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Auf zu neuen Horizonten: Großgruppen-Moderation mit Podium, Performance und Polonaise

Großgruppen-Moderationen sind immer eine besondere Herausforderung. Es macht uns sehr viel Spaß, viele Menschen in Interaktion, in Bewegung, ins Handeln zu bringen. In den letzten Jahren durften wir viele solcher Veranstaltungen mitgestalten und moderieren, über ein paar davon haben wir an dieser Stelle auch schon geschrieben, wie beispielsweise die Innovation Days der Lufthansa Technik oder die Marketing- Konferenz des hagebau-Fachhandels. In diesem Artikel möchten wir beschreiben, was wir bei der Tagung eines Geschäftsbereichs der Techniker Krankenkasse im Sommer 2023 gemacht haben. 

Wenn du auch eine Großgruppen-Veranstaltung planst, nimm gerne Kontakt mit uns auf!

Der Rahmen: Neue Horizonte für 120 Personen

  • Auftraggeber*in: Die Techniker
  • Thema: Tagung des Geschäftsbereichs Marke & Marketing, Motto “Neue Horizonte”
  • Ziel der Veranstaltung: (1) Vernetzung und Austausch zwischen den Teams fördern, das kollegiale Momentum stärken, Miteinander ins Reden und Handeln kommen (2) Sensibilisieren für eine andere Haltung und Fähigkeiten in einer komplexeren und unsicheren Welt.
  • Die Aufgabe: die Menschen in den Austausch bringen, die Tagung abwechslungsreich gestalten, die Teilnehmer*innen Neugier und Lernfähigkeit erfahren lassen
  • Beteiligte: 120 Mitarbeitende des Geschäftsbereichs
  • Location: Auswanderermuseum Hamburg, Ballinstadt
  • Zeitlicher Rahmen: 9 Uhr bis 17 Uhr, anschließend informeller Teil mit gemeinsamem Grillen

Die Vorbereitung: mehr als nur Agenda machen

Die Vorbereitung einer Großgruppen-Veranstaltung erfordert meist mehr Zeit, erstreckt sich über einen längeren Zeitraum und ist abstimmungsintensiver als bei (kleineren) Workshops. Mit dem Orga-Team der Techniker haben wir in einigen Schleifen über mehrere Monate an der Vorbereitung gefeilt. Das ging weit über die Agenda-Entwicklung hinaus: von teamspezifischen Unterscheidbarkeiten bei den Namensschildern bis hin zur Boombox für das musikalische Outro.

Wir haben eine Ortsbegehung mit dem Orga-Team und den Location-Verantwortlichen gemacht, um ein Gefühl für den Raum zu bekommen, die Raumnutzung besser planen zu können, um Möglichkeiten und Restriktionen der nutzbaren Fläche zu identifizieren, die Bestuhlungssituation zu klären und Catering- und Pausensituationen sowie die Veranstaltungstechnik zu besprechen. 

Wir haben im Zuge der Konzeptarbeit eine Materialliste erstellt und frühzeitig an das Orga-Team übergeben, so dass pünktlich zum Event alle Materialien da waren. Und wir haben gemeinsam an der Einladung gefeilt, nicht nur, um die Teilnehmer*innen über das zu informieren, was sie an diesem Tag erwartete oder um ihre Vorfreude auf die Veranstaltung zu steigern, sondern vor allem auch, um die Kolleg*innen zu motivieren, Requisiten und Gegenstände mitzubringen, die an diesem Tag zum Einsatz kommen sollten. Das war eine erste und große Sollbruchstelle unseres Konzeptes, denn unsere Annahme war: je mehr und je abgefahrene Gegenstände mitgebracht werden, die wir im Laufe des Tages nutzen können, umso mehr Spaß haben alle mit dem, was wir mit ihnen vorhaben.

Am Vorabend haben wir dann noch die letzten Vorbereitungen getroffen und Schilder gemalt. Das Briefing für die Moderationsassistent*innen fand am Morgen der Veranstaltung statt. Es hilft sehr, wenn Leute aus dem Orga-Team ein paar kleine, aber wichtige Funktionen für den Tag haben: zum Beispiel das Timekeeping in einzelnen Slots übernehmen oder dafür sorgen, dass nach der Fahrradhupe, die eine Pause beendet, auch wirklich alle Leute wieder zurück in den Hauptraum zurückgehen. 

Der Vormittag: Ankommen, Warmwerden, ins Thema finden 

Das Ankommen der Teilnehmenden war schon ein erstes Highlight. Unglaublich viele Menschen sind unserer Aufforderung gefolgt und haben Requisiten mitgebracht, Perücken, Verkleidungen, Spielzeug-Mikrofone, Koffer … Der Requisiten-Parkplatz war in kurzer Zeit überfüllt und brauchte Erweiterung. Dieser Fundus sorgte noch vor Start der Veranstaltung für eine lockere und spaßige Stimmung – auch wenn einigen die Irritation anzusehen war: Was hat dieses ganze Zeug bitte in einer Business-Veranstaltung zu suchen?

Zum Start der Veranstaltung haben wir als Moderatoren den Startschuss gegeben. Wir haben begrüßt, kurz auf den Tag eingestimmt (ohne zu viel Agenda zu verraten) und die Bühne bereitet für die Begrüßung durch den Gastgeber (Geschäftsbereichsleitung). Als Mini-Warm-up haben wir hier schon mal die Applausabstimmung aus dem Poetry Slam eingeführt, die uns an dem Tag noch ein paar Mal begleitet hat. 

Bei der Applausabstimmung holt die Moderation eines Poetry Slams nach jedem Auftritt einen Applaus ein. Die Person mit dem lautesten und/oder längsten Applaus kommt eine Runde weiter oder gewinnt den Poetry Slam. Dieses Prinzip haben wir übertragen und, bezogen auf die Veranstaltung eine Skala eingeführt_ von Stufe 1 (die Veranstaltung war ziemlich schlecht) bis zur 10 (was für ein unglaublich tolles Event). 

Wir haben die Leute eine „1“ klatschen lassen, eine „4“, eine „8“ und mit einem Knaller-10er-Applaus haben wir dann den Gastgeber auf die Bühne geholt. Da war die Stimmung gesetzt, die Leute waren in Laune. Der Tag konnte beginnen.

Nach dieser Intro mussten wir erstmal Platz schaffen. Es gab eine Reihenbestuhlung für ungefähr drei Viertel der Teilnehmenden und einige Barhocker an den Wänden für den Rest. Die mussten weg. Und das machen die Leute am besten selbst: macht wach, geht schnell. So hatten wir ausreichend Raum für ein paar kurze Tandem-Runden in wechselnden Konstellationen zu wechselnden Fragen. Wie geht es mir gerade persönlich? Was verbinde ich persönlich mit “neuen Horizonten”?

Weil es so ein schöner Sommertag war, sind wir danach spontan alle kurz rausgegangen, und wirf haben das Mikro gegen ein Megafon eingetauscht. Premiere 1: erste Megafon-Moderation. Premiere 2: eine selbstorganisierte Reihenaufstellung mit 120 Leuten nach Dauer der Betriebszugehörigkeit. Es war, nunja, lang, also die Reihe, nicht die Zeit, die das gedauert hat. Wir haben dann nach Augenmaß diese Reihe in der Mitte „geknickt“ und umgeklappt, so dass sich hinterher immer zwei Personen gegenüberstanden, am Beginn der Reihe hatten wir dann ein Tandem aus einer über 30jährigen Unternehmenszugehörigkeit und einer dreitägigen. Anschließend ein kurzer Dialog, was man jeweils voneinander lernen kann.

Dann wieder alle rein in den Saal und zur Podiumsdiskussion. Der nächste Programmpunkt war ein Gespräch zwischen Andreas Bündert (Geschäftsbereichsleiter) und Philipp Westermeyer (OMR) als externem Gast, moderiert von Silvia Wirth (Pressesprecherin der TK). Aus dieser Session haben wir uns – auch in der Vorbereitung – zurückgezogen, Silvia das Feld überlassen und lediglich im Vorfeld mit ihr Zeiten und grobe Themenblöcke abgesprochen. Verabredet wurde nur, dass wir – wenn es noch Zeit dafür gibt – kein klassisches Plenar-Q&A nach dem Gespräch machen (Tendenz zu Selbstdarstellung weniger und Langeweile vieler), sondern die Impulse in kleineren Grüppchen verarbeiten lassen.

Der Übergang in den Nachmittag: Die Ankündigung des „Festivals“

Noch vor der Mittagspause haben wir die Weichen für den Nachmittag gestellt. Einen Teil der Gruppe wollten wir Dinge in Aktion tun lassen. Es brauchte aber auch einen zweiten Track für die, die nicht so gerne im Mittelpunkt stehen oder nur wenig Lust auf eine Performance hatten. Entsprechend haben wir vorbereitet und vor der Mittagspause ungefähr so abmoderiert:

Wir wollen keine Workshops oder Arbeitss-Sessions machen, sondern wollen in kleinen Gruppen Themen bewegen und dann die Essenzen daraus auf andere Weise den anderen zugänglich machen: als kleine Performances mit szenischen Darstellungen in Form einer Bühnenshow, oder als kleine „Kunstwerke“ in Form von Text- oder/ und Bildcollage mit anschließender Ausstellung. Ihr könnt euch gleich entscheiden, wo es euch mehr hinzieht: darstellende Kunst oder bildende Kunst. Wer jetzt schon weiß, dass er/ sie KEINE Lust hat in irgendeiner Weise an einer szenischen Darstellung oder Performance auf einer Bühne teilzunehmen, sondern sich lieber mit Text, Bild, Collagen ausdrücken möchte, nimmt bitte VOR dem Essen das eigene Namenskärtchen hier weg. (Anmerkung: wir hatten die Namen aller Teilnehmenden im Vorfeld auf Kärtchen drucken lassen und haben sie alphabetisch sortiert auf die Bühne gelegt). Aus den Namen losen wir während der Mittagspause kleine Ensembles, die am Nachmittag zusammen arbeiten und spielen werden.

(c) Mai Britt Witthof (TK)

Der Nachmittag: Thematische Performances und Ausstellung

Nach der Mittagspause kamen wir zum Herzstück der Veranstaltung. Und es sollte ein echter Knaller werden. Zur Einstimmung auf das Kommende und als kleiner Energizer nach der Mittagspause haben wir mit dem “Ding aus der Zukunft” begonnen. Dazu haben wir Tandems gebildet, und zuerst sollte sich jede*r überlegen, welche Sache oder Eigenschaft in Zukunft wichtig sein wird. Aufgabe in Runde eins: Erkläre deinem Gegenüber in Fantasiesprache, was du dir überlegt hast. Aufgabe zwei: Stelle deine Sache/Eigenschaft pantomimisch dar, dein Gegenüber muss erraten, was du darstellst.

Jetzt waren alle aufgewärmt für das “Festival der neuen Horizonte”. Wir haben die Kleingruppen (Ensembles), die wir in der Mittagspause aus den Namenskärtchen gebildet hatten, aufgerufen und ihnen ihr “Nummernschild” mit auf den Weg gegeben. Hier haben sich auch noch einige, die vorher kein Teil einer Bühnenperformance sein wollten, spontan dazu gesellt. Bevor wir alle in die “Arbeitsphase” geschickt haben, gab es ein zweigeteiltes Kurz-Briefing zum inhaltlichen Rahmen und zum konkreten Ablauf dieser Phase.

Den inhaltlichen Rahmen haben wir über Introspektionsfragen gesetzt und alle auf eine kleine Gedankenreise geschickt. Was sehe ich, wenn ich an neue Horizonte denke? Was bedeutet das für mich und meine Arbeit? Was ist mir bei dem Thema wichtig? … Zusätzlich haben wir noch einige Fragen spontan aufgenommen, die sich aus den Diskussionen des bisherigen Tages ergeben haben.

Die Informationen zum weiteren Ablauf klangen ungefähr so:

An die Bühnen-Ensembles: Ihr habt jetzt 45 Minuten Zeit, euch auf ein Thema zu einigen, das ihr szenisch darstellen möchtet, und einen maximal fünfminütigen Auftritt auf einer Bühne vorzubereiten. Priorität hat eure Performance. Einigt euch also lieber schnell auf ein Thema. Es geht hier nicht um eine Präsentation, sondern um etwas Kreatives, eine Darstellung, einen szenischen Fokus. Dabei sind euch inhaltlich und in der Art und Weise keine Grenzen gesetzt.
Nutzt den Fundus an Requisiten und lasst euch von den tollen Sachen inspirieren.
Wer sich für die bildenden Künste entschieden hat: Im linken Teil des Raumes ist das Atelier, ausgestattet mit Stiften, Scheren, Collagenmaterial und Papp-Boards, auf denen ihr alleine oder mit anderen gemeinsam eure Kunstwerke gestalten könnt. Malt, klebt, schreibt, bastelt, baut. 
Nach diesen 45 Minuten wird es parallel auf mehreren Bühnen eure Auftritte zu sehen geben – und die Kunstwerke werden in der Galerie ausgestellt.
Als Modus empfehlen wir: Habt eine gute Zeit. Diskutiert nicht zu viel, sondern kommt ins Handeln. Umarmt die Vielfalt, denn alles ist ok.

Während dieser “Arbeitsphase” haben wir im Moderatorenteam den Bühnenplan gemacht. Fühlte sich an wie Schauspiel-Barcamp. Oder eben wie ein Festival. Wir haben draußen mit Baustellenband ein paar Bühnenbereiche markiert und nummeriert.

Nach den 45 Minuten und noch vor der Kaffeepause haben wir alle nochmal im Hauptraum versammelt und alle Theatergruppen gebeten, sich mit Name des Ensembles und Titel der Performance in den Spielplan einzutragen, gerne auch mehrfach zu verschiedenen Zeiten, damit möglichst viele die Chance zum Zuschauen bekommen. Wie gesagt: Barcamp-meets-Festival-Style. Da die Shows an drei Bühnen parallel in vier aufeinanderfolgenden Slots stattfanden, war klar: nicht alle können alles sehen. Wie bei einer Poster-Session.

Die Galerie der bildenden Künste hatten wir während der Kaffeepause im Hauptraum aufgebaut, so dass die Pausen zwischen einzelnen Bühnen-Slots zum Flanieren durch die Ausstellung genutzt werden konnten. 

Es war toll zu sehen, mit welcher Energie fast alle dabei waren und wie viel Mühe sich alle gegeben haben – sowohl in den Performances als auch in den Kunstwerken. Da gab es einige sehr inspirierende Werke.

Während der Spielzeit kristallisierte sich heraus, dass die Performance einiger Ensembles zu klaren Publikumslieblingen wurden. Bewusst hatten wir fürs Ende der Veranstaltung etwas Puffer eingebaut, um die besten Darbietungen nochmal für alle auf der großen Bühne zu zeigen. Das Ende war dann auch wirklich fulminant. Nachdem der Shanty-Chor nochmals zur Freude aller aufgetreten ist, kam das letzte Ensemble auf die Bühne und startete eine Polonaise durch den Raum. 

Sicher, für die einen mag der ganze Tag etwas, nunja, business-fremd und sehr gewöhnungsbedürftig gewesen sein, aber mit Blick auf Kontext und Ziel dieser Veranstaltung hatte das Ganze Methode: wer etwas Neues lernen will, muss sich zuerst trauen, mit Nichtwissen und Unsicherheit umzugehen. Insofern hatte das, was auf den ersten Blick nach spaßigem  Kasperletheater aussah, auf die Gruppe und auf jede*n einzelne*n nachhaltig gewirkt: Neugier umarmen, offen sein für Neues, sich etwas zutrauen, Selbstwirksamkeit spüren. Und natürlich Spaß haben. Spaß ist ja einer der wichtigsten Motivationstreiber. 

Mit einem 10er-Applaus haben wir dann für die Schlussworte zum offiziellen Teil wieder an den Gastgeber übergeben und uns verabschiedet. Es hätte nicht feuerwerkiger enden können.

Fazit: Mit dem Unplanbaren umgehen

Zugegeben, die Veranstaltung hatte eine gewisse Fallhöhe, und viele Dinge waren für uns auch mit großen Unsicherheiten behaftet. Beispiele?

  • Was machen wir, wenn das Wetter “scheiße” ist und wir nicht nach draußen ausweichen können?
  • Wie viele Teilnehmer*innen kommen am Ende tatsächlich?
  • Was machen wir, wenn sich nur sehr wenige eine Bühnenshow zutrauen und die allermeisten eher passiv bleiben?
  • Bringen die Leute überhaupt irgendwelche Requisiten mit, oder stehen wir am Ende vor einem Fundus, in dem nur zwei oder drei Gegenstände liegen?

Das Gute: wir konnten diese Unwägbarkeiten selbst zum Thema machen, denn dieser Umgang mit dem Ungewissem war ja auch ein Kern-Motto der Veranstaltung. Mut zum Aufbruch, zum Lernen und zur Horizonterweiterung. Und anstatt kalte Füße zu bekommen, haben wir uns während der Planung immer gesagt: Wir gehen mit dem um, was das Universum für uns bereithält. Die Fähigkeit, gut improvisieren zu können, ist ja eine wichtige Eigenschaft in unserem Facilitation-Geschäft. Und es immer schön, diesen Muskel zu trainieren. 

Das Feedback von Teilnehmer*innen

Mit so einem Konzept und bei so vielen Menschen ist klar, dass man es nicht allen recht machen kann. Aber das Feedback, das wir an diesem Abend bekommen haben – und auch in der Bewertung des Events im Nachgang – war sehr positiv.

Ein paar Stimmen könnt ihr in diesem LinkedIn-Beitrag von Alexandra Krotz nachlesen, die auf Auftraggeber-Seite die Planung und Organisation übernommen hat. 

Und hier kommen ein paar O-Töne aus der Feedback-Befragung, die uns im Durchschnitt 5,1 von 6 Sternchen eingebracht hat:

„Mega Tag. Hat sehr viel Spaß gemacht. Schöne Veranstaltung, die einen sehr positiven Spirit verbreitet hat. Alle waren gut gelaunt und haben sich eingebracht. Die vielen Gespräche, mit mir noch unbekannten neuen Kolleg*innen, haben mir gut gefallen.

„Es war eine wirklich gelungene Veranstaltung – und die große Zahl an Mitarbeitern*innen wurde ganz großartig „eingefangen“. Das ist mit so vielen Menschen ja wirklich nicht einfach.

