Mittel bzw. Werkzeug zur nutzerzentrierten Gestaltung sind – und keinesfalls Antworten auf konkrete Fragestellungen geben oder gar fertige Problemlösungen aus Persona ableitbar sind.

Dieses Verständnis sollte man eigentlich nie von einer UX / User Research Methode haben. Es sind nicht die Menschen aus der Zielgruppe, die Lösungen entwickeln oder thematische Problemstellungen auflösen können. Produktideen für erkannte Bedürfnisse oder Lösungen für identifizierte Produktschwächen müssen von den Gestalter:innen und Produktmanager:innen kommen. Sie brauchen dafür viel Empathie, also die Fähigkeit sich in die  Nutzer:innen einer Anwendung hineinzuversetzen – und genau dabei helfen ihnen Persona.

Persona brauchen aktive Mitarbeit!

Man kann Persona nicht einfach einkaufen – so wie man beispielsweise ein Umfragetool oder eine Typologie einkauft. Das geht nicht.

Man muss mitarbeiten an deren Erstellung – von Anfang an: Man muss die Vertreter:innen seiner Zielgruppen in den qualitativen Interviews erleben, bestenfalls selbst mit ihnen sprechen, zwingend jedoch muss man ihnen zuhören, Aufmerksamkeit – wahre Aufmerksamkeit – schenken und sich für ihre Bedürfnisse, Ängste und Herausforderungen ehrlich interessieren. Und „Man“ meint: Alle, die später mit den Persona arbeiten werden bzw. arbeiten sollen.

Das Mitarbeiten an der Entstehung von Persona gewährleistet nicht zuletzt auch, dass die Methode richtig verstanden wird und keine falschen Erwartungen an die Methode entstehen.

Und zu guter Letzt:

Es braucht weiterhin Nutzerforschung!

Persona ersetzen keine UX Tests mit Nutzer:innen – sie sind vielmehr die Grundlage für erfolgreiche, zuverlässige und damit hilfreiche Nutzerforschung:

  • Wie finde ich die richtigen Menschen für Tests von Prototypen?
    – mit Hilfe der Persona.
  • Wie leite ich ab, was ich (thesenprüfend) untersuchen will?
    – das geht ganz wunderbar mit guten Persona. Sie bilden die Basis für die Konzeption und Umsetzung von prototypischen Varianten eines Produktes oder Services.
  • Und schließlich: Persona helfen die wahren Ursachen hinter erkannten Problemen in der Nutzung einer Anwendung zu erkennen, also die Symptome richtig zu deuten.

In diesem Kontext sei ergänzend erwähnt, dass Persona als ein Produkt anzusehen sind, das mit den Nutzer:innen stetig und im Sinne eines UX Design Prozesses weiterentwickelt werden muss und sollte: Nach jedem User Research und/oder UX-Test Projekt sollten die Erkenntnisse daraus auch dazu genutzt werden die Persona anzupassen, zu schärfen und/oder in der inhaltlichen Beschreibung zu erweitern.

Das ist ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor, um Persona am Leben zu halten und dauerhaft erfolgreich mit ihnen zu arbeiten. Und nebenbei lässt diese Einstellung in der Arbeit mit Persona auch zwei weitere, wichtige Erfolgsfaktoren für die Arbeit mit Persona erkennen: Ein Team bzw. Unternehmen, das seine Persona stetig datenbasiert „runderneuert“ hat vermutlich:

  • sowohl einen hohen UX Reifegrad als auch
  • jemanden oder gar mehrere Mitarbeiter:innen, die sich dem Einsatz von Persona in der täglichen Arbeit verpflichtet fühlen und als Botschafter in Sachen Persona auftreten.

Haben Sie alle Voraussetzungen, um mit Persona erfolgreich zu arbeiten?

Schade, dass ich ihre Antwort auf die Frage im Titel dieses Beitrags nicht kenne und wahrscheinlich niemals erfahren werde. Ich hoffe jedoch sehr, dass Sie nun alle Voraussetzungen kennen, um mit Persona produktiv(er), glücklich(er) und erfolgreich(er) zu arbeiten.

Und vielleicht haben Sie ja auch ein wenig Lust bekommen, sich weiter mit Persona zu beschäftigen. Für diesen Fall möchte ich Ihnen drei Leseempfehlungen geben:

Foto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit einem der besten Ansätze für menschenzentrierte Gestaltung – und bin immer gern an Ihrer Seite, wenn Sie Persona als UX Methode in Ihrem Unternehmen einführen und/oder die Arbeit mit Persona dauerhaft etablieren wollen.

