Kategorie-Archiv: KI-Persona

Strategisch, wirksam, verantwortungsvoll: UX im KI Zeitalter

Ich freue mich sehr, dass ich mit Christian Bopp über „KI für UX“ und „UX für KI“ sprechen konnte.
Christian und ich hatten bisher nur wenige Gelegenheiten zum Austausch und Gespräch – und das, obwohl wir schon viele Jahre in ähnlichen Feldern und Rollen tätig waren und sind.

Wann immer wir uns trafen und sprachen, nahm ich sehr viel mit. Ich schätze Christian als Mensch:
Er zeichnet sich durch seine ruhige, reflektierte Art aus, gepaart mit echter, wissenschaftlicher Neugier und dem Wunsch, Komplexität verständlich und wirksam zu machen.

Christian verbindet analytische Schärfe mit strategischem Weitblick – eine Kompetenz, die nur wenige Menschen in sich vereinen.

Christian Bopp im Portrait

Christian Bopp

Christian war Gründer und langjähriger Geschäftsführer von Facit Digital und berät heute über seine Firma UXima Unternehmen – von Start‑Ups bis zu international tätigen Konzernen – in nutzerzentrierten Forschungsprojekten.

Ein besonderer Fokus seiner Arbeit liegt auf der Integration von KI und KI-Tools in menschzentrierten Gestaltungs- und Innovationsprojekten.

Darüber sprechen wir in unseren Interview:
Seien Sie gespannt auf tiefe Einblicke, neue Sichtweisen und handfeste Empfehlungen, wie wir uns als User Researcher (w/m/d) und UX Professional (w/m/d) verändern müssen, um dank KI noch wertvoller und wirksamer zu werden, um wahrgenommen zu werden als strategische Partner für Unternehmer, Unternehmerinnen und Kunden.

Los geht’s …

„KI für UX“ oder „UX für KI“: Wo sammelst du gerade besonders viele Erfahrungen, wo bist du besonders aktiv?

Christian: Tatsächlich spielen beide Richtungen aktuell eine große Rolle für mich, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. „KI für UX“ ist momentan mein Hauptfokus: Ich nutze KI-Tools zum Beispiel bei der Analyse qualitativer Daten, zur Ideenentwicklung oder um Prozesse im Research effizienter zu gestalten. Da passiert gerade unglaublich viel.

Gleichzeitig wird aber auch „UX für KI“ immer wichtiger, denn letztlich entscheidet die Nutzererfahrung darüber, ob ein KI-Tool überhaupt zum Einsatz kommt. Eine gute KI ohne gute UX wird kaum genutzt werden. Gerade wenn Systeme wie LLMs stark im Hintergrund agieren, ist es wichtig, Vertrauen zu schaffen, Kontrollmöglichkeiten anzubieten und transparent zu machen, wie Ergebnisse zustande kommen.

Nutzbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit von KI-Tools

Lass uns tiefer einsteigen in das Thema UX für KI. KI-Tools gibt es immer mehr. Wie zufrieden bist du im Allgemeinen mit deren Nutzbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit – haben die Gestalterinnen und Gestalter die Grundsätze einer dialogorientierten Gestaltung beachtet und weitestgehend eingehalten?

Christian: Technisch sind viele dieser Tools echt beeindruckend. Der Einstieg gelingt meist schnell, und das Interface wirkt oft aufgeräumt und modern. Aber sobald man über das Oberflächliche hinausgeht, zeigt sich: UX-seitig ist da noch Luft nach oben. Viele der etablierten Gestaltungsprinzipien, wie Sichtbarkeit des Systemstatus, Feedback, Nutzerkontrolle oder Anpassbarkeit, werden oft nicht konsequent umgesetzt oder geraten im Eifer des technologischen Fortschritts in den Hintergrund.

Gerade bei KI-Tools ist das fatal. Denn Nutzer interagieren hier oft mit komplexen, schwer durchschaubaren Systemen, deren Entscheidungen erklärungsbedürftig sind. Wenn dann auch noch die Bedienung sperrig ist oder keine Transparenz darüber herrscht, was im Hintergrund passiert, sinkt das Vertrauen. Gute UX bedeutet hier nicht nur einfache Bedienung, sondern vor allem: Orientierung, Verständlichkeit und die Möglichkeit, mit der KI auf Augenhöhe zu interagieren.

