Kategorie-Archiv: UX Design

UX Design als Beziehungsarbeit

Viele UX Designer und Designerinnen, Produkt-Manager:innen, Entwicklerinnen und Entwickler arbeiten mit Erfolg daran Erlebnisse beim Nutzen von digitalen Produkten und Services positiv zu gestalten. Sie tun das mit einem klaren Fokus auf die  Nutzer und Nutzerinnen, deren situative, soziale Umfelder und die Geschäftsziele jener, welche die Produkte und Services anbieten.

Einige von uns tun das mit viel Leidenschaft, mit besonders viel Leidenschaft, quasi mit „Herz, Verstand und Feingefühl!“.
Mein Interviewpartner, Thomas Latus, gehört zu jenen Menschen. Ich freue mich daher sehr, dass wir die Gelegenheit fanden über das Thema „UX Design als Beziehungsarbeit“ zu sprechen und Sie, liebe Leserinnen und Leser, an den Erfahrungen von Thomas nun teilhaben zu lassen.

Wer ist Thomas Latus?

Im Jahr 2020 hat Thomas die Modulr.Design GmbH gegründet. Dort vereint, führt und entwickelt er ein Netzwerk aus fest angestellten und freiberuflichen User Experience Experten und Expertinnen. Thomas betreibt zudem den Work- und Innovationspace RAINHAUS, eine Workshop- und Event-Location im Herzen von Hamburg. Dort bieten Thomas und sein Team regelmäßig Veranstaltungen an, teilen Wissen, Erfahrungen und Werben für menschzentrierte Gestaltung.

Vor seiner Tätigkeit als Unternehmer war Thomas als Designer und Produktmanager bei verschiedenen Start-Ups tätig. Die Grundlage für seine Arbeit als Planer, Architekt und Gestalter positiver Erlebnisse und Beziehungen legte Thomas im Rahmen seiner Ausbildung an der Hochschule für Gestaltung HTK („Hamburger Technische Kunstschule“) in Hamburg, wo er inzwischen als Dozent tätig ist.

Neugier als Triebfeder für Lernerfahrungen und persönliche Weiterentwicklung!

Thomas und mich eint unser Fokus auf menschzentrierte Gestaltung und menschzentrierte Innovationen, unsere Wertschätzung für das Gespräch mit Nutzer:innen über ihre Anforderungen und Bedürfnisse, die Mission andere Menschen für UX Design zu begeistern und für UX Design immer wieder zu werben – gerade dort, wo dieses Werben besonders wirksam ist: Im deutschen Mittelstand, bei jenen Unternehmer:innen, die sowohl Wachstums- als auch Innovationsmotor unserer (Volks-)Wirtschaft waren, sind und hoffentlich bleiben. Jene Unternehmer:innen finden wir beide im Bundesverband mittelständische Wirtschaft e.V. – DER MITTELSTAND.

Was treibt Thomas an, was zeichnet ihn aus?
Für mich sind das vor allem zwei Dinge …

Zum einen Neugier.
Ganz viel Neugier darauf, wie er die Dinge noch besser machen kann, wie er die richtigen Dinge richtig gut gestalten kann, Neugier darauf, welche Nutzerbedürfnisse bisher übersehen oder vernachlässigt wurden.

Und zum anderen:
Thomas will stets eine „gute Beziehung“ zwischen Menschen und Produkten gestalten, will Nähe und Bindung herstellen. Er möchte erreichen, dass Menschen eine emotionale Beziehung mit digitalen Produkten, Services und Marken eingehen und sie wie einen treuen Partner erleben und wahrnehmen.

Was das genau bedeutet, wie Thomas das umsetzt, darüber haben wir gesprochen.

Nachhaltige Beziehungen und Kundennähe durch emotionales Design!

Thomas, du sagst: „Software sollte sich wie eine Beziehung anfühlen.“ Was meinst du damit genau – und warum ist das mehr als nur ein hübsches Versprechen?

Thomas: Beziehungen sind nie neutral – sie basieren auf Nähe, Vertrauen und Rollenverteilung. Ob Geschäftspartner, Freund oder Lehrerfigur: Wir spüren sehr genau, wie wir zueinanderstehen. Genau diesen Anspruch übertragen wir auf Software und digitale Erlebnisse. Denn Nutzer:innen suchen keine Tools – sie suchen Resonanz.
Eine App, die sich wie ein Coach anfühlt, muss anders gestaltet sein als eine, die wie ein stiller Assistent agiert.