Sprechen Sie mich einfach an.

Der Beitrag Haben Sie wirklich alle Voraussetzungen, um mit Persona erfolgreich zu arbeiten? erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Wenn‘s wenig Budget für Usability und User Research gibt, dann teste früh!

Ob ein Gestaltungsprozess für ein Produkt oder einen Service gelungen ist, darüber entscheiden immer jene Menschen, die für den Gestaltungsprozess nicht verantwortlich sind oder waren. Die wahren Entscheider:innen sind Menschen aus der Zielgruppe, die man als Kund:innen hat oder die man zu Kund:innen machen will!

Sie in den Gestaltungsprozess zu integrieren, ist somit immer eine gute Idee.

Ihr Produkt wird in jedem Fall auf Usability getestet.
Wenn Sie es nicht selbst tun, dann tun es Ihre Kunden
.“
Jakob Nielsen, leicht modifiziert, aus: Designing Web Usability.

Nutzererlebnisse auf Basis eines Usability-Test gestalten!

Um Freude, Zufriedenheit und Begeisterung beim Nutzen von Produkten und Services zu gestalten, müssen UX Designer:innen diejenigen Menschen verstehen, für die sie etwas gestalten möchten.

Um jene Menschen zu verstehen, müssen UX Designer:innen mit ihnen sprechen, sie befragen und beobachten. Beobachten, während sie ein Produkt oder einen Service nutzen und auch: Beobachten, um zu erkennen in welchen Situationen und zu welchen Herausforderungen ihnen Produkt- oder Service-Lösungen fehlen.

Und schließlich müssen Gestalter:innen ihre Produkte und Services testen, um zu erkennen ob sie Probleme und Herausforderungen lösen.

Verstehen, befragen, beobachten und testen – die Usability/UX Branche bietet alles, was es dazu braucht: Mehr als zwei Dutzend etablierte Methoden und Forschungsansätze umfasst ein gut gefüllter UX Methoden-Werkzeug-Koffer.

Gutes Werkzeug eingesetzt von Menschen, die ihr Handwerk verstehen, ist weit mehr als die halbe Miete: Es ist die Garantie für positive Erlebnisse (User Experience) beim Verwenden von Produkten oder Services.

Wenn’s gut werden muss, dann teste früh!

Was tun, wenn man sich einen vollständigen Methoden-Koffer und erfahrene UX Designer:innen nicht leisten will (oder kann)?

Nehmen wir spaßeshalber einmal an:

  • Es gibt, aus welchen Gründen auch immer, ein begrenztes Geld- und Zeit-Budget für das Verstehen, Beobachtungen und Befragen von Menschen, für die man etwas gestalten will – konkret: 8.000.- €.
  • Das Zeit- und Geld-Budget ist derart bemessen, dass genau eine Studie zu genau einem Zeitpunkt machbar ist.
  • Und nehmen wir schließlich noch an, dass es in unserem fiktiven Projekt darum geht eine vorhandene,  jedoch „in die Jahre gekommene“ Anwendung neu zu gestalten.

(P.S.: Ob die Annahmen oft zutreffen oder aus der Luft gegriffen sind, das entscheiden Sie am besten selbst. Nicht zuletzt auch dahingehend, ob die Annahmen für Sie zutreffend sind.)

Wie und wann setzen Sie die 8.000.- € Usability/UX Budget ein?

Bei zwei Dutzend etablierten Usability/UX Methoden keine leichte Frage. Meine Antwort:

Ich werde die 8.000.- € in 90% aller Fälle für einen Usability-Test mit Nutzer:innen aus der Zielgruppe einsetzen!

Mit ihnen werde ich einen (low-fidelity) Prototypen in einem szenariobasierten Setting testen, Verhalten beobachten, Nutzer:innen zuhören und im Bedarfsfall nachfragen, wenn ihre Aussagen nicht verständlich waren.

