Mit einem menschenzentrierten Gestaltungsansatz lassen sich nicht nur erfolgreiche Produkte und Services gestalten: Ein menschenzentrierter Gestaltungsansatz ist auch eine hervorragende Grundlage, um Teams zu formen, dauerhaft zusammenzuhalten und ihnen eine optimale Arbeitsumgebung zu bieten.
Florian Bauhuber hat das früh erkannt:
Sowohl als Geschäftsführer des Netzwerkunternehmen Tourismuszukunft – Realizing Progress als auch Berater für die Tourismusbranche, wendet Florian einen menschenzentrierten Gestaltungsansatz mit großem Erfolg an.
Und das bereits seit vielen Jahren!
Florian hat das Unternehmen Tourismuszukunft im Jahr 2006 gegründet. 7 Jahre lang führte er es in einer klassischen Organisationsform – mit Hierarchien und umsetzenden Mitarbeiter*innen.
Bereits im Jahr 2013 gab Florian dem Unternehmen eine innovative, zu den Werten der Generation Y besser passende Organisationsform: Er wandelte das Rollenverständnis seiner Mitarbeiter*innen, machte sie zu Gestaltenden statt Umsetzenden, bildete selbstorganisierte (Projekt-)Teams, gab Verantwortung ab, löste Hierarchien auf und gab seinem Team die Vision die Tourismusbranche nachhaltig zu verändern.
Im Ergebnis wandelte er das Unternehmen Tourismuszukunft in ein modernes, wirtschaftlich erfolgreiches Netzwerkunternehmen, dessen Mitarbeitenden sich als Unternehmer*innen fühlen. Jede/-r Netzwerkpartner*in entscheidet wann, wo und mit wem er/sie zusammenarbeitet. Stets mit dem Ziel dem Auftraggeber den bestmöglichen Service zu bieten. Ein festes Büro – so etwas gibt es bei Tourismuszukunft schon lange nicht mehr!
Ich finde das sind viele, sehr gute Gründe, um von Florian zu erfahren wie ein Remote-First Unternehmen in der Organisationsform eines Netzwerkunternehmen erfolgreich geführt werden kann.
Wie alles begann: Vom klassischen Unternehmen zum ortslosen Netzwerkunternehmen!
Florian, Du führst die Geschäfte eines Unternehmens ohne Firmenzentrale: Tourismuszukunft bietet seinen Mitarbeitenden weder ein Büro, noch stellt es ihnen einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Was war der ausschlaggebende Grund für Dich bereits im Jahr 2013 ein ortsloses (Berater*innen-)Team aufzubauen?
Florian Bauhuber: Im Rahmen meiner Promotion habe ich mich intensiv mit Innovationsprozessen in Unternehmen beschäftigt. Kernfrage war dabei: Wie müssen Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung gestaltet sein?
Alle Erkenntnisse dieser Arbeit habe ich nicht in den Doktortitel, sondern in Tourismuszukunft gesteckt. Die Chance, diesen Wandelprozess einzuleiten, hatte ich nur, da zwei meiner Mitgründer im Jahr 2013 beschlossen haben das Unternehmen zu verlassen.
Tourismuszukunft war vorher eine „klassische“ Agentur, die vor allem das Thema Social Media bediente. Wir waren ein hierarchisches Unternehmen mit Bereichen, Bereichsleiter*innen, klar definierten Prozessen und natürlich einem Büro mit Kicker.
Wir dachten damals, dass wir ein cooles, junges und progressives Unternehmen sind. Wir waren aber alles andere als das:
Wir waren mitten in der Wachstumsfalle angekommen.
Identifikation, Identität und Zusammenhalt in ortslosen Teams
Tourismuszukunft ist ein Netzwerkunternehmen: Die Mitarbeitenden sind Expert*innen ihres Fachs, die als selbständige Unternehmer*innen Projekte akquirieren und im Team durchführen. Jede/-r hat eine feste Home-Base, wählt aber seinen Arbeitsort je nach Tätigkeit, persönlichen Vorlieben und den Erfordernissen ihrer/seiner Kunden. Unter diesen spezifischen Rahmenbedingungen ist es euch dennoch gelungen nach außen eine klare, einheitliche und starke Identität auszustrahlen: Die Marke „Tourismuszukunft“ wird verbunden mit Adjektiven wie innovativ, jung, kompetent, flexibel, partnerschaftlich und dynamisch. Worin bestehen die zentralen Erfolgsfaktoren für diese Einheitlichkeit im Denken, Handeln und Auftreten nach außen?