Wie hilft euch dieses Beziehungs- und Bindungsverständnis konkret im Gestaltungsprozess?

Thomas: Wir definieren vorab, welche Rolle ein Produkt im Leben der Nutzer und Nutzerinnen einnehmen soll – und was es dafür braucht: Nähe oder Distanz, Führung oder Gleichwertigkeit …. So entscheiden wir z. B., ob eine Anwendung eher wie ein guter Freund oder wie ein strukturierter Projektpartner auftreten sollte.

Das hilft uns Tonalität, Visualität und Interaktion konsistent und zielorientiert zu gestalten.

Von der Pflicht zur Kür: Zufriedene Nutzende zu engagierten und loyalen Kunden machen!

Ihr habt eine Bindungslandkarte entwickelt, basierend auf eigenen Studien und eurer Projekterfahrung.
Welche Beziehungsformen kommen in der Praxis besonders häufig vor?

Die Karte zeigt typische Beziehungen (z.B. Ehe, Freunde, Bekannte) und ordnet jene ein nach den Dimensionen emotionale Nähe und Macht.

Bindungskarte als Grundlage für die Gestaltung von Beziehungen (Quelle/Urheber: Thomas Latus, 2025)

Thomas: Viele Nutzer:innen erleben Marken nicht wie „enge Freunde“ – sondern eher wie Bekannte, Geschäftspartner oder manchmal auch wie Lehrer:innen. Die emotionale Tiefe ist dabei oft geringer, aber das bedeutet nicht, dass keine Bindung entsteht.

Wichtig ist, dass die Beziehung klar und stimmig ist. Menschen spüren sofort, wenn ein Produkt Nähe vorspielt, aber eigentlich Kontrolle ausübt. Authentizität schlägt hier jede Inszenierung.

Das klingt nachvollziehbar und spannend. Kannst du mir und meinen Lesern dazu etwas mehr Klarheit bieten, vielleicht an einem Beispiel etwas näher erläutern?

Thomas: Nehmen wir eine Banking-App.

Wenn sie wie ein Geschäftspartner agieren soll, erwarten Nutzer:innen Klarheit, Verlässlichkeit und Kontrolle – also z. B. gute Übersicht, präzise Sprache und nachvollziehbare Entscheidungen. Soll sie sich aber eher wie ein persönlicher Finanz-Coach anfühlen, braucht es einen anderen Ton: Erklärungen, Empfehlungen, vielleicht auch mal Zuspruch. Die Beziehung definiert, wie viel Nähe, Führung oder Selbstbestimmung ein Produkt ausstrahlt – und das verändert alles: Sprache, Interface, sogar den Kundensupport.

Oder zum Beispiel im B2B-SaaS-Kontext:

Stell dir eine Projektmanagement-Plattform vor. Wenn sie als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden soll, erwarten Nutzer:innen Klarheit, Verlässlichkeit und effiziente Kollaboration. Dann steht Funktionalität im Vordergrund – und ein Design, das Kompetenz ausstrahlt. Soll die Plattform dagegen wie ein Coach oder Mentor wirken, etwa bei der Einführung neuer Methoden oder Prozesse, braucht es Erklärungen, begleitende Micro-Interaktionen und empathische Sprache.

Das Beziehungsmodell entscheidet, ob ein Feature autoritativ wirkt – oder unterstützend.
Und ob sich Nutzer:innen geführt fühlen oder frei agierend bestärkt.

Zurück in die Zukunft: Beziehungspflege, Bindung und Persönlichkeit gewinnen an Bedeutung!

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in dieser Gleichung?
Verändert sie das Verhältnis zwischen Menschen und Software?

Thomas: Ja, enorm. KI-Systeme übernehmen heute Aufgaben, die früher Menschen vorbehalten waren – und damit kippt oft das Machtverhältnis. Wenn z. B. ein Algorithmus Entscheidungen trifft, fühlt sich das schnell nach Kontrolle statt Unterstützung an.
Umso wichtiger ist es, Klarheit über Rollen, Erwartungen und Beziehungsebene zu schaffen – sonst wird aus Bonding schnell Bondage.

Wenn du einen Wunsch für die Zukunft frei hast:
Wie sollten digitale Produkte in Zukunft gestaltet werden?