  • Ich teste früh im Konzeptions- und Entwicklungsprozess, um erkannte Probleme schnell und kostengünstig beheben zu können.
  • Weil ich Verhalten, Gedanken und Emotionen ganzheitlich erfassen und Optimierungspotentiale zuverlässig im richtigen Nutzungskontext erkennen will, teste ich aufgabenbasiert, höre zu, frage nach und beobachte, ohne zu werten.
  • Und schließlich: Ich lasse viele Menschen teilhaben an der Beobachtung der Nutzertests und der Ableitung von Optimierungen.

Ich lade Kolleg:innen und auch Mitarbeiter:innen von Dienstleistern aus den Bereichen Marketing, Entwicklung und Produktmanagement ein, gern auch aus dem Personalwesen, wenn es um interne Anwendungen geht. Insbesondere trage ich dafür Sorge, dass die Zeit- und Geld-Geber:innen bei den Usability-Tests zuschauen. Das kann und wird in den meisten Fällen dazu beitragen, dass Budget für weitere Forschung mit Nutzer:innen freigegeben wird.

Und jenes weitere Zeit- und Geld-Budget würde ich wieder für einen Usability-Test einsetzen – dann mit einem auf Basis der ersten Testergebnisse weiterentwickelten Prototypen (6 Tips to Keep in Mind for Iterative Usability Testing).

Würden auch Sie die (einmalig) 8.000.- € für einen Usability-Test einsetzen?

Ein Usability-Test bietet viel für wenig Geld!

Seit ich im Jahr 1997 begonnen habe User Research und UX Testing anzubieten und durchzuführen, habe ich immer wieder erfahren, wie wertvoll, vielfältig und preiswert ein moderierter Usability-Test ist.

Früh und oft testen!“ – immer wieder denke ich an diese Weisheit (ohne zu wissen, wer jene im UX Kontext erstmals kundgetan hat). Und immer öfter gelingt es mir diese Einstellung an andere weiterzugeben. Es gelingt mir ihnen die Erfahrungen zu bieten, dass ein Usability-Test besonders wertvoll und zielführend ist, wenn er in frühen Entwicklungsstadien stattfindet.

UX Designer:innen müssen früh mit den Nutzer:innen aus der Zielgruppe in Kontakt kommen, anstatt sie sich nur auszudenken. Ein Usability-Test hilft sowohl Anforderungen und unentdeckte Potenziale zu identifizieren als auch Optimierungsnotwendigkeiten zu erkennen.

Usability-Tests sind universell einsetzbar und auf vielfältige Weise gestaltbar.

Ein Usability-Test ist zugleich günstig. Es braucht nur wenige Tage für dessen Planung, Durchführung und Auswertung. 4-5 Tage sind in der Regel ausreichend, 5 Tester:innen ebenso, so dass man mit 8.000.- € auskommt – wenn’s denn nicht mehr gibt.

Und ich finde, es sollte unbedingt mehr Geld für Usability freigegeben werden: 10-20% des gesamtem Konzeptions-, Entwicklungs- und Umsetzungsbudgets sind keinesfalls zu viel.

Ein Usability-Test sorgt für gute Stimmung: Bei Designer:innen & Nutzer:innen!

UX Design ist ein Gestaltungsprozess, der aus den Phasen Konzeption, Gestaltung (Interaktionsdesign, visuelles Design), Entwicklung und Umsetzung besteht.

Wie kann man diesen Prozess nutzerzentriert umsetzen? Wie bewertet man diesen Gestaltungsprozess sachlich, konstruktiv und fundiert – sowohl im Ergebnis als auch als Prozess der Zusammenarbeit im Team?

Das geht nur mit Hilfe von Nutzertests, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien durchgeführt werden.

Neben den bereits genannten Vorzügen und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Usability-Tests sind deren internen Wirkungen unbedingt zu beachten, wenn es darum geht das Preis-Ergebnis-Verhältnis von Usability-Tests zu bewerten.

Und diese Wirkungen haben es in sich!

In Gestaltungsprozessen müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen und interne Diskussionen zum Ende gebracht werden. Schließlich sind die Gestaltungsmöglichkeiten bei interaktiven Produkten nahezu unendlich. Interne Diskussionen und Entscheidungsprozesse kosten oft viel (Arbeits-)Zeit, führen ab und an zu Spannungen im Team und können Gestalter:innen schließlich die Lust am Gestalten rauben.