Besonders spannend finde ich die dialogbasierten Systeme wie ChatGPT. Hier passiert alles über Sprache – das Interface ist fast unsichtbar. Nutzer interagieren rein textbasiert, ohne klassische Buttons oder Menüs. Das bringt neue Herausforderungen mit sich, denn der „Weg zur Funktion“ ist nicht mehr klickbasiert, sondern sprachlich. Deshalb ist es besonders wichtig, Nutzer dabei zu unterstützen, gute Prompts zu formulieren – also Anfragen, mit denen sie wirklich sinnvolle und präzise Antworten bekommen. Hier sehe ich eine neue UX-Aufgabe: Wir müssen Menschen befähigen, in dieser sprachbasierten Welt sicher zu agieren und zu verstehen, wie sie mit Sprache zu besseren Ergebnissen kommen.

„Sprache wird zum Interface und das verändert die Spielregeln.“

Welches Tool hat dich persönlich am meisten beeindruckt?

Christian: Das ist gar nicht so leicht zu sagen – es gibt viele spannende Ansätze. Was mich besonders überzeugt, sind Tools, die nicht nur technisch gut funktionieren, sondern gleichzeitig mitdenken, wie Menschen arbeiten. Wenn z. B. eine KI nicht nur Inhalte analysiert, sondern mir bei der Ableitung hilft – also wirklich in den Denkprozess einsteigt – dann wird’s für mich richtig nützlich.

User Research und UX Testing bei KI-Anwendungen

Wurdest du schon einmal angefragt für einen UX Review oder Nutzertest eines KI-Tools?

Christian: Noch nicht, aber das würde mich sehr reizen. Gerade bei KI-Tools ist gute UX kein Nice-to-have, sondern ein echter Erfolgsfaktor. Der Markt ist voll, und nur wenige Produkte werden sich durchsetzen. Wer da punkten will, braucht nicht nur starke Features, sondern muss auch die Bedürfnisse seiner Nutzer wirklich verstehen. Ich glaube, UX Research kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie testet man eigentlich UX bei KI-Agenten – also Systemen, die stellvertretend für Menschen handeln?

Christian: KI-Agenten, die im Auftrag des Menschen handeln, stellen UX-Forschung vor neue Herausforderungen, weil sie nicht mehr nur Werkzeuge sind, sondern zunehmend Entscheidungen treffen, Prozesse übernehmen oder eigenständig interagieren. Deshalb ist es besonders wichtig, Vertrauen und Kontrollierbarkeit zu betrachten.

Ein bewährter Einstieg sind qualitative Anforderungsanalysen:

  • Was erwarten die Nutzer?
  • Wo sind sie bereit, Verantwortung abzugeben und wo nicht?

Das hilft, Rollenbilder für den Agenten zu entwickeln. UX-Tests sollten sich dann nicht nur auf das Interface konzentrieren, sondern auch auf die Wirkung des Systemverhaltens – etwa:

  • Wie nachvollziehbar ist die Entscheidung der KI?
  • Wirkt sie kompetent, unterstützend oder eher unheimlich?

Ein guter methodischer Zugang ist die Kombination aus Verhaltensbeobachtung (z. B. via Screen Recording), Denkprotokollen und anschließenden Interviews: Nutzer beobachten, wie der Agent Aufgaben übernimmt und reflektieren anschließend ihre Eindrücke.

  • Wo entsteht Vertrauen?
  • Wo gab es Zweifel oder Kontrollverlust?

„Mixed-Methods-Ansätze sind sehr wertvoll, um die komplexe Mensch-KI-Interaktion besser zu verstehen und iterativ zu verbessern.“

Wie KI UX- und User Research verändert!

Kommen wir zum Thema KI für UX, und starten mit dem Thema Effizienz. Gefühlt jeder UX Professional arbeitet daran mit Hilfe von KI-Tools beim Einsatz vertrauter UX-Methoden und Erhebungsverfahren Kosten zu sparen, ohne die Qualität zu reduzieren. 

Wo siehst du die größten Hebel für (noch) mehr Effizienz im User Research?