„Ich hatte, ehrlich gesagt, vorher keine allzu große Lust auf die Veranstaltung. Muss aber sagen, dass sie mir am Ende doch gefallen hat. Die Location war toll, die  Organisation und Moderation sehr gut. Der Talk mit Philipp Westermeyer war interessant. Auch die kreative Session am Nachmittag fand ich überraschend positiv.

„Tolle Veranstaltung, hat Spaß gemacht. Etwas mehr Inhalt oder fachlich Impulse hätte ich gut gefunden. Und die Vorstellung der Kreativergebnisse hätte ich mir in großer Runde gewünscht, damit man alles sehen kann.

„Das war ein wirklich grandioser Tag, auf den ich gerne zurückblicke und der nicht nur den Kopf geöffnet hat, sondern auch in Sachen Teambuilding sehr viel gebracht hat. Mein großer Wunsch wäre, dass wir sowas Tolles künftig einmal im Jahr machen!

Fiktive Zukunftsbeiräte als Korrektiv in Transformationsprozessen

Auf einer Transformationsreise tauchen immer wieder Fragen der Orientierungssuche auf. Gegenwart und Zukunft, alte und neue Paradigmen ringen miteinander. Allzu oft behalten die Eigenlogiken, Routinen, das Bequemere, die Pragmatik oder das Altbewährte die Oberhand. Beiräte sind eine interessante Intervention, dem Zukünftigen und Werdenden mehr Kraft und eine bessere Kondition zu verleihen. In einer Zeit, in der die Führungsetagen der meisten Organisationen noch immer von (weißen) Männern geprägt sind, können fiktive Zukunftsbeiräte vielleicht eine wichtige Übergangslösung darstellen. In diesem Beitrag möchte ich ein Konzept bzw. eine Methode und Fallbeispiele für fiktive Zukunftsbeiräte vorstellen, in der sich Gedanken der Theory U, Social Presencing Theater und Soziodrama verbinden. 

Beiräte als hybride Transformations-Organe

Vor einer ganzen Weile begegnete ich mal einem Berater, der sich auf die Arbeit mit Aufsichtsräten konzentriert hatte. Aufsichtsräte sind hybride Organisationseinheiten irgendwo zwischen betriebswirtschaftlichen Kontroll-, unternehmerischen Mitgestaltungs- und fachlichen Sparringsfunktionen, besetzt mit Menschen, die keine Organisationsmitglieder und nicht weisungsgebunden sind. Einige Jahre später wurden Kunden- und Digitalbeiräte in Organisationen populär, die Kund*innen bzw. Digitalexpert*innen eine Stimme und ein Forum geben und einen ähnlichen Hybridcharakter haben. Derzeit erleben wir den Aufstieg von Klima- und Bürgerräten als partizipatives Korrektiv und Impulsgeber für Gesellschaft, Politik und Verwaltung. Aufsichts- und Beiräte in jeglicher Form stellen spannende Gegengewichte zu den starken Eigenlogiken in Organisationen dar. Sie integrieren die Perspektiven und das Wissen von den Rändern des Systems und jenseits der Systemgrenzen. Sie zwingen Systeme, den Blick auf das größere Ganze und die Veränderungsdynamiken zu legen. 

Fiktive Zukunftsbeiräte gründen

Die Implementierung eines richtigen Beirats ist eine größere und längerfristige Intervention in einem System. Und selbst beiratsähnliche Werkzeuge wie Wisdom-Councils sind deutlich aufwändiger in Vorbereitung und Durchführung. Wir haben einen Weg gefunden, wie Führungskräfte, Teams, Organisationen oder Communitys schnell und einfach fiktive Zukunftsbeiräte aufsetzen können und einen Teil der Effekte von Beiräten simulieren können. Wir hatten die Idee schon einmal ganz kurz im Artikel “Futures Thinking in Aktion” angerissen. In Teil 1 möchte ich zeigen, wie wir mit fiktiven Zukunftsbeiräten gearbeitet haben. In Teil 2 tauchen wir dann tiefer in das Methodische ein. 

Teil 1: Fiktive Zukunftsbeiräte in der Praxis

Ein fiktiver Zukunftsbeirat, wie wir ihn hier vorstellen, besteht aus drei Sitzen. Dieses Konzept ist abgeleitet von den drei zentralen Entkopplungen (ökologisch, sozial, spirituell) nach Otto Scharmer und deren Übersetzung im 4D-Mapping des Social Presencing Theaters (beides ausführlicher im Methodenteil).

  • ein*e Repräsentant*in für den Planeten bzw. die Natur
  • ein*e Repräsentant*in für jemanden oder etwas, dessen/deren Stimme im System zu wenig Gehör findet
  • ein*e Repräsentant*in für das höchste Potenzial des Systems

Selbstverständlich kannst du dir auch Zukunftsbeiräte mit anderen Repräsentant*innen, mit mehr oder weniger Sitzen bauen. In seinem Buch The Good Ancestor erwähnt Roman Krznaric ein Beispiel einer Future Citizens Assembly aus Japan. Dort wird z.B. mit fiktiven Vertretern der siebten Generation debattiert. Und auch das Klima-Parlament der Wesen und Unwesen passt in diese Logik.

Eine Case-Study: Ein Zukunftsbeirät für ein Museum

Im Dezember 2021 hatten Valentin und ich das Vergnügen, gemeinsam mit dem Sinclair-Haus zu arbeiten. Wir waren zu einem virtuellen Halbtagesworkshop eingeladen, um das erweiterte Museums-Team bestehend unter anderem aus Kurator*innen, Künstler*innen, der Öffentlichkeitsarbeit, der Kunstvermittlung zusammenzubringen und auf die kommende Ausstellung zum Thema „Wandelmut“ vorzubereiten. Dabei sollte es um eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema Wandel in einer mehr-als-menschlichen Welt gehen. 

Nach einer Einstimmung in das Thema Wandel auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene haben wir die Teilnehmer*innen zunächst Rollen für Dinge oder Lebensformen sammeln lassen, die eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren haben. Anschließend sprachen sie in Breakout-Räumen aus einigen dieser Rollen dazu. Darüber haben die Teilnehmer*innen sich sowohl in einer mehr-als-menschlichen Perspektive sowie mit längerfristigen Zeitdimensionen vertraut gemacht. Zudem wollten wir sie für mögliche Repräsentant*innen des Planeten und allem Natürlichen erwärmen. 

In einer zweiten Runde ging es dann um das erweiterte soziale Bezugssystem des Museums. Die Anwesenden sollten Rollen sammeln, die irgendwie mit dem Museum und der Ausstellung zu tun haben. Egal wie nah oder fern, wie direkt oder indirekt dieser Bezug sein mag. Auch hier schlüpften die Teilnehmer*innen in Rollen dazu. Neben dem Einfühlen für das soziale Feld, in dem sich ein Museum und solch eine Ausstellung bewegt, ging es darum zu schauen, wessen Stimmen zu wenig Gehör bekommen. 

Fiktive Zukunftsbeiräte


Anschließend führten wir das Konzept der drei Entkopplungen (siehe unten) ein. In einer Journaling-Runde suchte jede*r Teilnehmer*in Repräsentant*innen für die drei Sitze des Zukunftsbeirats. Gemeinsam haben wir dann für die Ausstellung “Bewerbungsgespräche” für den Zukunftsbeirat geführt. Dafür schlüpften Teilnehmer*innen in Rollen, die sie für den Zukunftsbeirat nominieren wollten. Die Gruppe entschied, sich nicht auf drei Sitze beschränken zu wollen, und aus drei Sitzen wurden sechs. Der Zukunftsbeirat setzte sich zusammen aus einem Pilz, einem Tier, einer/einem Obdachlosen/Obdachlosem, einer BIPoC-Klimaaktivist*in aus Südamerika, dem “Loch in der Mitte von allem” sowie Mykorrhiza. Daraus – sowie aus dem abschließenden Sharing – entspann sich eine intensive und erkenntnisreiche Diskussion über die anstehende Ausstellung und das Wirken des Museumsteams. Dabei ging es um Fragen der Repräsentanz und Wirksamkeit: wem geben wir eine Stimme und wessen Stimme wird hier nicht gehört? Wen beziehen wir in unsere Ausstellung mit ein und wen nicht? Wie erzielen wir mit einer Ausstellung über Wandel Wirkung? Welche Rolle nehmen wir als Museum in der lokalen und globalen Gesellschaft ein? Der fiktive Zukunftsbeirat hat dem Team geholfen, sich für noch offene Fragen, Themen und Spannungsverhältnisse zu sensibilisieren und mutiger nach vorn zu schauen. 

Weitere Anwendungsbeispiele für fiktive Zukunftsbeiräte

  • Wir haben das Konzept in einem Leadership-Programm für Nachwuchsführungskräfte eines Industrie-Unternehmens genutzt. Neben dem Zukunftsbeirat war der neue CEO als Rolle präsent. Der Zukunftsbeirat wurde genutzt, um mehr über den neuen CEO, seine Ambitionen und den Zeitenwechsel zu erfahren, der mit dem Wechsel an der Unternehmensspitze einhergehen könnte. 
  • Im Transformation Circle, einer von uns initiierten monatlichen Supervisions-Gruppe für Transformationsbegleiter*innen, haben wir mit dem Zukunftsbeirat das Vorhaben einer Teilnehmerin in Aktion erkundet. Andere Teilnehmer*innen schlüpften dafür in die von der Protagonistin vorgegebenen Rollen. Auch in dieser Variante hat der Zukunftsbeirat eine sehr tiefgehende Auseinandersetzung mit den Zukunftsplänen der Protagonistin ermöglicht.  
  • Beim Meet-Up der Berlin Change Days funktionierte das Konzept nur bedingt. Nicht zuletzt deshalb, weil eine relevante Zahl der Teilnehmer*innen keinen Bezug zu den Berlin Change Days hatte, es an einem gemeinsamen Bezugspunkt fehlte und der Zukunftsbeirat zu abstrakt in Gestalt und Ratschlägen blieb. Statt drei oder sechs Rollen haben wir den Rat für jede Stimme aus den drei Kollektivrollen geöffnet. 

Gemeinsamer Bezug als Voraussetzung

Unser Learning bislang: Damit fiktive Zukunftsbeiräte gut funktionieren, braucht es einen klaren Bezugspunkt. Je unklarer dieser Bezugspunkt wird, desto schwieriger wird es, einen Zukunftsbeirat zu bilden. Für die Durchführung solch einer Session haben wir 90 bis 150 Minuten inklusive Erwärmungen, Debriefing und generativem Dialog gebraucht. 

Fiktive Zukunftsbeiräte als Korrektiv in Transformationsprozessen

Als Abschluss des ersten Teils möchte ich die Idee vorstellen, solche fiktiven Zukunftsbeiräte in der Arbeit mit Transformationsprozessen zu nutzen. Ähnlich wie in früheren Zeiten die Konsultation des Orakels von Delphi können fiktive Zukunftsbeiräte Führungskräften, Teams oder Organisationen helfen, den Gestaltungsspielraum in ihrer Organisation offenzuhalten bzw. weiter zu öffnen. Selbst wenn (oder gerade weil) sie nur fiktiv sind: fiktive Zukunftsbeiräte sind zusätzliche Fürsprecher für ambitionierte Vorhaben und helfen einer Organisation, Teams oder Führungskräften langfristige Ziele und Verantwortung besser im Blick zu behalten und nicht nur auf das Machbare zu schauen. 

Mehr als nur eine einmalige Übung

In der Anwendung haben wir die co-kreative Entwicklung und einmalige Befragung solch eines Beirats als kraftvolles Werkzeug erlebt. Aber auch eine regelmäßige Konsultation nach/vor jedem neuen Zyklus oder Sprint sowie eine Umbesetzung oder Erweiterung des Gremiums scheinen uns spannende, leichtgängige und zugleich aktivierende Wege, mit fiktiven Zukunftsbeiräten in Transformationsprozessen zu arbeiten. Wenn du gern einen fiktiven Zukunftsbeirat für deine Transformationsarbeit entwickeln willst, nimm gern Kontakt mit uns auf. 

Teil II: Die theoretische Basis

Wer methodisch-theoretisch etwas tiefer eintauchen möchte, findet in diesem Teil die Basis für diese Art der fiktiven Zukunftsbeiräte. 

Das hier vorgestellte Konzept besteht einer Bricolage der drei Entkoppelungen nach Otto Scharme (Theory U), dessen Übersetzung im 4D-Mapping des Social Presencing Theaters (SPT), einen Auszug aus dem Seed Dance (SPT) und die Arbeit mit Rollen aus dem Soziodrama. Wer tiefer in drei Entkopplungen (Three Divides), das 4D-Mapping oder den Seed Dance eintauchen will, sollte sich das Buch “Social Presencing Theater” von Arawana Hayashi anschauen. Für die Arbeit mit dem Soziodrama, möchte ich das “Praxishandbuch Soziodrama” von Mirja Anderl, Christoph Buckel und Uwe Reineck empfehlen.

Die drei Entkopplungen (Three divides)

Otto Scharmer beschreibt die drei großen Entkoppelungen der gegenwärtigen Ära.

  • Die ökologische Entkopplung: als Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind wir aktuell stark von der Natur entkoppelt. Das äußert sich z.B. in der Vielzahl ökologischer Krisen, allen voran den Klima- und Biodiversitätskrisen.
  • Die soziale Entkopplung: als Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind wir aktuell stark von anderen Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften entkoppelt. Das äussert sich z.B. in der massiven Polarisierung von Einkommen, dem Zerbröseln politischer Institutionen, Intoleranz, Hass oder auch kriegerischen Auseinandersetzungen.
  • Die spirituelle Entkopplung: als Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind wir aktuell stark von uns selbst entkoppelt. Das äußert sich z.B. als der massiven Zahl mentaler Krankheiten wie Burnouts, Traumata oder Suizids.

Die Übersetzung im 4D-Mapping

Im 4D-Mapping des Social Presencing Theaters geht es darum, für ein Anliegen eine*r Fallgeber*in das Zusammenspiel der wichtigsten Akteure zu erkunden und Ideen für einen nächsten Schritt zu gewinnen. Wie bei einem Soziodama oder einer Aufstellung sind in jedem 4D-Mapping neben Rollen für die Akteure und Stakeholder*innen des Falls auch Repräsentant*innen der drei Entkopplungen dabei. Die ökologische Entkopplung wird durch eine Rolle aus dem ökologischen Kontext repräsentiert. Das kann z.B. das Klima, der Planet oder auch das lokale Wassersystem sein. Für die soziale Entkopplung wird eine Rolle gewählt, deren Stimme im System zu wenig Gehör findet. Die spirituelle Entkopplung wird durch eine Rolle repräsentiert, die das höchste Zukunftspotenzial des Systems zum Ausdruck bringt. In einem Fall, an dem ich teilgenommen habe, war das z.B. die nächste Generation der Unternehmensgründer*innen. 

Der Seed Dance

Der Seed Dance ist eine weitere Praktik im Social Presencing Theater. Im Seed Dance imaginieren und erspüren die Teilnehmer*innen ein gewünschtes Zukunftsfeld. Für dieses Zukunftsfeld lässt man den Körper eine Skulptur finden. In weiteren Schritten werden dann eine Skulptur für den Status Quo gefunden, ein Weg vom Status Quo zum Zukunftsfeld, Trieb- und Beharrungskräfte sowie Resonanzen von Mitwirkenden und Beobachter*innen integriert.

Wir haben für den fiktiven Zukunftsbeirat nur die Entwicklung der Skulptur des Zukunftsfeldes genutzt. Diese Arbeit hat sich als sehr hilfreich erwiesen, Teilnehmer*innen konkrete Ideen für die schwierige und spirituell anmutende Kategorie “das höchste Potenzial des Systems” zu geben.

Die Rollenbegegnungen des Soziodrama

Im Soziodrama versuchen wir mit einer Gruppe ein Thema in Aktion zu erkunden. Dafür kreieren und übernehmen Teilnehmer*innen die Rollen (und ggf. Schlüsselszenen), die für solch eine Exploration notwendig sind. Teilnehmer*innen sprechen und interagieren in Rollen miteinander, erkunden so das Thema und simulieren das jeweilige soziale System. Im anschließenden Sharing teilen die Teilnehmer*innen ihre Erlebnisse, Erfahrungen und Learnings. Im Fall des fiktiven Zukunftsbeirats übernehmen Teilnehmer*innen die Rollen für die drei Sitze und sprechen aus ihnen. Häufig gibt es mit der Organisation, dem Team oder dem CEO noch eine vierte Rolle. Die Organisation kann Fragen an den fiktiven Zukunftsbeirat stellen, sie kann ihre Strategien oder Zukunftsanliegen präsentieren und Stimmen aus dem Beirat hören. Teilnehmer*innen können aber auch als Individuen den fiktiven Zukunftsbeirat (in Rollen) befragen. 

Abschließende Bemerkungen zu fiktivien Zukunftsbeiräten

Wie bei einem echten Beirat liegt die Herausforderung nicht in der Arbeit mit dem Beirat, sondern in der Auswahl der richtigen Repräsentanten. Daher sollte ausreichend Vorbereitung, Aufwärmung und Exploration vor der Arbeit mit einem fiktiven Zukunftsbeirat erfolgen.

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Das “Marble Run Game” – oder: gemeinsam mit ChatGPT eine neue Workshop-Methode entwickeln

ChatGPT als neue Arbeitskolleg*in? In diesem Erfahrungsbericht schildere ich, wie ich begonnen habe, gemeinsam mit ChatGPT die neue Workshop-Methode “Marble Run Game” zu entwickeln. Es geht also zum einen darum, wie ich als Facilitator ChatGPT für meine Arbeit nutzen kann und zum anderen gibt es mit dem Run Game und vielen weiteren Methoden-Ansätzen Vorlagen für Workshop-Spiele, die in kleinen und größeren Gruppen Komplexität auf spielerische Art und Weise erfahrbar machen.
Weil die Arbeit mit ChatGPT so neu ist, bin ich vor allem eines: irre gespannt, wie ihr das so nutzt. Lasst uns also gerne in den Austausch gehen. Nun aber erst mal ein kurzer Inhaltsüberblick:

Zum Start eine Partie kreatives Kurzpingpong

Unlängst machten Dirk und ich uns spontan ein paar Gedanken zu einem neuen Kundenprojekt. Ein Ziel des Workshops: verschiedene Dienstleister eines Kunden auf eine gute Zusammenarbeit untereinander einzustimmen. Eher nicht ergebnisorientiert, sondern gerne spielerisch und auf der Meta-Ebene das Thema Prozesse, Schnittstellen und gemeinsame Abläufe einbringend.