Wer sollte Entscheidungen, zu denen es intern unterschiedliche Ansichten und Meinungen gibt, bestenfalls treffen: Konzepter (w/m/d), Designer (w/m/d), Produktmanager (w/m/d), Entwickler (w/m/d) oder jene, die über das Zeit- und Geld-Budget im Projekt entscheiden? Oder sollten in solchen Situationen die Nutzer:innen aus der Zielgruppe den finalen Ausschlag geben?

Usability-Tests mit Nutzer:innen aus den Zielgruppen sind die allerbeste Maßnahme, um in einer solchen Situation für „Ent-Spannung“ zu sorgen und den Gestaltungsprozess effizient fortzusetzen.

Schaut man seinen Nutzer:innen und (späteren) Kund:innen über die Schulter, hört zu und beobachtet, ohne gleich zu werten, dann entsteht ganz schnell Einigkeit darüber warum und wie man eine kontrovers diskutierte Gestaltungsentscheidung treffen muss.

UX Design: Nur echt mit echten Nutzer:innen!

Bitte sprechen Sie mir nach.“ (Regieanweisung: lange Pause einlegen!)

„Ich bin nicht die Zielgruppe!“

Mit diesem, zugegeben konfrontativen Ansatz hat Jakob Nielsen oft einen Perspektivenwechsel in Teams und bei Entscheider:innen eingeläutet, und schließlich die Gebrauchstauglichkeit von Produkten mit einem Usability-Test verbessert (Quelle Markus Völkel, zitiert aus seinem Beitrag Nutzerfreundlichkeit auf dem Prüfstand).

Foto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Ich hoffe sehr, dass es mir gelungen ist auch Sie davon zu überzeugen oder die Überzeugung bei Ihnen (wieder) in Erinnerung zu rufen, dass UX Design – verstanden als ein Gestaltungsprozess für positive Nutzerlebnisse – nur mit mindestens einem Usability-Test mit echten Nutzer:innen gelingen kann.

Dieser Test sollte möglichst früh im Konzeptions- und Entwicklungsprozess durchgeführt werden, und alle, die für das Produkt oder den Service zuständig sind, sollten den Nutzer:innen dabei über die Schulter schauen. Insbesondere die Zeit- und Geldgeber:innen für User Research & Usability Testing. Danach wird in der Regel nicht nur früh, sondern auch oft getestet.

Zu guter Letzt – und keinesfalls „das Letzte!“ …

Design-Kritik statt oder besser mit einem Usability-Test durchführen?

Sollte man Usability-Testing gezielt abgrenzen von einer fundierten Design-Kritik im Team? Ja, unbedingt, denn bei einem Usability Test sieht und hört man, wie Nutzer:innen denken, fühlen und auf ein Design reagieren (handeln), das ihren Anforderungen gerecht werden soll und das für sie gut nutzbar sein soll (und es ggf. nicht ist). Das ist extrem überzeugend – überzeugend um die erkannten Probleme zu beheben, die Chancen zu nutzen und auch weiteres Budget (Zeit, Geld) für weitere Tests zu erhalten.

Bei einer rein internen Design-Kritik geht es darum was die Kritiker:innen gut begründet zu einem Design (wertend, verbessernd) sagen, betreffend dessen was gut oder weniger gut funktioniert – und wie man es ggf. verändern sollte. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass die Kritiker:innen (ebenso wie natürlich auch die/der Deisgner:in) von sich selbst und ihren Erwartungen ausgehend urteilt.

Design-Kritik ist für jede(n) Designer:in wichtig, nötig und hilfreich, um Nutzungsanforderungen aus der IT / Entwicklung, den gesetzlichen Rahmenbedingungen, dem Marketing und dem Markt (Wettbewerb) zu erkennen und zu erfüllen. Sie ersetzen aber keinesfalls Tests mit Nutzer:innen und (späteren) Kund:innen.

Sie wollen mehr erfahren über den Wert eines Usability-Test?

Dann nutzen Sie gern meine favorisierten Linktipps:

Der Beitrag Wenn‘s wenig Budget für Usability und User Research gibt, dann teste früh! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Webcam Eye-Tracking – praktische Tipps für sinnvolle Einsatzbereiche

Können Sie erraten, wohin andere Menschen schauen? Vermutlich nicht immer. Ab und zu gelingt das den meisten Menschen aber schon. Um abzuschätzen wohin andere blicken, muss man in deren Augen schauen, die Augenbewegungen erfassen und der Blickrichtung folgen. Auf diese Weise kann man abschätzen was andere Menschen gerade anschauen. Genau so funktioniert Webcam Eye-Tracking im Prinzip auch.