Florian Bauhuber: Wir haben gemeinsam im Team unseren Markenkern, d.h. unsere Werte, fixiert und eine Vision für unser Handeln erarbeitet. Dieser Markenkern wird durch ein Markenteam gepflegt, d.h. alle markenrelevanten Entscheidungen werden durch dieses Markenteam getroffen. Das Markenteam wird jedes Jahr neu gewählt; jede*r Netzwerkpartner*in kann sich hier einbringen.
Zu den wichtigsten Entscheidungen des Markenteams gehört der Auswahlprozess für neue Netzwerkpartner*innen. In diesem Prozess wird nicht nur auf die Kompetenzen der jeweiligen Bewerber*innen geachtet, sondern auf seine/ihre Werthaltung. In zahlreichen Einzelgesprächen versuchen wir folgende Fragen zu klären:
- Wie geht er/sie mit Veränderung um?
- Was ist ihm/ihr wirklich wichtig?
- Welche Werte trägt er/sie in sich? Passt er/sie in unser Team?
- Hat er/sie die nötige digitale DNA?
Das Expert*innen-Netzwerk hinter Tourismuszukunft wächst stetig.
Wie gelingt es euch neue Expert*innen zu gewinnen, die zu euch, zu eurer Identität und Vision passen?
Florian Bauhuber: Das ist gefühlt relativ einfach. Die Art zu arbeiten und zu leben ist attraktiv. Wir wissen für was wir stehen und erzählen das auch. Durch unsere gelebte Wertekonsistenz und die konsequente Umsetzung in unserer Kommunikation geben wir ein klares Bild nach draußen ab: das wirkt auf Endkunden ebenso wie im Employer Branding. Das heißt, dass neue Expert*innen sehr oft auf uns zukommen, weil sie unsere Art und Weise des Lebens auch erleben wollen.
Wir lehnen aber auch definitiv mehr Akteure ab, als wir ins Team holen – die Nachfrage ist da, was uns sehr freut.
Entscheidungsfindung in ortslosen Netzwerkunternehmen
Wie werden bei Tourismuszukunft unternehmerische Entscheidungen getroffen? Nehmen wir zur Beantwortung dieser Frage einfach mal eure Marketing-Aktivitäten: Wie entwickelt und vereinbart ihr eure Marketing-Ziele und Marketing-Strategie?
Florian Bauhuber: Wie vorher schon angesprochen, ist unser Markenteam für markenrelevante Entscheidungen zuständig.
Projektbezogene Entscheidungen obliegen den jeweiligen Netzwerkpartner*innen, die im Kundenprojekt beteiligt sein; z.B. das Pricing oder auch die Bestandteile des Projekts. Wir versuchen Projekte im Markt zu realisieren, die Spuren hinterlassen. Letztendlich entscheiden unsere Netzwerkpartner*innen, was sie für richtig und sinnvoll erachten.
Es gibt keine klassische Unternehmensstrategie mit Wachstumsfeldern, Marketing-Zielen und einer Marketing-Strategie. Dadurch sind wir gleichzeitig agil und flexibel und können aufgrund unserer Grundhaltung sehr schnell auf Trends oder Veränderungen reagieren.
Beispiele hierfür sind die #ITBdigital, die wir als Alternative zur 2020er ITB bereits am Tag der Corona-bedingten Absage verkündet haben. Oder unsere Zukunftstage für die Tourismusbranche, die wir gemeinsam quasi über Nacht organisiert und realisiert haben.
Teamarbeit in ortslosen Teams: Braucht es spezielle Tools?