Im kreativen Pingpong waren wir schnell bei einem Workshop-Spiel, das wir vor ein paar Jahren schon mal fast umgesetzt hätten. Weil damals nicht ausreichend Vorbereitungszeit war, landeten wir bei einer anderen Methode. Im Hinterstübchen schlummert sie seither und meldet sich immer mal wieder mit der Frage, ob ich sie vergessen habe.

Habe ich offensichtlich nicht. Wir tauschten uns also ein paar Minuten aus: Cool wäre es doch, wenn die Teilnehmer*innen in gemixten Teams Murmelbahnen aus Karton, etwas Krepp und Papier bauen müssten. Ggf. müssten die Teams klären, wie sie die Schnittstellen gestalten. Ggf. könnten wir ein paar Komplexitätshürden einbauen.

Wir sprachen nur 10, 15 Minuten. Und endeten an einer Stelle, die immer wieder eine zeitliche Hürde ist. Irgendwer müsste jetzt am besten Mal den ersten Aufschlag für eine konkrete Umsetzung machen. Mit möglichen Routen, Zeiten und, und, und.

Hallo ChatGPT. Ein Teil meiner Aufmerksamkeit liegt in dieser Zeit immer bei den Fragen: Wie verändert sich Thema oder Aufgabe oder Situation “ XY” eigentlich im Zusammenhang mit ChatGPT, Midjourney und ihren Brüdern und Schwestern? Wie könnten sie an dieser Stelle helfen?

Also los. Meine Erwartung war nicht super hoch, aber es waren auch meine ersten Prompts im neuen ChatGPT 4.0. – ich gebe hier komplette Chatverläufe wieder.

Version 1: ChatGPT, ich und das Workshop-Spiel „Marble Run Game“

Ich:
I’m planning a new workshop method. The method is for groups from 40 to 100 participants. Participants will have the task to build a run for balls, pretty much like a marble run. The given material will be cardboard, tape, maybe some thread, and paper. I would like to chat with you, and brainstorm some ideas on how this team activity might be set up.

ChatGPT:
I’d be happy to help you brainstorm ideas for your workshop! Here are some suggestions on how to structure and facilitate the team activity:

Introduction:
Begin with a short introduction explaining the purpose and goals of the workshop, as well as the rules and guidelines for the activity. Make sure participants understand the materials they’ll be working with and the end goal: to build a functioning ball run using the provided materials.

Group Formation:
Divide participants into smaller teams of 4-6 people. This will encourage collaboration and make the task more manageable. You can either assign teams randomly or ask participants to form their own groups.

Warm-up Activity:
Before starting the main task, conduct a short warm-up activity to get participants comfortable with the materials and each other. For example, ask them to create a simple ball run using only a few pieces of cardboard and tape within a short time frame (e.g., 5 minutes).

Design Phase:
Provide each team with a set of materials and encourage them to brainstorm and sketch out their ball run designs. Set a time limit for this phase (e.g., 15-20 minutes) to keep the activity on track.

Building Phase:
Once the design phase is complete, allow teams to start building their ball runs. Set a time limit for this phase as well (e.g., 45-60 minutes). Encourage teams to test their runs as they build and iterate on their designs if necessary.

Integration:
To add a layer of complexity and encourage collaboration between teams, require each team’s ball run to connect with at least one other team’s run. This way, participants will need to communicate and work together to create a larger, interconnected system.

Show and Tell:
Once the building phase is complete, have each team present their ball run to the entire group, explaining their design choices and challenges they faced. Encourage other participants to ask questions and provide feedback.

Final Test:
Run balls through the entire interconnected system to test its functionality. Celebrate the success of the completed ball runs and discuss any improvements or modifications that could be made.

Debrief and Reflection:
Conclude the workshop with a debriefing session where participants can share their experiences, discuss what they learned, and reflect on the value of teamwork, communication, and problem-solving.

Awards and Recognition (optional):
Consider giving out fun awards for categories like the most creative design, the longest run, the most complex run, or the best teamwork. This adds an element of friendly competition and acknowledges participants‘ efforts.

Remember to take photos and videos throughout the activity to document the progress and the final result. You can share these with participants afterward as a memento of the event.

Version 2: Marble Run Game – eine gemeinsame Bahn

Ich:
That’s great! As an alternative, the task could be that all ball runs have to build one large ball run. Any thoughts on this variant?

ChatGPT:
Certainly! Having all the teams work together to build one large ball run can foster collaboration and communication on a bigger scale. Here’s how you might adapt the activity for this variant:

Introduction:
Explain the purpose and goals of the workshop as before, but emphasize that the end goal is to create one large, interconnected ball run with everyone’s combined efforts.

Group Formation:
Divide participants into smaller teams of 4-6 people, as previously suggested. Assign each team a specific section or component of the ball run to work on. This can be done randomly or based on skill sets and preferences.

Warm-up Activity:
Conduct the warm-up activity as before, but with a focus on discussing ideas for sections or components of the larger ball run.

Design Phase:
Instead of having each team design their own individual ball run, ask them to brainstorm and sketch out their assigned section or component of the larger ball run. Encourage teams to consider how their section will connect with others.

Collaboration Meetings:
Periodically pause the design and building phases for collaboration meetings, where representatives from each team come together to share their progress and discuss how the different sections will fit together. This will ensure a smoother integration process later on.

Building Phase:
As teams work on their sections, encourage them to periodically check in with neighboring teams to ensure their sections will connect properly. Set a time limit for the building phase, just as before.

Integration and Testing:
Once all teams have completed their sections, bring everyone together to assemble the large ball run. Test the connections and functionality of each section as they are integrated. Encourage teams to troubleshoot any issues that arise during the assembly process.

Final Test:
Conduct a final test by running balls through the entire system to ensure it works as intended. Celebrate the success of the completed ball run and discuss any potential improvements or modifications.

Debrief and Reflection:
Hold a debriefing session for participants to share their experiences, lessons learned, and reflections on teamwork, communication, and problem-solving in the context of building a large, collaborative project.

Awards and Recognition (optional):
As before, you can give out awards for various categories, such as the most innovative section, the best-executed connection, or the most effective collaboration.

By having all participants work together to create one large ball run, you’ll be fostering a sense of unity and shared accomplishment. Remember to document the process with photos and videos, which can be shared with the group after the event.

Mehr Komplexität für das „Marble Run Game“

Ich:
That’s a pretty good alternative! I’m thinking about introducing more complexity. Two options come to mind: 

Option 1: in the first planning phase, teams don’t know the ball. They are shown five very different balls – one table tennis ball, one soccer ball, one billiard ball, one baseball, and a golf ball. After the planning, there will be a ball lottery to decide which ball the ball run will be for. 

Option 2: we could limit communication. E.g., teams are not allowed to use spoken or written words when talking to other teams. They can only use gestures, sounds, or sketches without words.

ChatGPT:
Both options introduce unique challenges and can enhance the team-building aspect of the workshop. Here’s a brief outline of how you can incorporate these complexities into the activity:

Version 3: “Marble Run Game” mit unbekannten Bällen

Introduction:
During the introduction, explain that the teams will be designing their ball run sections without knowing which ball will be used.

Ball Showcase:
Present the five different balls and encourage teams to consider the unique challenges each one might present. Remind them that the final ball type will be determined by a lottery.

Design Phase:
Ask teams to come up with versatile designs that can accommodate different ball types, or to create multiple design plans for different ball scenarios.

Ball Lottery:
Once the planning phase is complete, conduct the ball lottery and reveal the chosen ball. Give teams a short period to adjust their designs based on the lottery result.

Proceed with the rest of the workshop as previously described, with teams now building their sections specifically for the chosen ball.

Version 4: “Marble Run Game” mit limitierter Kommunikation

Introduction:
Explain that for this workshop, teams will have limited means of communication with other teams. They can only use gestures, sounds, or sketches without words.

Icebreaker:
To help participants get comfortable with non-verbal communication, start with a short icebreaker game, such as charades or a drawing-based game like Pictionary.

Collaboration Meetings:
During collaboration meetings, participants must stick to the communication restrictions. This will challenge their creativity in conveying ideas and problem-solving.

Integration and Testing:
The limited communication rules also apply during the integration and testing phase, emphasizing the importance of non-verbal communication and teamwork.

Proceed with the rest of the workshop as previously described, keeping the communication restrictions in place throughout the activity. You can choose to implement one of these options or even combine them for an extra challenge. For instance, participants could face both the unknown ball type and limited communication restrictions, making the activity even more engaging and demanding of their problem-solving and teamwork skills.

ChatGPT mit Mechaniken für mehr Komplexität in Workshop-Spielen

Ich:
Thanks! Can you think of more options, restrictions, variants to spice up this team exercise? Especially if the exercise should show the VUCA world, and teamwork within this world, playfully.

ChatGPT:
Certainly! The VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, and Ambiguity) concept is an excellent theme to incorporate into your team exercise. Here are some additional ideas to represent the VUCA world in your ball run workshop:

Time Pressure:
Introduce sudden changes to the time limits during the design and building phases, emphasizing the volatility of real-world environments. You can either shorten or extend deadlines to keep teams on their toes and encourage quick adaptation.

Unexpected Changes:
Introduce unexpected challenges or changes during the activity to simulate uncertainty. For example, you could change the materials provided, remove a critical material, or introduce new constraints. Teams will have to adapt their plans and strategies accordingly.

Diverse Roles:
Assign participants different roles within their teams, such as designers, builders, or testers, to showcase the complexity of modern teamwork. You can also introduce additional roles, such as „communicators,“ who are the only team members allowed to interact with other teams.

Ambiguous Instructions:
Provide teams with ambiguous or incomplete instructions for the ball run, forcing them to make assumptions and decisions with limited information. This simulates the ambiguity often faced in real-world projects.

Changing Objectives:
Midway through the workshop, introduce new objectives or goals for the ball run, such as incorporating specific features or meeting a particular performance target. Teams will have to adapt and revise their designs to meet the new requirements.

Resource Constraints:
Give each team a limited budget of „points“ to spend on materials, tools, or additional resources. This constraint will force them to prioritize and make strategic decisions about how to allocate their resources.

Expert Consultations:
Invite a few „experts“ (e.g., experienced colleagues or external professionals) to join the workshop. Teams can „consult“ with these experts for advice, but they have limited time or a limited number of questions they can ask.

Obstacle Course:
Incorporate physical obstacles (e.g., barriers, slopes, or gaps) into the workshop space, forcing teams to design their ball runs around these challenges. This adds complexity and encourages creative problem-solving.

Competitive Elements:
Introduce a competitive aspect to the workshop, such as having teams earn points based on the performance of their ball run sections. This can encourage friendly competition and motivate participants to strive for excellence.

Reflection Sessions:
Pause the activity at various points for brief reflection sessions, where participants can discuss the challenges they’ve faced and the strategies they’ve used to overcome them. This can help them draw parallels between the exercise and real-world VUCA situations.

Feel free to mix and match these options, restrictions, and variants to create a dynamic and engaging team exercise that showcases the challenges and opportunities of working within the VUCA world.

Fazit: Mit ChatGPT Workshop-Methoden entwickeln

„What?!“. Ja, mein allererstes Feedback war ein gemurmeltes „what?!“. Weil es sich nach allen ersten Spielversuchen mit ChatGPT zum ersten Mal so anfühlte, als hätte ich tatsächlich ein*e neue Kooperationspartner*in im Team. Eine, mit der ich einfach mal so auf der Couch ein paar Gedanken hin und her werfen kann. Und eine, die wahnsinnig schnell und strukturiert Ideen zu einem ersten Wurf formuliert. 

Beim zweiten Blick: ja, das ist nicht alles perfekt. Es ist zum Beispiel eine ziemlich schlechte Idee, einzelne Team-Ergebnisse von jedem Team mit 4-6 Personen zurück präsentieren zu lassen, wenn 100 Leute teilnehmen. Das wäre ein kompletter Stimmungskiller. Aber egal: in maximal 15 Minuten Chat hat mein neuer Kollege hier Dinge auf den Punkt gebracht, die genau durch diese erste Ausführungspräzision viel leichter beurteilt und weiterentwickelt werden können. Zum ersten Mal hatte ich hier nicht mehr den Eindruck herumzuspielen, sondern wirklich eine neue Arbeitsroutine am Wickel zu haben.

Irgendwie kam im gezeigten Beispiel ein großer Teil der kreativen Leistung aus meinen Prompts – und auch so eine Art Murmelbahnspiel ist nicht komplett neu. Und vieles von den Dingen, die nicht im Prompt steckten, hatten Dirk und ich auch schon in unserem Pingpong angerissen. Der Sprung auf ChatGPT 4 ist dabei deutlich zu spüren – und mir wird schon etwas mulmig, wenn ich mir vorstelle, dass die kommenden Generationssprünge ähnlich groß sein werden. Aber um die Gefahren soll es hier nicht gehen, sondern darum, wie wir ChatGPT als Facilitator*innen für unsere Arbeit einsetzen können. In diesem Falle für die Arbeit an einer neuen Workshop-Idee. 

In einem anderem Versuch wollte ich sehen, was bei weniger kreativen Leitplanken so geht.

The Complexity Maze – eine Workshop-Methode von ChatGPT (?)

In diesem Falle habe ich ChatGPT viel weniger Vorgaben gemacht. Zunächst fragte ich:

I would like to scribble some ideas for a workshop with a client. I facilitate this workshop, and all the participants work in leadership positions in this company. The main theme of the workshop will be the VUCA world, and how these ambiguous times will affect leadership roles. What do you think about this?

Die Antwort war mir zu wenig spezifisch. Ich fragte erneut nach:

I love to facilitate using lots of action methods. I want to bring people out of left brain thinking, and into feeling this VUCA world, using highly engaging and interactive action methods. Methods like play, role play, and embodiment exercices. Do you have any ideas on how to bring this approach together with VUCA and complexity for leaders?

Noch immer waren mir die Antworten zu generell. Ich hakte noch mal nach:

Let’s get more specific. Please outline a 2-hour workshop session using a metaphorical way to experience complexity. The outline should include specific timings, facilitation instructions, warm-up, and debrief questions.

Mit diesem Prompt lieferte ChatGPT dann konkreter ab:

ChatGPT:

Title: Navigating the Complexity Maze

Objective: To help participants experience and navigate complexity using a metaphorical maze activity, fostering collaboration, problem-solving, and adaptability. 

Duration: 2 hours

Outline:

Introduction (5 minutes)
Welcome participants and briefly explain the purpose of the workshop. Introduce the metaphor of the complexity maze as a representation of the challenges leaders face in a VUCA world. 

Warm-Up: Human Knot (10 minutes) 
Have participants stand in a circle and instruct them to reach out and grab the hand of two different people across from them, creating a „human knot.“ Explain that the goal is to untangle the knot without letting go of hands, working together as a team. Debrief by discussing how the activity mirrors the interconnected nature of complex issues. 

Main Activity: The Complexity Maze (60 minutes) 

Preparation:
Create a large „maze“ on the floor using masking tape, with a clear start and end point. Designate some areas as „traps“ or „challenges“ (e.g., additional obstacles, time penalties, or decisions to make). Split participants into teams of 4-5 members. 

Explain the rules: 

  1. Each team must navigate through the maze from start to finish. 
  2. Only one team member can be in the maze at a time, and they must be guided by their teammates. 
  3. Participants cannot talk while in the maze, and teammates can only communicate using non-verbal cues (e.g., clapping, stomping, or gestures). 
  4. When a participant encounters a trap or challenge, the team must work together to find a solution before they can continue. 
  5. Teams should aim to complete the maze as quickly as possible, with a focus on collaboration and adaptability. 

Reflection Break (15 minutes):
Pause the activity and ask participants to reflect on their experiences so far. 

Prompt them with questions such as: 

  1. How does the complexity maze mirror real-life leadership challenges? 
  2. What strategies have been effective in navigating the maze? 
  3. How have you adapted to the unexpected obstacles and challenges? 

Second Round: Adapting to Change (30 minutes):
Announce that the maze will now be changed to represent the dynamic nature of VUCA environments. Rearrange the maze by adding, removing, or modifying obstacles, traps, or challenges. Instruct teams to navigate the maze again, focusing on how they adapt to the new changes and incorporate their learnings from the first round. Encourage teams to reflect on their performance and iterate on their strategies as needed. 

Debrief (20 minutes):
Bring the group together and facilitate a discussion about their experiences with the complexity maze.

Ask questions such as: 

  1. What did you learn about navigating complexity and adapting to change? 
  2. How did your team collaborate and communicate to overcome obstacles? 
  3. How can you apply these insights to your leadership role in a VUCA world? Encourage participants to share their key takeaways and commit to applying the lessons learned to their work.

Closing (5 minutes): Thank participants for their engagement and effort. Remind them of the importance of embracing complexity, adaptability, and collaboration in their leadership roles. Offer any follow-up resources or support as needed.

Mit ChatGPT Workshop-Methoden entwickeln – ein Fazit

In diesem zweiten Anlauf mit weniger inhaltlichen Leitplanken hat ChatGPT mich auf Methodenideen gebracht, die ich alleine so schnell sonst nicht direkt bekommen hätte. Nach nicht sehr tiefem Googeln ist klar: „The Complexity Maze“ ist zwar nicht schnell zu finden, aber erfunden hat ChatGPT das Spiel nicht. Stark ist, dass der Ablauf gleich noch ein gutes Warm-Up und klare Struktur umfasst, gleichzeitig fehlen aber ein paar wichtige Elemente, um das Spiel sauber umzusetzen. Zum Beispiel Klarheit bei dem mit Tape zu bastelnden Grid – hier nutzen wir nun ein 10×10 Grid aus Schnur oder Straßenkreide. In der  Methodenkombination war der neue Kollege hier also wieder brauchbar, in der Beschreibung tun sich Lücken auf.

Fazit: ChatGPT ist eine Bereicherung für die Methodenentwicklung

Aber: ChatGPT hat in beiden Wegen wirklich brauchbare Ergebnisse geliefert und meine Arbeit an den neuen Workshop-Methoden auf beeindruckende Art bereichert. 