Webcam Eye-Tracking kann die Informationsaufnahme abbilden und somit eine Grundlage schaffen, um die Verarbeitung von Informationen und die Wege hin zu Entscheidungen besser zu verstehen.

Beim Webcam Eye-Tracking nimmt die Webcam Ihres Rechners Ihr Gesicht und Ihre Augenbewegungen auf. Die Blickrichtung wird über die Erfassung Ihrer Pupille ermittelt. Sofern Sie einem Anbieter einer Webcam Eye-Tracking Lösung die Erlaubnis erteilten, überträgt dessen Software Ihre Blickposition auf dem Bildschirm und die Inhalte Ihres Bildschirm in eine Datenbank. Diese Blickpunkte können anschließend auf dem betrachteten Bildschirminhalt dargestellt werden – beispielsweise in Form eines Video, das Ihren Blickverlauf wiedergibt, oder in Form eines Wärmebildes (sogenannte „Heatmap“) zur Veranschaulichung der Blickdichte. Das Mapping von Blickrichtung und Bildschirminhalt erfolgt über diverse Rechenschritte. Jene Algorithmen sind das zentrale Asset eines Tool- und Lösungsanbieters für Webcam Eye-Tracking.

Webcam Eye-Tracking – Die Vorteile!

Bei Webcam Eye-Tracking Studien ist es nicht nötig, dass die Teilnehmer*innen in ein Teststudio kommen. Die Datenerhebung kann an nahezu jedem Ort der Welt erfolgen. Diese Rahmenbedingungen erleichtern die Gewinnung von Studienteilnehmer*innen enorm. Im Vergleich zu Studio-/Lab-Tests fallen geringere Rekrutierungskosten an. Auch bei der Aufwandsentschädigung wird Geld gespart, entfallen doch sowohl An- als auch Abreise für die Teilnehmer*innen.

Folglich können sowohl Menschen mit wenig Zeit (Manager*innen, Führungskräfte, Selbstständige, junge Eltern in der „Rush Hour“ ihres Lebens, pflegende Kinder etc.) als auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität zu relativ geringen Kosten als Tester*innen gewonnen werden.

Welche Voraussetzungen braucht es auf Seiten der Teilnehmer*innen von Webcam Eye-Tracking Studien?

Um an einer Webcam Eye-Tracking Studie teilzunehmen, sind nötig:

  • Rechner mit einer guten Webcam
  • initialisierte Erfassungs- und Datenübertragungsanwendung des Tool-Anbieters
  • (sichere) Netzanbindung.

Jene Voraussetzungen sind bei immer mehr Menschen gegeben: Die Netzanbindung wird stetig verbessert, die Qualität und Verbreitung von Webcams steigt und immer mehr Menschen sind vertraut mit der Teilnahme an Web- und Videokonferenzen.

Die Kosten für die Datenerhebung auf Seiten des Forschenden sind ebenfalls überschaubar:
Weder ein relativ teurer Infrarot Eye-Tracker noch ein eigenes oder angemietetes Teststudio werden benötigt. Im Vergleich zu Studio-/Lab-Tests können bei gegebenem Budget somit deutlich mehr Studienteilnehmer*innen abgebildet werden: Große Stichproben und Eye-Tracking Daten sind Dank Webcam Eye-Tracking realisierbar!

Webcam Eye-Tracking: Wie treffsicher sind die Daten?

Bei all den genannten Vorteilen gibt es – Sie ahnen es sicherlich bereits – auch einige Nachteile.
Da wäre zum einen die Frage nach der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der gemessenen Blickverläufe. Deren Treffsicherheit ist – durchaus vergleichbar mit unserer Fähigkeit beim Abschätzen der Blickrichtung bei anderen Menschen – unterschiedlich gut.

Welche Faktoren beeinflussen die Datenqualität?

Schauen wir uns zunächst die Erfolgsfaktoren am Ort der Datenerhebung an: Zu Hause, im Büro, unterwegs im Café oder Hotel – an jedem Ort der Welt können Webcam Eye-Tracking Daten im Prinzip erhoben werden. Alles was es braucht: Eine qualitativ hochwertige Aufnahme der Pupillen und Augenbewegungen.