Thomas: Ich wünsche mir, dass digitale Produkte wieder mehr menschliche Haltung zeigen. Dass sie nicht nur optimieren, sondern Beziehungen pflegen. Dass sie nicht nur lernen, sondern auch zuhören. Und dass sie sich trauen, mal nicht neutral zu sein – sondern Position zu beziehen. Denn Bindung entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch Persönlichkeit.

Vielen Dank, lieber Thomas, für deine Zeit, die Einblicke in deine Arbeit, deine Haltung in Sachen UX Design und deine Gedanken zur Gestaltung digitaler Produkte.
Ich bin mir sicher, dass wir mit unserem Gespräch inspirieren konnten, Impulse bieten konnten, um noch mehr zufriedene Nutzer und Nutzerinnen digitaler Produkte zu loyalen, engagierten Kunden zu entwickeln. 

Der Beitrag UX Design als Beziehungsarbeit erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Der Kern von gutem UX Design war, ist und bleibt User Research!

Was mich da so sicher macht?  Vieles. Vor allem:
Immer mehr UX Professionals (w/m/d) nehmen die Berufsbezeichnung User Researcher:in ein.

Im Branchenreport der German UPA (Berufsverband der UX/Usability Professionals in Deutschland) weist diese Rollenbezeichnung eine aufsteigende Entwicklung in der jährlichen Abfrage („Branchenreport“) der verwendeten  Berufsbezeichnungen auf:

  • 2019 – Platz 4
  • 2020 – Platz 5
  • 2021 – Platz 3
  • 2022 – Platz 3
  • 2023 – Platz 2

2024 Platz 1? Eher nicht. Aber:
Im Ranking der inhaltlich eindeutigen Berufsbezeichnungen haben User Researcher:innen schon heute den 1. Platz für sich sicher. Der „Platzhirsch“ im Ranking der Berufsbezeichnungen ist seit Jahren die/der UX Designer:in, eine generischen Rollenbezeichnung, die viele unterschiedliche Aufgaben umfasst, die für alles stehen kann, was das Gestalten von positiven Erlebnissen in der Nutzung digitaler Produkte und Services umfasst:

  • Interaktionsdesign und Informationsarchitektur
  • Planung, Koordination und Überwachung des Gestaltungsprozesses
  • Research und Testing
  • visuelles Design und Interface-Design

Was meine Zuversicht beflügelt: Es gibt immer mehr „Head of User Research“!

Die Suche nach „Head of User Research“ in LinkedIn ergab im Juni des Jahres 2024 um und bei 100.000 Personen. Davon arbeiten 5.900 in einem Unternehmen, das in Deutschland aktiv ist. Setzt man den Filter England / UK, dann erscheint eine Liste mit 16.000 Personen – und das in einem Land, welches zum Zeitpunkt der Suche ein im Vergleich zu Deutschland  um ca. 1.000 Milliarden $ geringeres Bruttosozialprodukt aufweist.


Für mich sind diese Unterschiede wenig verwunderlich. Seit Jahren sind die Ausgaben für Marktforschung in Großbritannien hoch, übersteigen jene in Deutschland um das 2-3fache. Sicherlich keine klare Wirkungskette, denn Marktforschung umfasst weit mehr wie (nur) „User Research“, aber durchaus ein Zeichen dafür, dass in Großbritannien mehr Umfragen, Tests und Gruppendiskussionen stattfinden.

Warum ist das so? Und ist das ein Indikator dafür, dass auch in Deutschland der Trend zu mehr User Researcher:innen bestehen bleibt?

Ich würde das sehr begrüßen. Und ich glaube, dass wir UX Professionals (w/m/d), Markforscher (w/m/d) und (Online) Marketer dazu einen großen Beitrag leisten können.

Es lohnt sich für researchbasiertes UX Design zu werben!

Wir sollten weiter werben für ein researchbasiertes UX Design, sollten UX Design größer machen, politischen Entscheidungsträger:innen deutlich machen, dass erfolgreiche digitale Services und Dienste insbesondere im public sector nur gelingen, wenn Bürger:innen bei deren Gestaltung endlich einbezogen werden (müssen), und wir sollten die Interessen der UX / Usability Branche in unseren Parlamenten intensiver vertreten. Dass uns das gelingen wird, da bin ich mir ebenfalls 100% sicher.

Was mich so sicher macht?