Christian: Ganz klar in der Moderation und Analyse. KI kann hier wahnsinnig viel Zeit sparen – vor allem, wenn viele qualitative Interviews zu codieren, zu clustern oder zu interpretieren sind. Gerade bei größeren, internationalen Studien mit mehreren Sprachen, hohen Fallzahlen oder umfangreichem Material (z. B. aus Tagebuchstudien oder ethnografischen Beobachtungen) entfaltet KI ihr Potenzial besonders stark. Ich würde sagen:

Je nach Projekt lassen sich 50 bis 80 % des zeitlichen Aufwands einsparen, insbesondere in der Phase zwischen Datensammlung und Berichterstattung.

Diese gewonnene Zeit ist aber kein Selbstzweck. Sie lässt sich nutzen, um dort mehr Tiefe zu schaffen, wo es wirklich drauf ankommt: in der Interpretation, bei der Ableitung von Handlungsempfehlungen, in der Diskussion mit Stakeholdern. Man kann zusätzliche Perspektiven einbeziehen, Hypothesen nachschärfen oder Ergebnisse stärker mit Businesszielen verknüpfen.

Denn klar ist auch:

„Die entscheidenden Erkenntnisse entstehen immer noch im Kopf – durch menschliche Erfahrung, kontextuelles Verständnis und die Fähigkeit, Bedeutung herzustellen.“

Genau hier bleibt unsere Rolle als UX Researcher unverzichtbar.

Ich frage mich: Sind wir gut beraten unsere Methoden und Erhebungsverfahren dank KI immer günstiger anzubieten? Sollten wir nicht daran arbeiten mit Hilfe von KI und KI-Tools unsere Dienstleistungen teurer anzubieten, „Mehrwerte“ zu liefern? Wie stehst du dazu?

Christian: Das ist eine spannende und sehr aktuelle Frage. Aus meiner Sicht sollten wir den Fokus klar auf Wertschöpfung statt auf Preisreduktion legen. Klar, KI-gestützte Tools machen vieles schneller und günstiger. Aber das allein sollte nicht unser Antrieb sein.

Wir sehen, dass viele Unternehmen bereits beginnen, viele Research-Aufgaben selbst durchzuführen – unterstützt durch KI-Tools mit niedrigen Zugangshürden. Das heißt, unser klassisches Angebotsfeld als Research-Dienstleister oder UX-Berater verändert sich. Standarderhebungen oder einfache Interviews könnten künftig direkt im Produktteam durchgeführt werden – ganz ohne uns.

Gerade deshalb wird es für uns umso wichtiger, uns als strategische Partner zu positionieren. Wir müssen zeigen, dass wir die Tools verstehen – nicht nur in der Anwendung, sondern auch in ihrer Wirkung. Wir wissen, welche Methoden in welchem Kontext Sinn machen. Und wir können Unternehmen dabei unterstützen, die Fülle an verfügbaren Informationen einzuordnen und in Handlung zu übersetzen.

Das bedeutet: Wer Mehrwert liefern will, sollte nicht nur an Geschwindigkeit arbeiten, sondern an Integrationsfähigkeit, kritischer Reflexion und methodischer Tiefe. Dann wird aus KI-Unterstützung echte Business-Relevanz.
Und die darf – ja muss – auch ihren Preis haben.

KI-Persona als Werkzeug: Wie sie UX-Professionals unterstützen können!

Beim Thema KI für UX kommen mir synthetische Nutzende, auch als KI-Persona bezeichnet, in den Sinn. Wo siehst du sinnvolle Einsatzmöglichkeiten?

Christian: Spannendes Feld! Ich sehe sie nicht als Ersatz für echte Nutzern, aber als hilfreiches Werkzeug. Im qualitativen Bereich können sie super sein für Pretests, Hypothesenbildung oder um ein Gefühl für Nutzersichtweisen zu bekommen. Im quantitativen Bereich sind sie eher Ergänzung – für die Datenerhebung selbst braucht es nach wie vor reale Menschen.

Ein wichtiger Punkt: KI-Personas sind oft „Mainstream“ – also eher durchschnittlich unterwegs. Für echte Innovationen oder extreme Perspektiven reichen sie nicht aus. Aber als Einstieg oder Sparringspartner funktionieren sie sehr gut.