Fazit: Null Referenzierung, null faires Spiel mit ChatGPT

Doppel-Aber: wie aus anderem Kontext bekannt ist, kümmert sich ChatGPT nullkommanull um Referenzierung. Es gibt also keine Verweise auf stellen, von denen der Kollege die Ideen “geklaut” hat. Jetzt weiß ich (steal like an artist), dass auf diesen ganzen Tools keine Rechte liegen, aber gleichzeitig schmerzt es mich, weil wir mit diesem Blog zu Leuten gehören, die ziemlich umfassend und freizügig über unsere Methoden schreiben und es unter Menschen ein schlechter Ton wäre, diese kreativen Impulsorte nicht hier und da auch mal zu referenzieren und ihnen damit Aufmerksamkeit zu schenken. 

Fazit: ChatGPT ist jeden Groschen Wert

Aber dennoch: Die 20 Dollar für den Plus-Account verbuchte ich vor dieser Erfahrung abends auf der Couch als Spielgeld. Jetzt ziehe ich das Fazit, dass ChatGPT jeden Groschen (ChatGPT, das war vor deiner Zeit) wert ist – einzige Voraussetzung: ich muss mich in den passenden Momenten daran erinnern, welchen Beitrag von ChatGPT ich gerade gebrauchen könnte.

Wir sind jedenfalls mit dem Experimentieren definitiv erst am Anfang. Im nächsten Newsletter teilen wir ein paar weitere Ideen, wie wir ChatGPT im Rahmen von Workshops einsetzen (wollen). Hier kannst du dich für den Newsletter anmelden. Und sobald der veröffentlich ist, verlinken wir den auch noch mal hier im Beitrag.

Testen und Ausprobieren lässt sich das aber natürlich noch für zig andere Szenarien in unserer Arbeit. Also, weiter geht’s. “Sag mal, ChatGPT, woran arbeiten wir denn heute Abend auf der Couch?”

Der Beitrag Das “Marble Run Game” – oder: gemeinsam mit ChatGPT eine neue Workshop-Methode entwickeln erschien zuerst auf Komfortzonen.

Spektulativer Katastrophenalarm: Spielerisch durch die Polykrise

Noch habe ich, haben wir keine praktische Erfahrung mit Simulationen und Bewältigungen von Krisen und Katastrophen. Aber das soll sich ändern. Denn die nächsten Jahre werden uns Krisen, Katastrophen und Chaos weiter begleiten. Unsere Gesellschaften, Institutionen, Organisationen und Gemeinschaften sind von einer Vielzahl von gleichzeitigen Transformationen und damit Krisen geprägt. Diese Polykrise bringt mehr, neue und multiple Katastrophen und Konflikte hervor. Um handlungsfähig zu bleiben und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, braucht es vielleicht neue, spekulative und spielerische Formen des Erkundens, Verprobens und Vorbereitens auf diese Katastrophen in Zeiten der Polykrise. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten. Dieser Artikel reflektiert unseren ersten Prototypen.

“Ich habe keine Ahnung von Katastrophenschutz.”

“Ich habe keine Erfahrung mit Krisenstäben. Ich habe keine Erfahrung als Helfer vor Ort. Ich kenne die Ausbildungen und Übungs-Szenarien von Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr, THW oder Rotes Kreuz nicht. 

Aber meine Komfortzonen-Kolleg*innen und ich kennen uns mit Transformationsprozessen aus. Mit Zukünften und Visionen, mit Strategie- und Organisationsentwicklung. Mit Komplexität und Chaos. Mit Co-Kreation und Partizipation. Mit spekulativen Szenarien und spielerischen Simulationen. 

Wir möchten diese beiden Sphären zusammenbringen und zusammen mit euch spielerisch neue, multiple Katastrophen und die Polykrise erkunden. Wie in einem Science-Fiction-Film wollen wir mit euch sowohl im Hinblick auf die Katastrophen als auch mit Blick auf den Kontext spekulieren, vielleicht auch wild spekulieren und spielerisch eintauchen. 

Wir werden gemeinsam fiktive Katastrophen auswählen und kreieren – erst einmal völlig egal wie wahrscheinlich diese sind, solange sie einigermaßen plausibel erscheinen. 

Wir werden diese Katastrophen in einer fiktiven deutschen Großstadt stattfinden lassen, einer Großstadt, in der die Verhältnisse etwas anders sein mögen, als das aktuell ist. Eine fiktive Großstadt, die stärker von Umbrüchen betroffen sein wird, als das gegenwärtig der Fall ist. Auch diese Umbrüche werden wir gemeinsam ausheben.“

Ungefähr so verlief die Eröffnung unseres Prototyps “Spekulativer Katastrophenalarm: spielerisch die Polykrise erkunden”, den wir im Oktober 2023 zusammen mit 20 Teilnehmer*innen in einer Zoom-Session durchgeführt haben.

Spekulativer katastrophenalarm
Graphic Recording von Marie-Pascale Gafinen

Intentionen und Vorüberlegungen

Der Prototyp entstand im Rahmen des Mutant Futures Programm von Jose Ramos, an dem Valentin und ich zusammen mit unserer engen Netzwerkpartnerin Sabine Koppe im Herbst 2023 teilgenommen haben. Es ist mein Versuch, ja auch meine Hoffnung, mich sinnvoll in Klimakrise und all die kommenden Folgekatastrophen einzubringen und handlungsfähiger zu werden und vorbereiteter zu sein. Ich als Individuum. Wir als Team. Wir mit Organisationen. Wir als Communities, Städte, Gesellschaften.

Krisen, Katastrophen, Konflikte, Kollaps und Chaos interessieren mich seit einer ganzen Weile. Solche Momente des Umbruchs und der Umwälzung faszinieren und verschrecken mich. Es sind Momente, in denen nichts ist, wie sonst. Wo sichtbar wird, wie fragil, aber auch gestaltbar alles ist. Es sind Wendepunkte, an denen Transformation sichtbar wird und sich entscheidet, wie es weitergeht. Momente, in denen Akteure zeigen, was sie (noch/schon) können – oder eben nicht. Vor dem Hintergrund von Klimakrise, Rechtsruck, neuen Kriegen und Konflikten, … fürchte ich, dass es zukünftig weit mehr, anders und gleichzeitig knallen, krachen, crashen, … wird. Dass sich die Dinge nicht natürlicherweise zum Guten wenden. Angesichts dieser Polykrise werden wir uns nicht nur im Umgang mit Komplexität mehr üben müssen, sondern auch im Navigieren von Chaos und Kollaps. 

Mich fasziniert an Krisen, Katastrophen und Chaos aber auch das Organisationale und Co-Kreative. Innerhalb kürzester Zeit wird über Regionen- und Ländergrenzen, über Einsatzstellen, Abteilungen und ganze Organisationen hinweg, mit ehrenamtlichen und professionellen Kräften zusammengearbeitet. Es werden kurzfristig temporäre Organisationsstrukturen aufgebaut und nach der Krise wieder aufgelöst. Es werden außergewöhnliche Ressourcen bereitgestellt.

Auch darüber möchten wir als Komfortzonen mehr erfahren. Wir möchten verstehen, wie Städte, Behörden, Sicherheits-, Infrastruktur-, Hilfs- oder Gesundheitsorganisationen an solchen Themen arbeiten und sich organisieren. Herausfinden, wie man sich dort auf solche Schock-Ereignisse vorbereitet und mit Krisen allgemein bzw. der Polykrise umgeht. Gemeinsam mit Akteuren aus diesem Umfeld möchten wir solche neuen Ereignisse simulieren und sie bei Transformationsthemen begleiten. Denn auch wenn wir mehr wünschenswerte Zukünfte brauchen, werden uns Krisen, Katastrophen und das Chaos begleiten.

Der hier skizzierte Prototyp dient daher nicht vorrangig dem Ziel, ein Format zu testen, sondern die Hypothesen zu überprüfen und mit relevanten Akteuren ins Gespräch zu kommen.

Drei zentrale Annahmen  

  • Annahme 1: Die vielen gleichzeitigen Transformationen/Krisen (Polykrise)  bringen neue, multiple und insgesamt mehr Katastrophen hervor. 
  • Annahme 2: Diese Katastrophen treffen anders als früher nicht auf stabile Gesellschaften, Institutionen, Organisationen und Gemeinschaften, sondern auf eine instabile (brüchige) Welt. 
  • Annahme 3: Daraus entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Drei Hypothesen für den Prototypen

  • Hypothese 1: Als Gesellschaft, Städte, Communities und Organisationenr sind wir schlecht auf Katastrophen und die Polykrise vorbereitet.
  • Hypothese 2: Wir werden besser im Umgang mit nicht-planbaren Herausforderungen umgehen müssen – Chaos.
  • Hypothese 3: Unsere Methoden können einen Beitrag leisten, das zu ändern.
Black Out Poetry von Dirk Bathen

Das Konzept zum spekulativen Katastrophenalarm

Für den Prototypen haben wir eine spekulativ-szenische Simulation gewählt. Diese bot die Möglichkeit, sich angesichts der vielen Krisen und möglichen Katastrophen nicht im Dickicht etablierter Positionen, Ängste und Wahrscheinlichkeiten zu verheddern und die Wirklichkeit zu entlasten. Spekulationen nutzen bewusst Stilmittel wie Übertreibungen und Verfremdungen, um zu inspirieren und zu erkunden. Szenisches Arbeiten macht diese Katastrophen-Szenarien, die Dynamiken und Emotionen erlebbarer. Dieser spekulativ-szenische Ansatz ermöglicht Probehandeln und das Erkunden von Neuem.

Wir haben in dem Prototypen mehrfach spekulativ gearbeitet. Einerseits haben wir uns überlagernde Katastrophen erdacht, andererseits haben wir diese in einer fiktiven deutschen Großstadt in Zeiten der Polykrise stattfinden lassen. Wir haben Rollen für Stadtakteure und für die Katastrophen vergeben und an drei Stichpunkten (zu Beginn, im Verlauf und zum Ende der Katastrophen) in die Begegnung gebracht.

Szenisch haben wir uns am Soziodrama orientiert. Denn in einem Soziodrama kann die Gruppe Szenarien und Szenen kreieren, Rollen übernehmen und aus den Rollen dann die Szenarien und Szenen erkunden. In unserer Soziodrama-Simulation haben wir nach einem Warm-Up ein Szenario und die dafür nötigen Rollen kreiert. Anschließend haben wir drei Zeitpunkte des Szenarios angespielt. Nach dem Spiel gab es eine Reflexion des Erlebten.

Der spekulative Katastrophenalarm stößt sofort auf Resonanz

Die Ankündigung des Events “Spekulativer Katastrophenalarm: spielerisch durch die Polykrise” hatte sofort eine relative große Traktion auf LinkedIn, und innerhalb weniger Stunden war das Event ausgebucht. 35 deutschsprachige Teilnehmer*innen sehr verschiedener Art kamen am 25. Oktober 2023 von 18.30 bis 21.30 Uhr zusammen. Darunter Menschen mit sehr viel und sehr wenig Erfahrung im Bereich Katastrophenschutz. Viele weitere haben Interesse bekundet und nach einer Wiederholung gefragt. 

Was vor der Session geschah

Bei der Co-Konzeption und -Moderation hat mich unsere enge Kollegin Sabine Koppe unterstützt, die ebenfalls an dem Mutant Futures Program teilgenommen hat. Tollerweise hat auch Marie-Pascale sofort zugesagt und die Session mit einem Graphic Recording und einem Generative Scribing bereichert. Und auch Dirk und Valentin waren dabei und haben während der Session Kleingruppen geleitet.

Sabine Koppe und Jörg Jelden beim Speculative Futures Meetup

Vorab haben wir die Teilnehmer*innen gebeten, sich zu Katastrophen und Krisen zu informieren. In der Einladungs-Mail hieß es sinngemäß: 

“Mach dich mit fiktiven und historischen Katastrophen vertraut. Wir wollen in der Session nicht auf tagesaktuelle und bekannte Katastrophen schauen, sondern auf ungewöhnliche und neue Ereignisse. Dafür kann es helfen einen Blick auf Bücher, Filme oder Spiele z.B. aus den Genres Horror, Science-Fiction oder Katastrophen zu werfen. Auch historische Katastrophen wie Pompeji, 9/11 oder Fukushima mögen interessant sein. Und auch ein wacher Blick auf sozial-ökonomisch-ökologisch-technologisch-politische Entwicklungen und Signale werden uns helfen.” 

Wie die Session ablief

Am 25. Oktober 2023 von 18.30 bis 21.30 Uhr kamen mehr als 30 Menschen zusammen. Nach der Eröffnung (s. oben) haben wir uns in vier Kleingruppen zunächst miteinander bekannt gemacht und thematisch aufgewärmt. Wir haben unter anderem die Bücher, Filme oder Spiele aus den Genres Sci-Fi, Horror, Katastrophe geteilt. In Tandems haben wir uns dann ausgetauscht, welche konkreten Katastrophen und Krisen wir aktiv miterlebt haben und was wir daraus mitgenommen haben.  

In einem zweiten Impuls habe ich das Wechselspiel aus Polykrise und Multikatastrophen ausgeführt und das Konzept der Shocks, Slides und Shifts eingeführt. 

„Für diese Session werden wir das Konzept von Shocks, Slides und Shifts aus der amerikanischen Social-Justice-Bewegung nutzen. Auf der einen Seite gibt es Schock-Ereignisse (eher kurzfristig, hoher Impact, viel direkte Dynamik, Schäden, …), daneben gibt es Slides (längerfristig, schleichend verlaufende Entwicklungen, Trends, … ). Wenn diese Shocks und Slides aufeinandertreffen, entstehen Shifts (also Paradigmenwechsel, neue Gesetze, neue Regularien, neue Strukturen, …). Damit sind solche Shocks immer auch Gelegenheiten zum Gestalten.“

Wir haben die Teilnehmer*innen dann in vier Kleingruppen eingeteilt. Die erste Kleingruppe hat sich mit den Katastrophen beschäftigt, während die anderen drei tiefer in die Welt in der Polykrise eingetaucht sind und überlegt haben, welche Themen die fiktive Großstadt noch bewegen.  

Die Katastrophen-Gruppe hat drei Ereignisse ausgewählt und sich grob den Verlauf überlegt: eine Hitzewelle, eine unbekannte Hirnkrankheit die das Sprachzentrum angreift und ein Stromausfall von mehr als 48 Stunden. 

Spekulativer Katastrophenalarm

Für dieses Setting haben wir dann Rollen kreiert und verteilt. Anwesend waren z.B. ein Kind, ein Journalist, Rettungssanitäter, die Verwaltung, … Alle übrigen haben wir gebeten entweder in die Rolle von Bürger*innen oder Vertreter*innen einer zukünftigen Generation zu schlüpfen und beobachtend teilzunehmen. Wir haben die Teilnehmer*innen über eine Mischung aus Mentalreise und Introspektion tiefer in die Rollen und in das Szenario geführt und anschließend die Katastrophen über drei Zeitpunkte (zu Beginn, in der Mitte, zum Ende) spielerisch erkundet. 

Auffällig war, dass die Teilnehmer*innen überwiegend Rollen kreierten, die wenig Gestaltungsspielraum jenseits des Privaten haben. Es gab keine*n Bürgermeister*in, keinen Krisenstab, keine Feuerwehr, Polizei oder Katastrophenschutz. Dadurch war das Setting stark von Ohnmacht und individuellen Bewältigungsstrategien geprägt. Das Katastrophensetting führte dazu, dass kaum miteinander gesprochen und interagiert wurde, sondern die Akteure stark für sich selbst agierten, auf ihr eigenes Wohl und Überleben orientiert waren. Während die eine Katastrophe (Hitzewelle) sehr präsent war, ging die andere eher unter (unbekannte Gehirnentzündung). Die Katastrophen schienen im Wettkampf um Aufmerksamkeit zu stehen. Bezüge und Querverbindungen wurden kaum gezogen. Für mich als Leiter/Beobachter zeigte sich die Hitzewelle wie ein erneuter Lock-Down. Ebenfalls war auffällig, wie wenig Führungsimpulse und Gestaltungsideen es in diesen Notlagen gab und wie sozial passiv alle waren.

Spekulativer Katastrophenalarm
Generative Scribing von Marie-Pascale Gafinen

Im Sharing zur Simulation ging es um die Erlebnisse in den Rollen und die Erkenntnisse daraus. 

“Als Vertreter der zukünftigen Generation war ich geschockt, dass ihr davon schon so überfordert wart.”

Das war wohl der nachdrücklichste Satz des Abends und ein guter Ansporn weiter an dem Thema dranzubleiben.

In der abschließenden Diskussion über Erkenntnisse aus der Session kam auch das Generative Scribing von Marie-Pascale zum Einsatz. Der wichtigste Satz für mich war hier:

“Im Katastrophenschutz beschäftigen wir uns eigentlich kaum mit gleichzeitig auftretenden Katastrophenlagen.” Dieser Satz eines sehr erfahrenen, ranghohen Katastrophenschützers war eine weitere wichtige Bestätigung für den Prototypen.

Weitere Erkenntnisse zum Format und Thema

Einige Gedanken habe ich direkt per LinkedIn publiziert. Hier noch ein paar weitere Erkenntnisse.

Die drei Stunden waren tendenziell zu kurz für so ein komplexes Unterfangen. Darunter litten die Ausgestaltung des Szenarios und das Warm-Up der Rollen. Zudem fehlte die Möglichkeit, alternative Lösungen auszuprobieren. 

Beobachter*innen als Bürger und Vertreter*innen zukünftiger Generation zu setzen hat sehr gut geklappt und ist eine Bereicherung für jedes soziodramatidche Spiel.

In einer nächsten Runde würde ich bestimmte Rollen bzw. Kontexte stärker setzen. So würde ich einen Krisenstab und eine Nachrichtenredaktion als Kontexte bzw. Szene gern setzen und mit Rollenbegegnungen innerhalb dieser Kontexte (Multi-Szenen-Spiel) arbeiten. Vielleicht ist es produktiver mehrere Kontexte statt den Katastrophenverlauf zu simulieren.

Solche offenen Formate sind nur bedingt geeignet unsere Hypothesen zu prüfen. Es fehlt zum einen Fachwissen seitens der Teilnehmer*innen. Es fehlt zum anderen ein irgendwie gearteter Zusammenhalt der Gruppe über das Themeninteresse hinaus. Daher wünschen wir uns sehr, diese methodischen Ansätze mal gemeinsam mit Organisationen zu verproben, die eine klare Funktion in der Krisen- und Katastrophenbewältigung haben, also Verwaltungen, Krisenstäben, Sicherheits-, Gesundheits-, Hilfs- und Infrastrukturorganisationen. Jenseits unserer Hypothesen sind die offenen Formate dennoch nützlich und interessant und scheinen auf viel Resonanz zu stoßen. Von daher werden wir sie auch fortführen.