Immer noch sind die meisten Pioniere einer privatwirtschaftlichen UX / Usability Forschung, die in Deutschland in den Jahren 1999 und 2000 startete, engagiert, tätig und motiviert: Sabrina Duda, Tara Bosenick, Marcus Plach, Gesine Quint, Knut Polken, Franz Koller, Torsten Bartel, Ronald Hartwig, Markus Völkl – um nur einige namentlich zu nennen.

Jenen Pionieren stehen inzwischen zahlreiche junge, sehr bekannte Botschafter:innen für ein researchbasiertes UX Design sowohl in unseren Unternehmen als auch auf Seiten der Dienstleister, Agenturen und Institute zur Seite. Gemeinsam und im Geiste vereint, wird es uns gelingen für researchbasiertes UX Design weiter zu werben und endlich auch die Frage aller Fragen zu beantworten:

User Research – Inhouse, integriert oder extern, vom Dienstleister erbracht?

Die Antwort ist, und ja es muss sein: „Es kommt drauf an!“ – aber hey, liebe Entscheider:innen, nehmt noch etwas mit: „Nehmt euch stets die Freiheit und Flexibilität mal intern und mal extern zu forschen. Je nachdem, wie die Rahmenbedingungen sind!“.

Die richtigen Dinge richtig gut zu beforschen, das können beide, wenn …

  • der externen Dienstleister die Hintergründe der Untersuchungsfragestellungen verstanden hat, wenn er vom Auftraggeber abgeholt und gebrieft wurde, wenn er bezahlte Zeit hat sich in die Untersuchungsfragestellungen hineinzudenken, sie zu durchdenken, zu hinterfragen, zu überarbeiten und zu vereinbaren.
  • die/der interne User Researcher:in fähig ist die richtige Methode und die richtigen Erhebungsverfahren auszuwählen, richtig gut anzuwenden, unbefangen und neutral zu handeln – wenn er/sie erfahren ist, sich stetig weiterbildet und den kollegialen Austausch mit anderen User Researcher:innen sucht und pflegt.

Beides ist wirksam, sinnvoll, beides liegt im Trend. Das zeigt nicht zuletzt der Blick auf die heutigen Rollen und Tätigkeitsfelder der Pioniere der privatwirtschaftlichen UX Forschung in Deutschland: Einige sind auf Kundenseite gegangen und bauten dort erfolgreiche, interne und integrierte UX / User Research Teams auf. Andere wiederum integrierten ihre Agentur, wie ich selbst auch die eresult GmbH, in ein großes Netzwerk. Viele erweiterten die pure UX Forschung um verbundene Design- und Entwicklungsleistungen, bauten ihre (Forschungs-)Unternehmen aus zu erfolgreichen Designagentur.

Sie alle eint die Erfahrung (bei weitem nicht mehr nur der Glaube!), dass gutes UX Design ohne User Research und UX Testing nicht gelingen kann. Gut so – denn diese Vielfalt im Wirken der UX Pioniere brachte und bringt auch in der Zukunft viele unterschiedliche Erfolgsgeschichten und zeigt deutlich, wie etabliert researchbasiertes UX Design inzwischen auf unterschiedlichen Ebene und in unterschiedlichen Facetten ausgestaltet werden kann.

Lasst uns UX Design größer machen!

Thorsten Wilhelm - nachdenklich!

Thorsten Wilhelm: Jeder Weg für mehr User Research ist ein guter!

Wie? Nun, auch das ist eigentlich ganz einfach:
Wir UX Professionals lieben was wir tun. Wir sind offen, kollegial, teilen unsere Erfahrungen und wirken nachhaltig. Wir kommen gerne zusammen. All das ist wunderbar.
Mit all dieser Freude und Liebe zu unserem Job ausgestattet, möchte ich euch, liebe UX Community um eine Kleinigkeit bitten: Redet mit Menschen außerhalb unserer Community darüber was ihr tut. Ich tue das so oft als möglich.

Erzählt euren Freunden, Bekannten, Partnern, Nachbarn … Geschichten über euren Arbeitsalltag. Redet wann immer möglich darüber was ihr tut, woran ihr arbeitet, wie ihr arbeitet und was eure Arbeit bewirkt. Auf diese Weise werdet ihr unsere Branche noch größer machen. Und das tut allen gut. Denn da draußen, außerhalb unserer starken Gemeinschaft, gibt es noch sehr viele Unternehmen, die weder UX Professionals (w/m/d) angestellt haben noch User Research Dienstleister beauftragen.