Wie gehe ich am besten vor, um erste Erfahrungen mit KI-Persona zu sammeln? Welche Ansätze gibt es, wo liegen deren Einsatzmöglichkeiten und Grenzen?

Christian: Der einfachste Weg ist selbst ausprobieren! Ein Large Language Model wie ChatGPT reicht für den Einstieg vollkommen aus. Eine grobe Persona lässt sich erzeugen, indem bestimmte Eigenschaften, Rollen oder Einstellungen vorgegeben werden – zum Beispiel: „Stell dir vor, du bist eine 35-jährige IT-Projektmanagerin aus Berlin, die großen Wert auf Datenschutz legt…“. Daraus entstehen oft schon überraschend glaubwürdige Nutzerbilder, mit denen man weiterarbeiten kann.

Wer es etwas systematischer angehen will, kann spezialisierte Tools wie syntheticusers oder Vurvey nutzen. Diese Plattformen bieten strukturierte Prozesse, um realitätsnahe synthetische Personas zu generieren. Die Qualität steigt deutlich, wenn vorhandenes Wissen über Kundensegmente, Märkte oder bestehende Personas anreichert werden.

Grenzen zeigen sich dort, wo es um emotionale Tiefe oder innovative Perspektiven geht – hier bleibt der Mensch unersetzlich.

Welche weiteren Ansätze und Tools sollten UX Professionals unbedingt in den Blick nehmen, womit sollten wir uns beschäftigen, praktische Erfahrungen sammeln und Kompetenzen aufbauen?

Christian: KI kann grundsätzlich in jeder Phase des UX-Research-Prozesses eingesetzt werden – von der Planung über die Durchführung bis hin zur Auswertung und Ergebnisdarstellung. Entscheidend ist, dass wir als UX Professionals verstehen, welche Tools wofür geeignet sind, wo ihre Stärken liegen und wo ihre Grenzen beginnen.

Es geht nicht nur darum, Tools zu kennen, sondern sie auch selbst auszuprobieren, in bestehende Arbeitsprozesse zu integrieren und ihre Ergebnisse kritisch zu reflektieren. Praktische Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen – gerade, weil sich der Markt extrem dynamisch entwickelt.

Gleichzeitig brauchen wir ein Bewusstsein für die ethische Dimension:

  • Was bedeutet es, wenn KI Inhalte synthetisiert, Nutzer simuliert oder Meinungen klassifiziert?
  • Wie transparent sind diese Prozesse, und wie können wir Verzerrungen erkennen und korrigieren?

Kompetenz heißt hier auch Verantwortung übernehmen – methodisch, inhaltlich und gesellschaftlich. Wer sich auf diesen Wandel aktiv einlässt, wird nicht nur effizienter arbeiten, sondern seine Rolle im Unternehmen oder im Projektteam strategisch ausbauen können.

Von Online-Umfragen zu KI-gestütztem User Research:
Ein Blick zurück und nach vorn!

Lass uns zum Schluss 30 Jahre zurück und zugleich nach vorne blicken. 1994, 1995 wurden die ersten Umfragen über das World Wide Web und über E-Mail-Listen durchgeführt. Über deren Datenqualität wurde viele Jahre diskutiert – sachlich, emotional, mal auf Basis von Forschung, oft auf Basis von Interessen, die es galt zu vertreten und zu verteidigen.  30 Jahre später dominieren Online-Umfragen in vielen Forschungsfeldern. Zurückgedrängt wurden Telefonumfragen und Face-to-Face Befragungen. Was können wir aus dieser Geschichte mit Blick auf KI für UX ableiten?

Christian: Ein schöner Vergleich! Als Online-Umfragen Mitte der 90er-Jahre aufkamen – ich erinnere mich gut an die ersten E-Mail-Befragungen war das ein echter Durchbruch. Studien ließen sich plötzlich schnell, kostengünstig und in großem Stil durchführen. Das war ein Boost für die Branche, aber auch für viele, die sich vorher keinen Zugang zu Marktforschung leisten konnten.

Mit dieser Demokratisierung kamen aber auch neue Herausforderungen. Es wurde viel und teilweise unreflektiert befragt – die Zahl der Umfragen explodierte nachfolgend regelrecht. Dann beobachtete man Phänomene wie Befragungsmüdigkeit, sinkende Rücklaufquoten, aber auch Qualitätsprobleme.