Inhaltlich bin ich nach der Session stärker in die Themen Polykrise und multiple Katastrophen (compound disasters) eingetaucht. Dabei bin ich auch mit dem Thema Kollaps stärker in Kontakt gekommen, also wenn mit der Katastrophen Systeme dauerhaft zusammenbrechen und sich nicht wieder erholen. Dazu aber an anderer Stelle mehr.

Melde dich gern, wenn du Interesse an einem spekulativen Katastrophenalarm hast oder uns mit Menschen aus dem Feld in Kontakt bringen kannst.

Purpose-Exploration in Aktion: gestern-heute-morgen

Wer Transformationen, Strategie-Arbeit oder Change-Projekte aus der Prozess-Sicht betrachtet, richtet den Blick stärker auf das Wandelnde, das Werdende und Weichende sowie auf die Kräfte, Dynamiken und Muster, die am Werk sind. Um die eigene Wahrnehmung und die aller Beteiligten für die größere Entwicklungsreise zu sensibilisieren ist es hilfreich, die drei Zeitperspektiven Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft heranzuziehen. Dabei zeigt sich ein erstes grobes Narrativ einer Transformationsreise. Solche Erzählungen sind wichtig, um das eigene Warum und Wozu zu überprüfen und es zu einem späteren Zeitpunkt in geschärfter Form einem erweiterten Kreis an Beteiligten erzählen zu können. Die Integration der drei Zeiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist daher in hohem Maße sinnstiftend und hilft bei der Suche nach einem Purpose. Bei dieser Purpose-Suche ist jedoch weniger das konkrete Ergebnis im Sinne eines Dokuments wichtig, sondern der Prozess der gemeinsamen Suche. In diesem Artikel möchte ich zunächst das Workshop-Tool “Gestern-heute-morgen” vorstellen, das uns in letzter Zeit gute Dienste geleistet hat, und anschließend ein paar kurze Einlassungen zur Dreifaltigkeit der Zeit, dem Narrativ in Transformationsprozessen und Purpose machen.

Teil 1: Das Workshop-Tool “Gestern-heute-morgen”

Wie das Workshop-Tool entstanden ist

Im Frühjahr 2018 habe ich zusammen mit Stefan Deutsch ein Soziodrama im Rahmen unserer Ausbildung an der Soziodrama-Akademie geleitet. Stefan und ich wollten erkunden, wie das Soziodrama eine größere Bekanntheit bekommen kann. Dafür haben wir das Setting einer Party gewählt. Das Soziodrama sollte eine Geburtstagsparty ausrichten. Gemeinsam mit den Teilnehmern haben wir zunächst überlegt, wen das Soziodrama wohl einladen würde. Dafür haben Stefan und ich drei Stühle in die Raummitte geschoben. Ein Stuhl repräsentierte das Soziodrama der Vergangenheit, ein Stuhl stand für das Soziodrama der Gegenwart und ein Stuhl für das Soziodrama der Zukunft. Die Teilnehmer nahmen nach Lust und Laune auf den Stühlen Platz, und wir haben aus jeder Epoche des Soziodramas “Freunde” in Form von Methoden oder Theorien eingeladen. Anschließend hat sich jede und jeder Teilnehmer*in aus der “Einladeliste” eine Methode bzw. Theorie ausgesucht, sie als Rolle eingenommen und sich ein Geschenk für das Soziodrama überlegt. Dann begann das Spiel. Es wurde in der Tat ein rauschendes Fest. Es war interessant zu sehen, wer zur Party kam (und wer nicht), welche Geschenke mitgebracht und welche Gespräche geführt wurden. 

In der anschließenden Reflexion haben wir dann einerseits die Party als ein gutes Soziodrama-Setting identifiziert. Andererseits bekamen wir positive Rückmeldungen für die Arbeit mit den drei Zeiten, die es leicht gemacht hat, das Soziodrama und seine Bezüge zu anderen Theorien und Methoden herzustellen und weiterzudenken. Seither nutze ich das Werkzeug regelmäßig in Workshops und manchmal auch im Soziodrama. Ich habe die ursprüngliche Idee für Workshops weiterentwickelt und ein wenig formatiert. Wer das ursprüngliche Set-Up der Soziodrama-Geburtstagsparty miterleben will, hat vom 24.-28. Juni 2020 auf der 7th International Sociodrama Conference in Lissabon eine Gelegenheit dazu. Dort werde ich die Soziodrama-Geburtstagsfeier als Session anbieten. Darauf freue ich mich sehr. 

Warm-Ups

Workshop-Tool gestern-heute-morgen zur Purpose-Exploration in Aktion

Wie bei jeder soziodramatischen Arbeit ist es ratsam, mindestens ein kleines Warm-Up zu machen. Eine Möglichkeit für zwei kurze Warm-Ups wären zum Beispiel diese beiden:

Meilenstein-Begegnungen

Die Teilnehmer*innen laufen durch den Raum. Dabei sollen sie sich geistig die verschiedenen Meilensteine vergegenwärtigen, die sie in diesem Unternehmen erlebt haben und die für sie wichtig waren. Jedes Mal, wenn sie einen solchen Meilenstein identifiziert haben und einer anderen Teilnehmerin oder einem anderen Teilnehmer begegnen, bleiben beide kurz stehen, nennen ihren Meilenstein und einen Satz dazu. Anschließend gehen beide weiter und treffen auf neue Gruppenmitglieder. Wichtig ist, dass die Begegnungen und Sätze kurz bleiben. Nach vier bis fünf Minuten ist die Übung vorbei. 

Szenario-Archetypen

Das zweite Warm-Up baut auf den Szenario-Archetypen von James Dator vom Hawaii Research Center for Futures Studies of the Political
Science Department of the University of Hawaii at Manoa
auf. Die vier Raumecken entsprechen jeweils einem der vier Archetypen: kontinuierliches Wachstum, Niedergang/ Kollaps, Balance/ stabile Position, Transformation/ Neuausrichtung. Hier eignen sich Bodenanker – also Schilder auf dem Fußboden. Die Anwesenden laufen die vier Raumecken ab und überlegen still, welche Themen und Akteure sich zukünftig in welchem Quadranten wiederfinden könnten. Abschließend suchen sich alle jeweils eine Rolle und sagen ein Statement aus dieser Rolle: “Ich bin ein älterer Manager. Ich habe gerade meinen Job verloren und mache mir Sorgen, inwiefern meine Fähigkeiten noch gebraucht und gewertschätzt werden.” Diese Übung dauert fünf bis zehn Minuten.

Der Ablauf

Zunächst führe ich die drei Zeiten ein und platziere Bodenanker für die Vergangenheit (gestern), Gegenwart (heute) und Zukunft (morgen) an drei Orten im Raum. In der Vorbereitung habe ich mir bereits den passenden Bezugsrahmen gewählt. Bei einem Offsite der Geschäftsleitung kann beispielsweise das Unternehmen ein guter Bezugsrahmen sein (aber auch das Management-Team oder die Branche wären eine sinnvolle Variante). Nun weise ich die Teilnehmer*innen darauf hin, dass sie für diese drei Zeiten in Kollektivrollen schlüpfen werden. Um im Beispiel zu bleiben: Ein Drittel der Teilnehmer*innen würde die Rolle des Unternehmens der Vergangenheit einnehmen, ein Drittel die Rolle des Unternehmens der Gegenwart und das letzte Drittel die Rolle des Unternehmens der Zukunft.

Die Aktionsphase

Workshop-Tool gestern-heute-morgen zur Purpose-Exploration in Aktion

Runde 1: Die Teilnehmer*innen teilen sich gleichmäßig auf die drei Felder auf. Über Introspektions-Fragen (siehe unten) denken und fühlen sie sich in ihre jeweilige Kollektivrolle sowie deren Beziehungen zu den anderen beiden Rollen ein. Manchmal empfiehlt es sich, die Teilnehmer in einen körperlichen Ausdruck der Rolle gehen zu lassen und eine Skulptur der Rolle zu zeigen. Jede/r Teilnehmer/in spricht ein Statement aus der jeweiligen Rolle. 

Dann folgt ein kollektiver Rollenwechsel in Richtung Zukunft,

Exkurs: Introspektionsfragen

Introspektionsfragen sind Fragenkaskaden an eine Gruppe. Die Antworten auf die Fragen werden nicht geteilt und gemeinsam diskutiert. Nach jeder Frage folgt ein Moment der Stille und der inneren Beantwortung. Insbesondere im Soziodrama nutze ich gern Introspektionsfragen, um Menschen schnell tief in eine Rolle zu führen. Dann stelle ich z.B. Fragenkaskaden wie diese

  • Wer bist Du?
  • Wer oder was sind die Teile aus denen Du bestehst?
  • Und wer oder was in Deinem Umfeld ist wichtig?
  • Welche Werte und Prinzipien hast Du? Und warum?
  • Woran machst Du diese Werte und Prinzipien fest?
  • Worauf bist Du stolz?
  • … und was verschweigst Du lieber?
  • Worüber hast Du zuletzt gelacht?
  • … und worüber hast Du Dich zuletzt geärgert?
  • Wie ist Deine Verfasstheit gerade?
  • Wo bist Du gerade?

Runde 2: Die Teilnehmer*innen aus der Vergangenheit kommen in die Rolle der Gegenwart. Die Teilnehmer*innen aus der Gegenwart schreiten in die Zukunft. Und die Teilnehmer*innen aus der Zukunft springen zurück in die Vergangenheit. Über Rolleninterviews mit den drei Kollektivrollen hole ich weitere Stimmen in den Raum. Dabei frage ich z.B. nach den jeweiligen Beziehungen der drei Kollektivrollen oder inwiefern sie einander etwas sagen, raten, empfehlen oder fragen wollen. Es folgt ein kollektiver Rollenwechsel nach dem gleichen Prinzip wie zuvor. 

Runde 3: Die Teilnehmer*innen gehen in ihren jeweiligen Rollen in kurze, parallel-laufende Paar-Dialoge innerhalb ihres Zeitfeldes und unterhalten sich aus ihren jeweiligen Rollen zu zweit miteinander. Die Teilnehmer der Vergangenheit sprechen in Paaren miteinander, ebenso die der Gegenwart und der Zukunft. Worüber genau gesprochen wird, überlasse ich den Teilnehmern an dieser Stelle selbst. 

Workshop-Tool gestern-heute-morgen zur Purpose-Exploration in Aktion
Gestern-heute-morgen im Rahmen eines Führungskräfte-Offsites

Runde 4: Währenddessen rücke ich drei Stühle in die Mitte. Aus jedem Zeitfeld nimmt ein Vertreter auf dem Stuhl Platz. Ein spontaner Dialog zwischen dem Unternehmen der Zukunft, der Gegenwart und der Vergangenheit entspinnt sich. Die übrigen Teilnehmer ergänzen über Doppeln die Gedanken, Gefühle und Handlungsoptionen der Rollen. Oder Teilnehmer übernehmen die Rollen der anderen über ein sogenanntes Tagging.

Das Sharing

Im Sharing geht es dann zunächst um die Erfahrungen und Erlebnisse, die jede und jeder in den drei Rollen gemacht hat. Dabei geht es nicht so sehr um eine Bewertung, sondern um das was man fühlen und spüren konnte. Anschließend öffne ich für eine größere Diskussion mit einer Frage wie: Was hat dieses Spiel bei Dir angestoßen? Oft beende ich die Session damit, dass die Teilnehmer für dieses Session einen Titel oder eine Überschrift notieren.

Generative Scribing von Marie-Pascale Gafinen bei einem internen Soziodrama u.a. mit Gestern-heute-morgen bei quäntchen+glück

Organisatorisches

  • Dauer:  ca. 60 Minuten. 
  • Zahl der Teilnehmer*innen: 1-n
  • Material: Bodenanker gestern, heute, morgen; Stühle

Teil 2: Versuch einer Einordnung

Die Dreifaltigkeit der Zeit

In der Strategiearbeit, in Transformationen oder auch der Projektarbeit wird die Zukunft gern als Hilfsmittel herangezogen. Über die Formung neuer Zukunftsbilder will man zu einem anderen Handeln in der Gegenwart kommen. Oder man definiert Ziele oder Ergebnisse für einen Zeitraum X. Dabei wird häufig nicht nur die Vergangenheit ausgeblendet, auch die subjektive Wahrnehmung der Zeit bleibt unberücksichtigt. Denn wie wir uns bestimmte Zukünfte vorstellen, wird nie deckungsgleich mit der tatsächlich eintretenden Zukunft, also sozusagen einer in der Zukunft liegenden Gegenwart sein. Ähnliches gilt für die Vergangenheit. Das Spannende an der Zeit ist jedoch, dass es in jedem einzelnen Moment für jeden Menschen drei subjektive Zeiten gibt, die wechselseitig aufeinander wirken. Das ist die Dreifaltigkeit der Zeit: Wir haben zu jedem Zeitpunkt Vergangenheiten anwesend – über unsere Erinnerungen, Erfahrungen, Werte, Routinen, vorangegangene Entscheidungen und Pfadabhängigkeiten. Uns begegnen immer die konkreten Kräfte, Dynamiken, Ressourcen, Dringlichkeiten und Opportunitäten des Hier und Jetzt. Und wir haben Zukunftserwartungen und -bilder, die unsere heutigen Entscheidungen wesentlich prägen. Indem wir den Blick allein in die Zukunft richten, verengen wir den Blick auf Zukunftsentscheidungen und übersehen die Wirkmächtigkeit der beiden anderen Zeitperspektiven. Zugleich vermeiden wir eine Bewertung der drei Zeiten, wie es zum Beispiel das Futures Triangle von Sohail Inayatullah macht. Dort geht es um den Ballast der Vergangenheit, den Schub oder das Momentum der Gegenwart sowie den Sog aus der Zukunft.

Beim “Gestern-heute-morgen” nehmen die Teilnehmer*innen ihr Bezugsobjekt aus allen drei Zeitperspektiven wahr. Gleichzeitig hat jede und jeder Teilnehmer*in andere Vorstellungen, wählt andere Bezüge zu Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften. Mit dieser Übung richten die Teilnehmer*innen ihre Wahrnehmung auf eine längere gemeinsame Reise, die irgendwann vorher begonnen hat und irgendwo anders hinführen wird. Es geht nicht so sehr um die einzelnen Stationen dieser Reise wie auf einem Zeitstrahl, sondern um die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses. Durch das Spiel mit den Rollen durchdringen die Teilnehmer*innen diese Zeitreise nicht nur kognitiv, sondern auch emotional und körperlich. Sie fühlen und erfahren es.

Das Narrativ in den Blick nehmen

Wenn wir uns die drei subjektiven Zeitvorstellungen, die in der Gegenwart wirken, bewusst werden, dann bekommen wir einen weiten Blick auf den Transformationsprozess. Nicht so sehr im Sinne eines konkreten Verlaufs, denn eine Erinnerung und Exploration, woher wir kommen, was uns wichtig ist, wo wir gerade stehen und wohin die Reise gehen könnte.

Indem wir den Blick nicht nur in die Zukunft richten, sondern auch die Vergangenheit und Gegenwart hinzuziehen, gewinnen wir eine Idee von den verfügbaren Fähigkeiten und Ressourcen und werden uns bewusst, wie sich das Neue vom Alten unterscheiden soll. Ein erstes Narrativ im Sinne einer sinnstiftenden Erzählung über den Wandel beginnt sich in groben Zügen zu zeigen. Die Suche nach dem Titel bzw. einer Überschrift ist die abschließende Zuspitzung und inhaltliche Bündelung dieser Übung. Insgesamt entsteht über diese Übung keine feinformulierte und fertige Storyline und vermutlich auch nicht der finale Titel der Transformationsstory. Vielmehr liefert sie einen Steinbruch guter Versatzstücke einer Story. Solche Narrative und Begrifflichkeiten sind für ein Transformationsvorhaben von großer Bedeutung. Sie sind Möglichkeiten, das große Ganze gut zu erinnern, den Überblick angesichts hoher Eigendynamiken zu behalten und das Vorhaben anderen zu vermitteln.

Und was hat das alles mit Purpose zu tun?

Purpose-Übersicht
Quelle: Johannes Ries “Purpose – Plädoyer für eine lebensdienliche Wertstiftung”

Purpose ist ja gerade ein beliebtes Thema bei Führungskräften. In letzter Zeit kamen viele Auftraggeber mit dem Wunsch zu uns, den eigenen Purpose zu klären, eine Vision zu entwickeln, den eigenen Nordstern zu finden oder den Golden Circle zu bearbeiten. Dabei tauchte immer wieder die Frage mit Why bzw. “Warum gibt es uns?” einerseits und der Vision bzw. dem “Wozu gibt es uns?” andererseits auf. In diesem wunderbaren Artikel verknüpft Johannes Ries die Fragen nach dem Warum und Wozu zu Purpose. So gehe es sowohl retrospektiv darum, das eigene Handeln zu reflektieren und die lebendige Wertebasis zu identifizieren (Warum), als auch prospektiv die lebensdienliche Wertschöpfung für Mitmensch, -geschöpfe und -welt zu identifizieren (Wozu), um daraus zu einer Gestaltung des Handelns für den Moment zu kommen.

Es geht bei der Purpose-Suche also um die Verbindung aus Rück- und Vorschau, um eine Aktualisierung von Werten und eine Benennung von Wertstiftung. Genau hierfür kann auch das Workshop-Tool “Gestern-heute-morgen” einen hervorragenden ersten Aufschlag liefern.

Spannend an dem Purpose-Konzept von Johannes Ries ist aber auch die Prozesslogik dahinter. Es geht nicht darum, einmal einen Purpose zu definieren, der von da an für alle Zeiten gültig und aufgeschrieben ist. Vielmehr ist der gemeinsame Prozess der Reflexion und Vorausschau essentiell. Wie so häufig, ist der Weg das Ziel. Zudem ist diese Überprüfung etwas, das regelmäßig aktualisiert werden sollte, um die Dynamiken, Komplexitäten und Brüche zu berücksichtigen. Die Übung “Gestern-heute-morgen” lässt sich daher nicht nur als Auftakt für anstehende Transformations-, Strategie-, Change- oder andere Prozesse nutzen, um gemeinsam in Resonanz zu gehen. Auch mitten in solchen Vorhaben oder auch zum Ende eignet sie sich gut, z.B. im Rahmen von Meta-Retrospektiven.