Jene Unternehmen sind (noch) in der Überzahl!

Und ich finde auch sie sollten unbedingt wissen, dass es uns gibt. Auch sie sollten von unseren Kompetenzen und Fertigkeiten profitieren.

Und dazu müssen sie wissen, dass es uns gibt und was wir tun.

(Hinweis/Anmerkung: Dieser Beitrags ist in einer kürzeren Version zuerst
erschienen auf marktforschung.de in meiner Kolumne „Klarblick UX“).

Der Beitrag Der Kern von gutem UX Design war, ist und bleibt User Research! erschien zuerst auf Nutzerbrille.

Wenn‘s wenig Budget für Usability und User Research gibt, dann teste früh!

Ob ein Gestaltungsprozess für ein Produkt oder einen Service gelungen ist, darüber entscheiden immer jene Menschen, die für den Gestaltungsprozess nicht verantwortlich sind oder waren. Die wahren Entscheider:innen sind Menschen aus der Zielgruppe, die man als Kund:innen hat oder die man zu Kund:innen machen will!

Sie in den Gestaltungsprozess zu integrieren, ist somit immer eine gute Idee.

Ihr Produkt wird in jedem Fall auf Usability getestet.
Wenn Sie es nicht selbst tun, dann tun es Ihre Kunden
.“
Jakob Nielsen, leicht modifiziert, aus: Designing Web Usability.

Nutzererlebnisse auf Basis eines Usability-Test gestalten!

Um Freude, Zufriedenheit und Begeisterung beim Nutzen von Produkten und Services zu gestalten, müssen UX Designer:innen diejenigen Menschen verstehen, für die sie etwas gestalten möchten.

Um jene Menschen zu verstehen, müssen UX Designer:innen mit ihnen sprechen, sie befragen und beobachten. Beobachten, während sie ein Produkt oder einen Service nutzen und auch: Beobachten, um zu erkennen in welchen Situationen und zu welchen Herausforderungen ihnen Produkt- oder Service-Lösungen fehlen.

Und schließlich müssen Gestalter:innen ihre Produkte und Services testen, um zu erkennen ob sie Probleme und Herausforderungen lösen.

Verstehen, befragen, beobachten und testen – die Usability/UX Branche bietet alles, was es dazu braucht: Mehr als zwei Dutzend etablierte Methoden und Forschungsansätze umfasst ein gut gefüllter UX Methoden-Werkzeug-Koffer.

Gutes Werkzeug eingesetzt von Menschen, die ihr Handwerk verstehen, ist weit mehr als die halbe Miete: Es ist die Garantie für positive Erlebnisse (User Experience) beim Verwenden von Produkten oder Services.

Wenn’s gut werden muss, dann teste früh!

Was tun, wenn man sich einen vollständigen Methoden-Koffer und erfahrene UX Designer:innen nicht leisten will (oder kann)?

Nehmen wir spaßeshalber einmal an:

  • Es gibt, aus welchen Gründen auch immer, ein begrenztes Geld- und Zeit-Budget für das Verstehen, Beobachtungen und Befragen von Menschen, für die man etwas gestalten will – konkret: 8.000.- €.
  • Das Zeit- und Geld-Budget ist derart bemessen, dass genau eine Studie zu genau einem Zeitpunkt machbar ist.
  • Und nehmen wir schließlich noch an, dass es in unserem fiktiven Projekt darum geht eine vorhandene,  jedoch „in die Jahre gekommene“ Anwendung neu zu gestalten.

(P.S.: Ob die Annahmen oft zutreffen oder aus der Luft gegriffen sind, das entscheiden Sie am besten selbst. Nicht zuletzt auch dahingehend, ob die Annahmen für Sie zutreffend sind.)

Wie und wann setzen Sie die 8.000.- € Usability/UX Budget ein?

Bei zwei Dutzend etablierten Usability/UX Methoden keine leichte Frage. Meine Antwort:

Ich werde die 8.000.- € in 90% aller Fälle für einen Usability-Test mit Nutzer:innen aus der Zielgruppe einsetzen!

Mit ihnen werde ich einen (low-fidelity) Prototypen in einem szenariobasierten Setting testen, Verhalten beobachten, Nutzer:innen zuhören und im Bedarfsfall nachfragen, wenn ihre Aussagen nicht verständlich waren.