Dazu tragen sowohl eine hochwertige Webcam als auch ausreichend Licht, welches bestenfalls auf das Gesicht des Studienteilnehmenden fällt, bei. Jene Erfolgsfaktoren verbessern sich mit der Zeit stetig: Immer mehr Menschen verfügen über die Fähigkeit an Video-/Web-Konferenzen teilzunehmen (Stichworte: mobiles Arbeiten, virtueller Austausch mit entfernt lebenden (Enkel-)Kindern), wissen wie sie sich dabei „in Szene setzen“ und die Kameratechnik verbessert sich auch.

Bleibt noch das Thema Sehhilfen. Brillen sind vor allem dann eine Herausforderung, wenn sich in deren Gläsern der Bildschirm des Rechners spiegelt. Das sollte nach Möglichkeit vermieden werden – ist aber ein Nachteil, der beim Infrarot Eye-Tracking über spezielle Kameras in einem Teststudio auch gegeben ist.

Webcam Eye-Tracking: Anbieter & Tools

Schauen wir uns nun die Erfolgsfaktoren auf Seiten der Tool-Anbieter an: Was kann ein Webcam Eye-Tracking Lösungsanbieter tun, damit die Treffsicherheit der erhobenen Blickdaten möglichst hoch ist?

Wie bei anderen Eye-Tracking Verfahren auch, sind bei Webcam Eye-Tracking Studien Kalibrierungs- und Validierungsmessungen nötig. Alle Webcam Eye-Tracking Systeme starten daher mit einer Kalibrierung. Jene erfolgt im „Self-Service“. Die meisten Systeme unterstützen die Tester*innen dabei mit Tipps zur Körperhaltung, zum idealen Abstand zum Bildschirm und zur Gestaltung der Raumbeleuchtung. Die eigentliche Messung startet erst nach einer zufriedenstellenden Aufnahmequalität. Ist jene beim ersten Mal nicht gegeben, dann erfolgt eine wiederholte Kalibrierung.

Während der Messung finden bestenfalls Überprüfungen der Datenqualität statt (Validierungen), verbunden mit einer wiederholten Kalibrierung, sollte die Qualität der Datenerhebung nicht mehr ausreichend sein.

Jene beschriebenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung werden von allen Webcam Eye-Tracking Lösungsanbietern durchgeführt. Unterschiede gibt es diesbezüglich nur wenige. Das sollte Sie aber keinesfalls davon abhalten Zeit und Energie in die Auswahl eines Webcam Eye-Tracking Systems zu investieren. Denn es gibt sie durchaus: Unterschiede in den Funktionsweisen, Algorithmen beim Mappen von Blickrichtung und Bildschirminhalt, Leistungsmerkmalen und Leistungsumfängen.

Gute von schlechten Lösungsanbietern können Sie am besten unterscheiden, indem Sie deren Tools selbst nutzen. Diese Möglichkeit zum Selbsttest bieten fast alle Anbieter. Sie erfahren auf diese Weise wie man sich selbst „kalibriert“ und wie genau die Datenerhebung abläuft. Sie können ausprobieren ob das Tool sowohl am Desktop-PC als auch Smartphone funktioniert. Und schließlich bekommen Sie auf diese Weise wertvolle Einblicke in die bereitgestellten Analyseverfahren und den Umgang mit diesen.

Konkreter als im Selbsttest und in der eigenen Anwendung der bereitgestellten Analyseverfahren können Sie nicht überprüfen, ob die Angaben zur Messgenauigkeit und der Einfachheit in der Analyse der Daten (Blickdichte-, Blickverlaufs- und Bereichsanalysen) zutreffen. Die hierfür nötigen 4-5 Stunden je Anbieter sind bestens investierte Zeit. Danach werden Sie sich sicher fühlen, den für Sie und Ihre Anforderungen richtigen Lösungsanbieter ausgewählt zu haben.

Foto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Gerne unterstütze ich Sie dabei:
Berate Sie bei der Wahl des für Ihre Fragestellungen richtigen Eye-Tracking Verfahrens, gebe Tipps zur Auswahl geeigneter Webcam Eye-Tracking Systeme, Lösungen und Dienstleister, und begleite Sie gerne auch bei der Konzeption und Umsetzung Ihrer Studie(n).
Sprechen Sie mich einfach an.

Anwendungsfälle: Wann sollte Webcam Eye-Tracking eingesetzt werden?