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Agile Agenda – oder: Workshop-Agenda à la Kanban

Schon mal erlebt, dass deine Agenda im Verlaufe eines Workshops spätestens ab der Mitte nicht mehr genauso aussah, wie geplant? Dann ist dieser Artikel etwas für dich: Denn darin geht es darum, wie du deine Agenda als Kanban-Board gestalten und damit Struktur in komplexe, sich dynamisch entwickelnde Workshops bringen kannst. Die agile Agenda hilft uns, einen Rahmen für uns und die Teilnehmer zu setzen, der Unsicherheit im Was mit Sicherheit im Wie begegnet.

Wir wissen dabei nicht, was wir wie lange bearbeiten werden, aber wir einigen uns mit der agilen Agenda auf ein strukturiertes Vorgehen, das es leicht macht, im Workshop vier Werte zu leben: Transparenz, Partizipation, Flexibilität und Zielorientierung.

Es war einmal eine agile Agenda…

Es war einmal in irgendeinem Workshop. Es gab viele offene Themen – mehr als wir wohl schaffen würden. Es gab also viele Todos, wir wollten einige bearbeiten und in irgendeiner Form abschließen. In einem spontanen Moment klebten wir – weil wir es in Projekten auch so machen – Überschriften mit Todo, Doing und Done an die Wand. Ich weiß nicht einmal mehr wann und in welchem Workshop das gewesen ist. Was damals so nebenbei geschah, ist heute eine besondere Form von Agenda, wie wir sie immer mal wieder und zuletzt vermehrt in Workshops benutzen. Nennen wir es an dieser Stelle Workshop-Kanban (wenn du Kanban nicht kennst, ist der Einstieg über Wikipedia wie so oft gar nicht so schlecht). 

Zur Einordnung möchte ich erst mal zwei Begriffe trennen: Agenda und Skript. Eine Workshop-Agenda ist für uns sozusagen die für Teilnehmer sichtbare Seite. Hier steht zum Beispiel zum Start des Workshops an der Wand etwas wie in diesem Workshop: 

agile-agenda-workshop-kanban

Präzise Zeiten für die einzelnen Blöcke schreiben wir hier schon lange nicht mehr hin. Es ist irrelevant und nervt uns und Teilnehmer nur, wenn es nicht eingehalten wird. Davon ausgenommen sind natürlich fixe Blöcke wie “Ende” oder “Mittagessen”. Zum anderen gibt es das Skript – sozusagen als Regieplan oder Drehbuch. Im oberen Beispiel stünde hier für uns als Moderatoren ein ausführlicher Plan, wie wir zum Beispiel den Punkt Analyse durchspielen wollen. Hier geht es manchmal runter bis auf die Planung einzelner Minuten. (Ein paar mehr Gedanken zum Skript und vor allem ein wunderbares Tool zur Erstellung solcher Skripte findest Du in diesem Blogbeitrag).

Parallelen von Workshops und Projekten

Nun ist es in einem Workshop ähnlich wie in einem komplexen Projekt. Für den Anfang kann ich meist noch halbwegs gut abschätzen, was zu tun sein wird, um voran zu kommen. Je weiter ich aber in das Projekt hineingehe, umso unrealistischer wird jedweder Plan. Denn ich kann schlicht nicht wissen, wie Schritt D aussieht, wenn ich A, B und C noch gar nicht gegangen bin. Das gilt für komplexe Projekte und gleichsam für komplexe Fragestellungen in einem Workshop – anders ist das zum Beispiel bei einem geradlinigen Innovationsworkshop. Da kann ich Teilnehmer in klitzeklaren Zeitboxen von A nach B führen. Im Ablauf ist da viel weniger Komplexität zu berücksichtigen, als bei offenen Themen. 

In klassischer Projektarbeit zwingen sich Organisationen einen langfristigen Plan zu schmieden. Alle wissen dann oder vorahnen böse: Nein, das wird so niemals klappen. Aber dennoch wird der Plan gralgleich in jedes Meeting kutschiert. Sozusagen als drapierte Wahrheit, als aufwendig produzierte Hypothese für einen möglichen Projektverkauf.

Ein intensiver Workshop ist nichts anderes als ein komplexes Projekt unterm Brennglas – harte Entscheidungen sind zu treffen, Dynamik zwischen Akteuren lässt sich nicht planen, Themen können mäandern, Informationen verfügbar sein oder eben auch nicht. Früher haben wir analog zu einem Wasserfall-Projektplan ein Workshop-Skript für den gesamten Workshop geschrieben – sozusagen als bestmögliche Hypothese. Wir wussten, dass es unterwegs zu Änderungen kommen wird. Es war einfach nur ein guter Plan, den es fast immer spätestens ab der Hälfte des Workshops anzupassen galt. Dass wir fast immer im Tandem aufspielen, ist zu weiten Teilen eben dieser Flexibilität geschuldet.

Das Versprechen: Unsicherheit im Was durch Klarheit im Wie aushalten.

Aber zurück zum Projektplan. Im Wasserfallsinne versucht er einen großen Batzen Arbeit in viele kleine Schritte zu unterteilen. Das Versprechen lautet dabei: ich habe einen genauen Plan, was wann zu tun sein wird und wenn ihr das so macht, dann wird am Ende etwas Tolles fertig sein. Bei komplexer Herausforderung ist dieser Ansatz mittlerweile weithin nicht mehr salonfähig. Stattdessen gibt es durch verschieden gelebte agile Vorgehensweisen ein anderes Versprechen: Ja, alles ist komplex und es gibt große Unsicherheit im Was. Aber keine Sorge, diese Unsicherheit kannst du durch Sicherheit im Wie aushalten. In diesem Wie stecken Übereinkünfte darüber, welche Verfahren uns dabei helfen werden, mit der Komplexität umzugehen. Etwa durch Rituale wie tägliche Stand-up-Treffen oder Retrospektiven, in denen Teams regelmäßig und in kurzen Zyklen an der kontinuierlichen Verbesserung ihrer Zusammenarbeit werkeln (siehe auch: Über Retrospektiven im Allgemeinen und das Tool “Retrograph” im Speziellen https://komfortzonen.de/retrospektiven-retrograph-timeline/).

Agile Agenda? So funktioniert’s

agile-agenda-workshop-kanban

An der Wand etablieren wir ein Board mit 5 Spalten (geht auch mit weniger oder mehr und die Überschriften sind auch nicht in Stein gemeißelt). Die Spalten haben folgende Überschriften:

  1. Backlog: “Das könnten wir alles bearbeiten”. 
  2. Todo: “Das wollen wir tatsächlich bearbeiten”. 
  3. Doing: “Daran arbeiten wir gerade”. 
  4. Needs review/decision. Diese Spalte ist in zwei Zeilen unterteilt, die untere trägt die Überschrift “Needs refinement” oder “Auf diesen Arbeitsstand müssen wir mal gemeinsam drauf gucken und ggf. eine Entscheidung treffen” und “Hier müssen wir noch mal nacharbeiten”. 
  5. Done: “Das haben wir geschafft”. 

Auch wenn es letztlich “nur” eine Workshop-Agenda ist: lasst uns nochmal in die einzelnen Spalten schauen, erst da wird klar, warum das manchmal so zauberhaft funktioniert. Auf ein Kanban-Board wird eigentlich immer von hinten nach vorne geschaut. Es steht also erst mal das im Fokus, was möglichst weit vorangeschritten ist. Damit entwickelt so ein Board automatisch Zug, nicht tausend Dinge anzufangen, sondern lieber Dinge zu Ende zu bringen. Beim Blick auf die einzelnen Spalten mache ich es genauso und fange erst mal hinten an. Denn da geht es ja gleich mit einer gewichtigen Frage los:

Wann ist etwas eigentlich “done”? Wann ist ein Thema im Workshop abgeschlossen?

Die Kanban-Agenda macht keinen Sinn, wenn wir keine gemeinsam getragene Antwort auf diese Fragen etabliert haben. Im agilen Projekt-Kontext und besonders in Scrum gibt es einen feststehenden Begriff dafür: Definition of Done (DoD). Vor kurzem lautete diese DoD in einem Workshop mit einem multilingualen Projektteam eines Konzerns: 

  • we have developed a „good enough“ solution (including next steps) to a problem – also: “für ein Problem haben wir eine “Gut-genug-Lösung” Lösung erarbeitet. We have agreed to implement this solution (to learn, if it works) ( “wir haben beschlossen, diese Lösung zu implementieren (um zu lernen, ob sie funktioniert)”).
  • We have no (ready-to-use-)solution, but we have agreed on next steps and responsibilities and reasons why no solution was possible – also: “wir haben keine gebrauchsfertige Lösung, aber haben nächste Schritte und Verantwortlichkeiten beschlossen und sind uns der Gründe bewusst, warum wir keine Lösung finden konnten”).

Immer wenn wir an die Agenda treten fragen wir zu den Karten, die in der Spalte “Needs review” bearbeitet wurden, ob wir sie in “Done” schieben können. Und falls nicht: Was es noch braucht, um das Thema abzuschließen. Dieses “Ende” vor Augen zu haben, ist wichtig, denke ich, um die Arbeit mit der Agenda nachvollziehen zu können. Und damit zurück in die gewohnte Leserichtung der westlichen Welt, also nach ganz links, zum:

agile-agenda-workshop-kanban

Backlog

Hier stehen die Themen, die schon vor dem Workshop abzusehen sind. Und hier landen Themen, die im Workshop hochkommen. Weniger wichtiges wird dabei nach unten gehängt. Somit geht in dieser Stelle auch der Themenparkplatz auf, den viele Facilitatorinnen in Workshops nutzen. Geklärt werden muss auch, wie und von wem die Items in diesem Backlog priorisiert werden. In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach Entscheiderinnen und Entscheidern. Eine Rolle die wir oft bereits durch Vorgespräche klären oder im Workshop füllen. Es geht hier um Personen, die bei Bedarf inhaltliche Entscheidungen treffen können und dürfen. Oft sind das die Projektverantwortlichen oder die ranghöchsten Mitarbeiterinnen. Ganz konkret kommt es dann im Workshop-Verlauf zu Situationen in denen zum Beispiel Themen “gehoben” wurden, die bearbeitet werden könnten. Die Priorisierung erfolgt dann entweder gemeinsam (etwa mittels Dot-Voting) oder wird von den Entscheiderinnen vorgenommen.

Praktisch läuft das also zum Beispiel in der einfachsten Form so:

Alle Teilnehmer notieren auf Post-its, welche Fragen wir uns in diesem Workshop stellen sollten. Danach hören wir uns alle Fragen an und clustern sie. Nun erheben wir mittels Dot-Voting eine Heatmap und haben damit vorpriorisierte Fragen für das Backlog generiert. Im Anschluss geben wir eine kurze Kaffeepause, in der wir die Entscheiderinnen ans Board holen und diskutieren lassen, welche Fragen/Themen jetzt priorisiert in die Spalte “Todo” wandern sollen.

Todo

Zum Start des Workshops stehen hier die Karten, die wir als Facilititatoren auf jeden Fall setzen. Zum Beispiel „Themen heben“, „Mittagspause“, „Intro“ und „Recap und Outro“. Unter diesen sind meist auch die einzigen Karten, denen wir einen festen Zeitslot zuweisen. Zum Beispiel „Lunch um 12 Uhr“ oder „Recap und Outro, 17 Uhr“. Konkrete inhaltliche Themen erscheinen hier meist erst im Laufe des Tages. Zum Beispiel, wenn in der Phase „Themen heben“ eine konkrete Arbeitsfrage entsteht – etwa „Wie können wir den Informationsfluss zwischen Team A und Team B verbessern?“.

Doing

Im Doing landet immer das, was wir jetzt wirklich bearbeiten. Wenn alle gemeinsam an einer einzigen Sache arbeiten, hängt da auch nur eine Karte. Zum Beispiel “Intro” oder “Themen heben”. Mehrere Karten können da hängen, wenn verschiedene Leute parallel an mehreren Themen arbeiten. In einem sehr frei gestalteten Workshop klären wir zum Beispiel nach der Phase “Themen priorisieren”, wie wir diese Themen angehen wollen. Dabei kommt dann etwa heraus, dass wir zwei “Work Sessions” aufeinander folgen lassen wollen, in denen jeweils 4 Kleingruppen an einem Thema arbeiten. In diesem Falle ziehen wir also erst mal 4 Karten von Todo ins Doing. Nach der ersten Session ziehen wir dann nicht einfach 4 weitere Karten ins Doing, sondern ziehen die Karten/Themen erst mal gemeinsam in:

Needs review

Hier kann es jetzt zu dem Fall kommen, dass wir entweder so weit sind, dass wir die Karte ins “Done” schieben können. Ggf. auch, in dem wir noch konkrete Next Steps ergänzen. Oder wir beschließen, dass hier noch mal Arbeit reingesteckt werden muss. In diesem Falle geht die Karte in “Needs refinement”.

Ab diesem Moment gibt es zwei Spalten/Bereiche, aus denen Karten im Doing landen können. “Needs refinement” und “Todo”. Auch in dieser Situation spielt die Kanban-Agenda eine Stärke aus, denn ich kann wunderbar für alle visualisiert sofort aufzeigen, dass wir jetzt entscheiden müssen, ob welches Thema wir vernachlässigen, bzw. wie wir damit umgehen wollen, dass nun weniger Arbeit-Slots zur Verfügung stehen, als Themen priorisiert sind.

Die Arbeit mit der agilen Agenda während des Workshops

Ohne vorher komplett feststehende Zeitrahmen ist es unsere Rolle, immer wieder mit den Teilnehmern ans Board zu treten und einen wachen Blick auf diese “Agenda” zu werfen. Wo stehen wir gerade? Welche Themen können und wollen wir noch angehen?

Wir fragen dabei immer wieder auch nicht nur, was wir noch angehen wollen, sondern geben Bedenkzeit für das “Wie”. Also, welches Thema möchtest du angehen und was brauchst du dafür, um damit voran zu kommen. Also etwa: Ich möchte Themy XY mit Kollegin A und Kollege B durchdenken und danach einen Vorschlag an die Gruppe machen, wie wir mit diesem Thema weitermachen möchten.

In Phasen, in denen verschiedene Gruppen an verschiedenen oder gleichen Themen arbeiten, kommt uns noch eine Link- und Synchronisierungsrolle zu. Wir hören immer wieder in die Gruppen rein und ermuntern die Gruppen, sich bilateral auszutauschen oder Infos einzuholen, wenn wir den Eindruck haben, dass es weiterhilft. 

Das gilt natürlich auch, wenn wir ohne Kanban-Agenda arbeiten. Wenn Du das Board wirklich zum zentralen Steuerungsintrument des Workshops machen möchtest, ist nur wichtig, dass die parallel bearbeiteten Themen am Board sichtbar sind und das Board an einem Ort positioniert ist, an dem du mit der gesamten Gruppe immer wieder einfach zusammen kommen kannst.

Starke Visualisierung und Zug zum Abschließen

agile-agenda-workshop-kanban

Ich mag an diesem Workshop-Kanban, dass es an vielen kleinen und großen Stellen Dinge sichtbar macht, es relativ leichtgewichtig ist und Struktur bietet, selbst wenn Dinge aus den Fugen geraten. Mit dem Backlog kann ich sichtbar machen, dass Themen einerseits nicht verloren gehen, aber wir andererseits eh mehr zu bearbeiten hätten, als wir im Workshop schaffen werden. Zeitliche Nadelöhre werden sichtbar und vor allem kann ich alle Anwesenden inklusive mir selber dafür sensibilisieren, die Dinge zum Abschluss zu bringen. Und zu guter Letzt macht diese Agenda auch wunderbar sichtbar, dass “nach dem Workshop” gleich “vor dem Workshop” ist. Das Gerüst könnte im Prinzip gleich für den nächsten Termin hängen bleiben.


Mit der agilen Agenda für Struktur und Flexibilität im #Workshop sorgen. #Transparenz #Partizipation #Zielorientierung #Facilitation
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Ich mir mir sehr sicher, dass wir nicht die einzigen sind, die dieses Format für Workshops nutzen. Mein Netzwerkbekannter Björn Jensen hat sie vor kurzem in einer Scrum-Schulung eingesetzt – auch in diesem Trainingskontext hat das großartig funktioniert und mir als Teilnehmer Orientierung gegeben. Wenn du selbst Erfahrungen damit gesammelt habt, freue ich mich, von dir zu hören und Kommentare zu lesen.

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Lebendiges Miteinander mit Liberating Structures

Zusammenkünfte von Menschen sind zu häufig zäh, anstrengend und ohne konkrete Resultate. Wer dagegen erlebt, wie mühelos und ergebnisreich ein Treffen mit Liberating Structures verläuft, ist schnell von ihnen überzeugt. In den Mikrostrukturen steckt aber noch mehr als eine Handhabe für bessere Meetings. Mit diesem Artikel will ich einen Einblick geben in vier Jahre intensive Nutzung und Verbreitung und teilen, warum die Liberating Structures alle bereichern können, die sich auf den Weg gemacht haben, Arbeiten und Miteinander neu zu definieren.

Liberating Structures – ein Repertoire mit 33+ Möglichkeiten für gestaltendes Miteinander

Seit mehr als 4 Jahren nutze ich mit wachsender Begeisterung die Liberating Structures (LS). In diesem Artikel möchte ich zeigen, wie Liberating Structures durch kleine strukturelle Interventionen viel schlechte Energien umpolen können, die durch die tägliche Frustration über volle Kalender, mangelndes Engagement in Meetings, das Phrasengedresche und andere zeitraubende Rituale entstehen. 

Ich möchte die Sichtweise der Mikrostruktur (z.B ein gelungener Austausch) mit der auf das große Ganze – ein gelingendes Miteinander (manche nennen es Neues Arbeiten) verbinden und Dir Lust darauf machen, die LS alleine oder mit Anderen auszuprobieren.

Befreien durch Struktur

Alle Interaktionen von Menschen in Gruppen können mit den gleichen Gestaltungselementen – wie bei einer DNA – beschrieben werden:

Liberating Structures DNA

Schauen wir uns nun die herkömmliche Interaktion einer Gruppe an, die mit einer Präsentation arbeitet und im Anschluss zu einer offenen Diskussion einlädt:

Liberating Structures Presentation DNA

Die Präsentation zeichnet sich durch Einschränkung der Partizipation aus – die Anwesenden werden hier auf die Zuhörerrolle reduziert. Was – wenn sich die/der Redner*in kurz fasst – erstmal kein Problem darstellen muss. 