  • Ich teste früh im Konzeptions- und Entwicklungsprozess, um erkannte Probleme schnell und kostengünstig beheben zu können.
  • Weil ich Verhalten, Gedanken und Emotionen ganzheitlich erfassen und Optimierungspotentiale zuverlässig im richtigen Nutzungskontext erkennen will, teste ich aufgabenbasiert, höre zu, frage nach und beobachte, ohne zu werten.
  • Und schließlich: Ich lasse viele Menschen teilhaben an der Beobachtung der Nutzertests und der Ableitung von Optimierungen.

Ich lade Kolleg:innen und auch Mitarbeiter:innen von Dienstleistern aus den Bereichen Marketing, Entwicklung und Produktmanagement ein, gern auch aus dem Personalwesen, wenn es um interne Anwendungen geht. Insbesondere trage ich dafür Sorge, dass die Zeit- und Geld-Geber:innen bei den Usability-Tests zuschauen. Das kann und wird in den meisten Fällen dazu beitragen, dass Budget für weitere Forschung mit Nutzer:innen freigegeben wird.

Und jenes weitere Zeit- und Geld-Budget würde ich wieder für einen Usability-Test einsetzen – dann mit einem auf Basis der ersten Testergebnisse weiterentwickelten Prototypen (6 Tips to Keep in Mind for Iterative Usability Testing).

Würden auch Sie die (einmalig) 8.000.- € für einen Usability-Test einsetzen?

Ein Usability-Test bietet viel für wenig Geld!

Seit ich im Jahr 1997 begonnen habe User Research und UX Testing anzubieten und durchzuführen, habe ich immer wieder erfahren, wie wertvoll, vielfältig und preiswert ein moderierter Usability-Test ist.

Früh und oft testen!“ – immer wieder denke ich an diese Weisheit (ohne zu wissen, wer jene im UX Kontext erstmals kundgetan hat). Und immer öfter gelingt es mir diese Einstellung an andere weiterzugeben. Es gelingt mir ihnen die Erfahrungen zu bieten, dass ein Usability-Test besonders wertvoll und zielführend ist, wenn er in frühen Entwicklungsstadien stattfindet.

UX Designer:innen müssen früh mit den Nutzer:innen aus der Zielgruppe in Kontakt kommen, anstatt sie sich nur auszudenken. Ein Usability-Test hilft sowohl Anforderungen und unentdeckte Potenziale zu identifizieren als auch Optimierungsnotwendigkeiten zu erkennen.

Usability-Tests sind universell einsetzbar und auf vielfältige Weise gestaltbar.

Ein Usability-Test ist zugleich günstig. Es braucht nur wenige Tage für dessen Planung, Durchführung und Auswertung. 4-5 Tage sind in der Regel ausreichend, 5 Tester:innen ebenso, so dass man mit 8.000.- € auskommt – wenn’s denn nicht mehr gibt.

Und ich finde, es sollte unbedingt mehr Geld für Usability freigegeben werden: 10-20% des gesamtem Konzeptions-, Entwicklungs- und Umsetzungsbudgets sind keinesfalls zu viel.

Ein Usability-Test sorgt für gute Stimmung: Bei Designer:innen & Nutzer:innen!

UX Design ist ein Gestaltungsprozess, der aus den Phasen Konzeption, Gestaltung (Interaktionsdesign, visuelles Design), Entwicklung und Umsetzung besteht.

Wie kann man diesen Prozess nutzerzentriert umsetzen? Wie bewertet man diesen Gestaltungsprozess sachlich, konstruktiv und fundiert – sowohl im Ergebnis als auch als Prozess der Zusammenarbeit im Team?

Das geht nur mit Hilfe von Nutzertests, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien durchgeführt werden.

Neben den bereits genannten Vorzügen und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Usability-Tests sind deren internen Wirkungen unbedingt zu beachten, wenn es darum geht das Preis-Ergebnis-Verhältnis von Usability-Tests zu bewerten.

Und diese Wirkungen haben es in sich!

In Gestaltungsprozessen müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen und interne Diskussionen zum Ende gebracht werden. Schließlich sind die Gestaltungsmöglichkeiten bei interaktiven Produkten nahezu unendlich. Interne Diskussionen und Entscheidungsprozesse kosten oft viel (Arbeits-)Zeit, führen ab und an zu Spannungen im Team und können Gestalter:innen schließlich die Lust am Gestalten rauben.