Das eigentliche Problem entstand damit, dass viele der neuen Anwender nicht über das nötige forschungspraktische und methodische Hintergrundwissen verfügten. Oft fehlte die Kenntnis, wie valide Fragen gestellt werden, welche Bedeutung die Definition von Zielgruppen und ein sauberes Sampling haben oder wie sich Ergebnisse korrekt interpretieren lassen. Es fehlte manchmal an einer reflektierten Herangehensweise – sowohl bei der Konzeption als auch bei der Interpretation von Studien. Das führte dazu, dass viele Ergebnisse nicht belastbar oder gar irreführend waren.

Ich sehe bei KI-gestützter Forschung ganz ähnliche Entwicklungen. Die Einstiegshürden sinken, viele neue Akteure nutzen Tools, ohne methodische oder ethische Grundlagen. Das kann dazu führen, dass scheinbare „Insights“ entstehen, die verzerrt oder überinterpretiert werden. Unsere Profession ist hier gefordert: Wir sollten aktiv daran mitwirken, Qualitätsstandards zu setzen, Orientierung zu bieten – und die Tools nicht nur technisch, sondern auch verantwortungsvoll nutzbar zu machen.

Vergangenheit verstehen, Zukunft gestalten!

KI im User Research und UX Testing:
Welche Fehler sollten wir meiden, heute, und wo werden wir in 10 oder gar 20 Jahren stehen?

Christian: Ein häufiger Fehler ist, dass KI-Ergebnisse zu schnell als objektiv oder „richtig“ angenommen werden, ohne sie methodisch oder inhaltlich zu hinterfragen. Natürlich kann KI dabei helfen, Muster zu erkennen, Daten zu strukturieren oder sogar Zusammenfassungen zu erstellen. Aber: Ohne kontextuelles Verständnis und ohne kritische Reflexion laufen wir Gefahr, voreilige Schlüsse zu ziehen. Besonders kritisch wird es, wenn die Anwender der Tools kein fundiertes Research-Verständnis mitbringen. Dann entstehen schnell Ergebnisse, die überzeugend aussehen, aber inhaltlich unzulänglich oder verzerrt sind. Genau hier liegt unsere Verantwortung als Research-Professionals:

„Wir müssen KI-Ergebnisse einordnen, mit Hintergrundwissen anreichern und für valide Ableitungen sorgen.“

Denn schneller ist nicht gleich besser – und nur was auch in der Tiefe verstanden wird, kann echten Mehrwert liefern.

Was die Zukunft bringt? Schwer zu sagen, aber ich denke, KI wird zum natürlichen Teil unseres Workflows. Wir werden zu „Prompt-Architekten“, die ihre Denkweise in Maschinen übersetzen. Gleichzeitig dürften wir schon bald erleben, wie KI-Agenten weitgehend autonom Usability-Tests durchführen, synthetische Nutzertypen generieren oder Designentscheidungen simulativ vorantreiben. Das eröffnet neue Spielräume, birgt aber auch Risiken – zum Beispiel die Gefahr, sich zu sehr auf Modelle zu verlassen, die reale Diversität nicht abbilden.

Damit verschwimmen die Grenzen zwischen Forschung und Entwicklung – und genau deshalb wird die ethische Dimension noch wichtiger:

  • Was dürfen wir automatisieren?
  • Wo müssen wir den Menschen einbeziehen?
  • Und wie gestalten wir das verantwortungsvoll?

Vielen Dank, lieber Christian, für das Teilen deiner Erfahrungen, deine Gedanken, die aufgeworfenen Fragen, die wertvolle Orientierung, die du uns geboten hast, und das Aufzeigen von Chancen und Potentialen von KI im UX und User Research. Ich bin sicher, dass unsere Profession dank KI noch wirksamer wird und es uns gelingen wird als strategische Partner wahrgenommen zu werden: In den Unternehmen und als externe Dienstleister.
Darauf freue ich mich sehr, darauf dürfen wir beide uns freuen.

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Synthetische Nutzer: Von der Nutzung, über die Begeisterung, zum Verstehen!