Lass uns nun die kulturelle Ebene der Unternehmensführung verlassen und einen Blick werfen auf die technologische Ebene. Welche Tools setzt ihr ein, um eure Projekte in virtueller Teamarbeit erfolgreich durchzuführen? Und auf welchen Wegen kommuniziert ihr untereinander, wenn ihr an verschiedenen Orten arbeitet?
Florian Bauhuber: Unser Tool-Stack hat sich in den letzten Jahren oft verändert. Es gibt allerdings zwei Komponenten, die uns bereits seit 2013 begleiten: Google Workspace (Gmail, Drive, etc.) und WhatsApp.
In WhatsApp bilden wir die alltägliche Kommunikation ab: zu Projekten, zu internen Themen bis hin zu privaten Diskussionen und Einblicken. Google bildet unsere technologische Basis für Dateien & Mail – und lange Zeit auch für Videokonferenzen. Aber Google Hangout wurde mittlerweile von Zoom für unsere internen und externen Videocalls abgelöst.
Für das Projektmanagement ist auch noch Trello im Einsatz. Als CRM nutzen wir Hubspot.
„Am Ende kommt es aber nicht auf die Tools an, sondern auf das Wollen und Können der Teammitglieder – umso wichtiger ist es, auf die richtige Werthaltung zu achten.“
Über die Herausforderung die richtigen Arbeitsorte in ortslosen Teams zu finden!
Für euch als Berater*innen ist der Arbeitsalltag geprägt von Abwechslung und Vielfältigkeit: Ihr dürft Gruppendiskussionen moderieren, in Design Workshops neue Produkt- und Serviceideen entwickeln, die Ergebnisse eurer Arbeit in Gutachten oder Präsentationen darstellen und in Forschungsprojekten Befragungen und Interviews durchführen. Zahlreiche, recht unterschiedliche Aktivitäten, deren optimale Erledigung ganz sicher auch vom Arbeitsumfeld und dem Arbeitsort abhängt. Lass uns in diesem Kontext doch einmal einen Blick auf eine typische Arbeitswoche von Dir werfen: An welchen Orten erledigst Du welche Aufgabe bzw. Aktivität am liebsten?
Florian Bauhuber: Meine typische Arbeitswoche hat sich 2020 massiv verändert. Klassischerweise war ich mindestens drei Tage die Woche für Workshops vor Ort beim Kunden. Das Reisen zu den schönsten Orten im deutschsprachigen Raum habe ich auch sehr genossen. Seit März hat sich das radikal gewandelt. Mittlerweile mache ich alle meine Workshops mittels Zoom, Mural und Co. Waren es früher oft Tagesworkshops, teilen sich heute die Tage oft in zwei Workshops mit zwei unterschiedlichen Kunden. In Folge hat sich die Workshop-Anzahl pro Woche durch Corona deutlich erhöht; auch weil keine Reisezeiten mehr existieren.
Mein Arbeitsort befindet sich mit wenigen Ausnahmen seit März in meiner Wohnung. Abgesehen von wenigen Kundenterminen und den gemeinsamen Co-Livings mit meinen Kollegen aus dem Tourismuszukunft-Team.
Teamspirit in ortslosen Netzwerkunternehmen pflegen: Über den besonderen Reiz des Co-Living!
Wie oft kommt es vor, dass ihr alle an einem Ort zusammenkommt? Und: Wozu trefft ihr euch als Team ganz reell an einem Ort?
Florian Bauhuber: Mit dem gesamten Team haben wir uns in diesem Jahr (2020) zweimal getroffen; einmal zu unserem Co-Living in Berlin, bei dem wir uns eine Woche Zeit für uns genommen haben. Das zweite kürzere Treffen war im Rahmen unseres Tourismuscamps, dem ersten Barcamp für die Tourismusbranche, das wir mittlerweile auch als wandernde Veranstaltung organisieren. Neben den Treffen in großer Runde werden allerdings zahlreiche kleinere Co-Livings organisiert, in dem dann konkrete Themen oder Destinationen im Mittelpunkt stehen.