Häufig kommt danach aber die offene Diskussion, die sich durch Unter-Strukturierung der Teilhabe/gabe auszeichnet:

Liberating Structures Offene Diskussion DNA

Die Auswirkungen der mangelnden Strukturierung der Beteiligung:
Die Lauten bekommen übermäßig Gehör; die Gruppe verliert sich in Rede und Gegenrede, es bleibt im Dunklen, wie / wer mit dem Geäußerten arbeitet.

Es bieten sich einige LS an, etwas anderes nach einer Präsentation zu machen, um die Gruppe besser zu nutzen. Das Schweizer Taschenmesser unter ihnen ist 1·2·4·All – eine Struktur, die sich sowohl für das Hervorbringen von Vielfalt als auch für das Fokussieren auf eine Fragestellung eignet.

Liberating Structures 1-2-4-all DNA

Wenn die Intention der Präsentation klar ist, kann 1·2·4·All dazu genutzt werden, alle Anwesenden bei der Formulierung nächster Schritte einzubeziehen. So können z.B. produktiv Ideen gehört werden zu etwas, mit dem man gerade kämpft oder ihr könnt herausfinden, was noch fehlt oder nicht bedacht wurde.

Alle Strukturen sind nach demselben Muster und auf eine für jeden verständliche Weise beschrieben. Die Kunst ist die Auswahl der Struktur aus dem LS Menue, die zum jeweiligen Anliegen passt. Als Hilfestellung gibt es zu jeder LS einen Satz, der zusammenfasst, was sie regelmäßig ermöglicht. Es gibt einen Matchmaker mit dem man Anliegen der jeweiligen Struktur zuordnen kann – oder man nutzt gleich die App.

Miteinander lässt sich gestalten!

In meiner eigenen Praxis habe ich die Liberating Structures zunächst als sehr klar organisierte Sammlung verstanden, die mich in meiner Arbeit mit Gruppen unterstützt. Mein wichtigstes Learning in dieser Phase war: Ich kann mich darauf verlassen, dass eine LS das macht, was in ihrer Zusammenfassung steht – das gibt viel Sicherheit, sich mit Gruppen auch an neue Strukturen zu wagen.

Gelingende Arbeit von Gruppen zu ermöglichen ist mein Job – aber was ist dann, wenn für Auftraggeber ein Anliegen nicht so kritisch ist, dass man jemanden wie mich dazu holt? Das habe ich damals etwas verkopft und allgemein hier zusammengefasst. Credo: Miteinander lässt sich gestalten und es gibt bewährte Arten, das zu tun. #MakeMeetingsGreatAgain oder so ähnlich.

Ohrwurm für gelingendes Miteinander

Von hier aus weiter gedacht begann meine missionarische Phase, die immer noch andauert. Heute verwende ich in Gruppen weitestgehend Liberating Structures. Ich mache den Ablauf und die verwendeten Strukturen transparent über Journale für jeden Teilnehmer, in denen es zu jeder Struktur eine Doppelseite für die Arbeit mit der Struktur und individuelle Reflexionen gibt. In der digitalen Dokumentation verlinke ich die verwendeten Strukturen. 

Das hat meine Rolle verändert: Ich bin nicht mehr Facilitatorin sondern Impulsgeberin für anderes Arbeiten – jeder Workshop wird so zum Erlebnis- oder Lernraum befreiender Strukturen, mit dem Ziel, den Teilnehmern einen Ohrwurm für gelingendes Miteinander mitzugeben.

Wenn Liberating Structures die Antwort sind – was war die Frage?

Diesen Theorie-Exkurs haben mir kleine Dämonen eingeflüstert; Praktiker springen zur nächsten Überschrift.

Liberating Structures Tiny Demons

Tiny Demons zu meinen Befürchtungen, andere zur Nutzung der LS einzuladen – das Arbeitsblatt findet ihr in den Visual Organizers for LS Global Gathering.

Glaubt man Henri Lipmanowicz, einem der beiden Kuratoren der Liberating Structures, dann gibt es ihn nicht, den einen Halbsatz, der auf befriedigende Weise weitermacht bei “Liberating Structures sind …”. Besser in ein Gespräch einsteigen und erkunden, wie LS die ganz konkreten Interaktionen gelingender gestalten können.

Die Beschäftigung mit der ‘Complexity Science’ war eine frühe Inspiration für Henri Lipmanowicz und Keith McCandless. Den LS liegen 10 Gestaltungsprinzipien zugrunde, die Komplexität produktiv nutzbar machen:


Screenshot von http://www.liberatingstructures.com/principles/
Liberating Structures 10 Principles

Liberating Structures nutzen Vielfalt von Gruppen, um produktiv mit Komplexität umgehen zu können, ohne zu simplifizieren oder Bereiche, die nicht ins Bild passen, auszublenden.


Sie ermöglichen Neues Arbeiten, indem sie das Miteinander lebendig gestalten. Sie sind alles zusammen: Toolset, Skillset und Mindset.

Neues Arbeiten durch Liberating Structures

Ein Erfahrungsfeld für die Liberating Structures war für mich länger dadurch verstellt, dass sie ein Teil der Dienstleistung sind, die ich für andere erbringe. Als Prozessbegleiterin wähle ich die passende Struktur aus & führe hindurch. Platt gesagt: ich mache nicht mit.

Viele der Zusammenkünfte, die wir im (Arbeits)-Alltag haben, spielen sich eher in kleiner Runde ab. Hier sind wir oft noch gefangen in eingeübten dualen Kommunikationsmustern – Pro & Contra, Überzeugen und Nachgeben, Recht haben, falsch liegen. Einmal in diesem Muster, ist es schwer, zu wechseln, Widersprüchlichkeit und Vielfalt auszuhalten und offen zu sein für Exploration, gemeinsames Gestalten oder gegenseitige Hilfestellung.

Inzwischen – dank der Berliner Usergroup, einer sehr lebendigen globalen Gruppe auf Slack und des Global Gatherings – kenne ich einige Menschen, die so zuhause in den LS sind, dass wir die Entscheidung für den Prozess/die Struktur gemeinsam treffen, die einzelnen Schritte so gut kennen, dass wir niemanden brauchen, der uns hindurch leitet, und wir alle ganz teilnehmen können. Hier zum Ansehen:

  • Ein Ausschnitt eines Troika-Consulting zusammen mit Marco Zbinden & Stefan Stahl von Futurenow, das wichtige Impulse für diesen Artikel geliefert hat. 
  • Die dank – virtuellem TRIZ – befreiende Auseinandersetzung mit meiner Schreibblockade für diesen Artikel, die wir spontan hinterhergeschoben haben.

Die Struktur ist unser Facilitator und wir entscheiden gemeinsam, welche wir in der jeweiligen Situation brauchen.

Mit mehreren Menschen, die ein paar Liberating Structures kennen, entsteht eine Kultur des täglichen Miteinanders, in der die Verantwortung für den gemeinsamen Prozess geteilt wird. 

Wäre es nicht großartig, wenn es bei Euch auch so ist, dass ihr Euch auf Treffen freut, weil sie inspirierend, ergebnisreich und lebendig sind? Also legt los und befreit euer Miteinander mit Struktur!

Hier einige Vorschläge, wie Ihr loslegen könnt, wenn ihr Lust darauf bekommen habt, die Liberating Structures auszuprobieren:

Mit Liberating Structures allein loslegen

  • Kommt zu einem Treffen einer LS User Group in Eurer Nähe.
  • Schnappt Euch ein Vorhaben, das ihr hegt (z.B. etwas, was ihr schon lange vor Euch her schiebt oder eine Sache, die Euch viel bedeutet weil sie mit vielen Dingen, die Euch wichtig sind, zusammenhängt) und macht TRIZ allein und besprecht später mit Freunden/Partnern, die Sachen, die ihr lassen möchtet & wie das Euch gelingt
  • Weitere Strukturen, die man auch allein mit leichten Anpassungen durchführen kann: Ecocycle · Drawing Together (alone) · What, So What, Now What · 15% Solutions · 9 Whys.

Liberating Structures im Arbeitsalltag nutzen

Macht nach einer klassischen Präsentation Impromptu Networking zu “Was nehme ich mit? Welche Fragen/Ideen sind entstanden?” und danach 1-2-4-All zu: “Was habe ich im Austausch gehört, das ich gerne mit Allen teilen möchte?” oder alternativ zu diesen beiden Formaten gleich What, So What, Now What – das ist dreimal hintereinander 1-2-4-all mit unterschiedlichen Fragestellungen.

Liberating Structures mit Freunden und Kollegen erkunden

Probiert die LS mit Troika Consulting zu einem zwischenmenschlichen Thema aus.

Liberating Structues mit anderen üben, die schnell eine Praxis ausbilden möchten 

So wie alles, dass sich leicht erlernen läßt, ist das A & O für die Praxis: Üben, üben, üben. Bei der Facilitation Academy Berlin gestalte ich mit Kolleginnen Workshops, in denen ihr in die LS eintauchen könnt und euch mit anderen austauschen und vernetzen könnt, die die LS für die Leitung, Begleitung und Anleitung von Menschen nutzen wollen. Das nächste Seminar zu Liberating Structures ist am 10./11.Dezember: http://bit.ly/LSeintauchen

DISCLAIMER

Für die Vorbereitung dieses Artikels verwendete LS (einige davon in Development):  Tiny Demons +++ Troika Consulting +++ Triz +++ Mad Tea (Version für virtuelle Treffen). 
Liberating Structures sind lizensiert mit einer
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Mit Workshop-Regeln für eine bessere Diskussionskultur im Workshop sorgen


Zu Beginn vieler Workshops stelle ich ein paar grundlegende Arbeitsregeln vor, die bei einer Moderation helfen, Diskurse besser zu gestalten. Dafür haben wir mittlerweile ein ganzes Potpourri an Regeln, die ich hier einmal gebündelt aufführen und strukturieren möchte. Neben einigen Grundregeln gibt es dabei auch Regeln, die je nach Art des Workshops variieren.

Warum überhaupt Workshop-Regeln?

Wenn es um die Zusammenkünfte mehrerer Akteure geht – egal ob man das nun Workshop oder Meeting nennt -, dann ist eine meiner Aufgaben in der Moderation, diesen Gesprächen auf mehreren Ebenen Struktur zu geben:

  1. inhaltlich-thematisch: Was besprechen wir im Laufe des Workshops und wie kommen wir am Ende zu einem Ergebnis?
  2. methodisch: Mit welchen Tools und Interaktionstechniken werden einzelne Themen bearbeitet?
  3. zeitlich: Wie lange dauern die einzelnen Sessions?

Für diese drei Ebenen erstellen wir ein ausführliches Moderations-Skript. Was häufig unterschätzt wird, ist die vierte Ebene: die Frage der Diskussionskultur. Jeder, der schon einmal einen Workshop geleitet hat, kennt die störenden Einflussgrößen eines Workshops: Personen, die ständig auf ihr Telefon blicken, Alpha-Tiere, die eine kurze Gesprächspause nutzen, um einen langen Monolog zu halten, Teilnehmer, die die Pausenzeiten gnadenlos überziehen oder zu detailverliebte Menschen, die sich gerne in kleinteiligen Diskussionen verlieren.

Und was für längerfristige Transformationsprozesse gilt, gilt selbstverständlich auch für punktuelle Workshops: Kultur lässt sich nicht direkt beeinflussen, sondern über Interventionen auf Ebene der formalen Abläufe. Die Vorstellung von Diskussionsregeln zu Beginn eines Workshops ist so eine kleine Intervention, denn solche „Working Agreements“ helfen dabei, eine gewisse Workshop-Disziplin herzustellen – vor allem bei Gruppen oder Teams, mit denen ich zum ersten Mal zusammen arbeite. Meist sind diese Regeln für die gesamte Dauer des Workshops deutlich sichtbar im Raum hängen, so dass ich bei „Verstößen“ eigentlich nur stumm auf diese Vereinbarungen zeigen muss, ohne jeden einzelnen wiederholt daran zu erinnern.

Verschiedene Arten von Workshop-Regeln

In den letzten Jahren ist das „Portfolio“ an Working Agreements stetig gewachsen. Für mich und die Personen, mit denen ich regelmäßig arbeite, sind diese Regeln eine Selbstverständlichkeit. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Auftraggeber, die das erste Mal mit uns zusammenarbeiten, diese Vereinbarungen abfotografieren, um sie selbst anschließend in ihren Meetings zu verwenden. Dies ist erst jüngst wieder vorgekommen, und das hat mich dazu gebracht, diese Vereinbarungen mal zu strukturieren und gesammelt vorzustellen. Dabei gibt es drei verschiedene Kategorien von Workshop-Regeln. Lass Dich von der Menge dieser Regeln nicht irritieren, es ist eine Sammlung. Im konkreten Workshop setze ich meist nicht mehr als fünf bis sechs Regeln ein.

  1. Grundregeln, die in vielen Workshops zum Einsatz kommen und die Basis für das gemeinsame Arbeiten sind
  2. Spezifische Vereinbarungen, die sich aus dem Kontext des jeweiligen Workshops ergeben
  3. Individuelle Regeln, die sich an die (Diskussions-)Kultur der jeweiligen Organisation orientieren

Grundregeln

Workshop-Du: Standardmodus ist, dass wir ein Workshop-Du einführen, denn ein „Du“ ist häufig die bessere Basis für eine produktive Arbeitsatmosphäre. Da dies aber ein sensibler Punkt in vielen Organisationen ist, kläre ich vor dem Workshop, inwieweit ein Du überhaupt kulturell möglich ist. Falls das nicht so problemlos geht, ist eine Variante auch die Einführung eines kollektiven Du, wenn ich die Gruppe anspreche, aber im individuellen Kontakt bleibe ich dann beim Sie.

Geräte in den Flugmodus: Workshopzeit ist Fokuszeit. Teilnehmer, die immer wieder mit einem Auge aufs Smartphone schielen oder auf ihr Laptop-Display starren, sind nicht nur abgelenkt und halbherzig bei der Sache, sie stören auch die Energie der Gruppe. Ich bitte alle im Raum, ihre Geräte auszuschalten oder zumindest in den Flugmodus zu versetzen. Durch Verweis auf die Pausenzeiten gebe ich den Teilnehmenden einen Anhaltspunkt, wann sie sanktionsfrei zum Handy greifen können. Manchmal hilft es auch, die „Kaffeepause“ als „Handypause“ zu bezeichnen. Ergänzend frage ich gerne auch, wer denn einen extrem wichtigen Anruf erwartet oder führen muss, dann wissen alle, warum diese Person sich gegen halb elf mal kurz aus dem Raum verabschiedet.

Timeboxing: Damit am Ende eines Workshops nicht noch zuviel Agenda übrig bleibt, achte ich ziemlich genau auf die Zeit. Das gilt sowohl für die Dauer einzelner Sessions als auch für die Pausenzeiten. Es gibt kaum einen Workshop, in dem nicht unser TimeTimer zum Einsatz kommt. Und wir bitten die Teilnehmenden, auch selbst auf die Zeit zu achten. Denn „Zeit ist Geld“. Wenn in einem Workshop mit 15 Personen auch nur ein Teilnehmer 5 Minuten zu spät aus der Pause kommt und die restlichen 14 Personen warten müssen, dann sind das 5 mal 15 = 75 Minuten Wartezeit. Am Beispiel des eigenen Gehalts kann sich dann jede anwesende Führungskraft schnell ausrechnen, wie viel Geld gerade verbrannt wurde.

Keine Monologe: Diese Regel ist eher qualitativ. Jeder Teilnehmer soll daran erinnert werden, dass ein Workshop auch ein Austausch von Sichtweisen ist. Dabei sollen alle zu Wort kommen. Workshops dienen nicht dazu, einigen wenigen Meinungsführer eine Plattform für ihre Selbstdarstellung zu geben. Außerdem ist es für mich und die Teilnehmenden kaum sinnvoll möglich, sich auf einen langen Redebeitrag zu beziehen, ohne entweder 90% des Gesagten zu ignorieren oder erneut einen Monolog zu halten. Wenn man diese Regel quantifizieren möchte, lassen sich auch die Regeln „30 Sekunden Redezeit“ und „nur ein Gedanke pro Wortbeitrag“ einführen.

Leserlich schreiben: Vieles, was im Workshop besprochen wird, halten wir (oder die Teilnehmenden) schriftlich auf Post-Its fest. Damit es im Nachgang des Workshops auch für alle lesbar ist hilft es, die Anwesenden zu sensibilisieren, leserlich zu schreiben. Oder es auch manchmal konkreter zu machen, wie es die Kollegen von Metaplan in ihrer Regel zum „schriftlichen Diskutieren“ formulieren würden: mehr als ein Wort, nicht mehr als drei Zeilen. Folgt man strikt den Regeln der schriftlichen Diskussion bedeutet das auch, dass wir Widersprüche und Einwände in der Diskussion „blitzen“ (also visuell sichtbar machen) und die Gegenargumente aufnehmen.

Spezifische Regeln im Kontext des jeweiligen Workshops

Neben diesen Grundregeln gibt es ein paar Vereinbarungen, die nicht für jeden Workshop sinnvoll sind und die ich bei Bedarf einbringe.

Hände Hoch = Fokus auf uns: Das bietet sich insbesondere für die Moderation größerer Gruppen an. Je mehr Menschen es gibt, um so schwerer wird es für den Moderator, sich Gehör zu verschaffen. Es braucht ein Zeichen, um die Aufmerksamkeit der Gruppe wieder zu bekommen. Sobald ich die Hände hebe, hebt jeder, der mich sieht, ebenfalls die Hände und beendet das Gespräch. Und jeder, der jemanden mit erhobenen Händen sieht, macht das gleiche und ist still. So wandert diese Geste durch den Raum und idealerweise herrscht in wenigen Sekunden Ruhe.

Play Serious: In den meisten Fällen geht es in Workshops darum, dass am Ende etwas erreicht wurde. Ergebnisorientierung steht im Vordergrund. Aber mir ist es auch wichtig, dass die Teilnehmenden Spaß haben bzw. über das Spielen neue Erkenntnisse gewinnen. Deswegen ist eine der drei Rollen, die ich in der Funktion des Moderators habe, auch die des Entertainers. Das bedeutet nicht, dass man sich als Rampensau profiliert, sondern das man für Abwechslungs sorgt und sich den Themen nicht nur rein rational nähert. Für zielgerichtetes Spielen sorgen wir durch Tools wie Lego oder Rollenspiele. Durch diese Regel gebe ich explizit die Botschaft mit: Spaß und Spiel sind kein Selbstzweck, sondern sie helfen, zu lernen, motiviert zu bleiben und zu besseren Ergebnissen zu kommen.