Ich mag es sehr: Schnacken mit einem synthetischen Nutzer, einer synthetischen Nutzerin, die/der (Ziel-)Personen einer (Ziel-)Gruppe vertreten. Ich bin begeistert über das Erlebnis an sich, über die Möglichkeiten; darüber was ich (dazu-)lerne, erfahre und welch vielfältige, neue Fragestellungen und Thesen ich beim Chatten mit synthetischen Nutzer:innen („KI-Persona“) entwickele.
Fragestellungen und Thesen, die in nachgelagerten User Research Projekten erforscht werden können, ja sogar müssen. Tut man das nicht, dann bleiben falsche KI-Annahmen verborgen, dann können (empirisch) zutreffende KI-Annahmen nicht erkannt werden.

Meine Erfahrungen mit KI-Persona bringen mich zu der Erkenntnis (die noch eine These ist):

Synthetischer Nutzer, die (Ziel-)Personen einer (Ziel-)Gruppe vertreten („KI-Persona“), werden den Persona-Ansatz aufwerten und zu mehr (primären, empirischen) User Research Projekten führen! 

Synthetische Nutzer im UX Design – nutzen ist Pflicht, verstehen ist Kür!

Für mich –  UX Designer  der Generation „Golf“, der mit dem C 64 „groß geworden“ ist und das Internet während seines BWL- und Wirtschaftspsychologiestudiums kennenlernte – ist es nicht einfach wirklich zu verstehen, wie Large Language Models funktionieren und wie sie darauf hinwirken, dass ich so viel Begeisterung für synthetische Persona entwickele. Ich lerne jeden Tag dazu, noch brauche ich aber Menschen, die mich dabei unterstützen sinnvolle und zielführende Eingaben („Prompts“) zu tätigen, die genügend, zielführende Informationen und Kontexte liefern, damit ich ein optimales Ergebnis beim Prompten erziele.

Ich freue mich sehr, dass ich Marius Jahrens, einem leidenschaftlichen Bio- und Neuroinformatiker,  kennenlernen und ihm heute einige Fragen stellen durfte. Fragen, die hoffentlich auch für Sie, lieber Leser:innen von Nutzerbrille, interessieren.

Lieber Marius, vielleicht stellst du dich selbst kurz vor:
Wer bist du, was machst du, wie viel deiner Arbeitszeit setzt du ein für „Prompt Engineering“?

Marius Jahrens

Marius: Ich schaffe neues Wissen am Institut für Neuro- und Bioinformatik an der Universität Lübeck und arbeite seit einigen Jahren im Bereich KI-Reasoning, also an Methoden um lernenden Algorithmen logisches Denken, Schlussfolgern und Argumentieren beizubringen.
Mit den Erfolgen von ChatGPT & Co., und dem damit einhergehenden Interesse Sprachmodelle intelligenter zu machen, hat sich ergeben, dass KI-Reasoning vermehrt in natürlicher Sprache stattfindet.

Prompt Engineering macht eigentlich nur einen kleinen, aber aktuell leider (!) noch notwendigen Teil meiner Arbeit aus. Dass ich das auch außerhalb meiner Forschung mache (Anmerkung: Marius ist Mitgründer und CTO von AURI Consult) hängt damit zusammen, dass großer Bedarf und hohe Nachfrage daran besteht Sprachmodelle praktisch einsetzbar zu machen – beispielsweise beim Optimieren der Effizienz von Geschäftsprozessen.
Die technischen Hintergründe zu kennen ist dabei von großem Wert und stellt einen riesen Vorteil dar, weil viele Schwächen und Probleme der Sprachmodelle sich intuitiv mit deren Architektur und Trainingsverfahren in Verbindung bringen lassen, und die wiederum Aufschluss darüber geben, was am Prompt zu ändern ist.

Neuro-Informatiker aus Leidenschaft – Prompt Engineer wider Willen!

Lieber Marius, Vielleicht hilfst du meinen Leser:innen mit grundlegenden Informationen: Was genau macht ein „Prompt Engineer“ und was sind typische Tätigkeiten dieses recht neuen Berufsbildes?