Wer sollte Entscheidungen, zu denen es intern unterschiedliche Ansichten und Meinungen gibt, bestenfalls treffen: Konzepter (w/m/d), Designer (w/m/d), Produktmanager (w/m/d), Entwickler (w/m/d) oder jene, die über das Zeit- und Geld-Budget im Projekt entscheiden? Oder sollten in solchen Situationen die Nutzer:innen aus der Zielgruppe den finalen Ausschlag geben?

Usability-Tests mit Nutzer:innen aus den Zielgruppen sind die allerbeste Maßnahme, um in einer solchen Situation für „Ent-Spannung“ zu sorgen und den Gestaltungsprozess effizient fortzusetzen.

Schaut man seinen Nutzer:innen und (späteren) Kund:innen über die Schulter, hört zu und beobachtet, ohne gleich zu werten, dann entsteht ganz schnell Einigkeit darüber warum und wie man eine kontrovers diskutierte Gestaltungsentscheidung treffen muss.

UX Design: Nur echt mit echten Nutzer:innen!

Bitte sprechen Sie mir nach.“ (Regieanweisung: lange Pause einlegen!)

„Ich bin nicht die Zielgruppe!“

Mit diesem, zugegeben konfrontativen Ansatz hat Jakob Nielsen oft einen Perspektivenwechsel in Teams und bei Entscheider:innen eingeläutet, und schließlich die Gebrauchstauglichkeit von Produkten mit einem Usability-Test verbessert (Quelle Markus Völkel, zitiert aus seinem Beitrag Nutzerfreundlichkeit auf dem Prüfstand).

Foto Thorsten Wilhelm

Thorsten Wilhelm

Ich hoffe sehr, dass es mir gelungen ist auch Sie davon zu überzeugen oder die Überzeugung bei Ihnen (wieder) in Erinnerung zu rufen, dass UX Design – verstanden als ein Gestaltungsprozess für positive Nutzerlebnisse – nur mit mindestens einem Usability-Test mit echten Nutzer:innen gelingen kann.

Dieser Test sollte möglichst früh im Konzeptions- und Entwicklungsprozess durchgeführt werden, und alle, die für das Produkt oder den Service zuständig sind, sollten den Nutzer:innen dabei über die Schulter schauen. Insbesondere die Zeit- und Geldgeber:innen für User Research & Usability Testing. Danach wird in der Regel nicht nur früh, sondern auch oft getestet.

Zu guter Letzt – und keinesfalls „das Letzte!“ …

Design-Kritik statt oder besser mit einem Usability-Test durchführen?

Sollte man Usability-Testing gezielt abgrenzen von einer fundierten Design-Kritik im Team? Ja, unbedingt, denn bei einem Usability Test sieht und hört man, wie Nutzer:innen denken, fühlen und auf ein Design reagieren (handeln), das ihren Anforderungen gerecht werden soll und das für sie gut nutzbar sein soll (und es ggf. nicht ist). Das ist extrem überzeugend – überzeugend um die erkannten Probleme zu beheben, die Chancen zu nutzen und auch weiteres Budget (Zeit, Geld) für weitere Tests zu erhalten.

Bei einer rein internen Design-Kritik geht es darum was die Kritiker:innen gut begründet zu einem Design (wertend, verbessernd) sagen, betreffend dessen was gut oder weniger gut funktioniert – und wie man es ggf. verändern sollte. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass die Kritiker:innen (ebenso wie natürlich auch die/der Deisgner:in) von sich selbst und ihren Erwartungen ausgehend urteilt.

Design-Kritik ist für jede(n) Designer:in wichtig, nötig und hilfreich, um Nutzungsanforderungen aus der IT / Entwicklung, den gesetzlichen Rahmenbedingungen, dem Marketing und dem Markt (Wettbewerb) zu erkennen und zu erfüllen. Sie ersetzen aber keinesfalls Tests mit Nutzer:innen und (späteren) Kund:innen.

Sie wollen mehr erfahren über den Wert eines Usability-Test?

Dann nutzen Sie gern meine favorisierten Linktipps:

Der Beitrag Wenn‘s wenig Budget für Usability und User Research gibt, dann teste früh! erschien zuerst auf Nutzerbrille.