Hamburg. Viel wurde und wird angesichts der Corona-Krise darüber diskutiert, was Unternehmen, Staat und Behörden tun müssen, um fitter für die Digitalisierung zu werden: Infrastruktur ausbauen, Homeoffice ermöglichen, digitale Kommunikation fördern, digitalen Kundenservice ausweiten und vieles mehr. Diese Forderungen sind allesamt sinnvoll und berechtigt. Doch Angebote für die Arbeit von Zuhause, mehr Onlineshopping oder das Erledigen von Bankgeschäften oder Bewerbungen über spezielle Apps laufen ins Leere, wenn sie nur wenig genutzt werden. Gründe dafür können ein fehlendes Interesse an den digitalen Angeboten, mangelnde digitale Kompetenz oder Misstrauen in die Datensicherheit sein.
Neben der technologischen und wirtschaftlichen Seite gibt es eine weitere Grenze für die Digitalisierung, die zu häufig außer Acht gelassen wird: Der Mensch. So stellte beispielsweise das US-Unternehmen Jumio, ein Spezialist für digitale Bezahlmethoden, aktuell fest, dass in den USA 40 bis 50 Prozent der Nutzer, die damit beginnen, einen Onlinebanking-Account zu eröffnen, diesen Prozess nicht abschließen. Als Grund gaben die Nutzer meist an, der Prozess sei zu kompliziert und zeitaufwendig. Dagegen ist User Experience Design (UX) eine machtvolle Waffe, die digitale Customer Journeys für hohe Kundenzufriedenheit und wirtschaftlichen Erfolg entwickelt.
Aber es gibt auch die Seite der Nutzer. Und hier brauchen wir für eine erfolgreiche Digitalisierung eine ausgeprägtere Digitalkultur auch auf individueller Ebene. Hierfür ist es einerseits erforderlich, Wissen über digitale Angebote und Prozesse zu fördern. Andererseits trägt gutes User Experience Design dazu bei, das Vertrauen der Nutzer in digitale Produkte zu erhöhen – insbesondere in sensiblen Bereichen wie dem Banking – und diese so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten.
Gleichzeitig ist jedoch auch das Bildungswesen gefragt, digitale Bildung stärker zu fördern. Dazu gehört, sowohl digitale Inhalte zu vermitteln als auch für die digitale Teilhabe aller zu sorgen. Denn im Zuge der Corona-Krise wird einmal mehr deutlich, wie abhängig Bildung in Deutschland vom sozio-ökonomischen Background ist. Die Haushalte, in denen ein leistungsfähiger Internetanschluss, ein oder sogar mehrere Laptops, Tablets und Smartphones vorhanden sind, konnten den langfristigen Ausfall des Unterrichts einigermaßen gut kompensieren. Doch was ist mit Haushalten, in denen all das nicht vorhanden ist oder in denen sich beispielsweise Eltern und Geschwister zuletzt um Nutzungszeit für den einen vorhanden Computer streiten mussten? Hier sind die Kinder um Wochen oder sogar Monate in der Schule zurückgeworfen.
Digitale Teilhabe darf keine Frage von Herkunft und Geldbeutel sein.
Noch immer gibt es in Deutschland eine Kluft zwischen Arm und Reich im Bildungssektor und es mangelt dem Bildungssystem an der notwendigen Durchlässigkeit – auch wenn es um die Digitalisierung geht. Der DigitalPakt Schule des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist hier höchstens ein Anfang, um Abhilfe zu schaffen. Durchschnittlich 500 Euro pro Schüler stehen den Schulen demnach für die Verbesserung ihrer digitalen Ausstattung zur Verfügung. Die Corona-Krise zeigt jedoch, dass das allein für die digitale Teilhabe nicht reicht. Notwendig wäre vielmehr eine zusätzliche und gezielte bedürfnisorientierte Unterstützung, um digitale Teilhabe auch in einem ökonomisch benachteiligten Umfeld zu fördern.
Wenn wir die Digitalisierung weiter voranbringen wollen, dann brauchen wir digitale Kompetenzen über alle sozio-ökonomischen Schichten hinweg. Sonst laufen wir Gefahr, dass Teile der Gesellschaft abgehängt werden. So spalten wir die Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die dank Bildung und ökonomischer Ressourcen die Digitalisierung meistern, und auf der anderen Seite steht ein digitales Prekariat. Eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung ist daher die digitale Teilhabe aller Bürger. Denn teilhabende Bürger sind gleichzeitig auch gestaltende Bürger.
Von einem Recht auf digitale Teilhabe wird in Zukunft nicht nur die individuelle ökonomische Sicherheit, sondern der Wohlstand der gesamten Gesellschaft abhängen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Digitalisierung keinen Selbstzweck darstellt. Schon 2016 hat der UN-Menschenrechtsrat den Zugang zum Internet zum Menschenrecht erklärt. In der aktuellen Krise wird die Bedeutung dieses Rechts deutlich. Digitalisierungsvorreiter Estland beispielsweise hat das Recht auf Internet als soziales Grundrecht in der Verfassung verankert. Auch Frankreich hat bereits 2009 den Zugang zum Internet als Grundrecht in die Verfassung aufgenommen. Im deutschen Grundgesetz fehlt ein solcher Artikel bisher. Rechtlich gehört in Deutschland ein Breitband-internetanschluss bisher nicht zur Grundversorgung. Auch hierzulande müssen wir jedoch das Bewusstsein dafür schärfen, dass digitale Teilhabe in Zukunft auf einer Stufe mit Grundrechten wie dem Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Bildung zu sehen ist. Nur so kann man vermeiden, dass die Digitalisierung den Zusammenhalt der Gesellschaft durch die Spaltung in gestaltende Bürger auf der einen und digitales Prekariat auf der anderen Seite gefährdet.
Siehe auch die Initiative #digitalmiteinander am Digitaltag 2020.
Und den Kommentar bei it-daily.net.
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