Die Messgenauigkeit von Webcam Eye-Tracking Systemen und die Möglichkeit große Stichproben bei schwer zu rekrutierenden Zielgruppen kostengünstig abzubilden geben die Anwendungsfälle und Einsatzbereiche vor. Jene werden nicht unwesentlich auch davon bestimmt, dass Online-Umfragen mit Webcam Eye-Tracking Erhebungen sehr gut kombinierbar sind.

Im Verbund mit Online-Umfragen können Untersuchungsobjekte bei Webcam Eye-Tracking Studien ganzheitlich bewertet werden. Dazu werden die erhobenen Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsdaten ergänzt um abgefragte Daten zur Erinnerung einzelner Inhalte und Elemente des Untersuchungsobjekts. Jene können zudem nach ihrer Wichtigkeit, sowie hinsichtlich den Dimensionen Gefallen und Verständlichkeit über Online-Fragebögen bewertet werden.

Und schließlich bieten große Stichproben grundsätzlich die Möglichkeit erhobenen Daten nach verschiedenen Ziel- und Teilstichproben getrennt auszuwerten.

Unter Beachtung der konstitutiven Vorzüge und Grenzen von Webcam Eye-Tracking Erhebungen ergeben sich drei zentrale Einsatzbereiche:
Webcam Eye-Tracking sollten Sie dann einsetzen, wenn …

  • Sie die gestalterische Ordnung von Interfaces ganzheitlich bewerten und optimieren wollen.
    • Blickdichte gemessen mit Webcam Eye-Tracking an einer großen Stichprobe (mindestens 30, besser 50 je Ziel-, Nutzergruppe oder Persona),
    • Aspekte wie Erinnern, Verstehen und Bewerten gemessen über eine Online-Umfrage.
  • Sie gestalterische Varianten auf quantitativer Datenbasis auswählen wollen – und ein klassischer AB-Test per Tracking aufgrund (1.) zu hoher Umsetzungskosten, (2.) zu hohem Verlustrisiko oder (3.) zu geringen Zugriffszahlen (Traffic) beim Untersuchungsgegenstand ausscheidet.
    Beispiele:

    • Design-/Konzept-Test von formal / funktional unterschiedlichen Navigationskonzepten mit 50 Testern je Konzept (Webcam Eye-Tracking + Befragung).
    • Varianten-Test mit 30-50 Testern je Variante für eine Transaktionsstrecke (zum Beispiel Check-Out, Registrierung, Buchung etc.), deren Varianten sich formal und/oder funktional deutlich unterscheiden.
    • Konzept-Test für 3-4 Varianten einer Bestellbestätigungsseite: Blickdichte-Analyse per Webcam Eye-Tracking und Bewertung gebotener Inhalte und Gestaltungselemente per Online-Fragebogen.
  • Sie erlerntes Übersehen (sogenannte Blindness-Effekte) erkennen und verstehen wollen.
    • Studie mit repräsentativer Stichprobenstruktur und -größe,
    • mit einer Bereichsanalyse fokussiert auf nur ein Interface-Element per Webcam Eye-Tracking und einer
    • Messung der Erinnerung (bzw. Nicht-Erinnerung) per Online-Befragung.

Anders gelagerte Frage- und Problemstellungen, welche Sie auf Basis einer Studie klären möchten, sollten Sie über andere Methoden und Eye-Tracking Verfahren umsetzen. Worauf es bei der Methoden- und Verfahrenswahl ankommt? Erste Hilfe bieten Ihnen Methoden-Sammlungen, Tool-Boxen und die Erfahrung von etablierten UX Design Agenturen, welche ein breites Portfolio an Usability/UX Research- und Evaluationsmethoden anbieten.

Noch mehr Interesse an Erfahrungen, Impulsen und Anregungen zum Thema Webcam Eye-Tracking?

Ich bin begeistert. Da bleibt mir an dieser Stelle nur der Hinweis auf von mir sehr geschätzte Forscher*innen und Eye-Tracking Expert*innen:

Viel Freude mit Ihrer vielleicht neuen Liebe und Begeisterung für Webcam Eye-Tracking, remote Studien und dem Wunsch die Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung Ihrer Nutzer*innen besser zu verstehen.

Der Beitrag Webcam Eye-Tracking – praktische Tipps für sinnvolle Einsatzbereiche erschien zuerst auf Nutzerbrille.