Marius: Prompt Engineering befasst sich damit wie eine Eingabe für ein Sprachmodell – beispielsweise ChatGPT – oder einen Bildgenerator – wie beispielsweise Midjourney – formuliert sein muss, damit das Ergebnis den Vorstellungen des Benutzers entspricht. Der Benutzer weiß in der Regel was er möchte, nur ist die Frage wie man dies der KI so vermittelt, dass sie die Intention des Benutzers richtig „versteht“.

Das kann etwa dadurch begünstigt werden, indem man eine hypothetische Situation beschreibt, in der die Anfrage gestellt wird, sodass die KI sie mit Begriffen aus dem richtigen Kontext assoziiert. Oder man weist dem Chatbot eine Rolle zu, sodass die Antwort aus der Perspektive einer Person mit bestimmten Fachkenntnissen oder in einem bestimmten gesellschaftlichen oder beruflichen Umfeld geschrieben ist. Das wirkt sich nicht nur auf die Formulierungen aus, die das Sprachmodell verwendet, sondern auch auf den Inhalt, und damit den Nutzen den die Antwort bietet.

Ein Prompt Engineer hat die Aufgabe genau diese Vermittlung zwischen Benutzerintention und KI-Verständnis zu vollbringen, und das ggf. auch für Benutzereingaben, die zum Entwicklungszeitpunkt dem Prompt Engineer noch nicht vollständig, also nur recht grob, bekannt sind.

Synthetische Nutzer mit der Brille eines Neuro-Informatikers betrachtet!

Lieber Marius, wir haben uns kennengelernt im Kontext der Thematik „KI-Persona“ oder „synthetische Nutzer“. Ich habe von dir bereits viel gelernt, u.a. wie man ChatGPT „füttert“, damit man sich mit einer Persona unterhalten kann, und wie man die Protokolle aus einem Chat nutzen kann, um sinnvolle, ja nötige, nachgelagerte User Research Projekte abzuleiten.
Magst du meinen Leser:innen kurz und mit deiner Erfahrung als Bio- und Neuro-Informatiker erläutern, was „synthetische Nutzer“ sind, und wie man jene im Grundsatz „erzeugen“ kann?

Marius: Synthetische Nutzer:innen sind einfach gesagt Chatbots, die exemplarisch Individuen oder repräsentativ Gruppen, verkörpert durch eine:n Repräsentant:in, als Rolle einnehmen.
Damit sollen UX Designer:innen nicht nur „aus der Distanz“ über Nutzergruppen etwas erfahren, sondern in „persönlichen“ Kontakt treten können, um quasi aus erster Hand zu hören, was ihnen wichtig ist. welche Wünsche und Anforderungen sie haben, was sie in ihrem Leben beschäftigt und wie sich das Produkt oder der Service in ihren Alltag einfügt.

Grundlage für synthetische Nutzer sind bestenfalls Nutzerstudien. Jenen Daten kann man dazu verwenden eine Persona-Card je Nutzergruppe zu erstellen und diese dann als Rollenbeschreibung für die KI verwenden. Man kann die detaillierteren Informationen und Daten aus Nutzerstudien auch zur Verkörperung zufällig ausgewählter Nutzer:innen einsetzen, ebenfalls als Rollen für die KI, nur dann mit Fokus auf Einzelnutzer statt auf Gruppenrepräsentanten.

Das Prompt Engineering nimmt dabei eine wichtige Rolle ein, denn selbst wenn die Beschreibung der zu verkörpernden Persona vorhanden ist, existieren noch viele näher zu beschreibende Freiheitsgradem wie etwa die Situation in der sich das Gespräch abspielt, die Beziehung zum Gesprächspartner, vor welchem Hintergrund das Gespräch stattfindet und über welchen Kommunikationskanal – sprich, soll es wie ein persönliches Gespräch in Person sein, oder wie ein förmlicheres Gespräch per E-Mail, oder soll es eher den Charakter von Kurznachrichten über einen Instant-Messenger haben?
Und für Prompt Engineers ebenfalls sehr wichtig zu beachten: Welche Details kann man objektiv beschreiben und welche muss man beispielhaft „vorspielen“, damit die KI sie annimmt?

Lieber Marius vielen Dank für diesen Blick auf synthetische Nutzer mit deinen Erfahrungen als Neuro-Informatiker.
Welchen zentralen Tipp, welchen zentralen Hinweis kannst du UX Designer:innen geben, damit sie richtig „prompten“? 