Wir lieben es, an neuen Orten zu arbeiten und den Flair und Spirit der Destination aufzusaugen. Beispiele hierfür sind Ljubljana, Kopenhagen, London, Sizilien, Leipzig, Ischgl oder Interlaken. Der Hauptgrund für unsere physischen Treffen ist aber physische Nähe. Wir müssen uns ab und zu spüren. Das machen wir dann umso intensiver, indem wir uns nicht nur in Meetingräumen treffen, sondern gemeinsam kochen, wandern, etc. .
Was zeichnet einen Ort bzw. Treffpunkt aus, damit er in die engere Auswahl für ein „Co-Living“ kommt? Was muss er euch zwingend bieten?
Florian Bauhuber: Die Anforderungen haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Zog es uns früher oft in eine gemeinsame Villa mit Offenheit und großen Außenanlagen, sind wir heute für unser großes Co-Living oft im urbanen Bereich. Dieses Jahr waren wir in Berlin im The Student Hotel, einem Hotel perfekt geeignet für uns.
Grundsätzlich brauchen wir eine gute Erreichbarkeit mit ÖPNV/Flug, tolles Internet, vielseitige Arbeitsmöglichkeiten im öffentlichen Raum und viel Flexibilität bei der Versorgung mit Essen & Trinken. Am Ende darf das auch noch gut designed und am Besten noch flexibel stornierbar sein. Hört sich nach einer komplexen Suche an. Das ist es auch oft, vor allem bei vielen Individuen mit individuellen Ansprüchen.
Zurück ins (feste) Büro – eine Vision für Tourismuszukunft?
Lass uns zum Schluss mal die Annahmen treffen, dass es (zukünftige) Entwicklungen und Rahmenbedingungen gibt, die euch bei Tourismuszukunft dazu bewegen ein „Headquarter“ – im Sinne eines festen Büros – einzurichten: Wie würdet ihr die Fläche und Räume eurer Firmenzentrale gestalten?
Florian Bauhuber: Gute Frage. Nie darüber nachgedacht, weil ich mir nicht vorstellen kann, unter welchen Entwicklungen das Sinn machen würde. Wir waren ja schon mal in der Situation ein Büro zu haben. Und wir vermissen nichts.
Aber nehmen wir mal den fiktiven Fall an. Dann müsste das Headquarter so aussehen wie die Orte für unsere Co-Livings – also letztendlich auch Übernachtungsmöglichkeiten bieten; da nie mehr alle Kolleg*innen an einem Ort leben werden. Wir brauchen allerdings immer neue Eindrücke und Impulse – in Folge müssten wir das Headquarter auch immer mitnehmen können – quasi als Mobile Home.
Siehst Du am Horizont mögliche Entwicklungen und Rahmenbedingungen aufziehen, die euch zu einem festen Büro („Headquarter“) hinführen könnten?
Florian Bauhuber: Nein. Für uns gibt es kein zurück. Wenn jemand der Netzwerkpartner*innen das Bedürfnis nach einem Büro oder Coworking-Space hat, kann er das jederzeit tun. Aber für uns als Tourismuszukunft ist das Thema durch. Was nicht heißt, dass bei uns alles perfekt ist. Natürlich fehlen in manchen Situationen Flurgespräche bzw. persönliche Treffen mit den Kolleg*innen. Natürlich ist das Home Office in Corona-Zeiten ein schwieriger Spagat zwischen Familie und Job. Manchmal ist das Konsens finden zwischen den Individuen schwierig. Und natürlich führen auch manche WhatsApp-Gespräche zu heftigen Missverständnissen. Aber alles in allem überzeugen die Vorteile dieser Art zu leben und zu arbeiten.
Lieber Florian, vielen Dank für die Einblicke in euer Netzwerkunternehmen Tourismuszukunft. Die Leser*innen unseres Interviews werden neue Sichtweisen, Anregungen und Argumentationshilfen pro Remote-First Unternehmen und pro Netzwerkunternehmen gewonnen haben. Und ganz sicher hast Du auch einige Unternehmer*innen darin bestärkt ihr Unternehmen menschenzentrierter zu gestalteten. Danke dafür!
Der Beitrag Tourismuszukunft – ein menschenzentriertes Remote-First Netzwerkunternehmen erschien zuerst auf Nutzerbrille.