Lösungsorientierung statt Problematisierung: Wenn die Gefahr besteht – und das finden wir häufig in den Vorgesprächen heraus – , dass die Teilnehmer eines Workshops dazu tendieren, in der konkreten Fragestellung den ganzen Tag zu problematisieren, dann hilft uns diese Regel, den Fokus auf die Frage zu lenken: Wie kann es denn trotzdem gehen? Als Zusammenkünfte wichtiger Akteure sind Workshops häufig auch kritische Momente für einen Wandel. Da bringt es wenig, wenn mit Floskeln wie „das geht nicht“, oder „das haben wir schon immer so gemacht“ der Weg in ein neues Handeln blockiert wird.

Done is better than perfect: Das ist das zweite Level der Lösungsorientierung. Kleine Schritte statt Masterplan. Wir folgen hier dem Pareto-Prinzip bzw. der 80/20-Regel. In vielen Fällen reicht eine Gut-genug-Lösung aus, eine 80%-Version. An den letzten 20% zu feilen, würde unverhältnismäßig viel Aufwand bedeuten. Deswegen: erstmal machen – und im Zweifel hinterher modifizieren und feinjustieren, anstatt zu versuchen im Workshop die perfekte Lösung zu erarbeiten. Deswegen ist diese Regel auch die kleine Schwester des Timeboxings.

Es gibt keine falsche Antwort: Diese Regel soll den Teilnehmern die Angst nehmen, etwas falsches zu sagen. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn die Workshop-Teilnehmer aus unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen zusammengesetzt sind und wenn Fragen gemeinsam durchdrungen werden, auf die es noch keine (ausreichende) Antwort gibt.

Masse statt Qualität: Gerade in Innovationsworkshops, in denen viele Ideen generiert werden sollen, neigen manche Teilnehmer dazu, Ideen sofort zu bewerten, sobald sie geäußert wurden. Aber in einer solchen Phase der Divergenz, in der möglichst viele unterschiedliche Ideen und Handlungsoptionen gesammelt werden sollen, geht es nicht um Bewertung und Kritik, um Selektion und Realisierbarkeit von Ideen. Es geht (noch) nicht um die detaillierte Diskussion einzelner Ideen, sondern um eine möglichst bunte Sammlung an Optionen.

Vegas-Regel: “What happens in Vegas, stays in Vegas.” Alles, was besprochen wird, bleibt im Raum. Insbesondere für Team-Retrospektiven ist diese Regel enorm wichtig, damit die Teilnehmenden auch frei sprechen können und keine Sorge haben müssen, dass ich die Ergebnisse und Eindrücke an die Management-Ebene spiele. Wenn ich diese Regel einführe, frage ich aber am Ende des Workshops immer nach, ob bzw. welche Ergebnisse mit anderen Personen geteilt werden dürfen.

Entscheider hat Veto-Recht: Soll im Workshop etwas entscheiden werden (Abstimmung) oder geht es „nur“ darum ein Stimmungsbild einzuholen? Wenn Entscheidungen anstehen, dann muss man sich zu Beginn des Workshops darüber verständigen wie diese Entscheidungen getroffen werden. Mit einfacher Mehrheit? Oder gibt es einen „Entscheider“ in der Gruppe? Dieser wird entweder in der Gruppe bestimmt oder ist qua Hierarchie gegeben und darf dann Diskussionen auch beenden, wenn sie zu kleinteilig werden oder sich in einer Sackgasse befinden.

Themenparkplatz: Um Neben-Diskussionen zu vermeiden und uns auf die wichtigen Fragen zu konzentrieren, die in einem Workshop besprochen werden sollen, platziere ich hin und wieder einen Themenparkplatz im Raum und weise darauf hin, dass die Teilnehmenden wichtige Aspekte, die im Laufe der Diskussion aufkommen, dort hinhängen können. Das bedeutet: Diese Aspekte werden im Workshop selbst nicht thematisiert, gehen aber auch nicht verloren. Und am Ende des Tages werden diese Nennungen nochmal aufgegriffen und wenn nötig in den nächsten Schritten adressiert.

Redefolge beachten: Normalerweise laufen in unseren Workshops die Diskussionen gesittet ab und ein Aufzeigen und Melden wie in der Schule ist nicht nötig. Sollte es aber dazu kommen, dass die Diskussionen ausarten, führen wir ab und zu auch die Drei-Finger-Gesprächsregel ein: Ein Finger = Neuer Beitrag, zwei Finger = Ergänzung oder Frage, drei Finger = Wortbeitrag off topic. Alternativ funktioniert auch die Drei-Bälle-Moderation.

Individuelle Vereinbarungen

Nachdem ich die Workshop-Regeln vorgestellt habe, frage ich alle Teilnehmenden, ob sie sich auf diese Vereinbarungen einlassen können und ob es möglicherweise noch weitere Regeln gibt, die wir nicht auf dem Zettel haben, die aber vor dem Hintergrund des zu besprechenden Themas und der Gesprächskultur in der jeweiligen Organisation noch wichtig sind aufzunehmen. Häufig kommen hier keine Ergänzungen mehr, aber ich habe es auch schon erlebt, dass dann noch solche Zusätze kamen wie „in Ich-Botschaften sprechen“ oder „ausreden lassen“. Ebenso kommen hier auch Aspekte wie z.B. „Wir lassen das Alltagsgeschäft außen vor“ oder „Wir wollen uns heute nicht vom Machbaren einschränken lassen“. Diese Vereinbarungen nehme ich dann auch noch mit auf. Zugleich geben mir diese Einwürfe auch Aufschluss darüber, welche Anfälligkeiten es in der Gesprächskultur im Alltag gibt bzw. welche inhaltlichen Leitplanken hier noch wichtig sein können, damit alle fokussiert in den Tag starten.

Welche Gesprächsregeln kennt Ihr?

Zum Abschluss interessiert mich, welche Regeln in Deinem Berufsalltag Anwendung finden: Daher die Frage an diejenigen, die selbst Workshops moderieren: Verwendest Du Gesprächsregeln – und wenn ja welche? Und die Frage an diejenigen, die “nur” Workshop-Teilnehmer sind: Hast Du Erfahrungen mit solchen Working Agreements? Welche würdest Du uns nennen, wenn wir einen Workshop in Deiner Organisation durchführen?

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Gallery-Walks und Poster-Sessions statt zermürbender Plenardiskussionen

„Darüber müssen wir mal gemeinsam mit allen diskutieren.“ So einen Satz hören wir häufiger von Auftraggebern im Rahmen von Vorgesprächen. Angesichts der Fülle an Themen, die mal mit allen diskutiert, behandelt und entschieden werden sollten, gehen dann bei uns schnell die Alarmglocken an. Eine unserer Grundüberzeugungen bei der Arbeit mit Gruppen besteht darin, möglichst wenig Zeit mit unproduktiven Plenardiskussionen zu verbringen und lieber Ideen und Vorschläge in kleinen Gruppen vordenken zu lassen. Trotzdem kommen auch wir nicht an der Diskussion mit allen vorbei. In diesem Artikel möchte ich mit dem Gallery-Walk und der Poster-Session zwei schöne Wege vorstellen, wie wir Diskussionen im Rahmen von Rückpräsentationen kleiner Gruppen anders strukturieren.

Methode 1: Gallery Walk

Ein Gallery Walk ist quasi eine aktivere Form der regulären Rückpräsentation in großer Runde. D.h. es gibt eine Reihe von Gruppen, die die Resultate ihrer Arbeit nacheinander vorstellen und die dann andiskutiert werden. Im Gegensatz zu normalen Diskussionen kommt nicht eine Gruppe nach der anderen nach vorne, während alle anderen immer tiefer in die Seminarraumstühle rutschen. Stattdessen wandert die gesamte Gruppe von einer Station zur nächsten. Allein diese kleine Aktivierung hat schöne Effekte. So bleibt das Energie-Niveau der Gruppe höher und die Diskussionen tendenziell kürzer, weil ja alle stehen und gleich zum nächsten Poster weitergehen wollen. Damit ein Gallery Walk funktioniert, sollte der Raum so groß sein, dass die Gruppen in dem Raum arbeiten können. Natürlich kannst Du auch mit der ganzen Truppe in alle Break-Out-Räume ziehen, aber das würde ich nur machen, wenn die Gruppen auch physisch gearbeitet haben und gemeinsam etwas gebaut oder gebastelt haben.

Methode 2: Poster-Session

Eine Poster-Session ist ein Standardformat auf wissenschaftlichen Konferenzen und aktuell meine Lieblingsalternative zur klassischen Rückpräsentation. Läuft bei einer Rückpräsentation oder auch bei einem Gallery Walk die Präsentation plus Diskussion linear ab, so werden die Rückpräsentationen bei einer Poster-Session parallel getaktet und über eine bestimmte Anzahl von Runden wiederholt. Die Poster-Session ist ähnlich wie das von Dirk beschriebene Zirkeltraining – nur halt für die Rückpräsentationen.

Kleingruppenarbeit vor der Poster-Session

Kleingruppenarbeit vor der Poster-Session

Wenn z.B. insgesamt 20 Teilnehmer in fünf Gruppen parallel gearbeitet haben, gibt es fünf Ergebnis-Poster, die gleichzeitig vorgestellt und diskutiert werden. Jede Kleingruppe von 4 Personen einigt sich auf eine Person, die die Ergebnisse vorstellt und Feedback aufnimmt. Unterdessen teilen sich die restlichen 15 Personen auf die übrigen vier Kleingruppen auf, lassen sich die Ergebnisse der anderen Gruppen vorstellen und diskutieren diese. Um die Diskussion nach der Rückpräsentation gut zu strukturieren und die Ergebnisse festzuhalten, helfen Dir vielleicht diese Tipps von Dirk.

Poster-Session Runde 1

Poster-Session Runde 1

Nach 5-10 Minuten Präsentation und Diskussion wird eine neue Runde eingeleitet: die Teilnehmer wandern an ein anderes Poster und der Präsentator stellt es erneut vor. In der nächste Runde wiederholt sich das Prozedere mit neuen Teilnehmern an den jeweiligen Postern. Das kannst Du solange wiederholen bis alle Teilnehmer alle Poster durchlaufen haben. Oder Du entscheidest Dich gezielt für eine niedrigere Zahl an Sessions. Das solltest Du den Teilnehmern aber vorab mitteilen, so dass diese sich entscheiden können, welche Poster sie hören und welche sie auslassen wollen.

Poster-Session Runde 2

Poster-Session Runde 2

Die Vorteile von Poster-Sessions

  • Ergebnisse können in kleinen Gruppen diskutiert werden: Im Verhältnis zur Plenarrunde können mehr Teilnehmer ihr Feedback einbringen.
  • Ergebnisse werden mehrfach präsentiert und diskutiert. Durch die Wiederholungen und das Feedback gewinnt der Präsentator zusätzliche Tiefe in den Ergebnissen.
  • Poster-Sessions sind kürzer als Rückpräsentationen. Nicht alle müssen alles hören. Die maximale Zahl der Runden ist die Zahl der Kleingruppen minus 1. Im Vergleich zur plenaren Rückpräsentation sparst Du in jedem Fall die Zeit eines Vortrags. Du kannst Dich aber auch grundsätzlich entscheiden, weniger Runden durchzuführen. Bei fünf Kleingruppen reichen z.B. drei Runden. D.h. die Teilnehmer verpassen die Arbeit einer Kleingruppe. Du sparst Dir also zwei Rückpräsentationen. Das ist für mich auch ein häufiger Grund für eine Poster-Session.
  • Poster-Sessions funktionieren auch mit vielen: Auch große Gruppen mit vielen Kleingruppen können jenseits frontaler Präsentationen gut in den gemeinsamen Austausch gebracht werden.
  • Poster-Sessions haben eine hohe Dynamik. Durch die gezielte Auswahl von Präsentationen, die physische Bewegung von Präsentation zu Präsentation sowie durch die Gleichzeitigkeit der Präsentationen sind Teilnehmer viel fokussierter und das Energielevel der gesamten Gruppe ist deutlich höher.

Die Nachteile von Poster-Sessions

  • Der Präsentator kennt nur seine eigene Präsentation: Ein Präsentator muss jeweils bei den Gruppenergebnissen bleiben und kann nicht die Ergebnisse der anderen mitdiskutieren. Dafür gewinnt er über die Wiederholungen und das Feedback der anderen Fachexpertenstatus und es ist daher nicht unattraktiv, die Rolle des Präsentators zu übernehmen.
  • Es gibt keine Gesamtgruppenmeinung. Es fehlt ein gemeinsamer Abstimmungsprozess und Du kannst als Moderator  auf Basis der Poster-Session keine Entscheidungen herbeiführen.
  • Poster-Sessions sind schwierig einzuführen: Es ist anfangs verhältnismäßig schwierig, Teilnehmern das Vorgehen zu vermitteln und den ersten Wechsel zu moderieren.

Varianten der Poster-Session

Bei der Arbeit mit Poster-Sessions solltest Du Dir überlegen, wie die Teilnehmer sich auf die anderen Gruppen aufteilen. So kannst Du die Gruppen gemeinsam zu einem anderen Poster gehen lassen. Dann empfiehlt es sich z.B. im Uhrzeigersinn zu rotieren. Oder Du lässt allen Teilnehmern die freie Wahl, wer wann zu welchem anderen Poster geht. Dann solltest Du als Moderator darauf achten, dass nicht ein Poster un- oder unterbesetzt ist. Oder Du briefst die Teilnehmer von Kleingruppen darauf, dass sie sich so aufteilen, dass nie mehr als eine Person aus der Kleingruppe beim gleichen Poster steht.

Fazit

Der Gallery Walk und die Poster-Session sind zwei schöne Alternativen zur Diskussion von Themen in der ganzen Gruppe. Ganz werden auch wir nicht auf die großen Gesprächsrunden verzichten können.

Nutzt Du andere Alternativen zur plenaren Rückpräsentation? Dann hinterlasse doch einen Kommentar. Und vielleicht ist sie ja auch etwas für einen Gastbeitrag…

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Danke 2018, hallo 2019

Das Jahr 2018 ist fast vorbei und 2019 hat geistig bereits längst begonnen. Bevor wir ganz in die Nicht-Zeit zwischen den Jahren abtauchen, wollten wir Euch Danke sagen und ein kleines virtuelles Präsent machen.

2018 war ein aufregendes Jahr. Wir blicken zurück auf viele spannende Projekte, tolle Begegnungen und neue Werkzeuge im Koffer. Auf tolles Feedback zum Blog, ein inspirierender Gastbeitrag und bewegendes Interview. Für all diese wunderbaren Erfahrungen wollen wir Danke sagen.

Unser Ausblick auf das kommende Jahr

Wir waren in den vergangenen Monaten stark in längere Beratungs-Projekte eingebunden. Neben der Gestaltung einzelner Workshops und Offsites hat sich mit der Begleitung partizipativer und agiler Transformations-Prozesse ein zusätzlicher Fokus etabliert. Wir ordnen dazu gerade noch unsere Gedanken und werden bestimmt im nächsten Jahr auch öfter mal darüber berichten.

Deine Zukunft lesen

Damit sind wir bereits mitten im neuen Jahr. Als kleines Dankeschön wollen wir Dir mit etwas Hokus-Pokus und einer Handvoll Karten die Zukunft lesen. Aber zunächst einmal zur Methode.

Gestern erreichte mich das Instant Archetype Kartenset vom Superflux Studio. Dabei handelt es sich um 22 wundervoll gestaltete Archetypen-Karten für das 21. Jahrhundert. Über den Einsatz von Bildkarten in Workshops hatte Dirk schon mal an anderer Stelle geschrieben. Mich fasziniert an diesem Deck die Universalität und Vielseitigkeit. 

Solche Kartensets sind kreative Trigger. Selbstverfreilich kann niemand mit solchen Karten die Zukunft vorhersehen (Puh – was für eine Erleichterung!). Aber wir können mit Karten dieser Art orakeln. Sie können helfen, neue Ideen zu bekommen und aus einer neuen Perspektive auf Fragen und Themen zu schauen. Wir können darüber anders ins Gespräch kommen und dabei unsere Gedanken ordnen. Wir können Wünsche und Sorgen explizit machen, die uns vorher noch nicht so richtig klar waren. 

Mit dem Karten-Set kommt eine kleine Anleitung mit Vorschlägen, wie man die Karten schlau nutzen kann. Eine davon haben wir für diese kleine Übung herausgezogen, um Deine Zukunft “vorherzusagen.”

Gestern-heute-morgen

Du ziehst drei beliebige Karten (so wie ich es unten getan habe), sortierst sie für Dich und legst sie nebeneinander auf den Tisch. Die erste Karte repräsentiert dann die Themen aus der Vergangenheit, die zweite Dinge aus der Gegenwart und die dritte aus der Zukunft. In diesem Fall also so etwas wie:

Was sagt Dir “Kollaps” über die Vergangenheit Deines Themas?
Was sagt Dir “Innovation” über die Gegenwart Deines Themas?
Was sagt Dir “Disruption” über die Zukunft Deines Themas?

Deine Karten für 2019

Genug der Vorrede. Lass uns in Deine Karten für 2019 schauen. Wir haben drei Karten für Dich ausgewählt und nach dem Gestern-Heute-Morgen-Prinzip platziert. Bevor Du weiterliest: Überlege Dir zunächst ein persönliches Thema, das Du beleuchten möchtest. Ein Thema, dass Du mit Hilfe der Karten aus neuer Perspektive betrachten möchtest. Etwa “Vereinbarkeit meines Jobs mit meiner Familie” oder “Wie ich lerne” oder “Wie ich mich entscheide.”

Bildkarten Workshops

Bist Du bereit, Dich dazu mit Vergangenem zu befassen?

Bildkarten Workshops

Was sagt Dir der Visionär zur Vergangenheit Deines Themas?

Willst Du das Hier und Jetzt erkunden?

Was sagt Dir der Designer zur Gegenwart Deines Themas?

Mach Dich auf Kommendes gefasst.

Was sagt Dir der Aktivist zur Zukunft Deines Themas?

Welche Gedanken und Gefühle haben diese drei Bilder bei Dir angestoßen? Konntest Du neue Erkenntnisse gewinnen?

Vielleicht hilft Dir diese kleine Übung, Dich mit Deinen Vorhaben und Plänen für das kommende Jahr zu beschäftigen. Wir legen uns ab dem 7. Januar wieder die Karten.

In diesem Sinne: auf bald im neuen Jahr!

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