Marius: Gerade wenn es um logische und weniger um kreative Problemstellungen geht würde ich sagen, wann immer möglich Probleme in kleine Einzelschritte aufteilen.
Je mehr man Sprachmodelle einen gut strukturierten Lösungsweg entlang führen kann, desto robuster die Ergebnisse.

Prompt Engineering – eine Tätigkeit mit geringer Halbwertzeit!

Sag mal, Marius, bei all deiner Erfahrung, die du hier preisgibst, deinen vielfältige Fertigkeiten: Wie bist du auf die Idee gekommen als Unternehmer tätig zu sein? Ist es nicht so, dass du als Neuro-Informatiker und „Prompt Engineer“ (ein wenig „wider Willen“) am Arbeitsmarkt viele attraktive und hoch dotierte Job-Angebote bekommst?

Marius: Ich denke nicht, dass Prompt Engineer als Beruf lange existieren wird. Die Vermittlung zwischen Nutzerintention und KI ist nur deshalb notwendig, weil KI noch nicht ausreichend eigenständig die Intention des Benutzers erfasst oder die richtigen Rückfragen stellt, um Unklarheiten zu beseitigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Schwäche behoben ist.
Und es gibt sehr viel ungenutztes Potenzial, selbst mit den Schwächen die die aktuellen KI-Modelle noch haben. Ich sehe einen sehr viel größeren Wert darin, dieses Potenzial nutzbar zu machen und andere Unternehmen dabei zu unterstützen.

Wie bildest du dich auf deinem Fachgebiet weiter – gibt es Fort- und Weiterbildungen an Hochschulen, zertifizierte Lehrgänge und nutzt du Meet-Ups, (Fach-)Kongresse und Barcamps zum Ausbau deiner Fertigkeiten?

Marius: Es gibt viele Angebote zu dem Thema, aber bei mir sind es vor allem die wissenschaftlichen Veröffentlichungen die ich verfolge und regelmäßig studiere.

Können synthetische Repräsentanten von „einem selbst“ bei der Urlaubsplanung helfen?

Zum Schluss noch etwas „privates“: Wir planen gerade unseren (Familien-)Urlaub. Wir haben verschiedene Ziele zur Wahl und wissen wo es uns in der Vergangenheit gut gefiel (und wo nicht). Könntest du uns helfen einen neuen Urlaubsort zu finden, einen Ort, der mich, meine Frau und Kinder begeistert?

Ich stell mir das – ausgestattet mit meinen Erfahrungen mit „KI-Persona“ – laienhaft so vor: Wir legen jeden von uns als „synthetischen Nutzer“ an, beschrieben mit unseren Präferenzen, Wünschen und Anforderungen an Urlaube und Urlaubsorte. Nun lassen wir unsere „synthetischen Vertreter:innen“ an jene Orte virtuell reisen, lassen sie anschließend miteinander diskutieren, mit dem Ziel eine bestmögliche Konsenslösung für den kommenden Urlaubsort zu finden. Geht so etwas?

Marius:  Möglich wäre das sicherlich, wenn auch aufwändig. Als Pragmatiker würde ich die Lösungsstrategie etwas lenken um zu verhindern, dass sich die KI „verrennt“.
So könnte man erstmal die KI dazu nutzen für jeden eine Kandidatenliste zu erzeugen mit Urlaubszielen, die den persönlichen Kriterien entsprechen. Und dann schrittweise KIs, die die Interessen der Anderen vertreten, die Listen filtern oder um Gegenargumente zu den Vorschlägen erweitern lassen.

Vielen Dank Marius für diese Inspiration und deine wertvollen Gedanken, das Teilen deiner Erfahrungen. Ich freue mich sehr darauf gemeinsam mit dir weiter aufzuklären wie synthetische Nutzer funktionieren, welche Chancen sie bieten, aber auch welche Grenzen und Gefahren es gibt. Das stets mit dem Ziel „KI-Persona“ zu etablieren und dazu beizutragen, dass immer mehr UX Designer:innen research-basiert und menschenzentriert gestalten dürfen.
Und ich hoffe sehr, liebe Leser:innen, wir konnten mit diesem Interview einen kleinen Beitrag dazu leisten.

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